Montag, 5. September 2016

Brief 214 vom 4./5.9.1941


Mein liebster Ernst!                                                                    Konstanz, den 4.9.41          

Heute Morgen kam Dein liebes Päckchen mit Deinem Bild an. Aber da habe ich mich doch riesig gefreut. Das war wirklich eine feine Überraschung. Ich muß das Bild die ganze Zeit ansehen, so gut gefällt es mir. Das Geschenk hast Du Dir wirklich fein ausgedacht. Eine größere Freude hättest Du mir gar nicht machen können. Schade, daß ich Dir nicht persönlich dafür danken kann. Damit wird es ja wahrscheinlich in nächster Zeit nichts, wie ich wenigstens aus dem Brief an Helga, der heute Nachmittag ankam, entnehmen kann. Du schreibst ja, daß Du jetzt schlecht dort fort kannst. Das war ja für mich eine große Enttäuschung, denn ich habe die letzte Zeit immer in der Hoffnung gelebt, daß Du bald Urlaub bekommen würdest. Aber auch mit dieser Enttäuschung muß ich wieder fertig werden und eben weiter hoffen. Es fällt nur zuerst ein bißchen schwer.
Helga hat sich über Deinen Brief sehr gefreut und sie ist nun natürlich auf das Päckchen gespannt. Sie hat sich schon vorgenommen, Dir recht bald wieder zu schreiben. Auch Jörg will Dir bald schreiben und Dir zeigen, was er in der Schule schon gelernt hat. Was Jörg sich manchmal für Gedanken macht, kannst du aus folgendem Ausspruch erkennen. Vorhin machte er Schulaufgaben, auf einmal fing er an:  „Mutterle, weißt Du, da sagen doch manchmal die Kinder, wenn ich du wäre, würde ich das ganz anders machen. Das ist doch aber gar nicht wahr, wenn er ich wäre, hätte er doch die gleichen Gedanken wie ich und würde dasselbe machen. So einen Unsinn reden die Kinder nun.“
Wenn ich es selber nicht gehört hätte, würde ich niemals glauben, daß so ein kleiner Kerl sich schon so Gedanken macht.
Heute Nachmittag kam noch Dein lieber Brief vom 1.9. Recht vielen Dank.
Ich war etwas voreilig, als ich schrieb, daß der helle Pullover von Jörg nicht mehr mitmachen will. Ich habe ihn noch einmal gründlich überholt und nun hält er diesen Winter bestimmt noch. Der Rumpfteil ist  ja überhaupt noch ganz prima, so daß ich nächstes Jahr vielleicht nur ein paar neue Ärmel einstricken muß. Lange hat er den Pullover ja schon, aber gute Wolle hält auch lange.
Ich halte es nicht für günstig, wenn Du Dich dort wegen eines Mantelstoffes für mich umsiehst, dann lieber nach einem fertigen Mantel. Ich möchte mir den Mantel nicht selber nähen, denn ich habe schon so viel noch für die Kinder daliegen, daß es mir viel zu viel werden würde. Und mit dem Machenlassen ist es so, daß man, wenn man schon eine richtige Schneiderin findet, ewig warten muß, bis er fertig ist. Die Farbe ist mir an und für sich gleich. Du hast ja auch einen guten Geschmack. Es soll etwas sein, was man länger tragen kann, ohne daß es einem über wird. Du weißt ja, daß die Sachen  bei mir ziemlich lange halten und wenn es dann eine Farbe ist, die schnell abbleicht, so ist es natürlich nicht das richtige. Zu eng soll der Mantel natürlich auch nicht sein, damit ich etwas Warmes noch drunter ziehen kann. Lieber eine Nummer größer, denn etwas abnähen könnte ich ihn mir immer noch.
An die neue Lehrerin hat sich Helga schon gewöhnt. Sie ist scheinbar ganz nett. Es soll noch eine ganz junge Lehrerin sein, so ungefähr in meinem Alter. Der Schulweg ist natürlich etwas weit. Ich habe es aber jetzt öfter so gemacht, daß ich mich mit dem Einkaufen nach ihrem Schulanfang gerichtet habe. Da lasse ich sie hinten aufs Rad sitzen und fahre sie hin. Heute habe ich es so gemacht, daß ich Jörg nach der Schule gefahren und hinterher gleich Helga unterwegs mit nach hause genommen habe.
Wir haben die letzten Tage immer schönes Wetter gehabt. Dein Wunsch nach schönem Wetter wäre also erfüllt. Nur Du bist nicht da. Pflaumenkuchen gibt es morgen auch wieder. Es ist also alles da, was Du gern hättest. Wenn man nur den Urlaub auch nach seinen Wünschen einrichten könnte.
Der Bilderrahmen Deines Bildes ist auch originell. Ich habe hier noch nie einen solchen gesehen. Ist er eigentlich aus Leder? Er gefällt mir gut. Das Bild ist wirklich eine schöne Erinnerung an unseren Hochzeitstag. Ich muß Dir immer wieder dafür danken. Du bist doch ein lieber Kerl.
Sei nun für heute wieder herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.
Ich danke Dir auch für das gesandte Briefpapier. Ich kann es gut gebrauchen.

Liebes Vaterle! Weil ich noch keinen Brief schreiben kann, schreibt jetzt die Mutter. Und dann schreibe ich drunter was ich gelernt habe. Gestern haben wir 4 Zeilen kleine Kreise auf der Rechenseite und auf der Schreibseite haben wir „I“ aufgehabt. Heute haben wir „e“ auf, 5 Reihen.

Mein liebster Mann !                                                                            Konstanz, 5.9.41

Ich erhielt heute Nachmittag Deinen lieben Brief vom 2.9. Du hast also auch einen Durchschlag des Briefes von meinen Eltern bekommen. Ich hatte mich über den Brief auch gefreut. Es ist so, wie Du schreibst, jeder hat eben eine andere Art und die Hauptsache ist ja, daß es gut gemeint ist.
Heute kam auch ein Paket von den Eltern. Sie schickten Zeitungen, dazu ein älteres Inlett, das aber noch sehr gut ist. Ich hatte in Leipzig mit Mama gesprochen, daß ich kein Inlett bewilligt bekomme, darum schickte sie es mir mit. Für Helga und Jörg haben sie noch je 3 Hemden geschickt. Für Helga und mich zum Geburtstag noch je 3,- Mk. Außerdem waren die Bilder vom Zoo mit dabei, von denen ich Dir heute eins mitschicke.
Ich will Dir überhaupt noch vom Geburtstag erzählen. Heute
Morgen haben wir beschert. Helga hat sich sehr gefreut. Sie hat jetzt im Ganzen bekommen: Ein Buch, ein Spiel, eine Tasche, einen Ball, eine Kaffeekanne (die von Alice, der Pudel) Pralinen, Bonbons, Gebäck, Pflaumen, von den Eltern 3,-, von Vater Pralinen und 1,50 Mk. Dein Päckchen ist leider noch nicht angekommen. Dein  Bild haben wir den ganzen Tag mit auf den Geburtstagstisch gestellt, damit Du doch wenigstens mit dabei bist.
Jetzt sind die Kinder in die Stadt gefahren und wollen für meinen Geburtstag etwas kaufen. Ich habe nicht mitdürfen. Vorhin kam Vater. Ich habe für ihn gleich noch Brot und Milch mitgebracht, da brauchte er doch nicht erst noch in die Stadt. Er hat sich jetzt noch eine Weile ausgeruht und will nun heimgehen. Soeben sind auch die Kinder heimgekommen. Sie haben natürlich sehr geheimnisvoll getan und ich durfte ja nicht gucken. Wir wollen nun essen. Es gibt noch einmal Pflaumenkuchen.
Ich mache nun wieder Schluß. Sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

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