Sonntag, 11. September 2016

Brief 217 vom 9.9.1941


Mein lieber Ernst!                                                                           Konstanz, 9.9.41               

Heute früh kam Dein liebes Päckchen für Helga an. Die Strümpfe sind fein. Wir probieren heute Abend, ob  sie passen, aber ich denke schon, daß sie recht sind. Die Bonbons habe ich den Kindern gegeben, die Schokolade habe ich mir genommen. Ich gebe Beiden dafür Bonbons von meinem Geburtstag.
Ich erhielt auch Deinen lieben Brief vom 5.9. Ich habe leider daraus ersehen, daß Du auch in nächster Zeit sicher nicht auf Urlaub kommen kannst. Das hat mich hart getroffen. Ich will Dir aber nichts vorjammern, denn Dir ist es ja genau so schwer. Ich weiß ja, daß Du es möglich machen wirst, sobald Du kannst. Als Du mir schriebst, daß sich alle bei Dir Auskunft holen und daß Du so viel zu tun hast, befürchtete ich schon, daß Du nicht auf Urlaub kommen könntest. Es ist nun leider auch wahr geworden.
An Vater werde ich Deinen Dank und Gruß ausrichten. Ich glaube Dir gern, daß Du das meiste seines Briefes schon vorher gewußt hast. Du weißt ja, er erzählt meist wieder dasselbe. Gestern Abend war er oben. Er sagte, daß er vom Schaffen todmüde sei. Der Meister hat ihn ganz verbiestert angesehen, weil er fort will. Bescheid hat Vater noch keinen bekommen, ob er dort los kommt.
Wir waren heute Vormittag mit Jörg beim Zahnarzt. Am Donnerstag muß er wiederkommen. Da lasse ich auch gleich meine Zähne mit nachsehen.
Auf dem Hinweg sind wir über die Messe gegangen. Da habe ich unseren Beiden je einen Magneten gekauft. Das ist natürlich jetzt ein Vergnügen, wenn er Stecknadeln usw. anzieht.
Jörg will Dir nachher auch noch schreiben. Er hat manches zu berichten.
Du magst ja die Buschbücher auch gern. Ich schicke Dir nun heute ein kleines Heft von ihm. Vielleicht freut es Dich. Wenn nicht, kannst Du es ja gelegentlich wieder mit zurückschicken.
Ich habe heute gelesen, man soll im Herbst die Brombeerstöcke bis auf 5 Ruten abschneiden. Da ginge alle Kraft hinein und es gäbe eine reiche Ernte.  Soll ich es einmal so machen? Wir haben wohl eine dichte Hecke, aber die Ernte ist lange nicht mehr so gut wie vor Jahren. Mehr als 20  Pfund haben wir bestimmt nicht geerntet.
In der Zwischenzeit habe ich nun für Jörg den Brief getippt, er will doch jetzt noch ein bißchen runter zum spielen. Die Zeit dazu ist ja sowieso viel kürzer als früher. Helga läßt es natürlich auch nicht ruhen und sie sitzt auch an der Schreibmaschine. Um Dir einen Brief zu schreiben. Es geht natürlich noch sehr langsam, aber es macht ihr so viel Spaß.
Ich will schnell noch im Garten Kartoffeln und Möhren holen, die ich zum Abendbrot kochen will, denn sonst reicht mir das Brot nicht. Ich habe es ja gut, daß ich einfach nur im Garten holen brauche.
Sei nun für heute wieder recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Liebes Vaterle!                                                                    Konstanz, den 9.9.41

Ich schreibe Dir heute auch noch mal einen Brief. Vorige Woche haben wir Fliegeralarm gehabt und dann haben wir erst 3/4 10 Schule gehabt und dann bin ich schon um 9 dagewesen und alle Kinder waren schon um 9 da. Da hat  ne Frau gesagt, wir hätten sicher erst um 10 Uhr Schule. Da habe ich erst wieder nach hause gehen wollen und dann ist das Mutterle gekommen und hat gesagt, ich soll da bleiben. Da ist dann ein Lehrer gekommen und hat gesagt, wir sollen da hinten im Hof etwas spielen. Da sind dann 2 Buben fortgegangen und haben zur Lehrerin gehen müssen und haben einen Zettel bringen müssen. Die Buben haben ihren Schulranzen nicht mitnehmen müssen, den haben andere Buben noch mitgetragen. Dann ist die Lehrerin gekommen und dann haben wir Schule gehabt und bloß eine halbe Stunde, weil die andere Klasse doch 1/2 11 hat rein müssen.
Heute war die Schule viel schöner wie sonst. Sonst haben immer andere Buben die Tafel auslöschen dürfen und heute habe ich sie mal auslöschen dürfen. Die brav sind, dürfen immer bloß die Tafel auslöschen. Da war ich heute sicher brav, wenn immer bloß die braven Buben die Tafel auslöschen dürfen. Bei mir war sie viel sauberer als bei den anderen Buben. Die Tafel hat aber gestaubt, als ich sie abgewischt habe. Wir haben nämlich keinen nassen Lappen und da hat die Kreide ganz fest weggestaubt, mir bald noch ins Gesicht.
Ich sitze jetzt ganz hinten in der zweitletzten Bank, weil ich groß bin. Die Großen kommen jetzt hinten hin und die kleinen vorne. Wo ich die Tafel abgewischt habe, da bin ich schnell wieder hinter gerannt, weil ich doch den Schulranzen noch nicht fertig zugemacht habe. Ich kann doch den Schulranzen auch nicht liegen lassen, wenn die Schule fertig ist.
Wenn wir in die Schule kommen, müssen wir uns erst draußen aufstellen und dann in den Gang rein laufen. Und dann hat sie uns gesagt, deswegen stehen wir draußen, weil wir die Mäntel aufhängen müssen. Ich habe aber vergessen und dann habe ich gedacht, ob ich die Jacke noch naus hängen soll, aber dann hat die Lehrerin gesagt, wir dürfen nicht mehr raus. Wenn wir in die Schule kommen, müssen wir an den Platz stehen und dann Heil Hitler sagen und dann müssen wir stehen bleiben, daß sie uns aufruft. Und wer aufgerufen ist, muß den Finger strecken und dann darf er hin sitzen.
Wo ich aus der Schule gekommen bin, ist die Helga in einer Ecke gestanden, da habe ich sie gar nicht gesehen. Und dann hat sie mir gleich gesagt, daß Mutterle noch draußen steht und dann habe ich sie gleich gesehen. Und dann sind wir in die Stadt zum Zahnarzt. Mir ist nämlich eine Plombe rausgefallen und dann hat er bei 2 Zähnen gleich Plomben rein getan. Es hat nicht fest weh getan.
Dann hat uns Mutterle noch was gekauft auf der Messe, so ein Ding, was wie ein Hufeisen aussieht. Wenn man da eine Nadel oder was hinlegt  und man geht langsam dran, dann kommt sie einem schon entgegengerollt und hängt dran. Das ist für uns ein schönes Spielzeug.
Heute habe ich viele Schulaufgaben aufgehabt. Ich schreibe Dir mal drunter, was wir alles schon gelernt haben. Was wir heute gelernt haben und sonst.
Viele Grüße und Küsse von Deinem Jörg.

Lieber Vater!                                                                     Konstanz, den 9.9.41

Weil Jörg Dir auch einen Brief geschrieben hat, schreibe ich Dir auch ein Brief. Ich danke Dir für die schönen Strümpfe auch für die Bonbons die haben geschmeckt, daß glaubst Du mir sicher. Ich habe sie schon gegessen. Wir essen nachher, ich und Jörg, Äpfel von unserm Baum. Jörg schneidet sie aus, und dann essen wir sie, die schmecken sicher wieder. Jörg nimmt sie mit raus in einer Schachtel. Viele Grüße und Küsse von Deiner Helga.


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