Sonntag, 11. September 2016

Brief 218 vom 11./12.9.1941


Mein liebster Ernst!                                                                   Konstanz, 11.9.41                

Gestern habe ich Dir nach langer Zeit einen Tag nicht geschrieben. Du bist mir doch nicht böse? Gestern Vormittag hatte ich zu schaffen, gestern Nachmittag waren wir nochmals auf der Messe und gestern Abend bin ich schon zeitig schlafe gegangen.
Gestern erhielt ich das Päckchen mit Käse, der sehr gut angekommen ist. Heute kam das Päckchen mit der Bluse und der Schokolade. Ich dachte erst, die Bluse würde mir nicht passen, weil es Nr. 42 ist, aber sie ist so reichlich, wie eine 44 gearbeitet, so daß sie mir gut paßt. Sie gefällt mir auch sehr gut. Ich danke Dir vielmals dafür. Du hast mir eine große Freude bereitet.
Gestern kam noch ein Päckchen von Kurt mit Bonbons für uns und einen Schuh für ihn.
Der andere wird sicher auch bald eintrudeln.
Heute Morgen haben wir Jörg beim Zahnarzt die 2 Plomben reinmachen lassen. Jetzt ist er in der Schule. Er wird bald wiederkommen.
Helga hat heute auch ihren Stundenplan bekommen. Sie hat Schule Montag 11 - 1, Dienstag 8 - 10, Mittwoch 11 - 1, Donnerstag 9,50 - 1 , Freitag 9 - 1, Samstag 9 - 1 . In Handarbeiten hat sie jetzt mit Stricken angefangen.
Heute kam Dein lieber Brief vom 7.9. an. Ich danke Dir dafür. Du hast recht, es ist manchmal sehr schwer, immer voneinander getrennt zu sein. Man könnte es gar nicht ertragen, wenn man nicht wüßte, es ist jetzt einfach notwendig.
Das ist wahr, die Schokolade wird nicht schlecht, auch wenn sie die Kinder nicht essen. Ich bin ja auch noch da. Dafür gebe ich Helga und Jörg aber die Bonbons, die sie ja sehr gern mögen. Ich hoffe auch, daß Jörg so weiter schafft in der Schule. Mit Helga haben wir bis jetzt ja eigentlich keinen Ärger gehabt. In einer Beziehung sind ja Beide sehr verschieden. Helga hat sich immer hingesetzt und die Schulaufgaben hintereinander geschrieben. Jörg träumt die halbe Zeit dabei. Immer muß man auf dem Sprung stehen um ihn aus seinen Träumen zu wecken, sonst sitzt er den ganzen Tag an den Aufgaben.
Kleckse macht Helga in die Bücher eigentlich nicht, aber es kommt öfter vor, daß sie die Finger beschmiert hat. Das wird sie wahrscheinlich in ihrem Brief auch gemeint haben. Die Leistungen der Kinder zu hause sind natürlich nicht immer nur erfreulich, aber Kinder sind nun einmal keine Engel. Zu bös dürfen sie natürlich nicht werden, da gibt es Wichse.
An Elsa habe ich noch gar nicht wieder geschrieben. Man kennt sich ja eigentlich zu wenig, um etwas Richtiges schreiben zu können. Die Briefe werden ja alle sehr inhaltsreich.
Soeben erhielt ich Deinen Brief vom 6.9. Da will ich zuerst die Geldangelegenheit regeln. Ich muß ja sagen, daß Du mich damit in Verlegenheit gebracht hast. Ich hatte nämlich diesen Monat gar nicht daran gedacht, Dir etwas zu schicken. Vorigen Monat hatte ich ja etwas geschickt und diesmal hatte ich das Geld  für Mäntel für die Kinder (50,-) und für Kartoffeln (40,-) weggetan. Ich hatte nämlich nach Mänteln gefragt und man sagte mir, daß ich in nächster Zeit öfter nachfragen muß, denn sie bekommen nur 12 Stück  herein und die sind gleich weg. Darum wollte ich das Geld gleich zur Hand haben und habe es darum auch ein paar Tage vor dem 15. geholt. Ich könnte es zur Not ja am 1. holen, aber es ist angenehmer, wenn man nicht gar so sehr auf den Gehaltstag warten muß, sondern ein paar Tage Spielraum hat.
Ich schicke Dir also heute oder morgen das Geld. Evtl. kann ich es mir ja einstweilen von Vater wieder borgen, denn von der Sparkasse möchte ich nichts abheben, da ich noch nicht den Stand vor unserer Abhebung erreicht habe. Du wirst ja sehen, was Du brauchst, das übrige läßt Du mir von der Frau wieder überweisen.
Du bezeichnest ja die Geldangelegenheit als eine heikle Geschichte. Ich muß Dir auch eine erzählen, wenn sie auch nichts mit Geld zu tun hat.
Ich schrieb Dir ja vorgestern, daß es mich hart trifft, daß Du nicht bald auf Urlaub kommen kannst. Das dumme Herz wollte diesen harten Schlag nicht aushalten und so bekam ich, gleich nachdem ich den Brief geschrieben hatte, eine leichtere und gegen Abend eine schwerere funktionelle Herzstörung, wie der Arzt, dem Frau Nußbaumer telefoniert hatte, sagte. Er sagte noch, das käme von Gemütsbewegung, Aufregung usw. Ich habe nach Luft geschnappt wie ein Fisch, dazu kam eine Blutleere im Kopf und Hände und Füße wurden eiskalt. Der Arzt, bei dem ich heute auch noch einmal war, hat mich untersucht und sagte, daß ein organischer Herzfehler nicht besteht, sondern daß diese Störungen eben von Aufregung usw. herrührte. Von Asthma konnte er übrigens fast nichts mehr feststellen. Wenigstens etwas Tröstliches. Er sagte, daß auch mein manchmal so blasses Aussehen von den Störungen herrührte, vorgestern war es eben nur besonders schlimm. Er hat mir Herztropfen verschrieben. Jetzt weiß ich auch, warum ich mich immer so gesund fühle, wenn Du hier bist, weil ich da so innerlich froh bin. Mach Dir aber bitte keine Sorge, ich fühle mich jetzt schon wieder besser. Ich wollte Dir eigentlich gar nichts davon schreiben, aber vielleicht würdest Du mir dann Vorwürfe machen.
Ich will jetzt sehen, daß ich noch das Geld fortbringen kann. Sei für heute wieder herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Mein liebster Ernst!                                                             Konstanz, 12.9.41

Vor allen Dingen möchte ich Dich um Entschuldigung bitten, daß ich Dir gestern geschrieben habe, Du hättest mich mit Deiner Bitte um Geld in Verlegenheit gebracht. Ich hätte natürlich von mir aus schon daran denken müssen, Dir etwas zu schicken. Wenn ich es mir ein bißchen vernünftiger überlegt hätte, wäre es auch gegangen. Hoffentlich hast Du Dich deswegen nicht so sehr geärgert. Von den 65,- kannst Du gut 40,- behalten. Sollte ich die Kindermäntel vorm 1.10. bekommen, kann ich ja einstweilen das Wirtschaftsgeld nehmen, andernfalls kann ich ja ab 1.10 Geld abheben. Es langt mir also gut und Du brauchst Dir deshalb keine Sorge machen.
Ich habe heute wieder bei Webers 10 Ztr. Kartoffeln bestellt. Wenn nicht noch andere Bestimmungen herauskommen, können sie sie liefern. Vor Mitte Oktober kommen sie wahrscheinlich nicht.  Ich erhielt heute Deinen lieben Brief vom 9.9. Ich danke Dir vielmals dafür.
Wir werden ja hier viel weniger mit Fliegeralarm gestört als ihr. Wenn es bei uns so wär, müßten wir ja oft in den Keller rennen.
Helga ist wirklich nicht zu kurz gekommen an ihrem Geburtstag, aber Jörg in Leipzig ja auch nicht. So konnte sich keins zurückgesetzt fühlen.
Wegen meines Mantels brauchst Du Dich ja jetzt noch nicht umsehen, denn ich werde erst so um den 1.11. rum das Geld bereit haben. Ich werde aber noch hier  sehen, wie viel ein Mantel kostet. Augenblicklich sind ja noch keine Wintersachen ausgestellt. Nr. 44 ist ja meine reguläre Nummer, ich glaube, daß ich beim Mantel lieber 46 nehme. Bei „offene form“ meinst Du doch sicher lose hängen ohne Gürtel? Wenn es mir steht, würde ich ganz gern einmal so etwas nehmen.
Anbei übersende ich Dir das Originalschreiben der Stadt vom 30.7. Daß man doch bei allen Sachen erst 50ig mal schreiben muß, bis alles klappt.
Vor einiger Zeit habe ich im Garten die Zwiebeln raus genommen. Sobald ich einmal Zeit habe, will ich diese Beete umgraben, Mist mit rein tun und Spinat säen und die Wirsingsetzlinge einsetzen. Wenn die Salatsetzlinge groß genug sind, will ich sie zwischen den Grünkohl und die Erdbeeren setzen. Frühlingszwiebeln will ich auch noch säen.
Gell, lieber Ernst, bist mir also nicht böse wegen dem Geld. Ich ärgere mich selber, daß ich gestern so dumm geschrieben habe.
Sei nun für heute wieder recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

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