Mein liebster Ernst! Konstanz, 11.9.41
Gestern habe ich Dir nach langer Zeit
einen Tag nicht geschrieben. Du bist mir doch nicht böse? Gestern Vormittag
hatte ich zu schaffen, gestern Nachmittag waren wir nochmals auf der Messe und
gestern Abend bin ich schon zeitig schlafe gegangen.
Gestern erhielt ich das Päckchen mit Käse,
der sehr gut angekommen ist. Heute kam das Päckchen mit der Bluse und der
Schokolade. Ich dachte erst, die Bluse würde mir nicht passen, weil es Nr. 42
ist, aber sie ist so reichlich, wie eine 44 gearbeitet, so daß sie mir gut
paßt. Sie gefällt mir auch sehr gut. Ich danke Dir vielmals dafür. Du hast mir
eine große Freude bereitet.
Gestern kam noch ein Päckchen von Kurt mit
Bonbons für uns und einen Schuh für ihn.
Der andere wird sicher auch bald
eintrudeln.
Heute Morgen haben wir Jörg beim Zahnarzt
die 2 Plomben reinmachen lassen. Jetzt ist er in der Schule. Er wird bald
wiederkommen.
Helga hat heute auch ihren Stundenplan
bekommen. Sie hat Schule Montag 11 - 1, Dienstag 8 - 10, Mittwoch 11 - 1,
Donnerstag 9,50 - 1 , Freitag 9 - 1, Samstag 9 - 1 . In Handarbeiten hat sie
jetzt mit Stricken angefangen.
Heute kam Dein lieber Brief vom 7.9. an.
Ich danke Dir dafür. Du hast recht, es ist manchmal sehr schwer, immer
voneinander getrennt zu sein. Man könnte es gar nicht ertragen, wenn man nicht
wüßte, es ist jetzt einfach notwendig.
Das ist wahr, die Schokolade wird nicht
schlecht, auch wenn sie die Kinder nicht essen. Ich bin ja auch noch da. Dafür
gebe ich Helga und Jörg aber die Bonbons, die sie ja sehr gern mögen. Ich hoffe
auch, daß Jörg so weiter schafft in der Schule. Mit Helga haben wir bis jetzt
ja eigentlich keinen Ärger gehabt. In einer Beziehung sind ja Beide sehr
verschieden. Helga hat sich immer hingesetzt und die Schulaufgaben
hintereinander geschrieben. Jörg träumt die halbe Zeit dabei. Immer muß man auf
dem Sprung stehen um ihn aus seinen Träumen zu wecken, sonst sitzt er den
ganzen Tag an den Aufgaben.
Kleckse macht Helga in die Bücher
eigentlich nicht, aber es kommt öfter vor, daß sie die Finger beschmiert hat.
Das wird sie wahrscheinlich in ihrem Brief auch gemeint haben. Die Leistungen
der Kinder zu hause sind natürlich nicht immer nur erfreulich, aber Kinder sind
nun einmal keine Engel. Zu bös dürfen sie natürlich nicht werden, da gibt es
Wichse.
An Elsa habe ich noch gar nicht wieder
geschrieben. Man kennt sich ja eigentlich zu wenig, um etwas Richtiges
schreiben zu können. Die Briefe werden ja alle sehr inhaltsreich.
Soeben erhielt ich Deinen Brief vom 6.9.
Da will ich zuerst die Geldangelegenheit regeln. Ich muß ja sagen, daß Du mich
damit in Verlegenheit gebracht hast. Ich hatte nämlich diesen Monat gar nicht
daran gedacht, Dir etwas zu schicken. Vorigen Monat hatte ich ja etwas geschickt
und diesmal hatte ich das Geld für
Mäntel für die Kinder (50,-) und für Kartoffeln (40,-) weggetan. Ich hatte
nämlich nach Mänteln gefragt und man sagte mir, daß ich in nächster Zeit öfter
nachfragen muß, denn sie bekommen nur 12 Stück
herein und die sind gleich weg. Darum wollte ich das Geld gleich zur
Hand haben und habe es darum auch ein paar Tage vor dem 15. geholt. Ich könnte
es zur Not ja am 1. holen, aber es ist angenehmer, wenn man nicht gar so sehr
auf den Gehaltstag warten muß, sondern ein paar Tage Spielraum hat.
Ich schicke Dir also heute oder morgen das
Geld. Evtl. kann ich es mir ja einstweilen von Vater wieder borgen, denn von
der Sparkasse möchte ich nichts abheben, da ich noch nicht den Stand vor
unserer Abhebung erreicht habe. Du wirst ja sehen, was Du brauchst, das übrige
läßt Du mir von der Frau wieder überweisen.
Du bezeichnest ja die Geldangelegenheit
als eine heikle Geschichte. Ich muß Dir auch eine erzählen, wenn sie auch
nichts mit Geld zu tun hat.
Ich schrieb Dir ja vorgestern, daß es mich
hart trifft, daß Du nicht bald auf Urlaub kommen kannst. Das dumme Herz wollte
diesen harten Schlag nicht aushalten und so bekam ich, gleich nachdem ich den
Brief geschrieben hatte, eine leichtere und gegen Abend eine schwerere
funktionelle Herzstörung, wie der Arzt, dem Frau Nußbaumer telefoniert hatte,
sagte. Er sagte noch, das käme von Gemütsbewegung, Aufregung usw. Ich habe nach
Luft geschnappt wie ein Fisch, dazu kam eine Blutleere im Kopf und Hände und
Füße wurden eiskalt. Der Arzt, bei dem ich heute auch noch einmal war, hat mich
untersucht und sagte, daß ein organischer Herzfehler nicht besteht, sondern daß
diese Störungen eben von Aufregung usw. herrührte. Von Asthma konnte er
übrigens fast nichts mehr feststellen. Wenigstens etwas Tröstliches. Er sagte,
daß auch mein manchmal so blasses Aussehen von den Störungen herrührte,
vorgestern war es eben nur besonders schlimm. Er hat mir Herztropfen
verschrieben. Jetzt weiß ich auch, warum ich mich immer so gesund fühle, wenn
Du hier bist, weil ich da so innerlich froh bin. Mach Dir aber bitte keine
Sorge, ich fühle mich jetzt schon wieder besser. Ich wollte Dir eigentlich gar nichts
davon schreiben, aber vielleicht würdest Du mir dann Vorwürfe machen.
Ich will jetzt sehen, daß ich noch das
Geld fortbringen kann. Sei für heute wieder herzlich gegrüßt und geküßt von
Deiner Annie.
Mein liebster Ernst! Konstanz, 12.9.41
Vor allen Dingen möchte ich Dich um
Entschuldigung bitten, daß ich Dir gestern geschrieben habe, Du hättest mich
mit Deiner Bitte um Geld in Verlegenheit gebracht. Ich hätte natürlich von mir
aus schon daran denken müssen, Dir etwas zu schicken. Wenn ich es mir ein bißchen
vernünftiger überlegt hätte, wäre es auch gegangen. Hoffentlich hast Du Dich
deswegen nicht so sehr geärgert. Von den 65,- kannst Du gut 40,- behalten.
Sollte ich die Kindermäntel vorm 1.10. bekommen, kann ich ja einstweilen das
Wirtschaftsgeld nehmen, andernfalls kann ich ja ab 1.10 Geld abheben. Es langt
mir also gut und Du brauchst Dir deshalb keine Sorge machen.
Ich habe heute wieder bei Webers 10 Ztr.
Kartoffeln bestellt. Wenn nicht noch andere Bestimmungen herauskommen, können
sie sie liefern. Vor Mitte Oktober kommen sie wahrscheinlich nicht. Ich erhielt heute Deinen lieben Brief vom
9.9. Ich danke Dir vielmals dafür.
Wir werden ja hier viel weniger mit Fliegeralarm
gestört als ihr. Wenn es bei uns so wär, müßten wir ja oft in den Keller
rennen.
Helga ist wirklich nicht zu kurz gekommen
an ihrem Geburtstag, aber Jörg in Leipzig ja auch nicht. So konnte sich keins
zurückgesetzt fühlen.
Wegen meines Mantels brauchst Du Dich ja
jetzt noch nicht umsehen, denn ich werde erst so um den 1.11. rum das Geld
bereit haben. Ich werde aber noch hier
sehen, wie viel ein Mantel kostet. Augenblicklich sind ja noch keine
Wintersachen ausgestellt. Nr. 44 ist ja meine reguläre Nummer, ich glaube, daß
ich beim Mantel lieber 46 nehme. Bei „offene form“ meinst Du doch sicher lose
hängen ohne Gürtel? Wenn es mir steht, würde ich ganz gern einmal so etwas
nehmen.
Anbei übersende ich Dir das Originalschreiben
der Stadt vom 30.7. Daß man doch bei allen Sachen erst 50ig mal schreiben muß,
bis alles klappt.
Vor einiger Zeit habe ich im Garten die
Zwiebeln raus genommen. Sobald ich einmal Zeit habe, will ich diese Beete umgraben,
Mist mit rein tun und Spinat säen und die Wirsingsetzlinge einsetzen. Wenn die
Salatsetzlinge groß genug sind, will ich sie zwischen den Grünkohl und die Erdbeeren
setzen. Frühlingszwiebeln will ich auch noch säen.
Gell, lieber Ernst, bist mir also nicht
böse wegen dem Geld. Ich ärgere mich selber, daß ich gestern so dumm
geschrieben habe.
Sei nun für heute wieder recht herzlich
gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.
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