Montag, 26. September 2016

Brief 223 vom 22./23.9.1941


Mein liebster Ernst!                                                 Konstanz, 22.9.41

Heute Morgen erhielt ich Deine beiden lieben Briefe vom 18. und 19. Vielen Dank  dafür. Man merkt auch bei uns, daß Herbst wird. Meist kommt erst mittags die Sonne durch den Dunst. Manchmal ist es auch vormittags neblig. Helga hat jetzt auch wieder lange Strümpfe angezogen, aber Jörg mag noch nicht, damit er von den anderen Buben nicht ausgelacht wird. Hoffentlich könnt Ihr dort auch im Haus bald heizen, denn besonders angenehm ist es ja nicht, wenn man sich gleich ins Bett legen muß, um nicht zu frieren. Wir sind ja für den Winter soweit versorgt. Evtl. hole ich nur noch 1 - 2 Ztr. Steinkohle.
Es ist ja gut, daß es Radio gibt, da hat man doch immer Unterhaltung. Ihr werdet es dort am meisten empfinden.
Weißt Du, mach Dir nur nicht zu viel Sorge wegen der Verwendung des Zuckers, ich mach mir ja auch keine.
Es ist schön, wenn man nicht so knapp damit ist. Verschwenden braucht man ja nicht, es wachsen ja nächstes Jahr auch wieder Beeren zum einkochen. Ich kann Dir jedenfalls sagen, daß Du mir mit dieser Besorgung sehr viel Freude gemacht hast.
Morgen schicke ich Dir sicher etwas Bindfaden zu. Ich packe ihn in ein kleines Päckchen.
Wir hatten heute Mittag Eierkuchen. Da war ich wieder um das Öl froh, das Du mir früher einmal mitgebracht hattest. Ich habe davon immer noch 1 1/2 Flasche.
Was sich doch Jörg manchmal für Gedanken macht. Vor einiger Zeit hatte ihm Helga das Märchen von einem der auszog, das Fürchten zu lernen, erzählt. Heute während des Spielens sagt Jörg auf einmal zu mir: Wenn ich mich vor nichts fürchten würde, möchte ich`s auch gar nicht lernen. Der Bub ist aber dumm, das könnte doch ein ganz tapferer Soldat werden.
Weil ich nun gerade beim Erzählen bin, will ich Dir auch noch etwas schreiben, was mir vor ein paar Tagen die Verkäuferin in der Molkerei erzählte. Da kannst Du sehen, was es für Leute gibt. Wenn die verwundeten Soldaten den ersten Ausgang haben, kommen sie auch manchmal dort vorbei und bekommen natürlich Appetit auf etwas Besonderes. Nun haben sie aber keine Marken. Da kam vor ein paar Tagen auch einer, der hatte den Arm noch in einem Gestell und hinkte auch noch. Nun gab ihm die Verkäuferin etwas Käse. Als er draußen war fragte eine Frau, wie der Soldat dazu komme, etwas ohne Marken zu bekommen. Eben weil er Soldat ist und verwundet ist, bekam sie zur Antwort. Darauf meinte sie: „So etwas müßte man nur bei der rechten Stelle anzeigen, da wird man schon sehen, ob das nötig ist.“ Einige Tage drauf kam wieder ein Verwundeter. Weil die Frau, also die Verkäuferin, nun nicht wußte, ob sie angezeigt worden ist, zögerte sie. Da meinte eine Frau: „Ja, können sie überhaupt zögern, einem Verwundeten etwas zu geben. Bitte, schneiden sie von meiner Karte ab, damit der Soldat etwas bekommen kann.“ Der Soldat war sehr erfreut und meinte: „Da sieht man doch, daß man unseren Kampf in der Heimat versteht.“ Es ist schlimm, daß die Meckerer nicht aussterben, denn wir hier bei uns haben doch wahrhaftig noch nicht viel vom Krieg gespürt, aber gerade das ist es, es geht vielen noch zu gut.
Vater kam gerade. Er ist doch heute beim Arbeitsamt vorgelassen worden. Sie haben aber keine richtige Arbeit für ihn. In die Gießerei könnte er gehen, aber da will er nicht. Sie haben ihn noch zur Jägerkaserne geschickt, um sich als Kammerarbeiter zu bewerben, aber da muß er auch oft die Treppen steigen und viel schleppen. Es hat sich auch noch ein Mann von fünfzig Jahren gemeldet. Vorläufig muß Vater eben zu hause bleiben. Da haben sie auf dem Arbeitsamt einen schönen Kohl gemacht.
Nun will ich wieder schließen. Sei recht oft und herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.


Mein liebster Ernst!                                         Konstanz, den 23.9.41

Ehe ich auf die Post fahre und das Päckchen mit Bindfaden aufgebe, schreibe ich noch den Brief. Ich hatte heute ziemlich zu tun. Eigentlich nichts wichtiges, aber es hat doch viel Freude gemacht. Heute Vormittag habe ich erst Schuhe repariert. Da ist der ganze Vormittag drauf gegangen. Später haben wir dann die Kinderbetten umgestellt. Jörg war doch bisher am Fenster. Er schwitzt aber nachts leicht und deckt sich nicht immer gut zu. Da habe ich immer Bedenken, daß er sich erkältet. Helga ist aber immer gut zugedeckt und außerdem hat ja ihr Bett eine Holzwand, so daß es vom Fenster nicht direkt ziehen kann.
Und nun die Hauptarbeit: Ich habe Helga einen Stubenwagen gebaut. Sie hat ja ein größeres Körbchen für die Puppen. Den hat sie meist auf einem Hocker stehen. Nun hat sie mich schon oft wegen einem Puppenwagen gequält. Aber dazu ist mir das Geld zu schade und außerdem wissen wir nicht, wohin damit. Nun kam mir ein Gedanke. Ich habe die Räder vom Kinderbett runtergeholt, habe sie an den Hocker, den ältesten, den wir haben, angeschraubt, den Korb drauf, festgebunden, ringsherum die geblumten Vorhänge vom Kinderbett und fertig ist der Stubenwagen. Die Freude hättest Du sehen sollen. Helga war ganz närrisch. Es sieht auch wirklich gut aus.
Ich habe Dir heute Bindfaden zusammengepackt. Außer einem guten Stück, das ich hier behalten habe, wenn ich ja mal welchen brauche, habe ich jetzt nur noch Papierfaden da. Aber ich denke, die Stücke, die ich Dir geschickt habe, werden schon eine Weile reichen. Evtl. kann ich ja später nochmals welchen schicken, wenn ich wieder Päckchen von Dir bekommen habe.
Wir haben heute wieder 10 Pfund Kartoffeln raus gemacht. Etwa 1/4 der angebauten Kartoffeln haben wir jetzt geerntet. Jedenfalls der Fläche nach. Wie ausgiebig die anderen Stöcke sind, kann ich ja nicht wissen. Heute hatten wir einen ganz ausgiebigen Stock mit 23 größeren Kartoffeln. Das hat mir direkt Freude gemacht.
Ich habe mir von meinem Geburtstagsgeld jetzt noch ein Buch gekauft. „Nacht über Sibirien“ von Ettighofer. Diese Erlebnisse sind furchtbar. Die Russen waren von jeher, auch im vorigen Krieg, grausam und brutal. Früher war es die Ochrama, jetzt ist es die GPU. Es ist schrecklich, daß es so grausame Menschen geben kann.
Es ist jetzt bereits 1/4 6 und ich will machen, daß ich noch auf die Post komme. Einen Brief habe ich ja heute nicht von Dir bekommen.
Sei nun wieder  recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

(Am 25. September starb meine Großmutter in Leipzig und meine Mutter mußte zur Beerdigung fahren. Genau zu diesem Zeitpunkt kam mein Vater auf Urlaub und meine Mutter hielt immer auf den Bahnhöfen Ausschau nach ihm. Ohne Erfolg. Sie müssen sich aber mit den Zügen begegnet sein. Der Brief 161 von meinem Vater ist an Leipzig gerichtet.)

Dienstag, 20. September 2016

Brief 222 vom 20./21.9.1941


Mein liebster Ernst!                                                            Konstanz, 20.9.41                                                         

Heute bekam ich Deinen lieben Brief vom 17.9. Außerdem kamen die beiden Päckchen 28 und 29 mit Leder an. Ich danke Dir recht herzlich für alles. Da habe ich ja wieder einen guten Vorrat da. - Wie Du siehst, erfülle ich Dir gern Deinen Wunsch, deutsche Langschrift zu schreiben. Ich bring es auch viel leichter fertig, da ich eben bisher immer so geschrieben habe. - Wie denkst Du, soll ich zuerst wieder an Elsa schreiben oder soll ich es hängen lassen? Wie ich ja schon schrieb, viel weiß ich immer nicht zu schreiben, denn wir sind uns doch ganz fremd. - Es tut mir sehr leid, daß ich Dir mit meiner Herzgeschichte so einen Schrecken eingejagt habe. Ich wollte ja eigentlich auch nichts schreiben, aber ich wußte nicht, ob Du dann später nicht doch geschimpft hättest. Ich weiß, daß Du Dich auch auf den Urlaub gefreut hast und daß Du mir durch die Mitteilung, daß Du bald auf Urlaub kommen könntest, eine Freude hast machen wollen. Da mußt Du Dir jetzt gar keine Vorwürfe machen. - Bei dem Mantel für mich ist mir die lose Form und jede Farbe, außer gelb, recht. Eine etwas gedeckte Farbe ist am schönsten, aber für etwas Grelles bist Du ja selber nicht. - Bei den Kartoffeln ist es jetzt so, daß überall Bestellungen angenommen werden. Ich denke, daß ich sie von W. schon bekommen werde. Ich bin ja nicht die einzige, die bei ihnen bestellt hat. Im Übrigen sind die Kartoffeln seit einer Woche nicht mehr so knapp. Die Bestimmung, daß vom Erzeuger nicht direkt an den Verbraucher verkauft werden darf, ist auch aufgehoben worden. - Durch Deine Käsesendung habe ich heute schon 1/2 Pfund Butter auslassen können, denn der Käse ist so gut, daß man keine Butter drunter braucht. - Als wir in Leipzig waren, hatte ich meiner Mutter gesagt, ich würde ihr, wenn ich etwas übrig behalte, die Reisebuttermarken zusenden. Ich habe nun immer noch 1/4 Pfund da, die ich bisher nie gebraucht habe, da ich ja durch die Kinderkarten immer etwas mehr Butter habe. Du wirst doch nichts dagegen haben, wenn ich meiner Mutter die Marken schicke. Vater hatte ich von den Reisekäsemarken etwas gegeben, da ihm so ja auch nur  1/8 in der Woche zusteht. Nachdem er krank war, konnte er etwas mehr auch vertragen. Weißt Du, ich bringe das nicht fertig, wenn ich reichlich habe und ich sehe, Vater hat nichts, daß ich alles für mich behalte. Er gibt mir ja auch mal Margarine und ich gebe ihm meine übrigen Fleischkarten. So helfen wir uns gegenseitig etwas aus. - Ich muß nun in die Stadt und schließe deshalb für heute. Sei Du, Mein lieber Ernst, recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Mein liebster Ernst!                                                             Konstanz. 21.9.41

Es ist jetzt abends 3/4 7 Uhr und ich schreibe Dir, nachdem wir von unserem Spaziergang heimgekommen sind und Abendbrot gegessen haben. Wir sind fast denselben Weg gegangen wie am vergangenen Sonntag, nur sind wir zuletzt noch hinter den Schießständen durch den Wald gegangen. Bei den Siedlungen am Königsbau sind wir dann aus dem Wald gekommen, sind noch zum Bismarcksturm rauf und hinterher heim. Um 2 sind wir fortgegangen und waren 1/4 6 wieder hier. Weißt Du, wir mußten heute unbedingt in den Wald gehen, weil Jörg Stecken für eine Brücke zu seinen Schützengraben brauchte. Hier könnte er nicht die richtigen finden, meinte er, sonder nur im Wald. Vorhin ist er nun gleich mit Hammer und Nägeln losgegangen, aber es hat noch nicht ganz geklappt. ich muß noch ein wenig mithelfen. Er nahm natürlich heute s e i n   Taschenmesser mit, das er am vergangenen Sonntag gefunden hat. Ich habe es gut gereinigt. An einer Seite ist ja die Verschalung ab, aber das ist ja nicht so wichtig. Es ist doch wenigstens seins. Er hatte mich in der vergangenen Woche gebeten, ob er es mit raus nehmen kann. Ich hatte zugesagt unter der Bedingung, daß er`s geschlossen in der Tasche läßt. Draußen hat ihn aber der Stolz nicht ruhen lassen, er mußte es doch zeigen und dabei hat er sich dann noch in den Schenkel gestochen, zwar nicht viel, aber er ist mir doch noch zu unbedacht. Er darf es nun nicht mehr mitnehmen. Heute hat man aber direkt gesehen, mit welchem Stolz er sein Messer asus der Hosentasche geholt und die Stecken abgeschnitten hat. - Spitzwegerich haben wir heute auch wieder mit heim gebracht. - Gestern hat Vater nun bei Strohmeier aufgehört. Er weiß aber immer noch nicht, wo er jetzt anfangen soll. Morgen ist das Arbeitsamt geschlossen, weil die Abt. Berufsberatung nach der früheren Bodenseezeitung umzieht. Da geht Vater nun am Dienstag hin und will dann gleich einmal rauf kommen, wenn er Bescheid hat. Heute hatten wir wieder einen schönen Tag. In der Sonne könne man gut ohne Jacke gehen. Die Aussicht auf dem Tabor war aber nicht so gut wie am vergangenen Sonntag, es war etwas diesig. - Wenn wir so unterwegs sind, reden wir immer von Dir, wo wir immer mit Dir gelaufen sind. Die Kinder sagten auch, es wäre so schön, wenn Du da wärst, Du könntest alles so schön erklären. Hoffentlich hast Du auch noch ein paar schöne Sonntage, wenn Du doch noch Urlaub bekommen solltest. Wir wünschen es ja so sehr. - Du mein lieber, lieber Kerl, sei für heute wieder recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Sonntag, 18. September 2016

Brief 221 vom 18./19./20.9.1941


Mein liebster Ernst!                                                                     Konstanz, 18.10.41                                   

Auch heute ist es wieder Abend geworden, ehe ich mich zum schreiben hinsetze. Am Vormittag bin ich einkaufen gegangen und habe hinterher Essen gekocht und Kuchen gebacken. Nach dem Essen bin ich in den Garten gegangen, habe die abgeschnittenen Brombeerranken rüber in den Garten geschafft, da ich sie dort besser verbrennen kann. Dann habe ich die Dahlien abgeschnitten und die restlichen Bohnenstangen raus gemacht. Als wir mit der Arbeit fast fertig waren (heute hat mir Jörg einmal mitgeholfen) kam Vater und wollte den Wagen holen. Er wollte sich beim Grießer seine 4 Ztr. Kartoffeln holen. Eigentlich sollten sie ja in der vergangenen Woche gebracht werden, aber Grießer erklärte heute, das könnten sie nicht. Ich bin mit den Kindern gleich mitgegangen, damit sich Vater nicht so abschleppen muß. Als wir hinkamen, waren keine Kartoffeln mehr da und Grießers versprachen Deinem Vater, daß sie ihm die Kartoffeln nun doch am Dienstag bringen. So sind wir also wieder heimgegangen. Vater hatte für uns zur Entschädigung noch 1 Pfund Trauben gekauft. Das wäre nicht nötig gewesen, aber er ließ sich nicht davon abbringen. Als wir heim kamen, habe ich Abendessen gekocht und nun sitze ich beim schreiben.
Von zuhause erhielt ich eine Karte meines Bruders, daß sie erst am Dienstag, den 21. heiraten können, da ihnen noch verschiedene Papiere fehlen. Das Frl. Waibel uns gegenüber, hat heute auch geheiratet.
Vater sagte mir heute, daß sich der Herr Flaig vom Fürsorgeamt am Dienstag aufgehängt hat. Die Notiz in der Zeitung, die allerdings ohne Name ist, schicke ich Dir mit.
Du hattest vergangene Woche recht gehabt, als Du sagtest, wer weiß, ob wir nächste Woche noch so schönes Wetter zum Fortgehen hätten. Es ist wirklich nicht mehr schön. Gestern war es mild, aber etwas windig und regnerisch. Heute ist es direkt stürmisch. Du bist doch gerade zur richtigen Zeit auf Urlaub gekommen.
Heute Abend wollte Vater noch rauf kommen, aber ich glaube, der Sturm wird es ihm verleidet haben. Es ist jetzt bereits 1/2 9 Uhr. Ich schaffe nun noch den Brief weg, wasche noch ab und gehe dann bald schlafen. Da ist es mir am wohlsten, denn es ist mir doch immer noch sehr einsam ohne Dich.
Sei Du, mein liebster Schatz, wieder recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Mein liebster Ernst!                                                    Konstanz, 19.10.41

Wir haben heute keinen schönen Sonntag. Die ganze Nacht hat es schon gestürmt und heute geht es weiter. Dabei regnet es auch noch. Ich bin froh, daß wir die Doppelfenster drin haben. Zwischen die Fenster habe ich heute noch Stroh gelegt, damit es nicht so durchzieht.
Vater sagte gestern, daß er, wenn er gestern nicht mehr heraufgekommen konnte, bestimmt heute käme. Wenn er sich doch nicht den ganzen Nachmittag in seine Wohnung setzen würde. D.h. sitzen ist nicht der richtige Ausdruck, denn er wirtschaftet doch immer herum. Ich meine, hier bei uns hätte er`s doch ein bißchen gemütlicher. Es ist nur immer der Weg bis hierher. Bei dem Wetter mag man nicht gern aus dem Haus.
Am Morgen haben wir Jörg die Haare geschnitten. Er wird mit der Zeit doch gescheiter, denn er hat auch vorher gar kein Theater gemacht. Hinterher ist er ja immer ganz begeistert, wenn er wieder ordentlich aussieht.
Heute Abend will ich noch an Siegfried und Erna schreiben. Davor graut mir ein wenig, denn ich weiß jetzt noch nicht, was ich eigentlich schreiben soll.
Nach dem Mittagessen habe ich mit den Kinder „Mensch hau` ab“ und „Mensch ärgere Dich nicht“ gespielt. Dann haben sie sich die Märchen im Radio angehört und ich habe inzwischen geschrieben.
Einen Brief habe ich noch nicht von Dir bekommen. Ich hoffe aber, daß nun recht bald einer eintrifft. Ich möchte doch gern wissen, wie Du angekommen bist und wie es Dir geht. Hoffentlich hast Du keine Rückenschmerzen mehr.
Laß mich nun für heute schließen, denn ich habe gar nichts mehr zu berichten.
Sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Mein liebster Ernst!                                                           Konstanz, 20.10.41

Heute Morgen erhielt ich Deine ersten lieben Briefe vom 15. und 16. Leider muß ich daraus ersehen, daß Du wohl soweit gut hingekommen bist, aber vieles nicht so vorgefunden hast, wie es zu wünschen gewesen wäre. Dieser Empfang dort hilft Dir ja wirklich nicht über den neuerlichen Abschied von daheim hinweg. Am nettesten war also eigentlich noch Euer Hund. Schön fände ich es ja wirklich nicht, daß man Dir einfach dort Deinen Platz weggenommen hat. Der andere hat sich nur ins fertige Nest setzen brauchen, während Du vorher alles aufbauen mußtest. Aber, bitte lieber Ernst, ärgere Dich nicht zu viel. Denke immer, daß es ja nicht für immer ist, daß Du dort sein bist.
Dein Rücken macht mir ja Sorge. Laß es nicht hängen, sondern gehe, wenn es möglich ist, zum Arzt. Damit Du nicht Dein Leben lang damit zu tun hast.
Das ist ja auch blöd, wenn Ihr nicht einmal Eure Wohnung heizen könnt. Das braucht man jetzt doch bestimmt schon notwendig. Man möchte sich doch auch einmal längere Zeit in der Wohnung aufhalten. Ich bin mit Dir gespannt, wie das alles noch wird.
Die Kinder sind über den Abschied soweit hinweg. Mir ist es ja immer sehr einsam und die Ruhe, die ich bei Deinem Hiersein hatte, ist auch weg. Es ist eben einfach kein richtiges Leben ohne Dich. Man kann sich nur immer wieder damit trösten, daß es noch vielen so geht.
Der Schulanfang ist ja, wie ich Dir, soviel ich weiß, schon schrieb, auf den 27. hinausgeschoben worden.
Die restlichen Brief und Päckchen hast Du also inzwischen erhalten. Da hast Du wenigstens noch etwas von zu hause.
Der Hauptmann wird sich gefreut haben, als er seine Sachen so hoch verzollen mußte. Das lohnt sich ja wirklich nicht.
Jetzt muß ich Dir noch etwas berichten. Ich denke nicht, daß es Dich sehr ärgern wird. Ich schrieb Dir ja, daß sich der Flaig erhängt hat. In einem hinterlassenen Brief soll er den Mayer vom Fürsorgeamt beschuldigt haben. Jedenfalls ist der Mayer beurlaubt und sitzt augenblicklich. Wahrscheinlich vorläufig in Untersuchungshaft. Sie sollen, soviel ich hörte, mit Möbeln, die doch immer aufs Fürsorgeamt kommen, hintenherum  gehandelt haben. Jedenfalls hätten Beide, Flaig und Mayer, ein schönes Stück Geld beiseite gebracht. Es herrscht in der Stadt ziemliche Aufregung, daß man solchen Leuten Ämter gebe, von denen sie nichts verstehen und die keinerlei Prüfungen abgelegt hätten. Wenn ich Weiteres hören sollte, schreibe ich Dir. Besonders peinlich ist es noch, daß er Ortsgruppenleiter ist. Aber es gönnen`s dem Mayer viele, er war zu hochnäsig. Ich schließe nun für heute, denn ich denke, daß Dich der Schluß des Briefes sicher nicht traurig gestimmt hat. Sei nun recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Brief 220 vom 15./16./17.9.1941


Liebster Ernst!                                                                      Konstanz, den 15.10.41                                                                        

Heute, da es regnet und ich nichts im Garten schaffen kann, habe ich mich gleich einmal ans schreiben gesetzt und habe einstweilen an Papa, Kurt und Alice geschrieben. Die Durchschläge füge ich bei. Nachher schreibe ich vielleicht noch an Dora. Aber erst sollst Du an die Reihe kommen, denn ich möchte, daß der Brief noch 1/2 5 mit fort kommt, damit Du nicht zu lange warten mußt.
Heute erhielt ich wieder eine Karte von Papa, in der er mir mitteilt, daß er unser Päckchen erhalten hat und sich noch persönlich bei Dir bedanken wird. Er will mir in der nächsten Woche auch wieder Zeitungen schicken. Siegfried und Erna waren am Sonntag immer noch nicht zurück gekommen und hatten auch nichts weiter geschrieben als eine Karte, daß sie gut in Rehau angekommen sind. Das finde ich aber nicht schön von Siegfried. Er müßte doch wissen, daß es Papa jetzt schwer zu Mute ist. Ich kann gar nicht begreifen, daß er dafür gar kein Gefühl hat. Aber ich werde mich deshalb nicht aufregen. Ich werde an Papa öfter schreiben, das wird ihm auch eine Erleichterung sein.
Denke, wer noch geschrieben hat, Elsa. Sie entschuldigt sich, daß sie so lange nichts hat von sich hören lassen. Ich solle es nicht übel nehmen, sie sei in der Zwischenzeit schon öfter wieder so krank gewesen, daß sie im Bett liegen mußte, so daß nicht zum Schreiben gekommen ist. Ich werde ihr nun auch wieder antworten.
Wir haben heute wunderbares Wetter. Du hast mit Deiner Voraussage wahrscheinlich doch recht gehabt, daß die schönste Zeit vorbei ist. Sogar Hagel hat es vorhin gegeben. Wir sind froh, daß wir gestern den Tag gleich für den Garten ausgenutzt haben. Übrigens, das Kellerfenster haben wir gestern auch mit aufgeräumt, die Blumentöpfe und die Flasche weggeräumt. Das ist also jetzt auch in Ordnung.
Du bist mir doch sicher nicht böse, wenn ich heute einmal nicht so viel schreibe. Sicher wird es morgen wieder mehr. Ich bin vom vielen Briefschreiben ganz ausgepumpt. An Tante Agnes und an Dora werde ich ja sicher dasselbe schreiben, wie in den anderen Briefen, aber das läßt sich nicht ändern. Was gegrüßt und ganz fest geküßt von Deiner Annie.

Mein liebster Ernst!                                                                  Konstanz, 16.10.41

Heute fange ich gleich mittags zu schreiben an. Später will ich zur Post fahren und alle Briefe, die ich gestern geschrieben habe, wegschicken, ebenso das Päckchen an Dora. Durchschläge von den Briefen, die ich gestern noch geschrieben habe, lege ich bei. Mit schreiben habe ich mich doch gestern ziemlich angestrengt, nicht wahr? Weißt Du, was ich auch bis jetzt verbummelt habe? An die Frau Graser das Geld zu schicken. Ich will es heute gleich mit erledigen, sonst meint sie, wir wollten es ihr gar nicht wiedergeben.
Ich schicke Dir heute einen Zeitungsausschnitt mit, der Dich vielleicht interessiert.
Frau Steinmehl ist also doch gestorben. Sie haben sie nicht mal mehr bis ins Krankenhaus gebracht. Ich habe vorhin einen Kranz besorgt. Weil alle hier herum einen gekauft haben, will ich nicht zurückstehen. Ich habe ihn vorhin auf den Friedhof gebracht. Herrn Steinmehl habe ich auch gesehen. Da hat man auch gemeint, die lebten gut miteinander. Wie ich nun hörte, hat sich Frau Steinmehl öfter beklagt, daß ihr Mann schon seit Jahren kein gutes Wort mehr für sie hätte. Bezeichnend ist ja, daß er vorgestern, ehe sie ins Krankenhaus gebracht werden sollte, nicht einmal nach ihr gesehen hat und dem Vorwand, er könnte so etwas nicht sehen. Na, uns geht es ja nichts an.
Heute Morgen hatten wir ganz dicken Nebel. Jetzt hat es sich etwas aufgeheitert. Trotzdem, richtig warm ist es deshalb doch nicht.
Eigentlich hatte ich Dir heute einen längeren Brief versprochen, aber ich weiß wirklich nichts weiter zu schreiben. Ein Tag geht ja wieder wie der andere dahin. Eigentlich wollte ich heute noch im Garten arbeiten, aber ich habe noch ziemlich in der Wohnung zu tun, daß ich erst einmal da fertig werden will. Nachher will ich bei Kornbeck wegen Dünger nachfragen. Mal sehen, was ich bekomme.
Ich will mich nun zum fortgehen fertig machen und grüße und küsse Dich deshalb für heute herzlich Deine Annie.

Mein liebster Ernst!                                                             Konstanz, 17.10.41

Ich komme erst heute Abend zum schreiben, denn ich war heute den ganzen Tag im Garten und habe die Brombeeren verschnitten und frisch festgebunden. Ich habe ziemlich aufgeräumt und die abgeschnittenen Ranken türmen sich zu einem richtigen Haufen. Man kann jetzt sogar wieder durch die Hecke hindurch sehen. Es sieht jetzt ganz ordentlich aus. Diese Arbeit wäre also getan. Nun kann ich das Weitere in Angriff nehmen. Aber das umgraben usw. kann man auch machen, wenn es etwas kühl ist, aber das Verschneiden, bei dem man ziemlich ruhig steht, möchte man doch gern bei etwas wärmeren Wetter erledigen. Und das war heute der Fall.
Gestern habe ich wegen Dünger nachgefragt. Ich konnte aber nur Kali bekommen und davon nur 5 kg. Es kann sein, daß vielleicht noch Thomasmehl hereinkommt, aber sehr sicher ist es nicht. Ich muß also einstweilen nut Kali verwenden.
Das Geld an Frau Graser habe ich gestern abgeschickt. Von daheim erhielt ich gestern einen Brief, in dem sie mir mitteilen, daß Siegfried und Erna sicher morgen, also Samstag  heiraten werden. Siegfried hat die Heiratserlaubnis von seiner Truppe bekommen. Ich werde ihnen schreiben und fragen, was sie sich als Hochzeitsgeschenk wünschen. Etwas Unnützes möchte ich ihnen nicht schenken. Sollte sie keinen bestimmten Wunsch haben, können wir ihnen ja etwas Geld schicken, oder Du kannst vielleicht dort etwas besorgen.
In der Zeitung stand heute, daß der Schulunterricht bis einschließlich 25.10. ausfällt. Da brauchen die Kinder also nächste Woche noch nicht zur Schule.
Jetzt wird es ja sicher nicht mehr so lange dauern, bis ich wieder einen Brief von Dir erhalte. Ich warte schon sehnsüchtig darauf. Es ist doch sehr einsam ohne Dich. Ich mache mir auch immer Gedanken, ob wohl Deine Rückenschmerzen verschwunden sind. Ich hoffe, daß Du mir davon schon schreiben wirst.
Sei Du, mein liebster, bester Mann, recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Dienstag, 13. September 2016

Brief 219 vom 13./14./15.9.1941


Mein liebster Ernst!                                                                       Konstanz, 13.9.41                                                      

Ich will heute einmal versuchen, lateinisch oder, wie es jetzt heißt, Deutsche Normalschrift, zu schreiben. Ich muß sagen, es fällt mir direkt schwer. Du liest ja dort auch Zeitung und da wird auch drin gestanden haben, daß die Kinder nur noch diese Normalschrift lernen und nicht mehr die deutsche Langschrift. Da muß sich Helga nun sicher auch umstellen und kann, wie Jörg, Buchstaben lernen. Dir fällt es sicher nicht so schwer, denn Du hast ja meist lateinisch geschrieben. Es weichen ja nur wenige Buchstaben davon ab, wie z.B. das r, ß und das große S. Es kommt mir direkt komisch vor, daß Jörg später einmal unsere frühere deutsche Schrift gar nicht mehr schreiben kann. Doch nun Schluß davon.
Ich erhielt heute Deinen lieben Brief vom 10.9. Ja, es wird jetzt schnell Herbst. Man kann abends schon ein bißchen Heizung vertragen. Auch Licht braucht man schon wieder mehr.
Früchte gibt es bei uns nicht so viel. Weintrauben habe ich dieses Jahr noch keine gesehen. Birnen habe ich heute einmal 2 Pfund bekommen. Pflaumen hat es etwas mehr. Da habe ich heute sogar 10 Pfund zum sterilisieren und 5 Pfund zum essen gekauft. Ich dachte erst, daß sie etwas billiger werden würden, aber  daran ist nicht zu denken. Sie kosten 31 Pfennig das Pfund. Die Birnen kosten pro Pfund 28 Pfennig. Wir haben ja immerhin noch unsere Äpfel, so daß wir doch nicht ganz ohne Obst sind.
Ich staune schon, an was für Essen Du Dich gewöhnst, aber warum solltest Du nicht auch einmal Austern essen, wenn sie Dir zusagen,. Teuer sind sie ja nicht so sehr.
Ich freue mich, wenn der Zucker kommt. Die Hauptsache ist, daß er gut hier ankommt. Für den Käse bin ich Dir auch dankbar. Da kann ich schon Butter einsapren und sie zu Butterschmalz einschmelzen. Wenn es später nicht mehr so viel Gemüse gibt, kann ich etwas mehr Fett ans Essen tun.
Du hast recht, wenn Du schreibst, daß sich Helga und Jörg ziemlich selbständig machen. Sie wollten diesmal auch schon allein auf die Messe gehen. Ich war nur nicht damit einverstanden. Ich glaube, wenn Du später wieder für immer heimkommst, wirst Du auch bei den Kindern über manche Veränderung erstaunt sein. Sie werden groß und nicht nur körperlich. Im Leben eines Kindes machen 1 1/2 - 2 Jahre viel aus.
Vater werde ich es wegen den Schuhen ausrichten. Er muß eben warten, bis Du sie schicken kannst. Am einfachsten wäre es gewesen, wenn Du sie im Urlaub hättest mitbringen können. Aber daran ist ja nun nicht zu denken. Ich schließe nun für heute, denn ich will noch die Pflaumen sterilisieren und der Tag ist schnell vorbei.
Sei nun für heute recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.


 Mein liebster Ernst!                                                            Konstanz, 14.9.41

Nun ist der Sonntagnachmittag schon gleich vorbei. Ich bin heute mit den Kindern fort gewesen. Wir sind unseren bekannten Weg auf den Tabor gegangen. Unterwegs haben wir wieder Tee gesammelt, Spitzwegerich. Es ist eine ganze Portion zusammen gekommen. Auf dem Tabor sind wir auf den Turm gestiegen. Die Kinder waren ja zum ersten Mal oben. Beim aufsteigen waren sie doch erst etwas ängstlich, aber gefallen hat es ihnen oben doch. Von der Aussicht senden wir Dir eine Karte mit. Du warst doch auch immer gern dort. Auf dem Rückweg haben wir zum essen noch ein paar Äpfel aufgelesen. Dann mußte ich für Jörg für seine Schützengraben mehrere Baumrinden und 2 Heidelbeerpflanzen samt Wurzel einpacken. Später fanden wir noch ein paar Pilze, so daß ich ganz beladen heimkam. Jetzt sieht man im Wald schon wieder wenig Leute. 1/2 5 waren wir wieder zu hause und haben gegen 5 Uhr gegessen. Jetzt spielen die Kinder und ich habe mich ans schreiben gesetzt.
Heute Morgen hat Jörg eine wichtige Arbeit gehabt. Er hat seine Soldaten, die nicht mehr ganz in Ordnung waren, mit Wasserfarbe aufgefrischt. Alle haben eine neue Uniform bekommen. Auch die Pferde sind verjüngt worden, aus einem Fuchs hat er sogar einen Rappen gemacht. Es sieht alles neu aus. Ich glaube nur, daß die Wasserfarbe nicht lange halten wird.
Ich erhielt heute Deinen lieben Brief vom 10.9., den Du am Abend geschrieben hast. Ich danke Dir vielmals dafür. Ich glaube Dir, daß Du zu meinem Geburtstag gekommen wärst, wenn es irgend gegangen wär. Aber jetzt fragt man eben nicht nach unseren Wünschen. Du bist ja jetzt auf ruhigere Zeit vertröstet worden und man weiß ja nicht, wann das sein wird. Aber wir wollen nicht unzufrieden werden, denn dann erträgt sich alles noch schwerer. Wir wollen uns mit den Soldaten in Rußland trösten, die ja jetzt auch gar keine Möglichkeit haben, heim zu kommen. Leicht ist es ja nicht, aber manche haben es ja noch schwerer als wir.
Ich werde einmal mit Webers wegen eines evtl. Telefonanrufs reden. Immer sind sie abends ja auch nicht da und wie ich einmal aus einem Gespräch heraushörte, gehen sie sonst so um 9 Uhr herum schlafen. Ich schreibe es Dir deshalb, damit Du ungefähr weißt, bis zu welcher Zeit sie mich rufen könnten. Die Nummer 309 stimmt.
Es hat Jörg auch sehr gefreut, als ich ihm vorgelesen habe, daß Du Dir früher in den Blumenkästen Schützengräben gebaut hast. Es ist ja so, daß man bei den Spielen der Kinder oft an die eigene Kinderzeit erinnert wird.
Ich denke nicht, daß Jörg in der Schule schläft. Bis jetzt hat er jedenfalls immer alles gewußt , was die Lehrerin gesagt hat. Evtl. gehe ich später auch einmal in die Schule und erkundige mich, wie er seine Sache macht, damit ich nachhelfen kann, wo es fehlt.
Gestern habe ich noch das Stück umgegraben, wo ich Spinat säen und Wirsing setzen will. Der Mist, den ich rein getan habe, ist gut verrottet.
Meinst Du, daß Du noch auf Urlaub kommst, ehe umgegraben wird, damit wir besprechen können, was wir für Dünger kaufen. Oder soll ich vielleicht diesen Herbst einmal güllen?
Andere tun es ja auch und bis zum Frühjahr ist es ja ausgefroren. Gib mir darüber bitte mal Bescheid.
Nun grüße und küsse ich Dich wieder recht herzlich Deine Annie.

Mein liebster Ernst!                                                                      Konstanz, 15.9. 41

Ich bekam heute Deinen lieben Brief vom 11/12.9. mit dem Bild von dem Grubenbesuch. Nobel seht Ihr ja alle aus. Es ist eine schöne Erinnerung.
Ich habe heute bei Webers gefragt, ob sie mich rufen könnten, wenn Du telefonieren würdest. Sie sagten mir,
daß sie abends bestimmt nur bis 3/4 8 da wären, später wäre es unbestimmt. Ich glaube, daß das für Dich zu zeitig sein wird.
Die Rasierklingen schicke ich Dir anbei mit. Die werden wohl einstweilen reichen, nicht wahr?
Mit der Butter komme ich soweit aus. Wenn Du mir mal ein Stück schicken kannst, bin ich Dir natürlich nicht
böse. Ich würde sie mir dann auslassen und aufheben. Eier habe ich nicht viel, wir haben diesen Monat pro Person 2 Stück bekommen.
Ich verwende aber jetzt viel Eiaustauschmittel, so daß ich keinen Mangel empfinde. Zum schicken werden Eier auch kaum gehen. Du, ich denke gerade dran, wenn Du mal etwas Butter an meine Mutter schicken würdest, die würde sich riesig freuen. Butter entbehrt sie jetzt sehr und sie ist doch immer nicht ganz gesund, sie hat manchmal so Schwächeanfälle, die sie nur meinem Vater nicht merken läßt. Also, Du kannst es natürlich machen, wie Du willst.
Den Zucker wirst Du ja sicher nicht gleich hintereinander schicken, sonst würde es ja direkt Aufsehen erregen, wenn so oft Päckchen ankommen. Vielleicht bekommst Du doch einmal Urlaub, daß Du einen Teil so mitbringen kannst. Freuen tue ich mich darauf.
Heute Vormittag habe ich aus alten Unterhosen von Dir, die zwischen den Beinen durchgeschabt waren, 4 Unterhosen für Jörg genäht. Da habe ich gerade die schlechtesten Stellen wegschneiden können, da für Jörg ja nicht die ganze Breite erforderlich war. Jörg hatte keine einzige Unterhose mehr, alle waren kaputt. Ich habe mich jetzt einmal interessehalber erkundigt, wie viel welche kosten. So 2,- das Stück. Wenn ich sie auch nicht ganz so teuer rechne, habe ich doch mindestens 6,- durch das selber nähen erspart. Es lohnt sich also schon. Ich will mich jetzt überhaupt mal wieder ein bißchen ans nähen setzen. Es ist notwendig. Im Sommer, wenn man mehr im Garten zu tun hat, bleibt doch manches liegen.
Jetzt wird es doch schon ziemlich kühl. Ohne Jacke kann man schon nicht mehr gehen. Dazu regnet es noch öfter, das kühlt natürlich ab.
Für die Kartoffeln wäre trockeneres Wetter jetzt besser. Auch die Bohnen faulen ehr, als dass sie trocknen. Na, wir können es doch nicht ändern. Sei Du, mein liebster Schatz, nun wieder recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Sonntag, 11. September 2016

Brief 218 vom 11./12.9.1941


Mein liebster Ernst!                                                                   Konstanz, 11.9.41                

Gestern habe ich Dir nach langer Zeit einen Tag nicht geschrieben. Du bist mir doch nicht böse? Gestern Vormittag hatte ich zu schaffen, gestern Nachmittag waren wir nochmals auf der Messe und gestern Abend bin ich schon zeitig schlafe gegangen.
Gestern erhielt ich das Päckchen mit Käse, der sehr gut angekommen ist. Heute kam das Päckchen mit der Bluse und der Schokolade. Ich dachte erst, die Bluse würde mir nicht passen, weil es Nr. 42 ist, aber sie ist so reichlich, wie eine 44 gearbeitet, so daß sie mir gut paßt. Sie gefällt mir auch sehr gut. Ich danke Dir vielmals dafür. Du hast mir eine große Freude bereitet.
Gestern kam noch ein Päckchen von Kurt mit Bonbons für uns und einen Schuh für ihn.
Der andere wird sicher auch bald eintrudeln.
Heute Morgen haben wir Jörg beim Zahnarzt die 2 Plomben reinmachen lassen. Jetzt ist er in der Schule. Er wird bald wiederkommen.
Helga hat heute auch ihren Stundenplan bekommen. Sie hat Schule Montag 11 - 1, Dienstag 8 - 10, Mittwoch 11 - 1, Donnerstag 9,50 - 1 , Freitag 9 - 1, Samstag 9 - 1 . In Handarbeiten hat sie jetzt mit Stricken angefangen.
Heute kam Dein lieber Brief vom 7.9. an. Ich danke Dir dafür. Du hast recht, es ist manchmal sehr schwer, immer voneinander getrennt zu sein. Man könnte es gar nicht ertragen, wenn man nicht wüßte, es ist jetzt einfach notwendig.
Das ist wahr, die Schokolade wird nicht schlecht, auch wenn sie die Kinder nicht essen. Ich bin ja auch noch da. Dafür gebe ich Helga und Jörg aber die Bonbons, die sie ja sehr gern mögen. Ich hoffe auch, daß Jörg so weiter schafft in der Schule. Mit Helga haben wir bis jetzt ja eigentlich keinen Ärger gehabt. In einer Beziehung sind ja Beide sehr verschieden. Helga hat sich immer hingesetzt und die Schulaufgaben hintereinander geschrieben. Jörg träumt die halbe Zeit dabei. Immer muß man auf dem Sprung stehen um ihn aus seinen Träumen zu wecken, sonst sitzt er den ganzen Tag an den Aufgaben.
Kleckse macht Helga in die Bücher eigentlich nicht, aber es kommt öfter vor, daß sie die Finger beschmiert hat. Das wird sie wahrscheinlich in ihrem Brief auch gemeint haben. Die Leistungen der Kinder zu hause sind natürlich nicht immer nur erfreulich, aber Kinder sind nun einmal keine Engel. Zu bös dürfen sie natürlich nicht werden, da gibt es Wichse.
An Elsa habe ich noch gar nicht wieder geschrieben. Man kennt sich ja eigentlich zu wenig, um etwas Richtiges schreiben zu können. Die Briefe werden ja alle sehr inhaltsreich.
Soeben erhielt ich Deinen Brief vom 6.9. Da will ich zuerst die Geldangelegenheit regeln. Ich muß ja sagen, daß Du mich damit in Verlegenheit gebracht hast. Ich hatte nämlich diesen Monat gar nicht daran gedacht, Dir etwas zu schicken. Vorigen Monat hatte ich ja etwas geschickt und diesmal hatte ich das Geld  für Mäntel für die Kinder (50,-) und für Kartoffeln (40,-) weggetan. Ich hatte nämlich nach Mänteln gefragt und man sagte mir, daß ich in nächster Zeit öfter nachfragen muß, denn sie bekommen nur 12 Stück  herein und die sind gleich weg. Darum wollte ich das Geld gleich zur Hand haben und habe es darum auch ein paar Tage vor dem 15. geholt. Ich könnte es zur Not ja am 1. holen, aber es ist angenehmer, wenn man nicht gar so sehr auf den Gehaltstag warten muß, sondern ein paar Tage Spielraum hat.
Ich schicke Dir also heute oder morgen das Geld. Evtl. kann ich es mir ja einstweilen von Vater wieder borgen, denn von der Sparkasse möchte ich nichts abheben, da ich noch nicht den Stand vor unserer Abhebung erreicht habe. Du wirst ja sehen, was Du brauchst, das übrige läßt Du mir von der Frau wieder überweisen.
Du bezeichnest ja die Geldangelegenheit als eine heikle Geschichte. Ich muß Dir auch eine erzählen, wenn sie auch nichts mit Geld zu tun hat.
Ich schrieb Dir ja vorgestern, daß es mich hart trifft, daß Du nicht bald auf Urlaub kommen kannst. Das dumme Herz wollte diesen harten Schlag nicht aushalten und so bekam ich, gleich nachdem ich den Brief geschrieben hatte, eine leichtere und gegen Abend eine schwerere funktionelle Herzstörung, wie der Arzt, dem Frau Nußbaumer telefoniert hatte, sagte. Er sagte noch, das käme von Gemütsbewegung, Aufregung usw. Ich habe nach Luft geschnappt wie ein Fisch, dazu kam eine Blutleere im Kopf und Hände und Füße wurden eiskalt. Der Arzt, bei dem ich heute auch noch einmal war, hat mich untersucht und sagte, daß ein organischer Herzfehler nicht besteht, sondern daß diese Störungen eben von Aufregung usw. herrührte. Von Asthma konnte er übrigens fast nichts mehr feststellen. Wenigstens etwas Tröstliches. Er sagte, daß auch mein manchmal so blasses Aussehen von den Störungen herrührte, vorgestern war es eben nur besonders schlimm. Er hat mir Herztropfen verschrieben. Jetzt weiß ich auch, warum ich mich immer so gesund fühle, wenn Du hier bist, weil ich da so innerlich froh bin. Mach Dir aber bitte keine Sorge, ich fühle mich jetzt schon wieder besser. Ich wollte Dir eigentlich gar nichts davon schreiben, aber vielleicht würdest Du mir dann Vorwürfe machen.
Ich will jetzt sehen, daß ich noch das Geld fortbringen kann. Sei für heute wieder herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Mein liebster Ernst!                                                             Konstanz, 12.9.41

Vor allen Dingen möchte ich Dich um Entschuldigung bitten, daß ich Dir gestern geschrieben habe, Du hättest mich mit Deiner Bitte um Geld in Verlegenheit gebracht. Ich hätte natürlich von mir aus schon daran denken müssen, Dir etwas zu schicken. Wenn ich es mir ein bißchen vernünftiger überlegt hätte, wäre es auch gegangen. Hoffentlich hast Du Dich deswegen nicht so sehr geärgert. Von den 65,- kannst Du gut 40,- behalten. Sollte ich die Kindermäntel vorm 1.10. bekommen, kann ich ja einstweilen das Wirtschaftsgeld nehmen, andernfalls kann ich ja ab 1.10 Geld abheben. Es langt mir also gut und Du brauchst Dir deshalb keine Sorge machen.
Ich habe heute wieder bei Webers 10 Ztr. Kartoffeln bestellt. Wenn nicht noch andere Bestimmungen herauskommen, können sie sie liefern. Vor Mitte Oktober kommen sie wahrscheinlich nicht.  Ich erhielt heute Deinen lieben Brief vom 9.9. Ich danke Dir vielmals dafür.
Wir werden ja hier viel weniger mit Fliegeralarm gestört als ihr. Wenn es bei uns so wär, müßten wir ja oft in den Keller rennen.
Helga ist wirklich nicht zu kurz gekommen an ihrem Geburtstag, aber Jörg in Leipzig ja auch nicht. So konnte sich keins zurückgesetzt fühlen.
Wegen meines Mantels brauchst Du Dich ja jetzt noch nicht umsehen, denn ich werde erst so um den 1.11. rum das Geld bereit haben. Ich werde aber noch hier  sehen, wie viel ein Mantel kostet. Augenblicklich sind ja noch keine Wintersachen ausgestellt. Nr. 44 ist ja meine reguläre Nummer, ich glaube, daß ich beim Mantel lieber 46 nehme. Bei „offene form“ meinst Du doch sicher lose hängen ohne Gürtel? Wenn es mir steht, würde ich ganz gern einmal so etwas nehmen.
Anbei übersende ich Dir das Originalschreiben der Stadt vom 30.7. Daß man doch bei allen Sachen erst 50ig mal schreiben muß, bis alles klappt.
Vor einiger Zeit habe ich im Garten die Zwiebeln raus genommen. Sobald ich einmal Zeit habe, will ich diese Beete umgraben, Mist mit rein tun und Spinat säen und die Wirsingsetzlinge einsetzen. Wenn die Salatsetzlinge groß genug sind, will ich sie zwischen den Grünkohl und die Erdbeeren setzen. Frühlingszwiebeln will ich auch noch säen.
Gell, lieber Ernst, bist mir also nicht böse wegen dem Geld. Ich ärgere mich selber, daß ich gestern so dumm geschrieben habe.
Sei nun für heute wieder recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Brief 217 vom 9.9.1941


Mein lieber Ernst!                                                                           Konstanz, 9.9.41               

Heute früh kam Dein liebes Päckchen für Helga an. Die Strümpfe sind fein. Wir probieren heute Abend, ob  sie passen, aber ich denke schon, daß sie recht sind. Die Bonbons habe ich den Kindern gegeben, die Schokolade habe ich mir genommen. Ich gebe Beiden dafür Bonbons von meinem Geburtstag.
Ich erhielt auch Deinen lieben Brief vom 5.9. Ich habe leider daraus ersehen, daß Du auch in nächster Zeit sicher nicht auf Urlaub kommen kannst. Das hat mich hart getroffen. Ich will Dir aber nichts vorjammern, denn Dir ist es ja genau so schwer. Ich weiß ja, daß Du es möglich machen wirst, sobald Du kannst. Als Du mir schriebst, daß sich alle bei Dir Auskunft holen und daß Du so viel zu tun hast, befürchtete ich schon, daß Du nicht auf Urlaub kommen könntest. Es ist nun leider auch wahr geworden.
An Vater werde ich Deinen Dank und Gruß ausrichten. Ich glaube Dir gern, daß Du das meiste seines Briefes schon vorher gewußt hast. Du weißt ja, er erzählt meist wieder dasselbe. Gestern Abend war er oben. Er sagte, daß er vom Schaffen todmüde sei. Der Meister hat ihn ganz verbiestert angesehen, weil er fort will. Bescheid hat Vater noch keinen bekommen, ob er dort los kommt.
Wir waren heute Vormittag mit Jörg beim Zahnarzt. Am Donnerstag muß er wiederkommen. Da lasse ich auch gleich meine Zähne mit nachsehen.
Auf dem Hinweg sind wir über die Messe gegangen. Da habe ich unseren Beiden je einen Magneten gekauft. Das ist natürlich jetzt ein Vergnügen, wenn er Stecknadeln usw. anzieht.
Jörg will Dir nachher auch noch schreiben. Er hat manches zu berichten.
Du magst ja die Buschbücher auch gern. Ich schicke Dir nun heute ein kleines Heft von ihm. Vielleicht freut es Dich. Wenn nicht, kannst Du es ja gelegentlich wieder mit zurückschicken.
Ich habe heute gelesen, man soll im Herbst die Brombeerstöcke bis auf 5 Ruten abschneiden. Da ginge alle Kraft hinein und es gäbe eine reiche Ernte.  Soll ich es einmal so machen? Wir haben wohl eine dichte Hecke, aber die Ernte ist lange nicht mehr so gut wie vor Jahren. Mehr als 20  Pfund haben wir bestimmt nicht geerntet.
In der Zwischenzeit habe ich nun für Jörg den Brief getippt, er will doch jetzt noch ein bißchen runter zum spielen. Die Zeit dazu ist ja sowieso viel kürzer als früher. Helga läßt es natürlich auch nicht ruhen und sie sitzt auch an der Schreibmaschine. Um Dir einen Brief zu schreiben. Es geht natürlich noch sehr langsam, aber es macht ihr so viel Spaß.
Ich will schnell noch im Garten Kartoffeln und Möhren holen, die ich zum Abendbrot kochen will, denn sonst reicht mir das Brot nicht. Ich habe es ja gut, daß ich einfach nur im Garten holen brauche.
Sei nun für heute wieder recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Liebes Vaterle!                                                                    Konstanz, den 9.9.41

Ich schreibe Dir heute auch noch mal einen Brief. Vorige Woche haben wir Fliegeralarm gehabt und dann haben wir erst 3/4 10 Schule gehabt und dann bin ich schon um 9 dagewesen und alle Kinder waren schon um 9 da. Da hat  ne Frau gesagt, wir hätten sicher erst um 10 Uhr Schule. Da habe ich erst wieder nach hause gehen wollen und dann ist das Mutterle gekommen und hat gesagt, ich soll da bleiben. Da ist dann ein Lehrer gekommen und hat gesagt, wir sollen da hinten im Hof etwas spielen. Da sind dann 2 Buben fortgegangen und haben zur Lehrerin gehen müssen und haben einen Zettel bringen müssen. Die Buben haben ihren Schulranzen nicht mitnehmen müssen, den haben andere Buben noch mitgetragen. Dann ist die Lehrerin gekommen und dann haben wir Schule gehabt und bloß eine halbe Stunde, weil die andere Klasse doch 1/2 11 hat rein müssen.
Heute war die Schule viel schöner wie sonst. Sonst haben immer andere Buben die Tafel auslöschen dürfen und heute habe ich sie mal auslöschen dürfen. Die brav sind, dürfen immer bloß die Tafel auslöschen. Da war ich heute sicher brav, wenn immer bloß die braven Buben die Tafel auslöschen dürfen. Bei mir war sie viel sauberer als bei den anderen Buben. Die Tafel hat aber gestaubt, als ich sie abgewischt habe. Wir haben nämlich keinen nassen Lappen und da hat die Kreide ganz fest weggestaubt, mir bald noch ins Gesicht.
Ich sitze jetzt ganz hinten in der zweitletzten Bank, weil ich groß bin. Die Großen kommen jetzt hinten hin und die kleinen vorne. Wo ich die Tafel abgewischt habe, da bin ich schnell wieder hinter gerannt, weil ich doch den Schulranzen noch nicht fertig zugemacht habe. Ich kann doch den Schulranzen auch nicht liegen lassen, wenn die Schule fertig ist.
Wenn wir in die Schule kommen, müssen wir uns erst draußen aufstellen und dann in den Gang rein laufen. Und dann hat sie uns gesagt, deswegen stehen wir draußen, weil wir die Mäntel aufhängen müssen. Ich habe aber vergessen und dann habe ich gedacht, ob ich die Jacke noch naus hängen soll, aber dann hat die Lehrerin gesagt, wir dürfen nicht mehr raus. Wenn wir in die Schule kommen, müssen wir an den Platz stehen und dann Heil Hitler sagen und dann müssen wir stehen bleiben, daß sie uns aufruft. Und wer aufgerufen ist, muß den Finger strecken und dann darf er hin sitzen.
Wo ich aus der Schule gekommen bin, ist die Helga in einer Ecke gestanden, da habe ich sie gar nicht gesehen. Und dann hat sie mir gleich gesagt, daß Mutterle noch draußen steht und dann habe ich sie gleich gesehen. Und dann sind wir in die Stadt zum Zahnarzt. Mir ist nämlich eine Plombe rausgefallen und dann hat er bei 2 Zähnen gleich Plomben rein getan. Es hat nicht fest weh getan.
Dann hat uns Mutterle noch was gekauft auf der Messe, so ein Ding, was wie ein Hufeisen aussieht. Wenn man da eine Nadel oder was hinlegt  und man geht langsam dran, dann kommt sie einem schon entgegengerollt und hängt dran. Das ist für uns ein schönes Spielzeug.
Heute habe ich viele Schulaufgaben aufgehabt. Ich schreibe Dir mal drunter, was wir alles schon gelernt haben. Was wir heute gelernt haben und sonst.
Viele Grüße und Küsse von Deinem Jörg.

Lieber Vater!                                                                     Konstanz, den 9.9.41

Weil Jörg Dir auch einen Brief geschrieben hat, schreibe ich Dir auch ein Brief. Ich danke Dir für die schönen Strümpfe auch für die Bonbons die haben geschmeckt, daß glaubst Du mir sicher. Ich habe sie schon gegessen. Wir essen nachher, ich und Jörg, Äpfel von unserm Baum. Jörg schneidet sie aus, und dann essen wir sie, die schmecken sicher wieder. Jörg nimmt sie mit raus in einer Schachtel. Viele Grüße und Küsse von Deiner Helga.


Mittwoch, 7. September 2016

Brief 216 vom 7./8.9.1941


Mein lieber Ernst!                                                             Konstanz, den 7.9.41       

So, die 30 hätte ich nun erreicht. Der Tag ist heute ruhig, aber nicht ganz unfestlich verlaufen. Heute Morgen haben mir die Kinder beschert. Ich war wirklich überrascht, sie hatten in der Stube einen schönen Geburtstagstisch aufgebaut. Da lag ein Buch „Herrin und Knecht“, eine Stange Honigkuchen, 4 Beutel Sommerbonbons, 1 kleine Vase und eine Geburtstagskarte. Ich habe mich sehr gefreut. Dein Bild habe ich wieder mit auf den Tisch gestellt.
Gegen 8 kam dann die Post und brachte mir Deinen lieben Brief vom 4.9. und eine Karte von Erna. Später kam dann noch Vater und brachte mir Geld und 1/4 Pralinen. Er blieb dann noch eine Weile da und hat sich mit mir unterhalten. Er hat sogar ein Stück Kuchen angenommen. Nach dem Mittagessen sind wir dann in die Stadt gegangen und wollten um 2 in den Film „Stukas“. Es war aber alles ausverkauft. So habe ich dann Karten für die Vorstellung um 4,20 Uhr genommen. Nun wollten wir in der Zwischenzeit auf diese Messe gehen, aber leider kam ein Gewitter und es fing an mit regnen, was nur vom Himmel wollte. Wir haben uns dann bis 3 Uhr untergestellt und sind dann, nachdem es soweit aufhörte, noch einmal durch die Messe gegangen. Die Kinder sind 5 Mal mit dem Karussell gefahren und hinterher haben wir noch ein Eis gegessen. Dann sind wir wieder zum Kino gegangen. Du, ich muß sagen, der Fiklm „Stukas“ war herrlich. Er hat mir noch besser gefallen wie der Film „Über alle Welt“. Wenn er dort kommt, mußt Du ihn Dir unbedingt ansehen. Hätte ich nicht gleich um 2 Uhr Karten genommen, so hätten wir um 4 auch wieder umkehren können, denn es war alles ausverkauft, sogar die teuersten Plätze.
Als wir um 3/4 7 aus dem Kino kamen, sind wir dann gleich nach hause gegangen. Wir haben nun vorhin  Abendbrot gegessen und nun sind die Kinder gerade dabei, sich zu waschen, damit sie dann ins Bett kommen. Ich möchte heute auch nicht so lange machen, denn auch ich bin sehr müde.
Nun zu Deinem lieben Brief. Du kündigst damit Deine Päckchen an, die Du zu den Geburtstagen geschickt hast. Leider sind sie bis jetzt nicht angekommen, aber wir nehmen sie auch hinterher noch sehr gern an. Ich danke Dir, daß Du wieder so lieb warst und so an uns gedacht hast. Ich denke schon, daß mir die Bluse gefallen wird, denn ich wüßte nicht, daß Du schon einmal schlechten Geschmack entwickelt hast. Daß Du Schokolade beigefügt hast, nehme ich Dir absolut nicht übel. Wenn es keine Milchschokolade ist, wird sie Helga ja nicht essen, aber ich werde ihr dafür von meinen Geburtstagsbonbons welche geben, damit sie eine Entschädigung hat. Auch für das Käsepäckchen danke ich Dir. Die ersten Käse haben wir noch gut brauchen können. Sie waren noch nicht gar so weich. Wir haben sie auch gleich gegessen.
Wie ich Dir schon schrieb, gibt sich Jörg jetzt in der Schule Mühe. Die verschiedenen Schulzeiten sind ja nicht gerade bequem für mich wegen dem Mittagsessen, aber wenn wir weiter nichts zu klagen haben, da wollen wir zufrieden sein. Das ist nicht weiter gefährlich.
Im Garten war bis jetzt ziemlich zu tun, aber bis zur Ernte von Kraut usw. und dem umgaben, habe ich jetzt das meiste getan, Man muß nur immer wieder nach dem Unkraut sehen, damit es einem nicht über den Kopf wächst. Vorgestern hatte ich von Frau Leimenstoll Erdbeersetzlinge bekommen. Ich habe einen Teil gesetzt und einen Teil habe ich zusammen eingesetzt, bis ich für sie Platz habe. Da müssen erst noch die Kohlrabi raus und dann will ich umgraben und gleich Mist untergraben, damit die Setzlinge eine gute Grundlage haben. Gestern und vorgestern  mußte ich die Setzlinge ja angießen, heute hat es mir noch viel besser der Regen abgenommen. Helga hat sich wieder vorgenommen, Dir einen Brief zu schreiben. Sie konnte gar nicht begreifen, daß ihr Brief an Dich kurz gewesen sein soll. Sie hat gemeint, er wäre doch schön lang gewesen. Also, Du kannst bald wieder mit einem Brief rechnen. Jörg will Dir auch wieder einmal schreiben, aber ich möchte ihn nicht dazu drängen, er soll es mir sagen, wenn er selber Lust hat. Etwas Gezwungenes mag ich nicht und Du sicher auch nicht. Er ist ja bei dem ersten Brief auch von selber gekommen und das ist dann auch viel natürlicher.
Wir haben hier auch schon mehrmals Nebel gehabt. Vorgestern und gestern auch wieder. Über dem Rhein steht es noch bis Mittag.
In den nächsten Tagen muß ich auch wieder an die Eltern, an Siegfried und Alice schreiben. Bei Erna weiß ich die neue Adresse nicht, da sie ja von der Gräfin weg ist. Sie wollte ja zu ihren Eltern, aber die Karte von gestern war noch aus Leipzig. Ich bestelle einstweilen Grüße an sie durch die Eltern.
Nun laß mich für heute wieder schließen. Sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner immer und heute noch ganz besonders an Dich denkende Annie.

Lieber Ernst!                                                                             Konstanz, den 8.9.41

Heute habe ich meine ganzen Briefschulden erledigt. Ich bin schon ganz ausgepumpt von lauter schreiben. So ist das aber wenigstens wieder erledigt. Man weiß immer gar nicht, was man alles schreiben soll. Den Ahnenpaß von den Eltern habe ich nun auch zurückgeschickt. Wir brauchen ihn ja nicht mehr.
Von heute ist eigentlich gar nicht viel zu erzählen. Ich habe meine tägliche Arbeit erledigt und habe mich dann ans schreiben gesetzt. Einen Brief habe ich von Dir heute nicht bekommen.
Morgen muß ich mit Jörg zum Zahnarzt. Ihm ist heute eine Plombe rausgefallen. Ich fahre nachher gerade  beim Zahnarzt vorbei und frage, ob wir auch kommen können, damit wir nicht umsonst in die Stadt laufen.
Wir haben ja jetzt immer noch jeden Tag Falläpfel, aber ich brauche sie nicht mehr alle zu Apfelmus verarbeiten, denn man kann schon einen Teil davon essen, da sie soweit reif sind. Da sind natürlich die Kinder hinterher. Aber auch auf die Tomaten, von denen wir jetzt ziemlich viel haben, stürzen sie sich. Die essen sie auch ohne Brot.
Ich schrieb Dir ja schon, daß Vater  bei Rieter hätte anfangen können. Er will aber nicht. Nun hat inzwischen das Arbeitsamt schon an Stromeyer geschrieben, ob sie mit Lösung des Arbeitsverhältnisses einverstanden sind. Vater hat zu ihnen gesagt, daß das doch nicht nötig gewesen wäre, wenn noch gar nicht feststeht, ob er wo anders arbeiten kann. Sie haben ihm aber gesagt, sie hätten schon Arbeit für ihn. Jetzt ist er ja gespannt, wo. Vater will sofort rauf kommen, wenn er Bescheid hat und ich schreibe Dir dann gleich.
Das Wetter hat sich heute ein bißchen aufgeheitert, aber es steht schon wieder ein Gewitter am Himmel. Ich will nachher noch in die Stadt fahren zum einkaufen. Die Geschäfte mach ja jetzt erst um 4 Uhr auf. Da ist immer schon der halbe Nachmittag vorbei.
Wir haben heute nochmals Bohnen zum Mittagessen gehabt. Ich glaube, es waren die letzten, denn die waren alle schon gelb. Weiße Bohnen haben wir dann im Winter eine ganze Menge, d. h. wenn sie nicht fleckig werden.
Sei mir bitte nicht böse, wenn ich jetzt nicht mehr schreibe, aber mir tut heute schon alles weh. Ich muß erst wieder ein bißchen Bewegung haben. Der nächste Brief wird sicher wieder länger.
Sei recht herzlich gegrüßt und geküßt  von Deiner Annie.

Brief 215 vom 6.9.1941


Mein liebster Ernst!                                                                        Konstanz, 6.9.41                                                                                 

Ich komme heute wieder erst am Abend zum schreiben, aber der Tag war wirklich mit Arbeit ausgefüllt. Am Morgen hatte ich sauber zu machen und einzukaufen, dann Essen zu kochen, später haben wir gebadet, hinterher haben ich die Wäsche dieser Woche gleich noch gekocht und gewaschen. Dann habe ich noch einen Pflaumenkuchen für morgen gebacken, hinterher haben wir Abendbrot gegessen. Dann haben die Kinder den Geburtstagstisch für mich hergerichtet und ich durfte dabei einmal nicht ins Zimmer sehen, das andere Mal durfte ich nicht zum Fenster herausgucken. Die Kinder sind wegen dem Geburtstag schon ganz närrisch und fragen jede Minute, ob ich mich ganz fest auf den Geburtstagstag freue.
Ich erhielt heute auch Deinen lieben Geburtstagsbrief. Ich habe mich sehr darüber gefreut und doch hat er mir eine Enttäuschung bereitet. Du hattest ja schon in Helga`s Brief geschrieben, daß Du zu ihrem Geburtstag nicht da sein könntest, von meinem Geburtstag hattest Du aber nichts geschrieben und da hat sich mein törichtes Herz, wenn auch der Verstand dagegen sprach, eingebildet, Du könntest vielleicht doch noch überraschend zum Geburtstag eintreffen. Als ich nun den Brief heute in Händen hielt, wußte ich, daß diese Hoffnung zunichte geworden ist. Das törichte Herz hat seine Dummheit auch gebüßt, denn es hat den ganzen Tag sehr weh getan. Man sollte es bei solchen Sachen herausholen und weglegen können, da wäre es leichter.
Ich möchte Dir aber für Deinen Brief herzlich danken. Es ist doch ein lieber Geburtstaggruß von Dir. Ich danke Dir auch für Deine guten Wünsche. Wir wollen hoffen, daß alle in Erfüllung gehen. Mein Wunsch zum Geburtstag ist, daß wir uns gesund wieder sehen und alle zusammen noch lange miteinander leben können.  Auch ich hoffe, daß wir uns später, nach dem Krieg, genau noch so verstehen wie bisher.
Über das Bild von Dir habe ich mich sehr gefreut, und bin daher auch absolut nicht böse, daß Du es mir schon zu unserem Hochzeitstag geschenkt hast. So kann ich es morgen mit auf den Geburtstagstisch stellen.
Von Alice und Paul habe ich eine Glückwunschkarte und einen Brief von Siegfried,  eine Karte aus Krakau. Siegfried hat eine 12 Pfg.-Marke vom Generalgouvernement drauf geklebt, die Dich doch sicher freuen wird. Von meinem Vater sollte ich Dir auch noch schreiben, daß er mir gestern für Dich die Marke vom braunen Band von Deutschland mitgeschickt hat. An Siegfried soll ich Deine Feldpostnummer schreiben, er weiß sie nicht mehr.
Als wir in Leipzig waren, hatte Papa Jörg versprochen, ihm einen Soldaten-Ausschneidebogen zu kaufen. Er bekam aber damals keinen. Nun kam heute eine Rolle für Jörg mit einem Flugzeugbogen, 1 Bogen „Die Fahnen und Standarten“, ein Bogen Nebeltruppe, ein Bogen Luftabwehrtruppe, 1 Bogen stürmende Infanterie (mit Gasmaske). Da hat Jörg nun genug auszuschneiden und zu kleben. Jetzt habe ich ihm auch einen größeren Karton in der Mitte entzwei geschnitten, daß also die Vorderseite fehlt, dann habe ich die Wände innen und außen mit Bäumen bemalt, für den Boden habe ich ihm Bretter zurecht geschnitten. Nun hat Jörg sich  Erde, Moose und Steine besorgt und hat sich einen prima Unterstand gebaut, in dem nun seine Soldaten stehen, aber natürlich nicht die aus Pappe ausgeschnittenen, und liegen. Die Bretter haben wir drunter gemacht, weil doch das Moos jeden Tag gegossen werden muß, da würde der Karton durchweichen. Leimenstolls Junge hatte so etwas Ähnliches gebaut. Das hat Jörg angeregt. Er fragte mich erst, ob er so etwas mit rauf bringen dürfte, weil es doch Dreck macht. Der Hermann von Bolzens dürfte es nicht. Er ist mir direkt um den Hals gefallen, als ich es ihm erlaubte und ihm auch den Karton und die Bretter herrichtet. Ich war aber gern damit einverstanden, der Dreck geht wegzuputzen, aber diesen Unterstand kann er immer wieder nach seinem Wunsch umbauen und ich muß sagen, er hat so geschickt gebaut, daß es direkt natürlich wirkt. Zwischen dem Moos sind größere Steine verteilt, dann gibt es kleinere und größere Vertiefungen, an der Seite läuft ein Weg, also wirklich fein. Ich finde das viel schöner als so einen gekauften, hölzernen Unterstand. Der bleibt sich doch immer gleich und man kann nicht viel damit anfangen.
In der Schule gefällt es Jörg ganz gut. Er macht auch seine Aufgaben bis jetzt sehr ordentlich. Leider träumt er dabei genau so, wie früh beim an und abends beim Ausziehen. Man muß ihn immer wieder stupfen und ab und zu anranzen. So kommt es, daß er für 4 - 5 Zeilen bis zu 3 Stunden braucht, während er, wenn er hintereinander schreibt, recht schnell mit einer Zeile fertig ist. Na, vorläufig bin ich erst einmal froh, daß er es ordentlich macht.
Morgen oder übermorgen will ich mit den Kindern in den Film „Stukas“ gehen. Messe ist ja nächste Woche auch. Da freuen sie sich natürlich auch schon drauf.
Es ist schon wieder 1/4 11 geworden. Da will ich schnell den Brief noch wegbringen.
Sei für heute wieder recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Montag, 5. September 2016

Brief 214 vom 4./5.9.1941


Mein liebster Ernst!                                                                    Konstanz, den 4.9.41          

Heute Morgen kam Dein liebes Päckchen mit Deinem Bild an. Aber da habe ich mich doch riesig gefreut. Das war wirklich eine feine Überraschung. Ich muß das Bild die ganze Zeit ansehen, so gut gefällt es mir. Das Geschenk hast Du Dir wirklich fein ausgedacht. Eine größere Freude hättest Du mir gar nicht machen können. Schade, daß ich Dir nicht persönlich dafür danken kann. Damit wird es ja wahrscheinlich in nächster Zeit nichts, wie ich wenigstens aus dem Brief an Helga, der heute Nachmittag ankam, entnehmen kann. Du schreibst ja, daß Du jetzt schlecht dort fort kannst. Das war ja für mich eine große Enttäuschung, denn ich habe die letzte Zeit immer in der Hoffnung gelebt, daß Du bald Urlaub bekommen würdest. Aber auch mit dieser Enttäuschung muß ich wieder fertig werden und eben weiter hoffen. Es fällt nur zuerst ein bißchen schwer.
Helga hat sich über Deinen Brief sehr gefreut und sie ist nun natürlich auf das Päckchen gespannt. Sie hat sich schon vorgenommen, Dir recht bald wieder zu schreiben. Auch Jörg will Dir bald schreiben und Dir zeigen, was er in der Schule schon gelernt hat. Was Jörg sich manchmal für Gedanken macht, kannst du aus folgendem Ausspruch erkennen. Vorhin machte er Schulaufgaben, auf einmal fing er an:  „Mutterle, weißt Du, da sagen doch manchmal die Kinder, wenn ich du wäre, würde ich das ganz anders machen. Das ist doch aber gar nicht wahr, wenn er ich wäre, hätte er doch die gleichen Gedanken wie ich und würde dasselbe machen. So einen Unsinn reden die Kinder nun.“
Wenn ich es selber nicht gehört hätte, würde ich niemals glauben, daß so ein kleiner Kerl sich schon so Gedanken macht.
Heute Nachmittag kam noch Dein lieber Brief vom 1.9. Recht vielen Dank.
Ich war etwas voreilig, als ich schrieb, daß der helle Pullover von Jörg nicht mehr mitmachen will. Ich habe ihn noch einmal gründlich überholt und nun hält er diesen Winter bestimmt noch. Der Rumpfteil ist  ja überhaupt noch ganz prima, so daß ich nächstes Jahr vielleicht nur ein paar neue Ärmel einstricken muß. Lange hat er den Pullover ja schon, aber gute Wolle hält auch lange.
Ich halte es nicht für günstig, wenn Du Dich dort wegen eines Mantelstoffes für mich umsiehst, dann lieber nach einem fertigen Mantel. Ich möchte mir den Mantel nicht selber nähen, denn ich habe schon so viel noch für die Kinder daliegen, daß es mir viel zu viel werden würde. Und mit dem Machenlassen ist es so, daß man, wenn man schon eine richtige Schneiderin findet, ewig warten muß, bis er fertig ist. Die Farbe ist mir an und für sich gleich. Du hast ja auch einen guten Geschmack. Es soll etwas sein, was man länger tragen kann, ohne daß es einem über wird. Du weißt ja, daß die Sachen  bei mir ziemlich lange halten und wenn es dann eine Farbe ist, die schnell abbleicht, so ist es natürlich nicht das richtige. Zu eng soll der Mantel natürlich auch nicht sein, damit ich etwas Warmes noch drunter ziehen kann. Lieber eine Nummer größer, denn etwas abnähen könnte ich ihn mir immer noch.
An die neue Lehrerin hat sich Helga schon gewöhnt. Sie ist scheinbar ganz nett. Es soll noch eine ganz junge Lehrerin sein, so ungefähr in meinem Alter. Der Schulweg ist natürlich etwas weit. Ich habe es aber jetzt öfter so gemacht, daß ich mich mit dem Einkaufen nach ihrem Schulanfang gerichtet habe. Da lasse ich sie hinten aufs Rad sitzen und fahre sie hin. Heute habe ich es so gemacht, daß ich Jörg nach der Schule gefahren und hinterher gleich Helga unterwegs mit nach hause genommen habe.
Wir haben die letzten Tage immer schönes Wetter gehabt. Dein Wunsch nach schönem Wetter wäre also erfüllt. Nur Du bist nicht da. Pflaumenkuchen gibt es morgen auch wieder. Es ist also alles da, was Du gern hättest. Wenn man nur den Urlaub auch nach seinen Wünschen einrichten könnte.
Der Bilderrahmen Deines Bildes ist auch originell. Ich habe hier noch nie einen solchen gesehen. Ist er eigentlich aus Leder? Er gefällt mir gut. Das Bild ist wirklich eine schöne Erinnerung an unseren Hochzeitstag. Ich muß Dir immer wieder dafür danken. Du bist doch ein lieber Kerl.
Sei nun für heute wieder herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.
Ich danke Dir auch für das gesandte Briefpapier. Ich kann es gut gebrauchen.

Liebes Vaterle! Weil ich noch keinen Brief schreiben kann, schreibt jetzt die Mutter. Und dann schreibe ich drunter was ich gelernt habe. Gestern haben wir 4 Zeilen kleine Kreise auf der Rechenseite und auf der Schreibseite haben wir „I“ aufgehabt. Heute haben wir „e“ auf, 5 Reihen.

Mein liebster Mann !                                                                            Konstanz, 5.9.41

Ich erhielt heute Nachmittag Deinen lieben Brief vom 2.9. Du hast also auch einen Durchschlag des Briefes von meinen Eltern bekommen. Ich hatte mich über den Brief auch gefreut. Es ist so, wie Du schreibst, jeder hat eben eine andere Art und die Hauptsache ist ja, daß es gut gemeint ist.
Heute kam auch ein Paket von den Eltern. Sie schickten Zeitungen, dazu ein älteres Inlett, das aber noch sehr gut ist. Ich hatte in Leipzig mit Mama gesprochen, daß ich kein Inlett bewilligt bekomme, darum schickte sie es mir mit. Für Helga und Jörg haben sie noch je 3 Hemden geschickt. Für Helga und mich zum Geburtstag noch je 3,- Mk. Außerdem waren die Bilder vom Zoo mit dabei, von denen ich Dir heute eins mitschicke.
Ich will Dir überhaupt noch vom Geburtstag erzählen. Heute
Morgen haben wir beschert. Helga hat sich sehr gefreut. Sie hat jetzt im Ganzen bekommen: Ein Buch, ein Spiel, eine Tasche, einen Ball, eine Kaffeekanne (die von Alice, der Pudel) Pralinen, Bonbons, Gebäck, Pflaumen, von den Eltern 3,-, von Vater Pralinen und 1,50 Mk. Dein Päckchen ist leider noch nicht angekommen. Dein  Bild haben wir den ganzen Tag mit auf den Geburtstagstisch gestellt, damit Du doch wenigstens mit dabei bist.
Jetzt sind die Kinder in die Stadt gefahren und wollen für meinen Geburtstag etwas kaufen. Ich habe nicht mitdürfen. Vorhin kam Vater. Ich habe für ihn gleich noch Brot und Milch mitgebracht, da brauchte er doch nicht erst noch in die Stadt. Er hat sich jetzt noch eine Weile ausgeruht und will nun heimgehen. Soeben sind auch die Kinder heimgekommen. Sie haben natürlich sehr geheimnisvoll getan und ich durfte ja nicht gucken. Wir wollen nun essen. Es gibt noch einmal Pflaumenkuchen.
Ich mache nun wieder Schluß. Sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.