Freitag, 8. Dezember 2017

Brief 458 vom 3.12.1942


Mein liebsterErnst!                                                    Konstanz, 3. Dez. 42

Heute war ich zum ersten Mal wieder im Nähen, und zwar von 3 bis 6 Uhr. Es waren ca. 20 Frauen da. An unserem Tisch saßen wir zu viert. Von der Frau, die neben mir saß, ist der Mann vor einem Jahr gefallen. Mir gegenüber saß eine Frau, die sagte, als von Weihnachtspäckchen geredet wurde: „ Voriges Jahr habe ich an drei Soldaten Päckchen geschickt. Sie haben sie aber nicht erhalten und dieses Jahr sind alle drei schon tot“. Als sie das sagte, senkte sie ihren Kopf auf ihre Arbeit, damit man nicht sehen sollte, dass sie weinte. Da sieht man erst wieder, wie viel Leid es gibt. Der Mann der anderen Frau, die noch am Tisch saß, ist auch in Rußland. Erst ging das Nähen etwas langsam, aber als ich mich wieder eingearbeitet hatte, ging es gleich rascher. Ich bin gern wieder hingegangen.
Am Nachmittag kam das Päckchen von Frau Diez an mit Hemdenstoff, hellblau mit ganzschmalen dunkelblauen Streifen. Ich soll Jörg ein Sporthemd und Helga vielleicht ein Bluse davon machen.
Frau Diez schreibt, dass ihr Sohn hätte auf Urlaub kommen sollen, dass aber nichts daraus geworden ist, da er zu einer Übung abkommandiert wurde. Vielleicht sei es besser so, denn seine kleine 2 ½ jährige Tochter ist ins Krankenhaus gekommen. Sie hatte voriges Jahr mit dem Ohr zu tun, das aufgemeißelt werden musste, und jetzt hat sie Mittelohrentzündung bekommen. Der Vater der jungen Frau und noch Geschwister sind jetzt aus Palästina zurückgekommen und wohnen jetzt in der Wohnung von Frau Diez, während sie zu ihrer Tochter gezogen ist. Augenblicklich ist Frau Diez auch krank und liegt im Bett. Sie hat sich erkältet und schreibt, dass sie sehr merkt, dass sie älter wird und ihre Kräfte nachlassen.
Als Du hier auf Urlaub warst, sagte ich Dir doch, dass mein Alltagsregenmantel entzwei geht. Ich habe mir nun heute so ein durchsichtiges Regencape gekauft. Ich werde ja sehen, wie lange es hält. Etwas anders war nicht zu haben und es ist ja modern. Für die Kinder habe ich heute auch noch etwas gekauft. 1 Karton Buntstifte, 1 Zeichenblock (vielleicht bekomme ich noch einen, damit jeder einen hat), dann 2 Guckrollen, ich weiß nicht, ob Du sie kennst. Man schaut durch ein kleines Loch hinein, dreht die Rolle, und da kommen lauter verschiedene Figuren aus Perlen.
Über Mittag habe ich noch von einem Pfund Mehl Ausstecherle gebacken, damit ich die Päckchen an Erna und Papa bald fertig machen kann.
Helga wollte heute Abend, nachdem sie von der Probe wiederkam, noch an Dich schreiben. Da sie aber erst noch Schulaufgaben machen musste, war sie zu müde dazu. Und es war auch zu spät. Sie war so froh, als sie im Bett lag. Jörg auch. Er war heute mit runter gegangen zum Ziegelhof. Dort im Hindenburgblock wohnen einige Schulkameraden von ihm. Mit denen hat er den ganzen Nachmittag gespielt. Nachdem es dunkel wurde, hat er noch eine Weile bei mir gesessen und hat seine Schulaufgaben gemacht. Wir hatten die Tafel mitgenommen. Helga holte uns dann ab und wir sind zusammen Heim gegangen. Am Nachmittag habe ich auch noch meine Wäsche fertig gebügelt. Jetzt muss ich mal wieder Sachen ausbessern, sobald ich dazu komme.
Von Jörg muss ich Dir noch was erzählen. Er hatte doch ein Bild vom Wald gemalt. Nun hat er heute seine Lehrerin gefragt, ob sie´s haben will. Sie hat jawohl gesagt, es käme mit auf den Weihnachtstisch. Da hat er sich sehr gefreut.
Bei uns hat seit gestern das Wetter umgeschlagen. Es ist gar nicht mehr sehr kalt. Dafür regnet es aber immer mal.
Wir brennen jetzt doch meist die Tischlampe. Da mussten wir die Leitungsschnur immer bis zum Stubenstecker legen. Das war mir zu dumm. Ich hatte noch ein Stück Schnur da. An diese habe ich einen Stecker gemacht, an die Lampe habe ich die Steckerfassung (heißt die so?) geschraubt. Da schließe ich die Stehlampe jetzt an. So brauchen wir uns nicht mit der langen Schnur ärgern und drüber stolpern kann auch niemand. Es ist die Schnur vom alten Tauchsieder.
Nun, mein lieber Ernst, lass mich wieder schließen. Ich grüße und küsse Dich wieder recht zärtlich, Deine Annie.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen