Mittwoch, 9. März 2016

Brief 136 vom 5./6.3.1941


Mein lieber, lieber Ernst!                                                         Konstanz, 5.3.41 abends                                              

Als wir heute aus der Stadt kamen, war Dein lieber Brief vom 4.3. da. Ich habe mich sehr darüber gefreut. Hab recht vielen Dank dafür.
Nun sind die Päckchen angekommen, wenn auch etwas verspätet. Denn der Kuchen sollte doch zum Sonntag sein. Diesmal richte ich mich danach und schicke deshalb schon morgen den Sonntagskuchen ab. Ich bin ja so froh, daß Du jetzt einmal in der Nähe bist, daß ich Dir wenigstens zum Sonntag einen Kuchen schicken kann. Ich habe Dich ja so lieb und möchte Dir deshalb doch auch etwas zuliebe tun. Wenn Du ein paar Marken übrig behältst, so schadet das ja nichts. Denn wenn Du die regulären Marken bekommst, wirst Du nicht viel übrig haben. Da hast Du dann immer noch ein bißchen Reserve. Wenn ich Dir etwas schicke, brauchst Du Dir wegen uns keine Gedanken zu machen. Wir haben bestimmt genug für uns. Wenn man drei Marken hat, ist es doch anders als mit einer, da kann man eher einmal ausgleichen und außerdem können wir uns immer mal mit Kartoffeln aushelfen. So mache ich mal Kartoffelpuffer und Kartoffelbrei oder Grieß usw. Wir kommen bestimmt mit unseren Sachen aus. Bei den Fleischmarken war es ja schon immer so, daß ich welche übrig hatte, das kommt eben Dir jetzt zugute. Das Fett und das Öl von Dir hilft mir ja auch viel. Da bin ich auch nicht so knapp dran. Ich freue mich jedenfalls, daß ich Dir auch einmal etwas schicken kann, Du lieber Kerl.
Es freut mich, daß es Dir gesundheitlich wieder besser geht, aber schone Dich nur noch, denn ich weiß es ja von mir, mit der Niere ist immer gleich wieder etwas los.
Bei uns ist jetzt auch nicht gerade schönes Wetter. Als wir heute in der Stadt waren, sind wir in einen richtigen Schneesturm gekommen. Es hat zwar gleich wieder getaut, aber naß war ich doch. Ich hatte mit Jörg alte Zeitungen fortgeschafft. Jörg habe ich bei dem Wetter in den Wagen gesteckt und mit einem Sack zugedeckt. Da hat er es trocken gehabt, Helga war zuhause geblieben, da Ingrid sie besucht hat. Bei dem Wetter waren sie einstweilen im Vorraum. Ich frage Ingrid, ob sie nicht in die Spielschar ginge. Da sagte sie, sie dürfe nicht mehr. Die Frau S. habe gesagt, „es sollte keiner mehr in die Kirche gehen, denn da müßte sie sich vor dem Führer schämen. Was wohl der Führer dazu sagen würde.“ Ich glaube, der Führer würde ihr ein Paar auf Maul geben. Die Margret darf auch nicht mehr in die Spielschar. Ich gebe ja nichts auf´s Kirchegehen, aber ich  finde, die Frau hat kein Recht so etwas zu sagen.
Heute habe ich auch noch ziemlich schwierige Fragen beantworten müssen. Helga fragte mich, ob es einen Nikolaus, einen Weihnachtsmann, ein Christkind und einen Osterhasen gibt.  Kinder in der Klasse hatten sich darüber unterhalten und sie ausgelacht, weil sie an den Nikolaus glaubte. Belügen will ich die Kinder ja nicht und so habe ich es ihnen eben erklärt. Helga war ziemlich enttäuscht, Jörg weniger. Er sagte, das ist nicht so schlimm, das habe ich bis morgen früh wieder vergessen, Helga fragte, wer macht denn dann den Nikolaus. Ich sagte, irgendwelche Leute. Da fing sie an zu weinen. Ich fragte, warum sie weine. Ich schäme mich, daß ich vor Leuten gebetet habe und gesungen. Ich fragte, würdest Du Dich auch vor Vaterle schämen. Nein, sagte  sie. Da sagte ich, siehst Du, unser Nikolaus war Vaterle. Da hat sie gleich wieder gestrahlt und hat gesagt, daß sie sich darüber sehr freut. Ich kann Dir sagen, ganz wohl war mir bei den ganzen Erklärungen nicht. Ich wäre froh gewesen, wenn Du mir einen Teil hättest abnehmen können. Es ist schade, daß der Kinderglaube so schnell zu Ende geht, aber es hat ja keinen Zweck, ihnen etwas vorzumachen. Ich möchte es auch nicht, sonst können sie mir ja nicht mehr glauben, wenn ich sie belügen würde.
Ab morgen muß Helga wieder um 8 und nicht mehr 3/4 9 Uhr in die Schule. Da müssen wir wieder etwas zeitiger aufstehen. Aber das ist ja nicht mehr so schlimm, es wird ja ziemlich bald hell. Man muß sich langsam für das Frühjahr einrichten.
Ich habe heute Fräulein Bucher angerufen und ihr gesagt, daß Du die Bestätigung von dem Kursleiter noch nicht erhalten hast, die Du nachsenden mußt. Sie sagte, daß sie diese Bestätigung dringend brauchen. Darauf habe ich gesagt, daß Du ja auch nichts dafür kannst und selbst froh wärst, wenn Du sie hättest. Du hast ja schließlich selbst ein Interesse daran, daß Dir die 4,- ausgezahlt werden.

Mein lieber Ernst!                                                                                     6.3.

Heute Morgen habe ich nun Deinen Sonntagskuchen gebacken. Hoffentlich schmeckt er Dir wieder.
Sei doch so gut und schicke mir bei Gelegenheit, vielleicht wenn Du Wäsche schickst, den Karton wieder mit, in dem ich Dir vergangene Woche den runden Kuchen geschickt habe. Der paßt so gut  und ich könnte ihn noch einmal verwenden, ebenso vielleicht die Marmeladeeimerchen. Also bei Gelegenheit, es eilt nicht so.
Heute morgen war es sehr kalt. Alles war gefroren. Nun will scheinbar doch noch die Sonne herauskommen. Es war erst sehr neblig. Jörg ist ja sehr froh, wenn er runter kann.
Diesmal bekomme ich keine Schwierigkeiten mit den Brombeerstacheln. Meine Hände verheilen schon wieder gut. Ich bin ja froh darüber. Nur aussehen tun sie noch nicht schön mit den vielen roten Stichen, aber das gibt sich bald.
Wie ist es jetzt eigentlich bei Deinem Kurs? Hast Du Dich schon ein bißchen eingewöhnt, fällt es Dir sehr schwer? Beim vorigen Mal war es ja auch so, daß die ersten Wochen die schwersten waren.
Was sind das für Leute, bei denen Du wohnst? Sind es jüngere oder ältere Leute? Nicht wahr, ich habe heute ziemlich viele Fragen an Dich. Aber Du brauchst sie ja nicht alle auf einmal beantworten. Nimm dir dazu nur Zeit. So ungeduldig bin ich nicht.
Gestern habe ich wieder vergessen, den Durchschlag des Briefes an Kurt mitzuschicken. Ich hole das nun heute nach.
Ich habe Deine Wildlederhandschuhe genäht und gewaschen. Jetzt habe ich aber gesehen, daß das Leder auch am Daumen reißt. Ich werde es fein stopfen, aber ich glaube, so lange halten die Handschuhe nicht mehr. Du hast ja aber noch ein Paar.
Sei Du, mein lieber Schatz, nun recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

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