Dienstag, 26. Mai 2015

Brief 6 vom 26./27.05.1940


Mein lieber Ernst!              26.5. abends                                                                                                                     

Heute Nachmittag bin ich mit den Kindern ein bißchen im Wald spazieren gegangen.
Natürlich haben wir auch Tee mitgebracht, Goldnessel, Salbei, Spitzwegerich, auch einen schönen Strauß Margareten, er ist in Deine schöne Vase gekommen, die Du mir voriges Jahr geschenkt hast.
Einen kleinen Strauß von unserem Spaziergang schicken wir Dir mit. Ich weiß nicht, wie er ankommt, aber ich möchte Dir gern solch kleinen Gruß senden. Hoffentlich bist Du nicht enttäuscht, wenn nur Blumen in dem Päckchen sind.

27.5.

 Wir waren auf dem Fürstenberg, dann sind wir durch‘s Heidelmoos zum Wald gegangen, da quer durch auf den Weg zum Tabor, vorm Tabor, bei der Schonung, sind wir den anderen Weg zurück, den wir auch immer gegangen sind. Am Waldrand haben wir dann noch die Goldnesseln gefunden.
Es war gestern drückend heiß, wie in einem Backofen, heute Nacht hat es geregnet und gleich ein bißchen abgekühlt.
Kurt war gestern wieder auf Fahrt. Er will es noch ausnutzen. Gestern Abend hat er vergessen, daß er noch etwas dazuschreiben wollte, er hat mit seiner Schreibmaschine noch geübt. 
Nun lieber Ernst, will ich schließen. Ich will noch das Päckchen fertig machen.  Sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Lieber Vater! Ich hab noch was vergessen, vom Muttertag. Da hab ich der lieben Mutter ein Spruch gesagt und der heißt: Vaterliebe baut das Haus, Mutterliebe schmückt es aus, Kindesliebe alle Zeit leuchtet hell als Dankbarkeit. Viele Grüße und Küsse von Deiner Helga. Jörg. 


Lieber Ernst!       Konstanz, 27.5.40                                                                                                                            

Eben bin ich von der Post gekommen, wo ich das Päckchen mit Blumen an Dich weggeschickt habe. Hoffentlich lachst Du mich nicht aus, daß ich Dir nun noch Blumen schicke.
Als ich heim kam, waren 2 Briefe von Dir da, da war aber große Freude bei uns. Helga ist nämlich auch da, sie hat erst später Schule.  Am 22., als Du den Brief geschrieben hast, war gerade Dein erstes Schreiben von dort bei uns.
Am Donnerstag früh habe ich gleich an Dich ein Päckchen abgesandt.
Bis jetzt habe ich an Dich abgeschickt: am 23.  ein Päckchen mit Gebäck am 24.  einen Brief mit Bildern am 25.  ein Päckchen mit Wollappen und Dextro-Energen, am 27.  ein Päckchen mit Blumen.
Du wirst sicher inzwischen alles erhalten haben. Mit diesem Brief schicke ich Dir nun Briefpapier und Umschläge mit. 
Aus Deinem Brief geht ja hervor, daß ihr nicht gerade schlecht versorgt seid. Da freue ich mich sehr darüber. Wir leiden ja zu hause auch keine Not. 
Dass Du mit der Lernerei mitkommst, das kann ich mir schon denken, denn an Verstand hat Dir‘s ja nicht gefehlt. Dass die jungen Oberschützen usw. grienen, wenn jemand den Kasernenhof durchmessen muß, ist ja, wenn man´s genau nimmt, menschlich, denn Schadenfreude ist ja für viele die reinste Freude. Denen wird‘s ja zu Anfang auch nicht viel anders gegangen sein. Das, was Du dabei denkst, ist schon richtig.
Wegen dem Rekruten ist es doch komisch, daß immer einige dabei sein müssen, die sich aufspielen. Na, Du bist ja keiner von denen, die sich gleich etwas gefallen lassen. Das ist auch das einzige richtige.  Über unseren Tagesverlauf habe ich Dir ja in den verschiedenen Briefen berichtet. Du brauchst keine Angst zu haben, daß ich mich übernehme. Bis jetzt fühle ich mich gesundheitlich außerordentlich wohl.
Gestern Abend habe ich noch die Sondermeldung gehört, daß Calais genommen wurde. Das ist doch ein großer Erfolg, denn jetzt sind wir den Engländern nahe auf den Leib gerückt. Hast du die Rede vom englischen König gelesen, das ist doch ein gemeiner Lügner und Heuchler. Wir haben ihm ja die richtige Antwort gegeben.
Es ist doch ein stolzes Gefühl, ein Deutscher zu sein. 
Ich habe auch meine Freude daran gehabt, daß Du Dich über die Schokolade gefreut hast. Wenn Du dort, wie Du schreibst, Gelegenheit hast, welche zu kaufen, dann tue es nur. Später hast Du dann wahrscheinlich doch keine Gelegenheit mehr, wenn Du an die Front kommst.  Ich habe mir schon oft gedacht, wie Du in der Uniform schwitzen mußt, so Du doch im Sommer kurze Hosen gewöhnt warst.
Habt Ihr dort auch Freibade-Gelegenheit oder kommt Ihr gar nicht dazu.
Der Heringssalat, den Ihr gehabt habt, das war doch was für Dich. Du machst mir den Mund nicht wässrig, nur macht es mir eine große Freude, wenn Du was Gutes zu essen hast. Die Kinder parieren im Allgemeinen schon. Wenn´s mal Störungen gibt, dann fahre ich mal wieder richtig dazwischen, dann geht‘s schon. Darum brauchst Du Dir keine Sorgen zu machen.
Helga und Jörg habe ich einen herzlichen Kuß von Dir gegeben.
Heute hole ich den ersten Salat aus dem Garten. Das ist doch auch was Gutes, gell? Gestern haben wir wieder Spinat gehabt. Ich muß diese Woche auch wieder welchen holen, denn der wächst wie wild. Wir essen ihn ja gern und er ist auch gesund.
Auf dem Beet von den Möhren haben wir damals keine Radieschen, sondern Eiszapfen gesät. Sie sind noch nicht ganz soweit. Helga hat bei ihrem Gärtchen jetzt mit großem Stolz 2 Radieschen geerntet. Einstweilen will ich schließen, vielleicht kann ich heute Abend noch was schreiben. 

Lieber Vater! Ich will dir auch noch selber schreiben, daß ich Radieschen geerntet habe. Wir waren gestern im Wald, da war es sehr heiß. Da haben Goldnesseln gestanden, da haben wir sie alle weggeholt. Heute früh haben wir ein Päckchen weggeschickt, da sind Blumen drin. Weil ich Dich lieb hab, schreibe ich Dir ein Brief. Heute Mittag gibt es schönen Salat, ich freue mich schon lange darauf. Viele Grüße und Küsse von Deiner Helga. 

Lieber Ernst!         abends 8 Uhr

Heute bei Tag war ich nicht im Garten, da ich Einkaufen und waschen mußte, aber heute Abend habe ich meinen Rundgang gemacht. Gestern schrieb ich Dir, daß sich bei den halbhohen Bohnen schon die Erde lockert, heute sind sie schon halbfingerhoch über dem Boden. Die Buschbohnen haben auch schon alle große Blätter, sie sind alle, ohne einen Ausfall, hoch, die letzten, die Du gesteckt hast, kommen jetzt auch heraus.
An den Erdbeerpflanzen sind schon schöne große Erdbeeren dran.  Die Stachelbeeren haben schon fast normale Größe.
Heute Abend habe ich wieder 4 ½ Pfund Rhabarber geerntet. Die neu gesetzten Salatsetzlinge machen sich schon gut. Der Salat heute Mittag war ein Genuß. Morgen will ich wieder einige Reihen Kartoffeln hacken.
Herr Steinmehl hat mir einige Blumenkohlsetzlinge in wenigen Tagen angeboten, jetzt sind sie noch zu klein. Ich werde sie annehmen, ich habe ihm ja auch Bohnen gegeben. Heute hat es sich tagsüber wieder schön aufgeklärt und heute Abend ist jetzt noch Sonnenschein und ganz blauer Himmel. Ein herrliches Bild. Die Welt ist doch so schön.
Unser Baum, den ich jetzt vom Sonnenschein beschienen sehe, hat sich schön belaubt. Wenn Helga an Dich schreibt, darf ich ihr nie helfen, darum sind manchmal Fehler drin, das ist doch nicht schlimm, nicht wahr?
Jörg hat Dir heute das Tintenfaß und den Federhalter gemalt, mit dem er schreibt. Er schreibt auch nur noch mit Tinte, einen Bleistift lehnt er ganz entschieden ab. Sein Neuestes ist, daß er immer das Datum dazuschreibt. Er hat mir vorgeschlagen, daß ich kein‘s schreiben brauchte, das machte er schon.
Er hat mir heute auch noch mal Salbei gebracht.
Helga hat morgen wieder ½ 2 Uhr Schule, weil sich die unteren Klassen in 3 Zimmer teilen müssen. Die größeren Kinder gehen jetzt in der Stadt zur Schule, den kleineren hat man‘s noch nicht zumuten wollen. 
An eins wollte ich Dich noch erinnern. Vergiß nicht, auch einmal ein paar Zeilen an Dora zu schreiben, sonst ist sie evtl. böse mit uns. 
Nun, mein lieber Mann, will ich schließen. Ich packe das Päckchen heute Abend noch, damit ich‘s morgen früh gleich wegtragen kann.  Sei nun recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

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