Donnerstag, 7. Mai 2015

Brief 1 vom 15.05.1940 (mehrere zusammengefasst!)





Mein lieber, lieber Ernst !           Konstanz, 15.Mai 1940

 Ich kann es noch gar nicht fassen, daß Du nicht mehr hier bei uns bist. Ich glaube, ich bin doch nicht tapfer, denn ich muß dauernd heulen. Du bist der Mittelpunkt und die Seele unserer Familie und Du fehlst nun. Es ist alles so leer hier. Wir sind vorhin heim gekommen, nachdem die Kinder Holzsandalen bekommen haben.  Trotzdem sie sich sehr darüber freuen, weint Helga immer nach Dir. Ich habe es vorhin gar nicht in der Wohnung ausgehalten und so sind wir noch in den Garten gegangen und ich habe noch Gurken gesteckt und auch Erbsenreisig habe ich gesteckt. 

Es ist jetzt ¼ 7 Uhr und Du wirst bald in Immendingen sein. Ich kann ja den Brief heute nicht wegschicken, aber ich muß mit Dir reden, wenn‘s auch nur im Brief ist. Lieber Ernst, ich will mich bemühen, recht tapfer zu sein, habe nur ein bißchen Geduld. Wir haben in der Küche ein kleines Bild von Dir aufgehängt, eines, das wir gemacht haben, als wir auch mich photografiert haben. Du hast ja das Bild von mir mit. Wenn ich mir das Bild ansehe, wie Du so lieb lächelst, da wird mir noch ganz weh. Vielleicht kann ich Dich bald auch anlächeln, wenn auch nur auf dem Bild, jetzt kommen immer noch die dummen Tränen. Während ich hier schreibe, hat Helga schon den Abendbrottisch gedeckt und auf Deinen Platz das Bild von Dir gelegt, wo Du in den Lederhosen bist. Wir lassen Deinen Platz immer frei, bis Du wieder bei uns bist. Das Bild hat übrigens Jörg hingelegt. Helga sitzt jetzt gerade neben mir und weint wieder fest. Du wirst so sehr vermißt.

Lieber Vater!
Ich wär so froh, wenn Du da wärst. Ich tue heut so viel weinen, wenn Du nicht da bist. Jörg hat Dir auch schon ein Bild gemalt, weil er noch nicht schreiben kann. Er hat vorhin auch fest geweint und gesagt: Man weiß vorher gar nicht, wie schlimm das ist, wenn Vaterle nicht da ist, aber jetzt ist es ganz fest traurig. 

Sei nicht böse, lieber, lieber Ernst, daß wir so traurig nach Dir sind, aber wir haben Dich alle auch so sehr lieb. Daran bist Du schuld, weil Du immer so gut zu uns warst.  

16. Mai Guten Morgen, mein lieber Ernst!

Jetzt ist schon wieder ein neuer Tag angebrochen. Wo wirst du jetzt sein? Ich wüßte es so gern. Wir sind gestern Abend alle zusammen ¼ 9 Uhr schlafen gegangen. Ich habe bis ½ 11 Uhr mit in Helga‘s Bett geschlafen, denn Helga und Jörg haben beide um Dich so geweint, daß ich sie habe nicht so allein lassen können. So haben sie noch von Dir erzählt und sind dann eingeschlafen. Heute früh haben sie auch gleich von Dir erzählt, wie Du immer so lieb warst und wenn Jörg aus dem Bett kam, gesagt hast: „Ach, da kommt ja noch einer.“ Helga sagt immer: „Vaterle ist so ein lustiger Mann und jetzt ist er nicht mehr da.“  Jörg sagte gestern Abend: „Ich muß so  um Vaterle weinen. Mit Vaterle hat man so schön im Wald gehen können, mit Dir allein kann man das nicht so schön.“  Du siehst, da bin ich nicht vollwertig.

Es ist jetzt ¾ 8 Uhr und ich will an´s schaffen gehen. 

5 Minuten nach 8 Uhr. Jörg liegt in der Küche auf der Matratze und malt für Dich ein Bild Er ist mit Eifer dabei. Das Bild mit einer 15 ist von gestern, denn er hat extra gefragt, welcher Tag ist und hat dann eine 15 hingemalt.  Ich habe  gestern wegen den Briefmarken gefragt auf der Post. Sie haben immer noch keine. Ich frage nächste Woche noch mal  nach.

5 Minuten nach 10 Uhr Lieber Ernst! Du hast mir eine ganz große Freude gemacht, daß Du mir gleich geschrieben hast. Vielen, vielen Dank. Ich lebe gleich ein bißchen auf. Von Nanni ist auch eine Karte gekommen. Sie fragt an, ob wir ihre Bücklingsendung bekommen haben. Inzwischen wird sie ja unseren Brief bekommen haben. Auch  von Elsa Legler ist eine Pfingstkarte gekommen.

½ 8 Uhr. Nun ist Feierabend und jetzt kommt die Erholung, das reden mit Dir, wenn auch nur im Brief. Seit 5 Uhr regnet es ziemlich, so daß ich morgen nicht gießen brauche. Heute habe ich das meiste gegossen, auf die Schwarzwurzeln.  Gestern habe ich auch noch „Gretl im Busch“ ausgesät.  Heute habe ich auch noch Besuch bekommen. Du ratest sicher schon wer, Resi. Sie ist vorbeigefahren und hat Helga gefragt, wie es Dir und mir geht. Dabei hat sie erfahren, daß du fort bist. Da ist sie gleich hereingekommen. Sie war natürlich ganz erstaunt und sagte dann, daß es Fritz auch gar nicht recht ist, daß er nicht mit fort kommt. Er wäre vorige Woche bei seinem Chef gewesen, der hätte gesagt, vor Juni käme es gar nicht in Frage. Ich sagte ihr, daß Fritz zu Dir gesagt hat, es wäre ihm ganz gleich, wenn er zu hause bliebe. Darauf erwiderte sie, da wäre er sicher nur verärgert gewesen, denn wenn wieder welche fort kämen, wäre er ganz anders und wollte am liebsten auch mit fort, er bekäme einen Moralischen. Man kann ja da glauben, was man will. Sie will mich jetzt öfter besuchen.  Das hat sie ja schon öfter gesagt und ist nicht gekommen, so wird es auch diesmal nicht so schlimm werden, wie es aussieht. Heute hat mir Herr Schwer auch Erbsenreisig gegeben.  Heute hat es bei den Kindern schon Heimlichkeiten wegen dem Muttertag gegeben. Helga hat zu Jörg heimlich was gesagt, worauf Jörg prompt sagte: „Ich male für‘s Mutterle auch was Schönes.“ Daraufhin heulte Helga natürlich los. Wir haben uns auch vom vorigen Muttertag unterhalten, wo ihr mir die schönen Vasen geschenkt habt. Jörg sagte: „Weißt Mutterle, Du stellst uns 2 Vasen hin, da schenken wir Dir schöne Blumen, Du darfst aber noch nicht wissen, was für welche.“

 ½ 8 Uhr: Eben rief mich Jörg nochmals an‘s Bett, er mußte wieder weinen, weil Du fort bist. Vorhin haben beide, Helga und Jörg, Deinem Bild Küsse gegeben, weil sie Dich so lieb haben.  Abends, wenn die Arbeit vorbei ist, ist doch die schlimmste Zeit, wenn man allein ist, da kommt man sich so verlassen vor. Es war immer so schön, wenn Du neben mir gesessen bist.  Morgen früh will ich auf den Markt fahren und Tomatensetzlinge holen.  Ob Du jetzt schon an Deinem Bestimmungsort bist? Wenn Vater nicht noch kommt, gehe ich auch bald schlafen.

9 Uhr. Vor einer halben Stunde ist Vater nun doch gekommen. Er liest jetzt gerade die Zeitung. 

Es ist jetzt 10 Minuten vor 11 Uhr.  Gerade ist Vater fort und ich gehe schlafen. Vater hat einen Brief an Kurt geschrieben. Ich habe ihn nicht gelesen, sondern nur einen Gruß darunter geschrieben. Nun gute Nacht, lieber, lieber Ernst.  


17. Mai, ¾ 10 Uhr. Lieber Ernst! 

Eben bin ich vom Markt gekommen, wo ich 10 Tomatensetzlinge gekauft habe. Das Stück kostet 15 Pfennig. Es gibt  auch welche zu 12 Pfennig, aber die sind so winzig. Es ist jetzt alles Einheitspreis. Es sind schöne stämmige Setzlinge  und sobald es mit regnen aufhört, es regnet nämlich seit gestern in einem fort, setze ich sie. Ich habe gestern  gewaschen, aber da habe ich gleich gemerkt, daß Du nicht da bist, denn sonst hätte ich sicher Sonnenschein gehabt.  Jörg ist vorhin die ganze Zeit schön brav gewesen, als ich auf dem Markt war. Er hat mit seiner Eisenbahn gespielt. 

½ 2 Uhr. Heute Vormittag habe ich noch die Tomatenstöcke gesetzt. Ich habe je 2 Hand voll Hornspäne  hineingetan und darauf Komposterde, denn, soviel ich weiß, dürfen doch die Hornspäne nicht direkt an die Wurzeln  kommen. Ich habe auch gleich Stöcke dazugetan und die Tomaten festgebunden. Zur Vorsicht will ich Dich nochmals  fragen, man muß doch die Stengel die ich durchgestrichen habe, wegschneiden und das andere alles stehen lassen. 
Dein  Gehaltszettel ist auch gekommen. Er lautet noch auf den vollen Betrag.  Von der Krankenkasse habe ich auch eine  Aufforderung zur kostenlosen Untersuchung von Helga erhalten, wie voriges Jahr beim Buben. Ich muß Anfang  nächster Woche hin zur Auswählung eines Arztes. Schade, daß man Dr. Bundschuh nicht nehmen kann.  Heute  Nachmittag mache ich mich an´s Kohle schichten. Ich war bisher nicht dazu gekommen. Helga sagte mir heute, am  Sonntag sollten wir nach St. Kathrinen kommen, da wird von der Spielschar aus etwas zum Muttertag gemacht,  Gedichte aufgesagt usw. Mal sehen, ob wir hingehen. Ich habe heute auch versucht, einen Ständer für Dein Fahrrad zu  kaufen, aber ich habe keinen bekommen können. Die meisten Geschäfte sind ja wegen Einberufung geschlossen. Bei Gelegenheit gehe ich nochmals zu Frey in die Saarlandstraße. Vielleicht habe die noch welche.

 4 Uhr. Jetzt, als ich eben mit Kohlen schichten fertig bin, kommt Deine liebe Karte aus Stuttgart. Es ist ja wirklich „schnell“ gegangen, bis ihr in Stuttgart wart. Wann werdet Ihr an euerm Bestimmungsort ankommen? Ich danke Dir vielmals, lieber Ernst, daß Du so fleißig an uns schreibst. Ich freue mich immer unbeschreiblich darüber. Ich denke auch die ganze Zeit an Dich, denn wo ich auch zu hause bin, alles erinnert an Dich.  Als ich Jörg eben die Karte von Dir zeigte, fing er gleich an zu weinen. Er sagte, er weint wegen Dir, weil Du immer so lieb warst. Er hat sich gleich vorgenommen, wieder ein schönes Bild für Dich zu malen. Es regnet jetzt wieder die ganze Zeit, nachdem es heute Vormittag ein bißchen aufgehört hatte, da muß Jörg natürlich oben bleiben, was ja nicht so nach seinem Geschmack ist. Helga ist in der Spielschar.

 Lieber Ernst!  Das Essen will mir noch gar nicht recht schmecken, wenn Du nicht da bist. Du fehlst mir so. Wenn wir uns guten Appetit wünschen, so schließen wir nicht den Ring, sondern lassen ihn nach Deinem Platz zu offen, denn Du sollst nicht ausgeschlossen sein. Du brauchst Dir aber keine Sorgen wegen uns zu machen. Ich halte schon alles in Ordnung und mit den Kindern muß ich eben öfter mal energisch werden, vor allen Dingen muckt natürlich Jörg manchmal auf. Aber ich bin ihm schon gewachsen. 

10 Min. vor 11 Uhr. Mein lieber Ernst. Wir haben heute Abend noch Luftschutzübung gehabt, diesmal im Nebenhaus. Das soll jetzt jede Woche einmal durchgeführt werden. Als Frau Ehret bei ihrem Mann war, ist sie mit Leuten aus Freiburg zusammen gekommen, die bei  dem Bombenangriff dabei waren, der eine hatte seine Frau dabei verloren und Engländer haben doch einen traurigen Mut, es sind die reinsten Meuchelmörder.  Ich habe heute Abend noch die Photoalben eingerichtet, jetzt brauche ich die Bilder nur noch einzukleben. Ich habe die Alben in eine Aktenmappe getan, damit ich sie bei evtl. Angriffen mit in den Keller nehmen kann. Wenn wir auch alles verlieren sollten, die Bilder von uns allen, die Erinnerung an fröhliche Stunden, möchte ich nicht umkommen lassen. Lieber Ernst! Ich sorge mich so um Dich. Laß Dir nur nichts passieren. Ich denke die ganze Zeit an Dich. Es ist inzwischen 11 Uhr geworden und ich will schlafen gehen. Gute Nacht, mein lieber, guter Ernst.   


18. Mai  5 Minuten nach ½ 8 Uhr. Guten Morgen, mein lieber Mann!

Heute habe ich schon die 2. Nacht von Dir geträumt. Das war schön, aber beim Aufwachen bist Du nicht da. Helga ist vorhin zur Schule gegangen und Jörg sitzt mir gegenüber und ißt. Er ist eine kleine Schlafmütze geworden und steht immer erst ¼ 8 Uhr auf. Ich würde ihn ja vorher wecken, aber bei dem kühlen Regenwetter, das heute wieder herrscht, hat das ja keinen Wert, er kann sowieso nur oben spielen. Jetzt hat sich Jörg wieder einen wunderschönen Bart angemalt, Du weißt ja noch, wie schön er da aussieht.

 ¾ 3 Uhr Jetzt will ich gerade mit den Kinder in die Stadt gehen. Vorher will ich Dir aber noch einen kurzen Gruß senden. Wo wirst Du jetzt sein?  Ich denke immer an Dich.  Jetzt kam gerade eine Sondermeldung, daß unsere Truppen in Antwerpen einmarschiert sind. Das sind doch alles großartige Leistungen, die unsere Soldaten vollbringen.

¾ 10 Uhr. Nun ist Feierabend, lieber Ernst. Nun will ich Dir auch noch unseren Nachmittags-Verlauf erzählen. Heute haben die Kinder ihre Sparkassen geleert, jeder hatte 57 Pfennig. Davon haben sie Dir und mir etwas gekauft. Jörg hat Dir ¼ Pfund Gebäck gekauft und Helga Waffeln und Hustenbonbon. Sie wollen Dir doch gern ein Päckchen schicken. Von dem restlichen Geld habe ich mir noch etwas wünschen können.  Sie haben mir dann einen Teller aus Kunstharz gekauft. Es gibt nur noch einzelne Stücke, denn Sachen aus Kunstharz werden während des Krieges nicht mehr hergestellt.  Du hättest einmal sehen sollen, mit welchem Stolz Helga und Jörg ihr Geld auf den Ladentisch gelegt haben. Jörg hat es natürlich auch selbst aufgezählt. Helga und Jörg sind ganz besorgt, ob Du Dich auch freuen wirst. Ich darf heute nicht mehr in die kleine Stube, denn da haben sie schon aufgebaut zum Muttertag.  Heute habe ich auch Fritz getroffen. Da siehst Du erst mal wie sie lügen. Fritz sagte, er hätte noch nichts unternommen, um wegzukommen, denn es sei doch zwecklos, während Resi gesagt hat, er wäre bei seinem Chef gewesen. Na ja, lassen wir sie gehen. Heute haben mich auch Frau Meßmer und Kusters angesprochen. Mit wahrer Leidensmiene sagten sie, sie hätte gehört, daß Du fort bist. Ich lasse es mir ja fremden Leuten gegenüber nicht merken, wie es mir um‘s Herz ist, sondern tue ganz gelassen. Was brauchen andere Leute alles wissen. Daß Du mir fehlst, geht die anderen ja nichts an.
Morgen Vormittag gehe ich mit den Kindern ins Kino, ich lege das Programm bei. Das interessiert mich sehr und ich kann da die Kinder mitnehmen. Staunst Du nicht, was ich schon unternehme. Böse wirst Du mir deswegen nicht sein.  Ein paar Minuten nach ¼ 10 Uhr kam Vater noch. Er hatte einen kleinen Unfall. Im Geschäft ist ihm an der Sägemaschine 1 Stück Holz gegen den Magen geschlagen, daß er gar nicht mehr hat schnaufen können. Auch die linke Hand ist etwas aufgeschlagen. Er hat Heftpflaster drüber. Er ist sehr froh, daß es so gut abgelaufen ist. In ein paar Tagen, denkt er, wird wieder alles heil sein. Anfang nächster Woche stupfe ich noch die restlichen Stangenbohnen. Geregnet hat es ja wieder gut, so daß sie gut wachsen sollten. Heute Nachmittag hatte sich‘s übrigens aufgeklärt. Infolge des Regens ist es etwas kühl geworden, so daß man im Zimmer gut noch ein bißchen Feuer brauchen kann. 5 Minuten vor 11 Uhr ist Vater jetzt gegangen und ich gehe jetzt schlafen. Gute Nacht, mein lieber, lieber Ernst. 


½ 10 Uhr Mein lieber, lieber Ernst!

Wir wollen jetzt in den Film gehen. Da tue ich mir, wie du es gewünscht hast, Deine Uhr um. Heute ist eine Karte zum Muttertag von Siegfried gekommen. Er ist jetzt in Plauen. Auch von Kurt ist ein Brief gekommen, ich lege ihn bei. Er hat also unsere Karte vom Haldenhof noch nicht bekommen. Nur von Dir ist gestern und heute nichts gekommen. Du siehst, ich bin schon wieder verwöhnt.

½ 4 Uhr Lieber Ernst! Jetzt muß ich Dir eine Enttäuschung bereiten. Der Film ist nichts geworden. Er ist scheinbar falsch aufgelegt worden, denn nur das rote Schutzpapier ist vorbeigegangen und hat sich auf die andere Rolle gewickelt, der Film hat sich auf der ersten Seite in die Spannrolle gedreht und ist gar nicht mitgerollt. Ich bin jetzt sehr enttäuscht, daß wir keine Bilder noch von uns allen zusammen haben. Es läßt sich nun nicht ändern. Es ist gut, daß wir die Sonntage vorher Aufnahmen gemacht haben.  Heute früh haben die Kinder mich nun überrascht. Sie schenkten mir jeder 1 Strauß Schlüsselblumen. Ich mußte dann mit in die Stube, da hatte Helga 2 und Jörg 1 Bild gemalt, davor hatten sie den Teller gestellt. Dann hat Helga noch ein Gedicht aufgesagt. Sie will Dir‘s selber schreiben. Heute Mittag haben sie mir noch einen Strauß Margaritten und Hafermark geschenkt. Ich habe mich wirklich sehr gefreut. 
Der Film war heute sehr interessant. Erst war der Kampf in Polen, d.h., ein Teil der Wochenschau zu sehen, dann Dänemark und Norwegen, zuletzt Holland, Belgien, Luxemburg. Da müssen die Soldaten tatsächlich große Leistungen vollbringen.  Die Veranstaltung in St. Kathrinen ist abgesagt worden, da sind wir zu hause geblieben. Die Kinder spielen noch unten, denn es ist heute wieder schönes Wetter, nur ein bißchen windig. Morgen will ich wieder mal im Garten schaffen.  Ob Du heute auch Radio hörst, ob Ihr überhaupt welches habt? Vielleicht kommt morgen wieder Nachricht von Dir.  Gestern war ich nochmals auf der Post und habe die Briefmarke vom 1.Mai bekommen, eine verwerte ich und lasse sie zurückschicken.

½ 11 Uhr. Lieber Ernst. Heute nur noch einen kurzen Gruß. Vater war bis jetzt da und ich habe gestopft. Jetzt bin ich sehr müde. Gute Nacht, lieber, lieber Ernst. 


½ 12 Uhr Lieber Ernst.!

 Damit Du siehst, daß ich nicht nur schreiben, sondern auch schaffen kann, bin ich heute, es ist strahlender Sonnenschein, in den Garten gegangen. Ich habe noch die restlichen 2 Sorten Stangenbohnen und die halbhohen Bohnen gesteckt. Da ich noch viel halbhohe übrig hatte und Herr Steinmehl überhaupt keine dieses Jahr hatte, habe ich ihm auf seinen Wunsch hin welche gegeben. Du wirst doch nichts dagegen haben. Ich habe bei den Möhren das Netz weggetan und im ganzen Garten Unkraut gejätet, nach dem Regen schießt es jetzt kolossal. Dann habe ich überall den Boden gelockert, auch hüben bei Kohlrabi und Salat. Ich habe auch die Stachelbeersträucher abgestützt. Als ich beim Schaffen war, brachte mir Helga Deine zwei lieben Karten aus Salzburg und St. Pölten. Ich habe mich so sehr darüber gefreut. Die Karte von Salzburg, die Du am 17. vormittags geschrieben hast, ist erst am 18. abgestempelt, die andere am 17. Ich danke Dir, daß Du so treu an mich bezw. an uns denkst.  Helga hat heute und morgen keine Schule. Das Schulhaus wird geräumt, es wird Lazarett. Entweder haben sie dann im Bubenschulhaus, aller Wahrscheinlichkeit nach aber im Kloster überm Rhein Unterricht. Es wäre ja ein ziemlich langer Weg, aber für unsere verwundeten Soldaten kann man schon kleine Unannehmlichkeiten in Kauf nehmen.  Nun muß ich erst mal mit schreiben aufhören, denn wir haben alle langsam Hunger. 

 ¾ 9 Uhr Lieber Ernst!

Heute Nachmittag habe ich noch die Brombeeren verschnitten. Es waren noch manche erfroren, aber die anderen treiben jetzt ganz gut.  Ich habe sie auch wieder festgebunden. Zerkratzt sehe ich ja jetzt ein bißchen aus.  Im Garten drüben kommen jetzt auch schon die Buschbohnen raus. Auch viele Kartoffelstauden gucken schon lustig in die Welt. Die Radieschen neben den Stangenbohnen sind auch sehr gut gekommen, ebenso die Rettiche bei den Kohlrabi. Die letzteren haben schon die Bewunderung unserer Nachbarn erregt. Frau Nußbaumer, Frau Schwehr usw. waren ganz erstaunt, daß wir schon so schöne „Kohlräble“ haben, daß sie so gut ansetzen. Schon kleine „Knöllele“ hätten sie. Morgen essen wir das erste Mal vom jungen Spinat. Die restlichen Blätter vom Winterspinat verwende ich noch und dann reiße ich ihn heraus. Heute hat mir Jörg schon wieder 2 Riesensträuße angeschleppt gebracht. Das ist ja seine große Leidenschaft, Blumen pflücken. Ich habe schon fast alle Vasen voller Blumen, schön lustige, bunte. Eine wahre Pracht. Ich habe jetzt abbremsen müssen, sonst hätte Jörg mir noch einen ganzen Arm voll gebracht.  Ich glaube, unsere Stare haben wieder Junge, denn es ist den ganzen Tag ein Gezwitscher und Herumgefliege. An unseren Staren haben wir doch schon viel Freude gehabt, nicht wahr?  Ich erledige jetzt nur noch meine Arbeiten, die Milch abkochen, und gehe heute, wenn Vater nicht kommt, mal ein bißchen eher schlafen. Das tut mir auch gut. Wenn ich Dich jetzt hier hätte, bekämst Du mal wieder recht herzliche Küsse. So kann ich Dich bloß herzlich grüßen und Dir eine recht gute Nacht wünschen. Gute Nacht, mein lieber Mann, mein lieber Ernst.


2 Uhr Lieber Ernst!

Heute bin ich noch gar nicht zum Schreiben gekommen.  Ich war heute beim Verband wegen der Untersuchung von Helga. Man hat jetzt doch wieder Dr. Bundschuh nehmen können. Außerdem war ich auf der Bank. Ich hatte nämlich ein ungültiges 2-Mark-Stück bekommen, das habe ich umgetauscht. Da hatte ich mal nicht aufgepaßt, vielleicht habe ich zu viel an Dich gedacht? 

Es ist jetzt 5 Uhr und ich bin eben vom Garten gekommen. Ich habe wieder gejätet und es sieht wieder sauber aus, nur bei den Kartoffeln noch nicht, da habe ich erst 3 Reihen hacken können, die anderen kommen in einigen Tagen dran, wenn sie genügend groß sind. Am Zaun habe ich noch Bohnen gesteckt, das hattest Du doch, soviel ich weiß, noch nicht gemacht. Wir essen jetzt gleich, weil ich heute noch ins Sturmbüro fahren und Deinen Mantel wegschaffen will. 

¼ 9 Uhr. Soeben bin ich wiedergekommen. Ich war im Sturmbüro, da aber niemand da war, bin ich zum Schott gefahren. Die Straßennummer habe ich mir erfragt. Ich habe mir eine Bestätigung für den Mantel geben lassen. Jetzt schreibe ich noch an Kurt einen Brief. Viel weiß ich ja nicht zu schreiben, denn Kurt hat immer so wenig geredet, so daß man eigentlich gar keine gemeinsamen Interessen hat. Vielleicht kannst Du ihm mal ausführlicher schreiben. Aber vergiß mich dabei nicht. Ich warte immer auf Nachricht von Dir.  Ich schicke Dir heute einen Zeitungsausschnitt, der Dich sicher auch  interessieren wird.
 ½ 11 Uhr  Ich gehe jetzt schlafen. Gute Nacht, mein lieber Ernst. 

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