Mein lieber, lieber Ernst ! Konstanz, 15.Mai 1940
Ich kann es noch gar
nicht fassen, daß Du nicht mehr hier bei uns bist. Ich glaube, ich bin doch
nicht tapfer, denn ich muß dauernd heulen. Du bist der Mittelpunkt und die
Seele unserer Familie und Du fehlst nun. Es ist alles so leer hier. Wir sind
vorhin heim gekommen, nachdem die Kinder Holzsandalen bekommen haben. Trotzdem sie sich sehr darüber freuen, weint
Helga immer nach Dir. Ich habe es vorhin gar nicht in der Wohnung ausgehalten
und so sind wir noch in den Garten gegangen und ich habe noch Gurken gesteckt
und auch Erbsenreisig habe ich gesteckt.
Es ist jetzt ¼ 7 Uhr und Du wirst bald in Immendingen sein.
Ich kann ja den Brief heute nicht wegschicken, aber ich muß mit Dir reden,
wenn‘s auch nur im Brief ist. Lieber Ernst, ich will mich bemühen, recht tapfer
zu sein, habe nur ein bißchen Geduld. Wir haben in der Küche ein kleines Bild
von Dir aufgehängt, eines, das wir gemacht haben, als wir auch mich
photografiert haben. Du hast ja das Bild von mir mit. Wenn ich mir das Bild
ansehe, wie Du so lieb lächelst, da wird mir noch ganz weh. Vielleicht kann ich
Dich bald auch anlächeln, wenn auch nur auf dem Bild, jetzt kommen immer noch
die dummen Tränen. Während ich hier schreibe, hat Helga schon den
Abendbrottisch gedeckt und auf Deinen Platz das Bild von Dir gelegt, wo Du in
den Lederhosen bist. Wir lassen Deinen Platz immer frei, bis Du wieder bei uns
bist. Das Bild hat übrigens Jörg hingelegt. Helga sitzt jetzt gerade neben mir
und weint wieder fest. Du wirst so sehr vermißt.
Lieber Vater!
Ich wär so froh, wenn Du da wärst. Ich tue heut so viel
weinen, wenn Du nicht da bist. Jörg hat Dir auch schon ein Bild gemalt, weil er
noch nicht schreiben kann. Er hat vorhin auch fest geweint und gesagt: Man weiß
vorher gar nicht, wie schlimm das ist, wenn Vaterle nicht da ist, aber jetzt
ist es ganz fest traurig.
Sei nicht böse, lieber, lieber Ernst, daß wir so traurig
nach Dir sind, aber wir haben Dich alle auch so sehr lieb. Daran bist Du
schuld, weil Du immer so gut zu uns warst.
16. Mai Guten Morgen, mein lieber Ernst!
Jetzt ist schon wieder ein neuer Tag angebrochen. Wo wirst
du jetzt sein? Ich wüßte es so gern. Wir sind gestern Abend alle zusammen ¼ 9
Uhr schlafen gegangen. Ich habe bis ½ 11 Uhr mit in Helga‘s Bett geschlafen,
denn Helga und Jörg haben beide um Dich so geweint, daß ich sie habe nicht so
allein lassen können. So haben sie noch von Dir erzählt und sind dann
eingeschlafen. Heute früh haben sie auch gleich von Dir erzählt, wie Du immer
so lieb warst und wenn Jörg aus dem Bett kam, gesagt hast: „Ach, da kommt ja
noch einer.“ Helga sagt immer: „Vaterle ist so ein lustiger Mann und jetzt ist
er nicht mehr da.“ Jörg sagte gestern
Abend: „Ich muß so um Vaterle weinen.
Mit Vaterle hat man so schön im Wald gehen können, mit Dir allein kann man das
nicht so schön.“ Du siehst, da bin ich
nicht vollwertig.
Es ist jetzt ¾ 8 Uhr und ich will an´s schaffen gehen.
5 Minuten nach 8 Uhr. Jörg liegt in der Küche auf der
Matratze und malt für Dich ein Bild Er ist mit Eifer dabei. Das Bild mit einer
15 ist von gestern, denn er hat extra gefragt, welcher Tag ist und hat dann
eine 15 hingemalt. Ich habe gestern wegen den Briefmarken gefragt auf
der Post. Sie haben immer noch keine. Ich frage nächste Woche noch mal nach.
5 Minuten nach 10 Uhr Lieber Ernst! Du hast mir eine ganz
große Freude gemacht, daß Du mir gleich geschrieben hast. Vielen, vielen Dank.
Ich lebe gleich ein bißchen auf. Von Nanni ist auch eine Karte gekommen. Sie
fragt an, ob wir ihre Bücklingsendung bekommen haben. Inzwischen wird sie ja
unseren Brief bekommen haben. Auch von
Elsa Legler ist eine Pfingstkarte gekommen.
½ 8 Uhr. Nun ist Feierabend und jetzt kommt die Erholung,
das reden mit Dir, wenn auch nur im Brief. Seit 5 Uhr regnet es ziemlich, so
daß ich morgen nicht gießen brauche. Heute habe ich das meiste gegossen, auf
die Schwarzwurzeln. Gestern habe ich
auch noch „Gretl im Busch“ ausgesät.
Heute habe ich auch noch Besuch bekommen. Du ratest sicher schon wer, Resi.
Sie ist vorbeigefahren und hat Helga gefragt, wie es Dir und mir geht. Dabei
hat sie erfahren, daß du fort bist. Da ist sie gleich hereingekommen. Sie war
natürlich ganz erstaunt und sagte dann, daß es Fritz auch gar nicht recht ist,
daß er nicht mit fort kommt. Er wäre vorige Woche bei seinem Chef gewesen, der
hätte gesagt, vor Juni käme es gar nicht in Frage. Ich sagte ihr, daß Fritz zu
Dir gesagt hat, es wäre ihm ganz gleich, wenn er zu hause bliebe. Darauf
erwiderte sie, da wäre er sicher nur verärgert gewesen, denn wenn wieder welche
fort kämen, wäre er ganz anders und wollte am liebsten auch mit fort, er bekäme
einen Moralischen. Man kann ja da glauben, was man will. Sie will mich jetzt
öfter besuchen. Das hat sie ja schon
öfter gesagt und ist nicht gekommen, so wird es auch diesmal nicht so schlimm
werden, wie es aussieht. Heute hat mir Herr Schwer auch Erbsenreisig
gegeben. Heute hat es bei den Kindern
schon Heimlichkeiten wegen dem Muttertag gegeben. Helga hat zu Jörg heimlich
was gesagt, worauf Jörg prompt sagte: „Ich male für‘s Mutterle auch was
Schönes.“ Daraufhin heulte Helga natürlich los. Wir haben uns auch vom vorigen
Muttertag unterhalten, wo ihr mir die schönen Vasen geschenkt habt. Jörg sagte:
„Weißt Mutterle, Du stellst uns 2 Vasen hin, da schenken wir Dir schöne Blumen,
Du darfst aber noch nicht wissen, was für welche.“
½ 8 Uhr: Eben rief
mich Jörg nochmals an‘s Bett, er mußte wieder weinen, weil Du fort bist. Vorhin
haben beide, Helga und Jörg, Deinem Bild Küsse gegeben, weil sie Dich so lieb
haben. Abends, wenn die Arbeit vorbei
ist, ist doch die schlimmste Zeit, wenn man allein ist, da kommt man sich so
verlassen vor. Es war immer so schön, wenn Du neben mir gesessen bist. Morgen früh will ich auf den Markt fahren
und Tomatensetzlinge holen. Ob Du jetzt
schon an Deinem Bestimmungsort bist? Wenn Vater nicht noch kommt, gehe ich auch
bald schlafen.
9 Uhr. Vor einer halben Stunde ist Vater nun doch gekommen.
Er liest jetzt gerade die Zeitung.
Es ist jetzt 10 Minuten vor 11 Uhr. Gerade ist Vater fort und ich gehe schlafen.
Vater hat einen Brief an Kurt geschrieben. Ich habe ihn nicht gelesen, sondern
nur einen Gruß darunter geschrieben. Nun gute Nacht, lieber, lieber Ernst.
17. Mai, ¾ 10 Uhr. Lieber Ernst!
Eben bin ich vom Markt gekommen, wo ich 10 Tomatensetzlinge
gekauft habe. Das Stück kostet 15 Pfennig. Es gibt auch welche zu 12 Pfennig, aber die sind so winzig. Es ist jetzt
alles Einheitspreis. Es sind schöne stämmige Setzlinge und sobald es mit regnen aufhört, es regnet
nämlich seit gestern in einem fort, setze ich sie. Ich habe gestern gewaschen, aber da habe ich gleich gemerkt,
daß Du nicht da bist, denn sonst hätte ich sicher Sonnenschein gehabt. Jörg ist vorhin die ganze Zeit schön brav
gewesen, als ich auf dem Markt war. Er hat mit seiner Eisenbahn gespielt.
½ 2 Uhr. Heute Vormittag habe ich noch die Tomatenstöcke
gesetzt. Ich habe je 2 Hand voll Hornspäne
hineingetan und darauf Komposterde, denn, soviel ich weiß, dürfen doch
die Hornspäne nicht direkt an die Wurzeln
kommen. Ich habe auch gleich Stöcke dazugetan und die Tomaten
festgebunden. Zur Vorsicht will ich Dich nochmals fragen, man muß doch die Stengel die ich durchgestrichen habe,
wegschneiden und das andere alles stehen lassen.
Dein Gehaltszettel
ist auch gekommen. Er lautet noch auf den vollen Betrag. Von der Krankenkasse habe ich auch eine Aufforderung zur kostenlosen Untersuchung
von Helga erhalten, wie voriges Jahr beim Buben. Ich muß Anfang nächster Woche hin zur Auswählung eines Arztes.
Schade, daß man Dr. Bundschuh nicht nehmen kann. Heute Nachmittag mache
ich mich an´s Kohle schichten. Ich war bisher nicht dazu gekommen. Helga sagte
mir heute, am Sonntag sollten wir nach
St. Kathrinen kommen, da wird von der Spielschar aus etwas zum Muttertag
gemacht, Gedichte aufgesagt usw. Mal
sehen, ob wir hingehen. Ich habe heute auch versucht, einen Ständer für Dein
Fahrrad zu kaufen, aber ich habe keinen
bekommen können. Die meisten Geschäfte sind ja wegen Einberufung geschlossen.
Bei Gelegenheit gehe ich nochmals zu Frey in die Saarlandstraße. Vielleicht
habe die noch welche.
4 Uhr. Jetzt, als
ich eben mit Kohlen schichten fertig bin, kommt Deine liebe Karte aus
Stuttgart. Es ist ja wirklich „schnell“ gegangen, bis ihr in Stuttgart wart.
Wann werdet Ihr an euerm Bestimmungsort ankommen? Ich danke Dir vielmals,
lieber Ernst, daß Du so fleißig an uns schreibst. Ich freue mich immer
unbeschreiblich darüber. Ich denke auch die ganze Zeit an Dich, denn wo ich
auch zu hause bin, alles erinnert an Dich.
Als ich Jörg eben die Karte von Dir zeigte, fing er gleich an zu weinen.
Er sagte, er weint wegen Dir, weil Du immer so lieb warst. Er hat sich gleich
vorgenommen, wieder ein schönes Bild für Dich zu malen. Es regnet jetzt wieder
die ganze Zeit, nachdem es heute Vormittag ein bißchen aufgehört hatte, da muß
Jörg natürlich oben bleiben, was ja nicht so nach seinem Geschmack ist. Helga
ist in der Spielschar.
Lieber Ernst! Das Essen will mir noch gar nicht recht
schmecken, wenn Du nicht da bist. Du fehlst mir so. Wenn wir uns guten Appetit
wünschen, so schließen wir nicht den Ring, sondern lassen ihn nach Deinem Platz
zu offen, denn Du sollst nicht ausgeschlossen sein. Du brauchst Dir aber keine
Sorgen wegen uns zu machen. Ich halte schon alles in Ordnung und mit den
Kindern muß ich eben öfter mal energisch werden, vor allen Dingen muckt
natürlich Jörg manchmal auf. Aber ich bin ihm schon gewachsen.
10 Min. vor 11 Uhr. Mein lieber Ernst. Wir haben heute Abend
noch Luftschutzübung gehabt, diesmal im Nebenhaus. Das soll jetzt jede Woche
einmal durchgeführt werden. Als Frau Ehret bei ihrem Mann war, ist sie mit
Leuten aus Freiburg zusammen gekommen, die bei
dem Bombenangriff dabei waren, der eine hatte seine Frau dabei verloren
und Engländer haben doch einen traurigen Mut, es sind die reinsten
Meuchelmörder. Ich habe heute Abend
noch die Photoalben eingerichtet, jetzt brauche ich die Bilder nur noch
einzukleben. Ich habe die Alben in eine Aktenmappe getan, damit ich sie bei
evtl. Angriffen mit in den Keller nehmen kann. Wenn wir auch alles verlieren
sollten, die Bilder von uns allen, die Erinnerung an fröhliche Stunden, möchte
ich nicht umkommen lassen. Lieber Ernst! Ich sorge mich so um Dich. Laß Dir nur
nichts passieren. Ich denke die ganze Zeit an Dich. Es ist inzwischen 11 Uhr
geworden und ich will schlafen gehen. Gute Nacht, mein lieber, guter
Ernst.
18. Mai 5 Minuten
nach ½ 8 Uhr. Guten Morgen, mein lieber Mann!
Heute habe ich schon die 2. Nacht von Dir geträumt. Das war
schön, aber beim Aufwachen bist Du nicht da. Helga ist vorhin zur Schule
gegangen und Jörg sitzt mir gegenüber und ißt. Er ist eine kleine Schlafmütze
geworden und steht immer erst ¼ 8 Uhr auf. Ich würde ihn ja vorher wecken, aber
bei dem kühlen Regenwetter, das heute wieder herrscht, hat das ja keinen Wert,
er kann sowieso nur oben spielen. Jetzt hat sich Jörg wieder einen
wunderschönen Bart angemalt, Du weißt ja noch, wie schön er da aussieht.
¾ 3 Uhr Jetzt will
ich gerade mit den Kinder in die Stadt gehen. Vorher will ich Dir aber noch
einen kurzen Gruß senden. Wo wirst Du jetzt sein? Ich denke immer an Dich.
Jetzt kam gerade eine Sondermeldung, daß unsere Truppen in Antwerpen
einmarschiert sind. Das sind doch alles großartige Leistungen, die unsere
Soldaten vollbringen.
¾ 10 Uhr. Nun ist Feierabend, lieber Ernst. Nun will ich Dir
auch noch unseren Nachmittags-Verlauf erzählen. Heute haben die Kinder ihre
Sparkassen geleert, jeder hatte 57 Pfennig. Davon haben sie Dir und mir etwas
gekauft. Jörg hat Dir ¼ Pfund Gebäck gekauft und Helga Waffeln und
Hustenbonbon. Sie wollen Dir doch gern ein Päckchen schicken. Von dem
restlichen Geld habe ich mir noch etwas wünschen können. Sie haben mir dann einen Teller aus
Kunstharz gekauft. Es gibt nur noch einzelne Stücke, denn Sachen aus Kunstharz
werden während des Krieges nicht mehr hergestellt. Du hättest einmal sehen sollen, mit welchem Stolz Helga und Jörg
ihr Geld auf den Ladentisch gelegt haben. Jörg hat es natürlich auch selbst
aufgezählt. Helga und Jörg sind ganz besorgt, ob Du Dich auch freuen wirst. Ich
darf heute nicht mehr in die kleine Stube, denn da haben sie schon aufgebaut
zum Muttertag. Heute habe ich auch
Fritz getroffen. Da siehst Du erst mal wie sie lügen. Fritz sagte, er hätte
noch nichts unternommen, um wegzukommen, denn es sei doch zwecklos, während
Resi gesagt hat, er wäre bei seinem Chef gewesen. Na ja, lassen wir sie gehen.
Heute haben mich auch Frau Meßmer und Kusters angesprochen. Mit wahrer
Leidensmiene sagten sie, sie hätte gehört, daß Du fort bist. Ich lasse es mir
ja fremden Leuten gegenüber nicht merken, wie es mir um‘s Herz ist, sondern tue
ganz gelassen. Was brauchen andere Leute alles wissen. Daß Du mir fehlst, geht
die anderen ja nichts an.
Morgen Vormittag gehe ich mit den Kindern ins Kino, ich lege
das Programm bei. Das interessiert mich sehr und ich kann da die Kinder
mitnehmen. Staunst Du nicht, was ich schon unternehme. Böse wirst Du mir
deswegen nicht sein. Ein paar Minuten
nach ¼ 10 Uhr kam Vater noch. Er hatte einen kleinen Unfall. Im Geschäft ist
ihm an der Sägemaschine 1 Stück Holz gegen den Magen geschlagen, daß er gar
nicht mehr hat schnaufen können. Auch die linke Hand ist etwas aufgeschlagen.
Er hat Heftpflaster drüber. Er ist sehr froh, daß es so gut abgelaufen ist. In
ein paar Tagen, denkt er, wird wieder alles heil sein. Anfang nächster Woche
stupfe ich noch die restlichen Stangenbohnen. Geregnet hat es ja wieder gut, so
daß sie gut wachsen sollten. Heute Nachmittag hatte sich‘s übrigens aufgeklärt.
Infolge des Regens ist es etwas kühl geworden, so daß man im Zimmer gut noch
ein bißchen Feuer brauchen kann. 5 Minuten vor 11 Uhr ist Vater jetzt gegangen
und ich gehe jetzt schlafen. Gute Nacht, mein lieber, lieber Ernst.
½ 10 Uhr Mein lieber, lieber Ernst!
Wir wollen jetzt in den Film gehen. Da tue ich mir, wie du
es gewünscht hast, Deine Uhr um. Heute ist eine Karte zum Muttertag von
Siegfried gekommen. Er ist jetzt in Plauen. Auch von Kurt ist ein Brief
gekommen, ich lege ihn bei. Er hat also unsere Karte vom Haldenhof noch nicht
bekommen. Nur von Dir ist gestern und heute nichts gekommen. Du siehst, ich bin
schon wieder verwöhnt.
½ 4 Uhr Lieber Ernst! Jetzt muß ich Dir eine Enttäuschung
bereiten. Der Film ist nichts geworden. Er ist scheinbar falsch aufgelegt
worden, denn nur das rote Schutzpapier ist vorbeigegangen und hat sich auf die
andere Rolle gewickelt, der Film hat sich auf der ersten Seite in die
Spannrolle gedreht und ist gar nicht mitgerollt. Ich bin jetzt sehr enttäuscht,
daß wir keine Bilder noch von uns allen zusammen haben. Es läßt sich nun nicht
ändern. Es ist gut, daß wir die Sonntage vorher Aufnahmen gemacht haben. Heute früh haben die Kinder mich nun
überrascht. Sie schenkten mir jeder 1 Strauß Schlüsselblumen. Ich mußte dann
mit in die Stube, da hatte Helga 2 und Jörg 1 Bild gemalt, davor hatten sie den
Teller gestellt. Dann hat Helga noch ein Gedicht aufgesagt. Sie will Dir‘s
selber schreiben. Heute Mittag haben sie mir noch einen Strauß Margaritten und
Hafermark geschenkt. Ich habe mich wirklich sehr gefreut.
Der Film war heute sehr interessant. Erst war der Kampf in
Polen, d.h., ein Teil der Wochenschau zu sehen, dann Dänemark und Norwegen,
zuletzt Holland, Belgien, Luxemburg. Da müssen die Soldaten tatsächlich große
Leistungen vollbringen. Die
Veranstaltung in St. Kathrinen ist abgesagt worden, da sind wir zu hause
geblieben. Die Kinder spielen noch unten, denn es ist heute wieder schönes
Wetter, nur ein bißchen windig. Morgen will ich wieder mal im Garten
schaffen. Ob Du heute auch Radio hörst,
ob Ihr überhaupt welches habt? Vielleicht kommt morgen wieder Nachricht von
Dir. Gestern war ich nochmals auf der
Post und habe die Briefmarke vom 1.Mai bekommen, eine verwerte ich und lasse
sie zurückschicken.
½ 11 Uhr. Lieber Ernst. Heute nur noch einen kurzen Gruß.
Vater war bis jetzt da und ich habe gestopft. Jetzt bin ich sehr müde. Gute
Nacht, lieber, lieber Ernst.
½ 12 Uhr Lieber Ernst.!
Damit Du siehst, daß
ich nicht nur schreiben, sondern auch schaffen kann, bin ich heute, es ist
strahlender Sonnenschein, in den Garten gegangen. Ich habe noch die restlichen
2 Sorten Stangenbohnen und die halbhohen Bohnen gesteckt. Da ich noch viel
halbhohe übrig hatte und Herr Steinmehl überhaupt keine dieses Jahr hatte, habe
ich ihm auf seinen Wunsch hin welche gegeben. Du wirst doch nichts dagegen
haben. Ich habe bei den Möhren das Netz weggetan und im ganzen Garten Unkraut
gejätet, nach dem Regen schießt es jetzt kolossal. Dann habe ich überall den
Boden gelockert, auch hüben bei Kohlrabi und Salat. Ich habe auch die
Stachelbeersträucher abgestützt. Als ich beim Schaffen war, brachte mir Helga
Deine zwei lieben Karten aus Salzburg und St. Pölten. Ich habe mich so sehr
darüber gefreut. Die Karte von Salzburg, die Du am 17. vormittags geschrieben
hast, ist erst am 18. abgestempelt, die andere am 17. Ich danke Dir, daß Du so
treu an mich bezw. an uns denkst. Helga
hat heute und morgen keine Schule. Das Schulhaus wird geräumt, es wird
Lazarett. Entweder haben sie dann im Bubenschulhaus, aller Wahrscheinlichkeit
nach aber im Kloster überm Rhein Unterricht. Es wäre ja ein ziemlich langer
Weg, aber für unsere verwundeten Soldaten kann man schon kleine
Unannehmlichkeiten in Kauf nehmen. Nun
muß ich erst mal mit schreiben aufhören, denn wir haben alle langsam Hunger.
¾ 9 Uhr Lieber
Ernst!
Heute Nachmittag habe ich noch die Brombeeren verschnitten.
Es waren noch manche erfroren, aber die anderen treiben jetzt ganz gut. Ich habe sie auch wieder festgebunden.
Zerkratzt sehe ich ja jetzt ein bißchen aus.
Im Garten drüben kommen jetzt auch schon die Buschbohnen raus. Auch
viele Kartoffelstauden gucken schon lustig in die Welt. Die Radieschen neben
den Stangenbohnen sind auch sehr gut gekommen, ebenso die Rettiche bei den
Kohlrabi. Die letzteren haben schon die Bewunderung unserer Nachbarn erregt.
Frau Nußbaumer, Frau Schwehr usw. waren ganz erstaunt, daß wir schon so schöne
„Kohlräble“ haben, daß sie so gut ansetzen. Schon kleine „Knöllele“ hätten sie.
Morgen essen wir das erste Mal vom jungen Spinat. Die restlichen Blätter vom
Winterspinat verwende ich noch und dann reiße ich ihn heraus. Heute hat mir
Jörg schon wieder 2 Riesensträuße angeschleppt gebracht. Das ist ja seine große
Leidenschaft, Blumen pflücken. Ich habe schon fast alle Vasen voller Blumen,
schön lustige, bunte. Eine wahre Pracht. Ich habe jetzt abbremsen müssen, sonst
hätte Jörg mir noch einen ganzen Arm voll gebracht. Ich glaube, unsere Stare haben wieder Junge, denn es ist den ganzen
Tag ein Gezwitscher und Herumgefliege. An unseren Staren haben wir doch schon
viel Freude gehabt, nicht wahr? Ich
erledige jetzt nur noch meine Arbeiten, die Milch abkochen, und gehe heute,
wenn Vater nicht kommt, mal ein bißchen eher schlafen. Das tut mir auch gut.
Wenn ich Dich jetzt hier hätte, bekämst Du mal wieder recht herzliche Küsse. So
kann ich Dich bloß herzlich grüßen und Dir eine recht gute Nacht wünschen. Gute
Nacht, mein lieber Mann, mein lieber Ernst.
2 Uhr Lieber Ernst!
Heute bin ich noch gar nicht zum Schreiben gekommen. Ich war heute beim Verband wegen der
Untersuchung von Helga. Man hat jetzt doch wieder Dr. Bundschuh nehmen können.
Außerdem war ich auf der Bank. Ich hatte nämlich ein ungültiges 2-Mark-Stück
bekommen, das habe ich umgetauscht. Da hatte ich mal nicht aufgepaßt,
vielleicht habe ich zu viel an Dich gedacht?
Es ist jetzt 5 Uhr und ich bin eben vom Garten gekommen. Ich
habe wieder gejätet und es sieht wieder sauber aus, nur bei den Kartoffeln noch
nicht, da habe ich erst 3 Reihen hacken können, die anderen kommen in einigen
Tagen dran, wenn sie genügend groß sind. Am Zaun habe ich noch Bohnen gesteckt,
das hattest Du doch, soviel ich weiß, noch nicht gemacht. Wir essen jetzt
gleich, weil ich heute noch ins Sturmbüro fahren und Deinen Mantel wegschaffen
will.
¼ 9 Uhr. Soeben bin ich wiedergekommen. Ich war im
Sturmbüro, da aber niemand da war, bin ich zum Schott gefahren. Die
Straßennummer habe ich mir erfragt. Ich habe mir eine Bestätigung für den
Mantel geben lassen. Jetzt schreibe ich noch an Kurt einen Brief. Viel weiß ich
ja nicht zu schreiben, denn Kurt hat immer so wenig geredet, so daß man
eigentlich gar keine gemeinsamen Interessen hat. Vielleicht kannst Du ihm mal
ausführlicher schreiben. Aber vergiß mich dabei nicht. Ich warte immer auf
Nachricht von Dir. Ich schicke Dir
heute einen Zeitungsausschnitt, der Dich sicher auch interessieren wird.
½ 11 Uhr Ich gehe jetzt schlafen. Gute Nacht, mein
lieber Ernst.