Donnerstag, 18. Juli 2019

Brief 763 vom 14./15.7.1944


Lieber, lieber Ernst !                                                              Konstanz, 14.7.44         

Auch heute erhielt ich keinen Brief von Dir. Da ich nun garnichts beantworten kann, muß ich Dir nur von unserem Tagwerk berichten und das ist nicht viel.  Gest ern Nachmittag sind wir wieder vergeblich nach dem Radio gelaufen.  Das Fräulein hat ihn nicht in die Werkstatt gegeben und er stand noch unberü+hrt da.  Gestern war nun der Mann selber da und sagte, er würde nun bestimmt gemacht.  Eigentlich bis morgen. Ob das aber stimmt? Ich glaube garnichts mehr.  Einige alte Ringe von Sterilisierungsgläser wollte ich noch umtauschen, bezw. neue gegen Rückgabe der alten kaufen, aber auch da hatte ich kein Glück. So war der Weg in die Stadt ziemlich umsonst. Heute war oder vielmehr ist Putztag. Da habe ich wieder einmal alle Holzbödenaufgefärbt. Das war wieder einmal nötig. Währenddem kam Vater. Er hatte bei Paula Stachelbeeren geholt. Sie haben gefragt, wieviel er wollte. Er wollte „nicht unverschämt sein“ und hat 6 Pfund gesagt. Ich bin vorhin in den Garten gegangen und habe Stachelbeeren zu Marmelade und Johannisbeeren zum sterilisieren gepflückt.  Heute Abend muß ich sie noch fertig machen. Vorher fahre ich aber in die Stadt, um das bestellte kleine Kränzle für die Gerda von Waibels zu holen.  Die Kinder haben heute ein Zelt aus Zeltbahnen im Garten aufgebaut. Erst hatten sie es auf der Wiese, aber das ließ anderen Kindern keine Ruhe und sie mußten dauernd stören. So ist es viel besser. Das Zelt macht ihnen natürlich viel Spaß und sie meinten, wenn sie es jeden Tag aufstellen dürften, dann würden das die schönsten Ferien.  Von Tante Agnes  Mamas Schwester, erhielt ich heute eine Karte. Auf dieser teilt sie mir mit, daß Hubert  der jüngste Sohn  am 26.6. an der Düna durch Kopfschuß gefallen sei. Da s tut mir sehr leid. Tante Agnes hat doch auch dauernd Kummer. Erst stirbt Maria , dann kommt Hans in Gefangenschaft, nun fällt Hubert. Leo, der Älteste, der im Lazarett war. steht wieder im Süden der Ostfront.  Wenn ich nur wüßte, wie es Dir geht.  Immer denke ich an Dich, wo Du wohl jetzt sein könntest. Es wär für mich solch große Freude, wenn ich wieder einmal einen Gruß von Dir erhielt. Bleib nur immer gesund, Du Lieber. Laß Dich recht oft grüßen und küssen von Deiner Annie.


 Mein liebster Ernst!                                                        Konstanz, 15.7.44            

Wieder habe ich keine Post erhalten und so bleibt mir auch heute nichts weiter übrig, als Dir von uns zu erzählen.  Gestern gegen Abend bin ich in die Stadt gefahren wegen des Kranzes für die kleine Gerda.  Ich dachte, ich fahre nochmals beim Radiohändler vorbei und gucke, ob unser Apparat schon in Arbeit ist. Und denk Dir, da war er schon fertig. Ich bin dann nur schnell zum Blumengeschäft gefahren und habe gesagt, daß ich den Kranz heute Morgen hole. Dann habe ich den Apparat mit heim genommen. Nun läuft er wieder. Die Rechnung lautet: Vorschaltwiderstand gefertigt und in das Gerät eingebaut Widerstandsdraht  Schrauben, Aspestschiefer Gesamtkosten des Materials             ,45 Arbeitslohn für 2 ½ Stunden           6,25    = 6,70 Der Widerstand besteht jetzt aus einer mit Draht umwickelten Scheibe, die an der Seitenwand mit einer langen Schraube festgemacht ist. Die Seitenwand wird dadurch natürlich heiß. Vom Widerstand laufen 2 Drähteab, die eingearbeitet sind. Wir werden ja sehen, wie lange es jetzt wieder hält. Jedenfalls freuen wir uns erst mal, daß wir ihn wieder haben. Wir stellen den Apparat ja sowieso sparsam ein.  Bei den Kindern hat es eine riesige Freude her vorgerufen, als das Radio wieder ging.  Heute Morgen habe ich gleich den Kranz besorgt und dann mußte ich mich schon bald zum Begräbnis anziehen.  Am Nachmittag habe ich Stachelbeeren gepflückt. 4 Gläser voll habe ich sterilisiert und von 6 ½ Pfund koche ich Marmelade. Bis jetzt haben wir ca. 17 Pfund geerntet. Sterilisiert habe ich 6 Gläser Rhabarber, 6 Gläser Erdbeeren, 8 Gläser Johannisbeeren, 4 Gläser Stachelbeeren.  Die Kinder hatten wieder ihr Zelt aufgebaut. Das ist so recht nach ihrem Geschmack. Da können sie drin sitzen oder liegen, können lesen oder auch nur faulenzen. So gefallen ihnen die Ferien,.  Ich sagte heute zu Helga und Jörg, sie möchten auch noch Stachelbeeren pflücken, weil sie zur Marmelade noch nicht reichen. Es mußten noch ca. 4 Pfund gepflückt werden. Sie kamen dann später und brachten sie mir gleich fertig geputzt wieder. Sie hatten also schon den Stiel und die Blüte abgemacht. Da habe ich mich aber gefreut.  Wir sind nur gespannt, was Vater für ein Gesicht macht, wenn das Radio wieder da ist. Das hört er doch so gern. Er hat auch immer die Angewohnheit, daß er unsere Uhr mit dem Radio vergleicht und jedes Mal heißt es dann „die Uhr geht auch drei Minuten vor.“ Oder natürlich auch mal nach, denn genau geht sie nie. Aber gemacht wird sie jetzt auch nicht, und ob sie dann besser ging, das ist noch die Frage.  Nun gehe ich ins Bett und vorher grüße und küsse ich Dich recht oft und herzlich. Und einen großen Wunsch habe ich, daß ich bald wieder von Dir einen Brief erhalte. Noch größer ist mein Wunsch, daß Du ganz gesund bleibst. Nun bekommst Du nochmals einen festen Kuß von Deiner Annie.

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