Samstag, 13. Juli 2019

Brief 760 vom 9.7.1944

Mein lieber Mann !                                   Konstanz, 9.7.44  Sonntag        

GEstern habe ich sicher wieder keine Nummer auf meinen Brief geschrieben. Es füllt mir gerade jetzt ein, als ich im Kalender nachschaue, welche Nummer an der Reihe ist. Da stand noch keine drin. Es wäre 19 gewesen. Von Dir habe ich auch heute keine Post erhalten. Vielleicht kommt morgen etwas.  Der Tag vergeht heute recht friedlich und ist zum ausruhen geeignet. Zum baden ist es zu windig, darum sind wir daheim geblieben. So gegen ½ 8 Uhr sind wir aufgestanden und haben Frühstück gegessen. Dann wollte sich Helga aufs lesen stürzen. Sie war erst ein bißchen beleidigt, daß sie noch was mit schaffen sollte. Dann hat sie aber doch gute Miene zum bösen Spiel gemacht. Jörg hat inzwischen den Brief an Dich auf die Post geschafft. Er tut es gern, denn er sagte einmal, mit dem Rad könnte ich ihn überall hinschicken. Fahren ist sein größtes Vergnügen. Auch jetzt ist er wieder ein Stück unterwegs. Er sagte vorhin „Mutterle, Du könntest mir einen ganz großen Wunsch erfüllen. Soll ichs sagen?“ Als ich ihn dazu aufforderte meinte er: „Ich möchte ein kleines Stück mit dem Rad fahren.“ Nun fährt er nach Wollmatingen, die eine Straße zu Stromeyer runter und dann zurück.  Am Vormittag habe ich dann aufgeräumt und Essen gekocht. Nach 12 Uhr haben wir schon gegessen. Nachdem ich hinterher aufgeräumt hatte, habe ich mich zum lesen gesetzt. Na, ganz stimmt es doch nicht. Ich hab noch einen Pudding gekocht. In die Schüsseln ist immer 1 Schicht Pudding und 1 Schicht Erdbeeren gekommen. Um 3 quälten mich die Kinder um 1 Schüssel und um 4 Uhr meinten sie, man könnte nun eigentlich die andere Schüssel und den restlichen Kuchen con heute früh essen. Das haben wir auch getan. Als ich vorhin meinte „es ist ja schon 5 Uhr“, da sagte Helga „prima, da können wir bald wieder essen“. Was sagst Du dazu? Ich habe lachen müssen und gesagt „Ihr seid doch eine ganz verfressene Gesellschaft“. Das hat sie aber garnicht gekränkt. Sie meinten sogar „so ein Tag ist mal prima, man braucht nur spielen und essen“. Jetzt sitzt mir Helga gegenüber und malt Mädel aus einer Zeitschrift ab, was ihr ganz gut gelingt.  Heute mittag haben wir doch lachen müssen. Es gab Kartoffeln, Blumenkohl und Hackfleisch. Da haben wir doch tatsächlich den Hackbraten vergessen zu essen. Kannst Du das verstehen? Der lag hinterher noch friedlich in der Pfanne. Na, satt sind wir auch so geworden und so gibt es nun ein gutes Abendbrot.  Da denke ich gerade an etwas. Im letzten Rundbrief klagt doch Papa wieder, daß Lotte nicht wüßte, was sie kochen soll. Sie hätten keine Kartoffeln. Ich kann ja keine hinschicken und dann glaube ich, daß Lotte auch selber mit schuld ist. Immer nur Haferflocken usw. brauchte sie bestimmt nicht kochen, wenn sie öfter mal Gemüse holen würde. Man kann das doch etwas dicker kochen, damit es sättigt. Mama hat es doch in einer knappen Zeit auch getan. Aber Lotte hat das schon bei unserem Besuch nicht getan. Einmal war es zu  viel Arbeit, ein andermal mußte man zu lange anstehen und ein drittes Mal war nach ihrer Meinung nicht viel dazu. Mit den Kartoffeln ist es genau so eine Sache. Ich hatte doch welche geschickt und wir hatten auch welche mitgenommen. Ich sagte damals zu ihr, es hätte eben auch manche kleine drin. Davon müßte man Pellkartoffeln kochen. Sie meinte darauf, Pellkartoffeln würde sie auf keinen Fall essen, lieber gar keine. Na also, da muß sie‘s eben haben. Damals hat sie durchs schälen auch die Hälfte weggeworfen. Wir haben auch Salzkartoffeln immer lieber gegessen und haben uns doch auf Pellkartoffeln umgestellt um auszukommen.  wir wußten ja erst nicht, daß wir nochmals welche bekämen und auch jetzt essen wir Pellkartoffeln. Ich sehe es nicht ein, daß wir ihr da helfen, so gern ich es auch Papa zuliebe tät. Aber so gut sind die Kartoffeln jetzt auch nicht mehr und es würde vielleicht nur noch darüber geredet. Inzwischen hat sich der Himmel stark bewölkt und es ist windig geworden. Jörg ist wieder daheim. Das fahren hat ihm soo gefallen. Helga hat das malen satt und schaut zum Fenster heraus. Und ich werde nun das Abendessen fertig machen. Es gibt Bratkartoffeln und Brot mit Hackbraten oder Käse. Nun habe ich von uns genug erzählt. Wenn ich nur wüßte, wie es Dir geht und wo Du jetzt bist. Das sind doch immer meine Gedanken. Ich hoffe, daß Du gesund bist und nicht soviel Schweres erlebst. Viele gute Wünsche begleiten Dich immer.  Für heute grüße und küsse ich Dich recht herzlich Deine Annie.  Liebes Vaterle! Wir haben jetzt Ferien. Ich freue mich, daß das Zeugnis gut ausgefallen ist. Du wirst es sicher schon in der Zwischenzeit bekommen haben.  Hat es Dich gefreut, daß ich eine 2 im Deutsch bekommen habe. Wir haben uns heute einen faulen Tag gemacht. Gestern ist nämlich das Packet von Papa mit Zeitungen angekommen. Da haben wir uns gleich „drangemacht.“ Gestern hat uns Großvaterle noch „Kinder Kurier“ mitgebracht. Die von 1925. Die hast Do wohl nicht mehr gelesen?  Aber sie sind wunderbar, glaubst Du? Ich hab sie heute schon ein wenig „durchgeschartet“. Viele Grüße und Küsse von Deiner Helga. Liebes VAterle! Ich schreibe Dir heute im Anschluß an Mutterle‘s Brief, auch einen kurzen Brief.  Heute bei Tag war schönes Wetter, jetzt ist es gleich ½ 7 Uhr, jetzt ist es schon sehr bewölkt. Ich weiß nicht, ob es noch zum regnen kommt.  Gest ern bekamen wir ein Paket mit Zeitungen von Papa. Heute bin ich nicht viel rausgegangen. Ich habe ein bißchen die Zeitungen angeschaut. Hast Du schon mein Zeugnis gekriegt? Gelt es war doch noch gut. Wie Dir Mutterle vieleicht schon schrieb, haben wir vom 4 Juli bis einschl. 24.August Ferien. Ich hab‘ es wieder schön, ich habe während den Ferien Geburtstag.  Viele Grüße und 10000000000 mal 9900000000 Küsse von Deinem Jörg.

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