Mein liebster Ernst
! Konstanz, 10.7.44
Ja, was soll ich Dir
heute berichten? Viel Abwechslung gab es heute in der Beschäftigung nicht. Am
Vormittag waren wir im Garten und haben 11 PfundJohannisbeeren gepflückt, sodaß
wir bisher 43 Pfund geerntet haben. Am Nachmittag habe ich alle Beeren
abgezupft und vorhin habe ich nun 6 Gläser Johannisbeeren sterilisiert. Nach dem Abendessen bin ich noch ein
Weilchen in den Garten geganen um Unkraut auszureißen. Am Baum war wieder ein
großer Schwamm. Wir haben ihn vorhin abgekratzt. Während ich so beschäftigt war kam Vater. Er sitzt jetzt hier am
Tisch und liest. Er brachte wieder einige Hefte für die Kinder mit, weil die
armen Kerlchen garnichts zum lesen haben. An Papa habe ich eine Karte
geschrieben, damit er weiß, daß sein Brief, seine Karte und das Paket
angekommen ist. Und damit er die Brotmaschine Erna geben kann. Das Wetter war heute wie im April. Die
Kinder wußten garnicht, sollen sie raus gehen oder drin bleiben. Jörg hat es
ganz schlau gemacht. Er hat sich seinen Bauernhof aufgestellt und immer damit
gespielt, wenn es regnete. Zwischendurch
hat er wieder auf der Straße gespielt. Jörg weiß sich auch zu helfen. Er
brauchte umbedingt einen reitenden Hirten. Da hat er sich einen aus doppelten,
starken Papier ausgeschnitten, angemalt und zusammengeklebt. Die Hände und
Beine hat er aber auseinander gelassen, sodaß er den Mann aufs Pferd setzen
kann und die Hände legt er an den Hals des Pferdes. Solch
selbstgefertigtes Spielzeug macht genau
so viel Spaß wie anderes. Morgen wollen
wir nochmals nach dem Radio fragen. Fertig wird es ja wieder nicht sein, aber
ich frage immer nach, damit sie sehen, man kümmert sich drum. Vielleicht gehen
wir vorher ins Kino. Es wird ein jugendfreier Film gespielt „Das Lied der
Nachtigall.“ Das Einkaufen werden wir auf dem Weg gleich auch mit
besorgen. Vater ist jetzt heimgegangen.
Und ich gehe ins Bett. Es ist doch schon wieder nach 11 Uhr. Hoffentlich
bekomme ich recht bald wieder Nachricht von Dir. Bleib immer gesund und sei
recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner immer in Gedanken bei Dir
weilenden Annie. Nachts? Vorhin hatten wir seit längerer Zeit wieder einmal
Voralarm.
Mein lieber, lieber Ernst! Konstanz, 11.7.44
Auch heut e erhielt ich keine Post von Dir.
Ich hoffe wieder auf morgen. Ich würde mich so über einen Brief freuen. ABer
ich will nicht ungeduldig werden, es sind ja erst 5 TAge vergangen, seit ich
Deinen lieben Brief vom 26. erhielt.
Wahrscheinlich werde auch ich das warten auf Post jetzt lernen müssen, denn bei
den jetzigen EReignissen wirst Du wenig zum schreiben kommen. Und glaub mir,
ich werde auch froh sein, wenn Du hin und wieder einmal schreibst und wenn es
nur eine Karte ist. Wie es Dir wohl jetzt geht? Hast Du es sehr schwer? Nach
dem Wehrmachtsbericht soll bei Euch drückende Hitze herrschen. Dadurch wird ja
alles erschwert. Bei uns geht alles seinen Gang. Heute Mittag hatten wir seit
längerer Zeit wieder einmal Alarm. Die Flieger müssenin München oder Augsburg
gewesen sein. 2 flieger sind über uns nach der Schweiz geflogen. Am Nachmittag waren wir Drei zusammen im
Kino. Es war insofern eine Enttäuschung, als die Wochenschau nicht angekommen
war und überhaupt keine gezeigt wurde. Und gerade die Wochenschau ist doch mit
das Wichtigste. Hinterher haben wir nach dem Radio gefragt. Natürlich war es
nicht fertig. Als ich dem Fräulein
sagte, es müßte doch nur ein Vorschaltwiderstand eingebaut werden, da meinte
sie „ach so, ich dachte immer, ein anderer Widerstand. Da will ich gleich
nochmals fragen.“ Sie meinte dann, er würde bis Donnerstag gemacht, denn sie
sollte den Apparat gleich in die Werkstatt bringen. Ob er nun tatsächlich
gemacht wird? Ich bin gespannt. Von
Frau Dietz bekam ich eine Karte. Sie fragt wegen Jörgs Geburtstag an. Ob sie
ihm auf die Kleiderkarte etwas kaufen könnte oder ob wir sonst einen Wunsch
haben. Die Kleiderkarte kann ich ihr nicht schicken. Wir wollen doch für eine
lange Uniformhose für den Winter Punkte sparen. Und sonst haben wir eigentlich
auch keinen Wunsch. Ich selber kann Jörg auch nichts schenken. Es könnte
höchstens sein, ich fände noch eine Kleinigkeit. Evtl. stricke ich ihm ein Paar
Söckchen. Das muß ich dann aber abends tun, denn bei Tag sind die Kinder ja
immer hier. Sobald wieder gutes Wetter
ist, werden wir noch einen Busch johannisbeeren pflücken. Diese werde ich
wieder sterisisieren. Einen Teil gebe ich vielleicht noch Vater. Paula hat doch Vater Stachelbeeren angeboten.
1 ½ Ztr. haben sie bisher geerntet, wie sie sagt. Nun fragte sie Vater, wieviel
er haben wollte bezw. wieviel er noch Zucker zum einmachen hätte. Als er meinte, ca. 6 Pfund, da sagte sie:
„bei Stachelbeeren muß man schon fast Pfund auf Pfund nehmen.“ Das ist aber
nicht der Fall. Ich bin nun gespannt, ob sie VAter mit 6 Pfund abspeisen wird.
Sie verkauft nämlich sonst ihre Beeren nur gegen Zucker, wie sie Vater sagte.
Von einer Frau hat sie 10 Pfund, von einer anderen 6 Pfund bekommen. Bei Vater kann
sie natürlich damit nicht rechnen.
Gestern abend waren alle Kinder vom Haus und Nebenhaus im Vorraum
versammelt und der Willi von Büsings hat Geister und Detektivgeschichten
erzählt. Mit Begeisterung haben sie drauf gehört. Aber hinterher hat es Helga
doch ein bißl mit der Angst zu tun bekommen. Sie hat mir verschiedenes erzählt
und meinte immer wieder „gel, ich brauche keine Angst zu haben. Das gibt es
doch nicht.“ Ich konnte sie beruhigen. Es waren zu phantastische Sachen. Jörg
hatte ja keine Angst. So war rührt ihn nicht. Da lacht er nur dazu. Es ist ja
auch gut so. Nun schließe ich wieder. Bleib Du, mein Ernst, gesund und laß Dich
herzlich grüßen und küssen von Deiner Annie.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen