Samstag, 13. Juli 2019

Brief 761 vom 10. und 11.7.1944


Mein liebster Ernst !       Konstanz, 10.7.44       

Ja, was soll ich Dir heute berichten? Viel Abwechslung gab es heute in der Beschäftigung nicht. Am Vormittag waren wir im Garten und haben 11 PfundJohannisbeeren gepflückt, sodaß wir bisher 43 Pfund geerntet haben. Am Nachmittag habe ich alle Beeren abgezupft und vorhin habe ich nun 6 Gläser Johannisbeeren sterilisiert.  Nach dem Abendessen bin ich noch ein Weilchen in den Garten geganen um Unkraut auszureißen. Am Baum war wieder ein großer Schwamm. Wir haben ihn vorhin abgekratzt.  Während ich so beschäftigt war kam Vater. Er sitzt jetzt hier am Tisch und liest. Er brachte wieder einige Hefte für die Kinder mit, weil die armen Kerlchen garnichts zum lesen haben. An Papa habe ich eine Karte geschrieben, damit er weiß, daß sein Brief, seine Karte und das Paket angekommen ist. Und damit er die Brotmaschine Erna geben kann.  Das Wetter war heute wie im April. Die Kinder wußten garnicht, sollen sie raus gehen oder drin bleiben. Jörg hat es ganz schlau gemacht. Er hat sich seinen Bauernhof aufgestellt und immer damit gespielt, wenn es regnete.  Zwischendurch hat er wieder auf der Straße gespielt. Jörg weiß sich auch zu helfen. Er brauchte umbedingt einen reitenden Hirten. Da hat er sich einen aus doppelten, starken Papier ausgeschnitten, angemalt und zusammengeklebt. Die Hände und Beine hat er aber auseinander gelassen, sodaß er den Mann aufs Pferd setzen kann und die Hände legt er an den Hals des Pferdes. Solch selbstgefertigtes  Spielzeug macht genau so viel Spaß wie anderes.  Morgen wollen wir nochmals nach dem Radio fragen. Fertig wird es ja wieder nicht sein, aber ich frage immer nach, damit sie sehen, man kümmert sich drum. Vielleicht gehen wir vorher ins Kino. Es wird ein jugendfreier Film gespielt „Das Lied der Nachtigall.“ Das Einkaufen werden wir auf dem Weg gleich auch mit besorgen.  Vater ist jetzt heimgegangen. Und ich gehe ins Bett. Es ist doch schon wieder nach 11 Uhr. Hoffentlich bekomme ich recht bald wieder Nachricht von Dir. Bleib immer gesund und sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner immer in Gedanken bei Dir weilenden Annie. Nachts? Vorhin hatten wir seit längerer Zeit wieder einmal Voralarm.


 Mein lieber, lieber Ernst!        Konstanz, 11.7.44       

 Auch heut e erhielt ich keine Post von Dir. Ich hoffe wieder auf morgen. Ich würde mich so über einen Brief freuen. ABer ich will nicht ungeduldig werden, es sind ja erst 5 TAge vergangen, seit ich Deinen lieben Brief vom 26.  erhielt. Wahrscheinlich werde auch ich das warten auf Post jetzt lernen müssen, denn bei den jetzigen EReignissen wirst Du wenig zum schreiben kommen. Und glaub mir, ich werde auch froh sein, wenn Du hin und wieder einmal schreibst und wenn es nur eine Karte ist. Wie es Dir wohl jetzt geht? Hast Du es sehr schwer? Nach dem Wehrmachtsbericht soll bei Euch drückende Hitze herrschen. Dadurch wird ja alles erschwert. Bei uns geht alles seinen Gang. Heute Mittag hatten wir seit längerer Zeit wieder einmal Alarm. Die Flieger müssenin München oder Augsburg gewesen sein. 2 flieger sind über uns nach der Schweiz geflogen.  Am Nachmittag waren wir Drei zusammen im Kino. Es war insofern eine Enttäuschung, als die Wochenschau nicht angekommen war und überhaupt keine gezeigt wurde. Und gerade die Wochenschau ist doch mit das Wichtigste. Hinterher haben wir nach dem Radio gefragt. Natürlich war es nicht fertig.  Als ich dem Fräulein sagte, es müßte doch nur ein Vorschaltwiderstand eingebaut werden, da meinte sie „ach so, ich dachte immer, ein anderer Widerstand. Da will ich gleich nochmals fragen.“ Sie meinte dann, er würde bis Donnerstag gemacht, denn sie sollte den Apparat gleich in die Werkstatt bringen. Ob er nun tatsächlich gemacht wird? Ich bin gespannt.  Von Frau Dietz bekam ich eine Karte. Sie fragt wegen Jörgs Geburtstag an. Ob sie ihm auf die Kleiderkarte etwas kaufen könnte oder ob wir sonst einen Wunsch haben. Die Kleiderkarte kann ich ihr nicht schicken. Wir wollen doch für eine lange Uniformhose für den Winter Punkte sparen. Und sonst haben wir eigentlich auch keinen Wunsch. Ich selber kann Jörg auch nichts schenken. Es könnte höchstens sein, ich fände noch eine Kleinigkeit. Evtl. stricke ich ihm ein Paar Söckchen. Das muß ich dann aber abends tun, denn bei Tag sind die Kinder ja immer hier.  Sobald wieder gutes Wetter ist, werden wir noch einen Busch johannisbeeren pflücken. Diese werde ich wieder sterisisieren. Einen Teil gebe ich vielleicht noch Vater.  Paula hat doch Vater Stachelbeeren angeboten. 1 ½ Ztr. haben sie bisher geerntet, wie sie sagt. Nun fragte sie Vater, wieviel er haben wollte bezw. wieviel er noch Zucker zum einmachen hätte.  Als er meinte, ca. 6 Pfund, da sagte sie: „bei Stachelbeeren muß man schon fast Pfund auf Pfund nehmen.“ Das ist aber nicht der Fall. Ich bin nun gespannt, ob sie VAter mit 6 Pfund abspeisen wird. Sie verkauft nämlich sonst ihre Beeren nur gegen Zucker, wie sie Vater sagte. Von einer Frau hat sie 10 Pfund, von einer anderen 6 Pfund bekommen. Bei Vater kann sie natürlich damit nicht rechnen.  Gestern abend waren alle Kinder vom Haus und Nebenhaus im Vorraum versammelt und der Willi von Büsings hat Geister und Detektivgeschichten erzählt. Mit Begeisterung haben sie drauf gehört. Aber hinterher hat es Helga doch ein bißl mit der Angst zu tun bekommen. Sie hat mir verschiedenes erzählt und meinte immer wieder „gel, ich brauche keine Angst zu haben. Das gibt es doch nicht.“ Ich konnte sie beruhigen. Es waren zu phantastische Sachen. Jörg hatte ja keine Angst. So war rührt ihn nicht. Da lacht er nur dazu. Es ist ja auch gut so. Nun schließe ich wieder. Bleib Du, mein Ernst, gesund und laß Dich herzlich grüßen und küssen von Deiner Annie.

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