Lieber, lieber Ernst
! Konstanz, 14.7.44
Auch heute erhielt
ich keinen Brief von Dir. Da ich nun garnichts beantworten kann, muß ich Dir
nur von unserem Tagwerk berichten und das ist nicht viel. Gest ern Nachmittag sind wir wieder
vergeblich nach dem Radio gelaufen. Das
Fräulein hat ihn nicht in die Werkstatt gegeben und er stand noch unberü+hrt
da. Gestern war nun der Mann selber da
und sagte, er würde nun bestimmt gemacht.
Eigentlich bis morgen. Ob das aber stimmt? Ich glaube garnichts
mehr. Einige alte Ringe von
Sterilisierungsgläser wollte ich noch umtauschen, bezw. neue gegen Rückgabe der
alten kaufen, aber auch da hatte ich kein Glück. So war der Weg in die Stadt
ziemlich umsonst. Heute war oder vielmehr ist Putztag. Da habe ich wieder
einmal alle Holzbödenaufgefärbt. Das war wieder einmal nötig. Währenddem kam
Vater. Er hatte bei Paula Stachelbeeren geholt. Sie haben gefragt, wieviel er
wollte. Er wollte „nicht unverschämt sein“ und hat 6 Pfund gesagt. Ich bin
vorhin in den Garten gegangen und habe Stachelbeeren zu Marmelade und
Johannisbeeren zum sterilisieren gepflückt.
Heute Abend muß ich sie noch fertig machen. Vorher fahre ich aber in die
Stadt, um das bestellte kleine Kränzle für die Gerda von Waibels zu holen. Die Kinder haben heute ein Zelt aus
Zeltbahnen im Garten aufgebaut. Erst hatten sie es auf der Wiese, aber das ließ
anderen Kindern keine Ruhe und sie mußten dauernd stören. So ist es viel
besser. Das Zelt macht ihnen natürlich viel Spaß und sie meinten, wenn sie es
jeden Tag aufstellen dürften, dann würden das die schönsten Ferien. Von Tante Agnes Mamas Schwester, erhielt ich heute eine Karte. Auf dieser teilt
sie mir mit, daß Hubert der jüngste
Sohn am 26.6. an der Düna durch
Kopfschuß gefallen sei. Da s tut mir sehr leid. Tante Agnes hat doch auch
dauernd Kummer. Erst stirbt Maria , dann kommt Hans in Gefangenschaft, nun
fällt Hubert. Leo, der Älteste, der im Lazarett war. steht wieder im Süden der
Ostfront. Wenn ich nur wüßte, wie es
Dir geht. Immer denke ich an Dich, wo
Du wohl jetzt sein könntest. Es wär für mich solch große Freude, wenn ich
wieder einmal einen Gruß von Dir erhielt. Bleib nur immer gesund, Du Lieber.
Laß Dich recht oft grüßen und küssen von Deiner Annie.
Mein liebster Ernst! Konstanz, 15.7.44
Wieder habe ich
keine Post erhalten und so bleibt mir auch heute nichts weiter übrig, als Dir
von uns zu erzählen. Gestern gegen
Abend bin ich in die Stadt gefahren wegen des Kranzes für die kleine
Gerda. Ich dachte, ich fahre nochmals
beim Radiohändler vorbei und gucke, ob unser Apparat schon in Arbeit ist. Und
denk Dir, da war er schon fertig. Ich bin dann nur schnell zum Blumengeschäft
gefahren und habe gesagt, daß ich den Kranz heute Morgen hole. Dann habe ich
den Apparat mit heim genommen. Nun läuft er wieder. Die Rechnung lautet:
Vorschaltwiderstand gefertigt und in das Gerät eingebaut Widerstandsdraht Schrauben, Aspestschiefer Gesamtkosten des
Materials ,45 Arbeitslohn für 2 ½ Stunden 6,25 = 6,70 Der Widerstand besteht jetzt aus einer mit Draht
umwickelten Scheibe, die an der Seitenwand mit einer langen Schraube
festgemacht ist. Die Seitenwand wird dadurch natürlich heiß. Vom Widerstand laufen
2 Drähteab, die eingearbeitet sind. Wir werden ja sehen, wie lange es jetzt
wieder hält. Jedenfalls freuen wir uns erst mal, daß wir ihn wieder haben. Wir
stellen den Apparat ja sowieso sparsam ein.
Bei den Kindern hat es eine riesige Freude her vorgerufen, als das Radio
wieder ging. Heute Morgen habe ich
gleich den Kranz besorgt und dann mußte ich mich schon bald zum Begräbnis
anziehen. Am Nachmittag habe ich
Stachelbeeren gepflückt. 4 Gläser voll habe ich sterilisiert und von 6 ½ Pfund
koche ich Marmelade. Bis jetzt haben wir ca. 17 Pfund geerntet. Sterilisiert
habe ich 6 Gläser Rhabarber, 6 Gläser Erdbeeren, 8 Gläser Johannisbeeren, 4
Gläser Stachelbeeren. Die Kinder hatten
wieder ihr Zelt aufgebaut. Das ist so recht nach ihrem Geschmack. Da können sie
drin sitzen oder liegen, können lesen oder auch nur faulenzen. So gefallen
ihnen die Ferien,. Ich sagte heute zu
Helga und Jörg, sie möchten auch noch Stachelbeeren pflücken, weil sie zur
Marmelade noch nicht reichen. Es mußten noch ca. 4 Pfund gepflückt werden. Sie
kamen dann später und brachten sie mir gleich fertig geputzt wieder. Sie hatten
also schon den Stiel und die Blüte abgemacht. Da habe ich mich aber
gefreut. Wir sind nur gespannt, was
Vater für ein Gesicht macht, wenn das Radio wieder da ist. Das hört er doch so
gern. Er hat auch immer die Angewohnheit, daß er unsere Uhr mit dem Radio
vergleicht und jedes Mal heißt es dann „die Uhr geht auch drei Minuten vor.“
Oder natürlich auch mal nach, denn genau geht sie nie. Aber gemacht wird sie jetzt
auch nicht, und ob sie dann besser ging, das ist noch die Frage. Nun gehe ich ins Bett und vorher grüße und
küsse ich Dich recht oft und herzlich. Und einen großen Wunsch habe ich, daß
ich bald wieder von Dir einen Brief erhalte. Noch größer ist mein Wunsch, daß
Du ganz gesund bleibst. Nun bekommst Du nochmals einen festen Kuß von Deiner
Annie.