Montag, 31. Oktober 2016

Brief 231 vom 30./31.10.1941


Mein lieber, lieber Ernst!                                                                   Konstanz, 30.10.41                           

Heute habe ich sooo einen langen Brief von Dir bekommen, vom 26. Am liebsten hätte ich einen Indianertanz aufgeführt, so habe ich mich darüber gefreut. Wenn Du da gewesen wärst, hätte ich Dich ganz fest abgeküßt, natürlich nur mit Deiner Genehmigung. Nun muß ich alles nacheinander beantworten.
Also, die Kinder sind ja Gott sei Dank wieder ganz gesund. Ich glaube, Du und ich, wir Beide, sind gleich froh darüber. Wir haben sie doch Beide lieb und möchten sie gesund erhalten. Weiß Du, hätte Helga nur Durchfall bekommen, hätte ich den Arzt nicht geholt, aber das Fieber hat mir nicht gefallen. Die Äußerung des Arztes „Es wird also keine Kinderlähmung“ hat mir ja dann auch gezeigt, daß doch nicht damit zu spaßen ist. Heute war ich mit den Kindern noch einmal beim Arzt und habe Pulver für eine Wurmkur für Helga verschrieben bekommen. Sie muß 3 Tage hintereinander je 1 Pulver nehmen. Den Erfolg werden wir ja sehen. Dr. Nast sagte auch, daß das nervöse und auch das Kopfweh, das sie doch öfter mal bekam, sicher von den Würmern her rührt.
Ich bin froh, daß Du Dich nicht mehr so ärgerst, wenn Du auch oft dazu Anlaß hättest. Du mußt ja nicht für Dein ganzes Leben dort aushalten. Schön fände ich es ja von dem K.V.-Rat bestimmt nicht, erst packt er Dir alle Arbeit auf und dann tritt er nicht für Dich ein. Aber man ändert ja die Leute doch nicht.
Es wird sicher nichts schaden, wenn Du einmal einen dicken Kopf aufsetzt, wenn es notwendig ist. Es ist ja leider so, daß einem manche gern auf dem Kopf herumtanzen möchten, wenn sie merken, man läßt sich viel gefallen. Richtig wäre es, wenn einer dem anderen rücksichtsvoll begegnen würde. Aber leider trifft man´s nicht immer so an.
Ach weißt Du, lieber Kerl,. pimplig wärst Du auch nicht gewesen, wenn Du`s gesagt hättest, daß Du Schmerzen hast, als wir nach dem Haldenhof fuhren. Es kann sein, daß der Tag nicht ganz so schön geworden wär, aber wir hätten es Dir doch vielleicht etwas leichter machen können. Na, es ist ja nun vorbei. Die Hauptsache ist noch, daß Dein Rücken wieder ganz gut wird.
Im Garten habe ich ja die letzten Tage wegen dem schlechten Wetter nichts machen können. Aber heute war es trocken und so habe ich gleich mit umgraben angefangen. Ich habe zwar nur das Stück fertig gebracht, wo die Bohnen standen, aber es ist doch ein Anfang.
Am Morgen waren wir in der Stadt auf der Sparkasse. Die Kinder haben je 3,- eingezahlt. Helga hat jetzt 58,-, Jörg 56,-Mk.
Da will ich Dich auch gleich noch fragen. Du hast doch sicher von dem eisernen Sparen gehört. Da führt man jeden Monat einen bestimmten Betrag gleich durch den Arbeitgeber auf die Sparkasse ab. Dafür braucht man dann keine sozialen Abgaben bezahlen. Diese werden nur für den verbleibenden Betrag gemessen. Man muß den Sparbetrag aber während der Dauer des Krieges stehen lassen und dann ist er nur jährlich kündbar. Ich denke, daß sie sicher von der Stadt anfragen werden, ob wir eisern sparen wollen, wie der Ausdruck dafür so schön heißt. Ich möchte Dich nun bitten, Deine Meinung zu schreiben, ob wir eisern sparen wollen oder so, wie bisher, wo wir`s jederzeit abheben können.
Wenn Du Pudding bekommen kannst, so sind wir Dir bestimmt darum nicht böse. Du weißt ja, wir essen ihn alle gern und so haben wir pro Monat und pro Person nur einen.
Spätzle gibt es bei uns am Sonntag, allerdings ohne sauren Rahm. Das würde Dir ja nicht so ganz richtig gefallen, nicht wahr? Aber die Kinder sind auch so schon froh. Wenn mal wieder Friede ist, dann mache ich für Dich mal wieder Spätzle mit Rahm. Ich ess sie ja mit Rahm auch am liebsten.
Der Junge von Leimenstolls soll schon bald fortkommen. Die Frau hat schon Bescheid vom Gesundheitsamt bekommen. Es kann sein, daß die Krankheit tuberkulös ist. Genau weiß es Frau Leimenstoll nicht. Ich denke aber, daß sie dem Buben schon noch helfen können.
Wenn wir die ca. 86,- von der Zusatzversorgung bekommen würden, wäre es mir recht, wenn ich 20,- davon bekommen würde. Wenn Du aber gern alles hättest, so schreibst Du mir`s bitte. Eine Weile werden wir ja wohl sicher damit noch warten müssen.
In Lille warst Du also wieder einmal. Du wirst es sicher bedauert haben, daß Du den Tommy nicht mehr angetroffen hast. Aber wenigstens mit dem Graser konntest Du noch ein paar schöne Stunden verleben. Der Lorenz, oder wie er sich sonst schreibt, ist doch ein ziemlicher Lump. Diese Leute schauen nur, daß sie viel Geld machen, wie, ist Nebensache. Vielleicht wird er später, wenn die Deutschen wieder fort sind, am meisten schimpfen.
Ich gratuliere Dir zur eigenen Pistole. Ich freue mich mit Dir. Es ist ja bei uns so, daß wir lieber etwas Eigenes als etwas geborgtes tragen. Jetzt bist Du doch von niemand abhängig, daß er´s Dir bei Gelegenheit wieder abverlangen könnte. Also, ich freue mich wirklich.
Die Küsse habe ich unseren beiden, jetzt wieder gesunden, Schlawanzern gegeben. Ich mußte doch meine Freude über Deinen langen Brief irgendwie äußern und so habe ich sie ziemlich rumgewurschtelt. Es hat ihnen aber nichts geschadet.
Der Brief an Siegfried und Erna ist wieder sehr fein. Du kannst Deine Gedanken so gut zu Papier bringen, da hapert´s bei mir immer.
Nachricht habe ich von zu hause noch keine. Bis nächste Woche warte ich noch ab, dann frage ich mal, ob sie mich ganz vergessen haben.
Da ich heute Nachmittag im Garten geschafft habe, bin ich nun erst heute Abend zum schreiben gekommen. Der Brief kommt nun leider erst morgen früh weg, wenn ich ihn auch noch heute Abend zum Briefkasten bringe, denn 1/4 7 wird erst geleert. Sei nun wieder recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Mein liebster Ernst!                                                                           Konstanz, 31.10.41

Nachdem ich gestern einen so schönen Brief von Dir bekommen habe, habe ich heute vergeblich auf einen gewartet. Aber dafür habe ich wieder Zeitungen von Dir bekommen. Darüber freue ich mich auch sehr. Da habe ich doch immer etwas zu lesen. Heute bin ich ja noch nicht dazu gekommen, denn ich war wieder im Garten. Am Vormittag habe ich erst unsere Kleiderkarten geholt, dann habe ich Essen gekocht, dann haben wir gegessen und hinterher habe ich weiter umgegraben. Bis zu den Dahlien bin ich damit gekommen. Es war wirklich eine Arbeitserleichterung, daß die Erde da, wo Du die Kartoffeln raus gemacht hattest, locker war. Es ging viel besser. Morgen habe ich davon ja auch noch ein Stück.
Es war heute wieder trocken und kalt. Aber von der Kälte merkt man beim Umgraben nicht so viel, wenn nicht gerade ein kalter Wind geht. Bloß der Rücken tut mir ein bißl weh. Da sieht man erst, daß man nicht mehr gewöhnt ist.
Ich habe wieder mal nach Kali und Thomasmehl gefragt. Es ist aber nichts zu haben. Da kann ich eben für das restliche Stück nur Kalk nehmen, denn trotz sparsamsten Verbrauchs ist das Kali jetzt alle geworden.
Heute kam der Rick beim Garten vorbei und hat mich begrüßt. Wir kamen auch auf die Sache im Amt zu sprechen. Er meinte, es sei ein Blödsinn vom Flaig gewesen, sich aufzuhängen und die Schuld auf sich zu nehmen. Tatsache sei jedenfalls, daß auf dem Lager fast nichts mehr vorhanden sei. Die Sache würde noch untersucht. Aber das ganze Amt leide darunter, denn sie würden jetzt alle als Lumpen angesehen.
Vater ist vorhin gekommen. Er wollte zwar gleich wieder gehen, aber jetzt sitzt er doch schon eine ganze Weile bei der Zeitung. Es ist eben auch gemütlich warm bei uns.
Es ist mir jetzt schon zur Gewohnheit geworden, daß ich abends kurz vor 10 Uhr den Sender Belgrad einstelle. Leider  höre ich ihn nicht immer gleich gut. Heute habe ich ihn schon jetzt, 3/4 9 Uhr, eingestellt und höre Tanzmusik. Ob Du wohl auch zu hause bist und hörst, oder ob Du im Kino bist? Ich wollte mir doch den Film „Ich klage an“ ansehen. Er ist jetzt ziemlich 2 Wochen hier gelaufen und soll sehr gut gewesen sein. Aber es ist nichts draus geworden. Erst konnte ich nicht wegen den Kindern, dann wegen mir nicht. Das Übel ist immer noch nicht ganz vorbei. Du, jetzt habe ich noch eine komische Frage an Dich. Kannst Du dort ein paar Rollen Klo-Papier bekommen. Wie Du Dir denken kannst, war unser Verbrauch ziemlich groß und es ist einfach nirgends welches zu bekommen. Alle rechnen, daß sie in den nächsten Wochen wieder welches kriegen. Es ist ja eine eigenartige Angelegenheit, mit der ich Dich belästige, aber Du hattest ja gesagt, ich sollte Dir ruhig schreiben, wenn ich etwas wollte, was Du evtl. besorgen könntest.
Nun will ich aber für heute Schluß machen. Sei wieder recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

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