Samstag, 22. Oktober 2016

Brief 227 vom 21./22.10.1941


Mein lieber, lieber Ernst!                                                              Konstanz, 21.10.41                     

Vor einer Woche warst Du den ersten Tag  von uns fort. Eine Woche wäre also vergangen. Nun fängt man bald wieder mit rechnen an, wie viele Wochen es wohl dauern wird, bis Du wieder einmal heim kommst.
Heute wird ja sicher Siegfried`s Hochzeit sein. Ich muß sagen, eigentlich habe ich noch gar nicht viel daran gedacht, denn - nun kommt das, was ich Dir gestern noch nicht schreiben wollte, weil ich noch nicht wußte, was draus wird - ich habe 2 Patienten. In der Nacht vom Sonntag zum Montag kam Helga zu mir ins Zimmer und sagte, daß sie brechen müsse. Sie brach dann noch mehrere Male und außerdem hatte sie Durchfall. Ich nahm sie mit zu mir ins Bett, stand aber dann gegen 5 Uhr auf, da ich merkte, daß Helga immer mehr Fieber bekam. Ich habe sie dann auf`s Sofa gebettet und kühle Umschläge auf die Stirn gemacht, was ihr gut tat. Für den Durchfall habe ich ihr später warme Leibumschläge gemacht, was aber nicht viel Zweck hatte, da sie zu oft raus mußte. Fieber hatte sie erst 39 Grad, später 39,5. Da habe ich dann Dr. Nast telefoniert. Der war gerade unterwegs und bis er kam, war das Fieber auf 40 Grad gestiegen und Helga phantasierte leicht.
Jörg stand morgens richtig auf und hat auch Frühstück gegessen. Auf einmal wurde er bleich und ihm wurde schlecht. Er bekam auch Durchfall. Das Fieber stieg bei ihm aber nur bis 37 Grad. Ich habe ihn dann auf den Liegestuhl gelegt. Bis der Arzt kam, habe ich Beiden Silargetten gegeben, zum desinfizieren. Zu essen gab ich ihnen nichts mehr, nur Tee, aber ohne Zucker.
Als der Arzt kam, hat er Beide untersucht. Ich durfte ihnen nur Reisschleim und Pfefferminztee mit geschlagenem Eiweiß geben. Er sagte mir besonders, ich dürfte ihnen auch nichts geben, wenn sie noch so bitten. Es  könnte sonst gefährlich werden. Gegen das Fieber bekamen sie Tabletten, die auch wirklich das Fieber herunterdrückten. Der Arzt sagte, daß er heute Morgen gleich wieder nachsehen würde. Heute Morgen kam er auch und sagte, daß es also keine Kinderlähmung würde. Das hatte er nämlich befürchtet, da 3 Häuser neben uns ein Bub von Distel`s deshalb ins Krankenhaus gekommen ist. Gestern konnte es der Arzt auch noch nicht bestimmt sagen, was draus würde und Du kannst Dir sicher sein, was ich mir für Sorgen gemacht habe. Vorläufig dürfen die Kinder noch 2 Tage nur Reisschleim und gedünstetes Möhrengemüse essen, sowie Tee, aber ohne Zucker. Das Fieber ist soweit weg, nur der Durchfall hält noch an. Der Arzt meint, daß es sicher noch 2 Tage anhalten wird. Alles was weg geht, ist fast wie Wasser. Von was es gekommen ist, weiß ich nicht. Es könnten ihnen höchstens die Trauben nicht bekommen sein, trotzdem wir sie gut gewaschen haben. Aber die haben sie auch schon am Samstag gegessen. Vielleicht haben sich die Kinder auch erkältet. Das Wetter war ja die letzten Tage dazu angetan. Jedenfalls bin ich froh, daß sich alles soweit gebessert hat. Da brauchst Du Dir nun auch keine Sorgen machen.
Eben war Helga wieder auf dem Eimer. Da ist ein ca. 20 cm langer Spulwurm mit herausgekommen. Vielleicht hat sie noch mehr und ist deshalb so nervös? Wenn der Arzt kommt, will ich es ihm sagen.
Soeben erhielt ich Deine beiden Briefe vom 19. und 18. Ich muß ja sagen, viel Schönes erlebst Du jetzt dort nicht. Kann denn der K.V.-Rat überhaupt nichts machen, daß Ordnung in den Laden kommt oder will er nicht. Da muß man schon ziemlich Geduld aufbringen, wenn man so dabei stehen muß und sehen, wie andere sich einfach hinsetzen, wo man selber alles mit aufbauen mußte. Hoffentlich ändert sich dieser Zustand  bald, denn so ohne Tätigkeit muß Dir ja das Fernsein von zuhause doppelt schwer werden. Wenn ich Dir nur helfen könnte, aber ich kann nur mit ganzem Herzen bei Dir sein und mit Dir fühlen. Ich werde mit Dir froh sein, wenn Du wieder Deine geordnete Arbeit hast.
Der Tag auf dem Haldenhof war wirklich wunderschön. Du hast Dir gar nicht merken lassen, wie beschwerlich es Dir war. Die Erinnerung an diesen Tag bleibt uns ja.
Ich war wirklich auch sehr froh, daß Du die ersten Tage nach dem Tode meiner Mutter bei mir warst. Es war doch leichter. So stark, daß ich jetzt soweit wieder alles meistern kann, bin ich wieder. Wenn ich auch recht oft Sehnsucht danach habe, daß Du bei uns wärst. Es wär dann alles viel schöner. Man darf gar nicht immer daran denken, wie Du uns fehlst. Es wird sonst zu schwer.
Im Garten kann ich jetzt einstweilen nichts machen solange die Kinder krank sind, denn da werde ich hier gebraucht. Aber wir haben ja schon vorgearbeitet, da ist es nicht so schlimm. In den nächsten Tagen will ich erst noch das Sauerkraut einhobeln. Das Kraut hatte ich ja in der vergangenen Woche abgeschnitten.
Ich wünsche Dir nun, daß Deine Rückenschmerzen recht bald nachlassen und am besten ganz aufhören. Sei für heute recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Mein lieber Ernst!                                                                  Konstanz, 22.10.41

Nachdem ich in 2 Tagen gleich 4 Briefe bekommen habe, konnte ich natürlich heute mit keinen rechnen. Es ist auch keiner gekommen. Ich weiß nun nicht, wie es bei Dir jetzt mit der Arbeit geworden ist. Hoffentlich kommt bald alles ins richtige Gleis. Mit Deinem Rücken wünsche ich Dir auch heute recht gute Besserung.
Jörg ist heute wieder soweit munter, daß er schon längere Zeit aufstehen konnte. Auch der Durchfall ist ziemlich weg. Anders bei Helga. Bei ihr hält er immer noch an. Fieber hat sie ja fast keins mehr und sie ist auch schon etwas munterer. Essen will sie nichts, wenigstens nicht das, was ich ihr geben darf. Wenn sie wieder essen kann, hat sie sich schon Spätzle und auch Pudding gewünscht. Morgen kommt ja der Arzt wieder und wir werden sehen, ob er zufrieden ist. Helga`s Wünsche gipfeln jetzt darin, daß ich mich zu ihr setzen und ihr erzählen oder vorlesen soll. Soweit es möglich ist, erfülle ich ihr diesen Wunsch natürlich.
Von Kurt kamen heute 2 Päckchen. Eins mit einem Buch zum aufheben und das andere mit viel Bonbons und Tabak. Ich habe ihm heute einmal etwas Honiggebäck gebacken und zugeschickt. Ich war sowieso gerade beim backen für Dich. Von dem Honiggebäck habe ich Dir ein paar Kostproben mit beigefügt. Laß Dir alles gut schmecken. Es wird ja wohl ein paar Tage länger unterwegs sein als der Brief. Es soll Dir wieder ein kleiner Gruß von zuhause sein, ein schmackhafter. Als Du hier warst, sagte ich Dir doch, daß der Emil von Leimenstolls eine Rückgradverkrümmung hat und seit fast 1/2 Jahr nicht mehr gut laufen kann mit dem einen Bein. Frau Leimenstoll war ja schon überall mit ihm. Vor längerer  Zeit habe ich sie einmal auf die Krüppelberatungsstunden des Gesundheitsamtes aufmerksam gemacht. Jetzt ist sie nun mal hingegangen. Der Arzt, der die Beratungsstunden abhält, ist in Singen im Krankenhaus. Dar hat der Frau Leimenstoll nun gestern gesagt, daß es gut sei, daß sie gekommen ist. Bis in einem Jahr wäre er auf beiden Beinen gelähmt gewesen. Es sind Röntgenaufnahmen gemacht worden, die ans Gesundheitsamt gehen. Von dort aus müßte er dann ca. 3/4 Jahr fort kommen und in ein Gipsbett kommen. Es fängt alles mit dem Rückgrat zusammen. Das ist doch auch schlimm. Der Bub ist doch sonst gesund und kräftig. Heute war Herr Ganahl bei uns. Er erkundigte sich nach Büsings Kindern. Es sei eine Klage aus der Nachbarschaft gegen sie eingelaufen. Ob ich jetzt zu klagen hätte. Ich sagte ihm, daß immer etwas los sei. Da sollten wir sie zurecht weisen, meinte er. Ich sagte darauf, daß es da immer großen Krach gäbe. Darauf meinte er, das gibt es nicht, entweder fügen sie sich ein oder sie fliegen raus. Mal sehen, was nun wird. Ich will sie bestimmt nicht rausdrängen, nur anständig benehmen sollen sie sich. Ich bin ja immer froh, wenn ich von diesen Sachen nichts sehe und höre.
Nun schließe ich für heute wieder und hoffe fest, daß ich morgen wieder einen Brief von Dir erhalte. Sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

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