Mein
lieber, lieber Ernst! Konstanz,
21.10.41
Vor
einer Woche warst Du den ersten Tag von
uns fort. Eine Woche wäre also vergangen. Nun fängt man bald wieder mit rechnen
an, wie viele Wochen es wohl dauern wird, bis Du wieder einmal heim kommst.
Heute
wird ja sicher Siegfried`s Hochzeit sein. Ich muß sagen, eigentlich habe ich
noch gar nicht viel daran gedacht, denn - nun kommt das, was ich Dir gestern
noch nicht schreiben wollte, weil ich noch nicht wußte, was draus wird - ich
habe 2 Patienten. In der Nacht vom Sonntag zum Montag kam Helga zu mir ins
Zimmer und sagte, daß sie brechen müsse. Sie brach dann noch mehrere Male und
außerdem hatte sie Durchfall. Ich nahm sie mit zu mir ins Bett, stand aber dann
gegen 5 Uhr auf, da ich merkte, daß Helga immer mehr Fieber bekam. Ich habe sie
dann auf`s Sofa gebettet und kühle Umschläge auf die Stirn gemacht, was ihr gut
tat. Für den Durchfall habe ich ihr später warme Leibumschläge gemacht, was
aber nicht viel Zweck hatte, da sie zu oft raus mußte. Fieber hatte sie erst 39
Grad, später 39,5. Da habe ich dann Dr. Nast telefoniert. Der war gerade unterwegs
und bis er kam, war das Fieber auf 40 Grad gestiegen und Helga phantasierte
leicht.
Jörg
stand morgens richtig auf und hat auch Frühstück gegessen. Auf einmal wurde er
bleich und ihm wurde schlecht. Er bekam auch Durchfall. Das Fieber stieg bei
ihm aber nur bis 37 Grad. Ich habe ihn dann auf den Liegestuhl gelegt. Bis der
Arzt kam, habe ich Beiden Silargetten gegeben, zum desinfizieren. Zu essen gab
ich ihnen nichts mehr, nur Tee, aber ohne Zucker.
Als
der Arzt kam, hat er Beide untersucht. Ich durfte ihnen nur Reisschleim und
Pfefferminztee mit geschlagenem Eiweiß geben. Er sagte mir besonders, ich
dürfte ihnen auch nichts geben, wenn sie noch so bitten. Es könnte sonst gefährlich werden. Gegen das
Fieber bekamen sie Tabletten, die auch wirklich das Fieber herunterdrückten.
Der Arzt sagte, daß er heute Morgen gleich wieder nachsehen würde. Heute Morgen
kam er auch und sagte, daß es also keine Kinderlähmung würde. Das hatte er
nämlich befürchtet, da 3 Häuser neben uns ein Bub von Distel`s deshalb ins
Krankenhaus gekommen ist. Gestern konnte es der Arzt auch noch nicht bestimmt
sagen, was draus würde und Du kannst Dir sicher sein, was ich mir für Sorgen
gemacht habe. Vorläufig dürfen die Kinder noch 2 Tage nur Reisschleim und
gedünstetes Möhrengemüse essen, sowie Tee, aber ohne Zucker. Das Fieber ist
soweit weg, nur der Durchfall hält noch an. Der Arzt meint, daß es sicher noch
2 Tage anhalten wird. Alles was weg geht, ist fast wie Wasser. Von was es
gekommen ist, weiß ich nicht. Es könnten ihnen höchstens die Trauben nicht
bekommen sein, trotzdem wir sie gut gewaschen haben. Aber die haben sie auch
schon am Samstag gegessen. Vielleicht haben sich die Kinder auch erkältet. Das
Wetter war ja die letzten Tage dazu angetan. Jedenfalls bin ich froh, daß sich
alles soweit gebessert hat. Da brauchst Du Dir nun auch keine Sorgen machen.
Eben
war Helga wieder auf dem Eimer. Da ist ein ca. 20 cm langer Spulwurm mit
herausgekommen. Vielleicht hat sie noch mehr und ist deshalb so nervös? Wenn
der Arzt kommt, will ich es ihm sagen.
Soeben
erhielt ich Deine beiden Briefe vom 19. und 18. Ich muß ja sagen, viel Schönes
erlebst Du jetzt dort nicht. Kann denn der K.V.-Rat überhaupt nichts machen,
daß Ordnung in den Laden kommt oder will er nicht. Da muß man schon ziemlich
Geduld aufbringen, wenn man so dabei stehen muß und sehen, wie andere sich
einfach hinsetzen, wo man selber alles mit aufbauen mußte. Hoffentlich ändert
sich dieser Zustand bald, denn so ohne
Tätigkeit muß Dir ja das Fernsein von zuhause doppelt schwer werden. Wenn ich
Dir nur helfen könnte, aber ich kann nur mit ganzem Herzen bei Dir sein und mit
Dir fühlen. Ich werde mit Dir froh sein, wenn Du wieder Deine geordnete Arbeit
hast.
Der
Tag auf dem Haldenhof war wirklich wunderschön. Du hast Dir gar nicht merken
lassen, wie beschwerlich es Dir war. Die Erinnerung an diesen Tag bleibt uns
ja.
Ich
war wirklich auch sehr froh, daß Du die ersten Tage nach dem Tode meiner Mutter
bei mir warst. Es war doch leichter. So stark, daß ich jetzt soweit wieder
alles meistern kann, bin ich wieder. Wenn ich auch recht oft Sehnsucht danach
habe, daß Du bei uns wärst. Es wär dann alles viel schöner. Man darf gar nicht
immer daran denken, wie Du uns fehlst. Es wird sonst zu schwer.
Im
Garten kann ich jetzt einstweilen nichts machen solange die Kinder krank sind,
denn da werde ich hier gebraucht. Aber wir haben ja schon vorgearbeitet, da ist
es nicht so schlimm. In den nächsten Tagen will ich erst noch das Sauerkraut
einhobeln. Das Kraut hatte ich ja in der vergangenen Woche abgeschnitten.
Ich
wünsche Dir nun, daß Deine Rückenschmerzen recht bald nachlassen und am besten
ganz aufhören. Sei für heute recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner
Annie.
Mein
lieber Ernst! Konstanz,
22.10.41
Nachdem
ich in 2 Tagen gleich 4 Briefe bekommen habe, konnte ich natürlich heute mit
keinen rechnen. Es ist auch keiner gekommen. Ich weiß nun nicht, wie es bei Dir
jetzt mit der Arbeit geworden ist. Hoffentlich kommt bald alles ins richtige
Gleis. Mit Deinem Rücken wünsche ich Dir auch heute recht gute Besserung.
Jörg
ist heute wieder soweit munter, daß er schon längere Zeit aufstehen konnte.
Auch der Durchfall ist ziemlich weg. Anders bei Helga. Bei ihr hält er immer
noch an. Fieber hat sie ja fast keins mehr und sie ist auch schon etwas
munterer. Essen will sie nichts, wenigstens nicht das, was ich ihr geben darf.
Wenn sie wieder essen kann, hat sie sich schon Spätzle und auch Pudding
gewünscht. Morgen kommt ja der Arzt wieder und wir werden sehen, ob er
zufrieden ist. Helga`s Wünsche gipfeln jetzt darin, daß ich mich zu ihr setzen
und ihr erzählen oder vorlesen soll. Soweit es möglich ist, erfülle ich ihr
diesen Wunsch natürlich.
Von
Kurt kamen heute 2 Päckchen. Eins mit einem Buch zum aufheben und das andere
mit viel Bonbons und Tabak. Ich habe ihm heute einmal etwas Honiggebäck
gebacken und zugeschickt. Ich war sowieso gerade beim backen für Dich. Von dem
Honiggebäck habe ich Dir ein paar Kostproben mit beigefügt. Laß Dir alles gut
schmecken. Es wird ja wohl ein paar Tage länger unterwegs sein als der Brief.
Es soll Dir wieder ein kleiner Gruß von zuhause sein, ein schmackhafter. Als Du
hier warst, sagte ich Dir doch, daß der Emil von Leimenstolls eine Rückgradverkrümmung
hat und seit fast 1/2 Jahr nicht mehr gut laufen kann mit dem einen Bein. Frau
Leimenstoll war ja schon überall mit ihm. Vor längerer Zeit habe ich sie einmal auf die
Krüppelberatungsstunden des Gesundheitsamtes aufmerksam gemacht. Jetzt ist sie
nun mal hingegangen. Der Arzt, der die Beratungsstunden abhält, ist in Singen
im Krankenhaus. Dar hat der Frau Leimenstoll nun gestern gesagt, daß es gut
sei, daß sie gekommen ist. Bis in einem Jahr wäre er auf beiden Beinen gelähmt
gewesen. Es sind Röntgenaufnahmen gemacht worden, die ans Gesundheitsamt gehen.
Von dort aus müßte er dann ca. 3/4 Jahr fort kommen und in ein Gipsbett kommen.
Es fängt alles mit dem Rückgrat zusammen. Das ist doch auch schlimm. Der Bub
ist doch sonst gesund und kräftig. Heute war Herr Ganahl bei uns. Er erkundigte
sich nach Büsings Kindern. Es sei eine Klage aus der Nachbarschaft gegen sie
eingelaufen. Ob ich jetzt zu klagen hätte. Ich sagte ihm, daß immer etwas los
sei. Da sollten wir sie zurecht weisen, meinte er. Ich sagte darauf, daß es da
immer großen Krach gäbe. Darauf meinte er, das gibt es nicht, entweder fügen
sie sich ein oder sie fliegen raus. Mal sehen, was nun wird. Ich will sie bestimmt
nicht rausdrängen, nur anständig benehmen sollen sie sich. Ich bin ja immer
froh, wenn ich von diesen Sachen nichts sehe und höre.
Nun
schließe ich für heute wieder und hoffe fest, daß ich morgen wieder einen Brief
von Dir erhalte. Sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.
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