Samstag, 15. Oktober 2016

Brief 224 vom 13./14.10.1941


Mein liebster Ernst!                                                                     Konstanz, 13.10.41                                                                           

Heute Nachmittag haben wir Dich zur Bahn gebracht und nun fange ich bereits an, an Dich zu schreiben. Du sollst doch recht bald Nachricht von uns bekommen. Es ist gegen 9 Uhr und ich denke daran, daß Du bald in Stuttgart sein wirst. Die Kinder wollen auch noch nicht einschlafen, sie möchten auch noch den Zeitpunkt Deiner Ankunft in Stuttgart abwarten. Du hättest Dich heute sicher noch an ihnen gefreut, denn sie haben sich sehr zusammengenommen, daß sie nicht so viel weinten und sagten mir immer: „Wir wollen doch Vaterle noch Freude machen, er hat doch gesagt, wir sollen tapfer sein.“ Über die Bonbons haben sie sich sehr gefreut und sie danken Dir dafür ganz fest. Wir sind nach Deiner Abfahrt noch einkaufen gegangen. Ich habe mir ein paar Reclamhefte gekauft, damit ich besser über die ersten Abende hinwegkomme. Soll ich sie Dir hinschicken, wenn ich sie gelesen habe? Nach dem einkaufen sind wir heim gegangen und haben Abendbrot gegessen. So schön und gemütlich wie die letzten Abende war es nicht. Die nötige Ruhe hat uns allen gefehlt.
Ich denke immer daran, ob Du wohl rechte Rückenschmerzen hast bei der Fahrt. Wenn ich sie Dir doch abnehmen könnte. Inzwischen ist es 9,20 Uhr geworden und Du wirst in Stuttgart also schon umgestiegen sein. Hoffentlich hast Du wieder einen guten Platz bekommen, damit Du ein bißchen schlafen kannst.
Heute Abend gab es noch ein kleines Zwischenspiel. Die Haushaltungsliste wurde abgeholt und ich wußte nicht, wo das Ding war. Ausgefüllt hatte ich sie ja, aber dann hatte ich mich nicht mehr darum gekümmert. Unter den Zeitungen haben wir sie dann entdeckt.
Jetzt wird im Radio das Lied von der Laterne gesungen. Das haben wir doch öfter zusammen gehört. Dadurch ist es mir nun besonders lieb geworden.
Nun ist es 1/4 11 geworden. Nun wirst Du bald in Heilbronn sein. Ich gehe nun schlafen. Gute Nacht, mein lieber, lieber Ernst. Bleib mir gesund. Morgen früh, wenn Du in Maastricht bis, bin ich auch wieder munter und meine Gedanken sind bei dir. Hoffentlich hast Du heute Nacht keinen Alarm.
Sei nun recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Mein liebster Ernst!                                                                         Konstanz, 14.10.41

Es ist jetzt bereits 8 Uhr abends. Ob Du wohl schon an Deinem Bestimmungsort bist? Hoffentlich ist die Fahrt gut verlaufen. Ich werde es ja in einigen Tagen aus Deinem Brief ersehen. Deine liebe Karte aus Stuttgart habe ich heute Nachmittag erhalten. Du bist doch ein lieber Kerl.
Der Tag ist heute nicht sehr fröhlich verlaufen. Am Morgen kam das Paket von Papa. Er schickte mir verschiedene Sachen von Mama. Ich lege den Brief mit der Aufstellung bei. Es waren verschiedene Sachen dabei, die ich früher immer an Mama gesehen habe, so die Ringe und die Kette. Die hatte sie auch noch an, als wir zusammen im Variete waren. Es tut weh, diese Sachen  jetzt so in die Hand nehmen zu müssen.
Du hast mir auch so sehr gefehlt. Es ist so einsam hier bei uns. Wir sind deshalb auch in den Garten gegangen, nachdem wir die restlichen Kartoffeln versorgt hatten. Im Garten haben wir Weißkraut abgemacht und rübergeschafft, ebenso die Bohnen und die Bohnenstangen. Einige stehen noch, da noch grüne Bohnen dran sind. Als wir im Garten waren, wurde Frau Steinmehl wieder mit dem Krankenauto geholt. Frau Rebholz sagte, daß sie gestern noch geschafft habe. Heute Morgen hatte sie Kopfweh, dann Schmerzen im Nacken. Später röchelte sie so sehr, daß man es bis vorm Haus hörte. Frau Rebholz, die nach ihr sehen sollte, fand sie mit ganz gelben Streifen bis zu den Ohren. Außerdem verfärbte sie sich dauernd. Heute Abend hörte ich nun, daß sie gestorben sei. Ich hörte es nur von dritter Seite, weiß es also nicht genau. Frau Rebholz sagte heute Mittag, daß sie sich schon öfter gewünscht hat, sie könnte sterben. Auch ein Frl. Hermann ist gestorben. Vielleicht kennst Du sie, denn sie hat einen ledigen Buben von 10 Jahren. Sie hinkte und soll lungenkrank gewesen sein.
Von Kurt habe ich heute auch einen sehr netten Brief bekommen. Ich schicke ihn auch mit. Es hat mich gefreut, daß er so gut meiner Mutter gedenkt. Ich werde ihm bald antworten und schreiben, daß sich mein Vater sicher über einen Brief freuen würde.
Helga hat vorhin auch einen Brief an Dich geschrieben. Sie war ganz glücklich, daß sie Dir schreiben konnte. Ein paar Fehler haben sich ja eingeschlichen. Sieh bitte darüber hinweg. Mit viel Liebe ist der Brief geschrieben.
Heute war es am Morgen wieder ziemlich kühl. Bis zu 5 Grad Kälte. Am Tag hat die Sonne ja alles ziemlich erwärmt, das heißt, eigentlich erst am Nachmittag. Ich glaube, wir hatten während Deines Urlaubs doch die schönsten Tage. Die schöne Fahrt zum Haldenhof werden wir nicht so bald vergessen. Es war doch herrlich. Wenn man immer über den See sehen konnte, von dem Höhenweg. Auch der Weg nach dem Tabor am Tage vorher war doch schön. Ich möchte Dir nochmals für all die schönen Tage danken. Wenn es wieder anders ist, so muß man es eben so nehmen, die ganze Hoffnung gilt nun wieder dem nächsten Urlaub. Die innere Ruhe, die ich immer habe, wenn Du da bist, ist ja wieder dahin. Mit meinen Gedanken bin ich ja immer bei Dir. Aber davon will ich jetzt nicht reden, sonst werde ich noch ganz traurig und das willst Du doch nicht. Du willst doch, daß wir tapfer sind.
Es ist inzwischen 3/4 9 geworden und ich will den Brief noch wegschaffen, damit er Morgen früh mit fort kommt.
Sei wieder recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.


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