Mein
liebster Ernst! Konstanz, 13.10.41
Heute
Nachmittag haben wir Dich zur Bahn gebracht und nun fange ich bereits an, an
Dich zu schreiben. Du sollst doch recht bald Nachricht von uns bekommen. Es ist
gegen 9 Uhr und ich denke daran, daß Du bald in Stuttgart sein wirst. Die
Kinder wollen auch noch nicht einschlafen, sie möchten auch noch den Zeitpunkt
Deiner Ankunft in Stuttgart abwarten. Du hättest Dich heute sicher noch an
ihnen gefreut, denn sie haben sich sehr zusammengenommen, daß sie nicht so viel
weinten und sagten mir immer: „Wir wollen doch Vaterle noch Freude machen, er
hat doch gesagt, wir sollen tapfer sein.“ Über die Bonbons haben sie sich sehr
gefreut und sie danken Dir dafür ganz fest. Wir sind nach Deiner Abfahrt noch
einkaufen gegangen. Ich habe mir ein paar Reclamhefte gekauft, damit ich besser
über die ersten Abende hinwegkomme. Soll ich sie Dir hinschicken, wenn ich sie
gelesen habe? Nach dem einkaufen sind wir heim gegangen und haben Abendbrot
gegessen. So schön und gemütlich wie die letzten Abende war es nicht. Die
nötige Ruhe hat uns allen gefehlt.
Ich
denke immer daran, ob Du wohl rechte Rückenschmerzen hast bei der Fahrt. Wenn
ich sie Dir doch abnehmen könnte. Inzwischen ist es 9,20 Uhr geworden und Du
wirst in Stuttgart also schon umgestiegen sein. Hoffentlich hast Du wieder
einen guten Platz bekommen, damit Du ein bißchen schlafen kannst.
Heute
Abend gab es noch ein kleines Zwischenspiel. Die Haushaltungsliste wurde
abgeholt und ich wußte nicht, wo das Ding war. Ausgefüllt hatte ich sie ja,
aber dann hatte ich mich nicht mehr darum gekümmert. Unter den Zeitungen haben
wir sie dann entdeckt.
Jetzt
wird im Radio das Lied von der Laterne gesungen. Das haben wir doch öfter
zusammen gehört. Dadurch ist es mir nun besonders lieb geworden.
Nun
ist es 1/4 11 geworden. Nun wirst Du bald in Heilbronn sein. Ich gehe nun
schlafen. Gute Nacht, mein lieber, lieber Ernst. Bleib mir gesund. Morgen früh,
wenn Du in Maastricht bis, bin ich auch wieder munter und meine Gedanken sind
bei dir. Hoffentlich hast Du heute Nacht keinen Alarm.
Sei
nun recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.
Mein
liebster Ernst! Konstanz,
14.10.41
Es
ist jetzt bereits 8 Uhr abends. Ob Du wohl schon an Deinem Bestimmungsort bist?
Hoffentlich ist die Fahrt gut verlaufen. Ich werde es ja in einigen Tagen aus
Deinem Brief ersehen. Deine liebe Karte aus Stuttgart habe ich heute Nachmittag
erhalten. Du bist doch ein lieber Kerl.
Der
Tag ist heute nicht sehr fröhlich verlaufen. Am Morgen kam das Paket von Papa.
Er schickte mir verschiedene Sachen von Mama. Ich lege den Brief mit der
Aufstellung bei. Es waren verschiedene Sachen dabei, die ich früher immer an
Mama gesehen habe, so die Ringe und die Kette. Die hatte sie auch noch an, als
wir zusammen im Variete waren. Es tut weh, diese Sachen jetzt so in die Hand nehmen zu müssen.
Du
hast mir auch so sehr gefehlt. Es ist so einsam hier bei uns. Wir sind deshalb
auch in den Garten gegangen, nachdem wir die restlichen Kartoffeln versorgt
hatten. Im Garten haben wir Weißkraut abgemacht und rübergeschafft, ebenso die
Bohnen und die Bohnenstangen. Einige stehen noch, da noch grüne Bohnen dran
sind. Als wir im Garten waren, wurde Frau Steinmehl wieder mit dem Krankenauto
geholt. Frau Rebholz sagte, daß sie gestern noch geschafft habe. Heute Morgen
hatte sie Kopfweh, dann Schmerzen im Nacken. Später röchelte sie so sehr, daß
man es bis vorm Haus hörte. Frau Rebholz, die nach ihr sehen sollte, fand sie
mit ganz gelben Streifen bis zu den Ohren. Außerdem verfärbte sie sich dauernd.
Heute Abend hörte ich nun, daß sie gestorben sei. Ich hörte es nur von dritter
Seite, weiß es also nicht genau. Frau Rebholz sagte heute Mittag, daß sie sich
schon öfter gewünscht hat, sie könnte sterben. Auch ein Frl. Hermann ist gestorben.
Vielleicht kennst Du sie, denn sie hat einen ledigen Buben von 10 Jahren. Sie
hinkte und soll lungenkrank gewesen sein.
Von
Kurt habe ich heute auch einen sehr netten Brief bekommen. Ich schicke ihn auch
mit. Es hat mich gefreut, daß er so gut meiner Mutter gedenkt. Ich werde ihm
bald antworten und schreiben, daß sich mein Vater sicher über einen Brief
freuen würde.
Helga
hat vorhin auch einen Brief an Dich geschrieben. Sie war ganz glücklich, daß
sie Dir schreiben konnte. Ein paar Fehler haben sich ja eingeschlichen. Sieh
bitte darüber hinweg. Mit viel Liebe ist der Brief geschrieben.
Heute
war es am Morgen wieder ziemlich kühl. Bis zu 5 Grad Kälte. Am Tag hat die
Sonne ja alles ziemlich erwärmt, das heißt, eigentlich erst am Nachmittag. Ich
glaube, wir hatten während Deines Urlaubs doch die schönsten Tage. Die schöne
Fahrt zum Haldenhof werden wir nicht so bald vergessen. Es war doch herrlich.
Wenn man immer über den See sehen konnte, von dem Höhenweg. Auch der Weg nach
dem Tabor am Tage vorher war doch schön. Ich möchte Dir nochmals für all die
schönen Tage danken. Wenn es wieder anders ist, so muß man es eben so nehmen,
die ganze Hoffnung gilt nun wieder dem nächsten Urlaub. Die innere Ruhe, die
ich immer habe, wenn Du da bist, ist ja wieder dahin. Mit meinen Gedanken bin
ich ja immer bei Dir. Aber davon will ich jetzt nicht reden, sonst werde ich
noch ganz traurig und das willst Du doch nicht. Du willst doch, daß wir tapfer
sind.
Es
ist inzwischen 3/4 9 geworden und ich will den Brief noch wegschaffen, damit er
Morgen früh mit fort kommt.
Sei
wieder recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.
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