Montag, 31. Oktober 2016

Brief 231 vom 30./31.10.1941


Mein lieber, lieber Ernst!                                                                   Konstanz, 30.10.41                           

Heute habe ich sooo einen langen Brief von Dir bekommen, vom 26. Am liebsten hätte ich einen Indianertanz aufgeführt, so habe ich mich darüber gefreut. Wenn Du da gewesen wärst, hätte ich Dich ganz fest abgeküßt, natürlich nur mit Deiner Genehmigung. Nun muß ich alles nacheinander beantworten.
Also, die Kinder sind ja Gott sei Dank wieder ganz gesund. Ich glaube, Du und ich, wir Beide, sind gleich froh darüber. Wir haben sie doch Beide lieb und möchten sie gesund erhalten. Weiß Du, hätte Helga nur Durchfall bekommen, hätte ich den Arzt nicht geholt, aber das Fieber hat mir nicht gefallen. Die Äußerung des Arztes „Es wird also keine Kinderlähmung“ hat mir ja dann auch gezeigt, daß doch nicht damit zu spaßen ist. Heute war ich mit den Kindern noch einmal beim Arzt und habe Pulver für eine Wurmkur für Helga verschrieben bekommen. Sie muß 3 Tage hintereinander je 1 Pulver nehmen. Den Erfolg werden wir ja sehen. Dr. Nast sagte auch, daß das nervöse und auch das Kopfweh, das sie doch öfter mal bekam, sicher von den Würmern her rührt.
Ich bin froh, daß Du Dich nicht mehr so ärgerst, wenn Du auch oft dazu Anlaß hättest. Du mußt ja nicht für Dein ganzes Leben dort aushalten. Schön fände ich es ja von dem K.V.-Rat bestimmt nicht, erst packt er Dir alle Arbeit auf und dann tritt er nicht für Dich ein. Aber man ändert ja die Leute doch nicht.
Es wird sicher nichts schaden, wenn Du einmal einen dicken Kopf aufsetzt, wenn es notwendig ist. Es ist ja leider so, daß einem manche gern auf dem Kopf herumtanzen möchten, wenn sie merken, man läßt sich viel gefallen. Richtig wäre es, wenn einer dem anderen rücksichtsvoll begegnen würde. Aber leider trifft man´s nicht immer so an.
Ach weißt Du, lieber Kerl,. pimplig wärst Du auch nicht gewesen, wenn Du`s gesagt hättest, daß Du Schmerzen hast, als wir nach dem Haldenhof fuhren. Es kann sein, daß der Tag nicht ganz so schön geworden wär, aber wir hätten es Dir doch vielleicht etwas leichter machen können. Na, es ist ja nun vorbei. Die Hauptsache ist noch, daß Dein Rücken wieder ganz gut wird.
Im Garten habe ich ja die letzten Tage wegen dem schlechten Wetter nichts machen können. Aber heute war es trocken und so habe ich gleich mit umgraben angefangen. Ich habe zwar nur das Stück fertig gebracht, wo die Bohnen standen, aber es ist doch ein Anfang.
Am Morgen waren wir in der Stadt auf der Sparkasse. Die Kinder haben je 3,- eingezahlt. Helga hat jetzt 58,-, Jörg 56,-Mk.
Da will ich Dich auch gleich noch fragen. Du hast doch sicher von dem eisernen Sparen gehört. Da führt man jeden Monat einen bestimmten Betrag gleich durch den Arbeitgeber auf die Sparkasse ab. Dafür braucht man dann keine sozialen Abgaben bezahlen. Diese werden nur für den verbleibenden Betrag gemessen. Man muß den Sparbetrag aber während der Dauer des Krieges stehen lassen und dann ist er nur jährlich kündbar. Ich denke, daß sie sicher von der Stadt anfragen werden, ob wir eisern sparen wollen, wie der Ausdruck dafür so schön heißt. Ich möchte Dich nun bitten, Deine Meinung zu schreiben, ob wir eisern sparen wollen oder so, wie bisher, wo wir`s jederzeit abheben können.
Wenn Du Pudding bekommen kannst, so sind wir Dir bestimmt darum nicht böse. Du weißt ja, wir essen ihn alle gern und so haben wir pro Monat und pro Person nur einen.
Spätzle gibt es bei uns am Sonntag, allerdings ohne sauren Rahm. Das würde Dir ja nicht so ganz richtig gefallen, nicht wahr? Aber die Kinder sind auch so schon froh. Wenn mal wieder Friede ist, dann mache ich für Dich mal wieder Spätzle mit Rahm. Ich ess sie ja mit Rahm auch am liebsten.
Der Junge von Leimenstolls soll schon bald fortkommen. Die Frau hat schon Bescheid vom Gesundheitsamt bekommen. Es kann sein, daß die Krankheit tuberkulös ist. Genau weiß es Frau Leimenstoll nicht. Ich denke aber, daß sie dem Buben schon noch helfen können.
Wenn wir die ca. 86,- von der Zusatzversorgung bekommen würden, wäre es mir recht, wenn ich 20,- davon bekommen würde. Wenn Du aber gern alles hättest, so schreibst Du mir`s bitte. Eine Weile werden wir ja wohl sicher damit noch warten müssen.
In Lille warst Du also wieder einmal. Du wirst es sicher bedauert haben, daß Du den Tommy nicht mehr angetroffen hast. Aber wenigstens mit dem Graser konntest Du noch ein paar schöne Stunden verleben. Der Lorenz, oder wie er sich sonst schreibt, ist doch ein ziemlicher Lump. Diese Leute schauen nur, daß sie viel Geld machen, wie, ist Nebensache. Vielleicht wird er später, wenn die Deutschen wieder fort sind, am meisten schimpfen.
Ich gratuliere Dir zur eigenen Pistole. Ich freue mich mit Dir. Es ist ja bei uns so, daß wir lieber etwas Eigenes als etwas geborgtes tragen. Jetzt bist Du doch von niemand abhängig, daß er´s Dir bei Gelegenheit wieder abverlangen könnte. Also, ich freue mich wirklich.
Die Küsse habe ich unseren beiden, jetzt wieder gesunden, Schlawanzern gegeben. Ich mußte doch meine Freude über Deinen langen Brief irgendwie äußern und so habe ich sie ziemlich rumgewurschtelt. Es hat ihnen aber nichts geschadet.
Der Brief an Siegfried und Erna ist wieder sehr fein. Du kannst Deine Gedanken so gut zu Papier bringen, da hapert´s bei mir immer.
Nachricht habe ich von zu hause noch keine. Bis nächste Woche warte ich noch ab, dann frage ich mal, ob sie mich ganz vergessen haben.
Da ich heute Nachmittag im Garten geschafft habe, bin ich nun erst heute Abend zum schreiben gekommen. Der Brief kommt nun leider erst morgen früh weg, wenn ich ihn auch noch heute Abend zum Briefkasten bringe, denn 1/4 7 wird erst geleert. Sei nun wieder recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Mein liebster Ernst!                                                                           Konstanz, 31.10.41

Nachdem ich gestern einen so schönen Brief von Dir bekommen habe, habe ich heute vergeblich auf einen gewartet. Aber dafür habe ich wieder Zeitungen von Dir bekommen. Darüber freue ich mich auch sehr. Da habe ich doch immer etwas zu lesen. Heute bin ich ja noch nicht dazu gekommen, denn ich war wieder im Garten. Am Vormittag habe ich erst unsere Kleiderkarten geholt, dann habe ich Essen gekocht, dann haben wir gegessen und hinterher habe ich weiter umgegraben. Bis zu den Dahlien bin ich damit gekommen. Es war wirklich eine Arbeitserleichterung, daß die Erde da, wo Du die Kartoffeln raus gemacht hattest, locker war. Es ging viel besser. Morgen habe ich davon ja auch noch ein Stück.
Es war heute wieder trocken und kalt. Aber von der Kälte merkt man beim Umgraben nicht so viel, wenn nicht gerade ein kalter Wind geht. Bloß der Rücken tut mir ein bißl weh. Da sieht man erst, daß man nicht mehr gewöhnt ist.
Ich habe wieder mal nach Kali und Thomasmehl gefragt. Es ist aber nichts zu haben. Da kann ich eben für das restliche Stück nur Kalk nehmen, denn trotz sparsamsten Verbrauchs ist das Kali jetzt alle geworden.
Heute kam der Rick beim Garten vorbei und hat mich begrüßt. Wir kamen auch auf die Sache im Amt zu sprechen. Er meinte, es sei ein Blödsinn vom Flaig gewesen, sich aufzuhängen und die Schuld auf sich zu nehmen. Tatsache sei jedenfalls, daß auf dem Lager fast nichts mehr vorhanden sei. Die Sache würde noch untersucht. Aber das ganze Amt leide darunter, denn sie würden jetzt alle als Lumpen angesehen.
Vater ist vorhin gekommen. Er wollte zwar gleich wieder gehen, aber jetzt sitzt er doch schon eine ganze Weile bei der Zeitung. Es ist eben auch gemütlich warm bei uns.
Es ist mir jetzt schon zur Gewohnheit geworden, daß ich abends kurz vor 10 Uhr den Sender Belgrad einstelle. Leider  höre ich ihn nicht immer gleich gut. Heute habe ich ihn schon jetzt, 3/4 9 Uhr, eingestellt und höre Tanzmusik. Ob Du wohl auch zu hause bist und hörst, oder ob Du im Kino bist? Ich wollte mir doch den Film „Ich klage an“ ansehen. Er ist jetzt ziemlich 2 Wochen hier gelaufen und soll sehr gut gewesen sein. Aber es ist nichts draus geworden. Erst konnte ich nicht wegen den Kindern, dann wegen mir nicht. Das Übel ist immer noch nicht ganz vorbei. Du, jetzt habe ich noch eine komische Frage an Dich. Kannst Du dort ein paar Rollen Klo-Papier bekommen. Wie Du Dir denken kannst, war unser Verbrauch ziemlich groß und es ist einfach nirgends welches zu bekommen. Alle rechnen, daß sie in den nächsten Wochen wieder welches kriegen. Es ist ja eine eigenartige Angelegenheit, mit der ich Dich belästige, aber Du hattest ja gesagt, ich sollte Dir ruhig schreiben, wenn ich etwas wollte, was Du evtl. besorgen könntest.
Nun will ich aber für heute Schluß machen. Sei wieder recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Brief 230 vom 28.10.1941


Mein liebster Ernst!    Konstanz, 28.10.41                                                                             

Heute bekam ich gleich 2 Briefe vom 24. von Dir. Ich habe mich sehr darüber gefreut. Du weißt ja, an Briefen von Dir kann ich nie zuviel bekommen. Je mehr, desto schöner. Auch das Päckchen Nr. 5 kam an. Gestern wäre es mir übrigens bald passiert, daß ich das eine Päckchen zum Zucker geschüttet hätte.
Daß Du mir nicht immer erfreuliche Sachen mitteilen kannst, ist ja klar. Es passieren eben auch nicht nur erfreuliche Sachen. Aber mir ist es sehr recht, wenn Du mir davon schreibst. Ich bin ja schließlich Deine Frau und möchte auch diese Sachen mit Dir teilen, nicht, daß Du alles in Dich verschließt. Braver ist Euer Hund also auch während Deines Urlaubs nicht geworden. Man meint doch, er würde immer älter und also auch braver. Das ist also nicht der Fall. Mit der Pfütze hat er sich ja wieder ein schönes Stück geleistet.
Trauer herrscht wegen der Vorgänge im Fürsorgeamt, glaub ich, nirgends. Eher Schadenfreude. Wie ich hörte, sollen die Pflichtarbeiter verhört worden sein, wohin sie überall Sachen bringen mußten. Man hört so manches, weiß aber natürlich nicht, wie weit es zutrifft. Das eine ist nur sicher, daß die Angelegenheit ziemlich Staub aufgewirbelt hat, und es könnte wirklich nichts schaden, wenn ein bißchen aufgeräumt würde. Ein großes Maul hat ja der Meier schon, denn sonst traue ich ihm nicht viel Fähigkeiten zu. Mal sehen, wie weit es ihm diesmal hilft.
Es hat mich etwas beruhigt, daß Dein Rücken nun scheinbar doch besser wird, nachdem Du jetzt ziemlich lange damit zu tun gehabt hast. Ich wünsche Dir nun, daß es recht bald ganz gut geht.
Die Kinder sind ja nun ganz gesund. Dafür hat mich seit der Nacht vom Samstag das Übel gepackt, bei dem man mehr rennen muß, als einem lieb ist. Am Sonntag hatte ich dazu noch ziemlich Kopfschmerz und Schwindel, aber das ist Gott sei Dank schnell vorbei gegangen. Eine lustige Schafferei ist es ja, wenn man von der Arbeit immer davon springen muß. Aber die Hauptsache ist, ich kann noch schaffen und das geht noch ganz gut, eben abgesehen von den nötigen Unterbrechungen.
Das Wetter ist heute wieder gar nichts wert. Regen, Regen, Regen. Von den Schweizer Buckeln uns gegenüber leuchtet es weiß. Etwas höher ist also der Regen noch Schnee. Das merkt man auch an der Kühle, die herrscht. Ich bin nur immer wieder froh, daß ich im Garten soweit abgeerntet habe.
Heute Morgen meinte der Briefträger, jetzt langt es bald mit den Päckchen. Ich sagte ihm, daß er mir vorläufig schon noch 3 bringen müßte. Wie hätte er erst gestöhnt, wenn er die noch hätte bringen müssen, die Du selber mitgebracht hast.
Von Kurt erhielt ich heute einen Brief in dem er schreibt, daß er sicher Mitte November in Urlaub käme. Er hätte es bei ihnen immer einer Wichtiger und eiliger als der andere, in Urlaub zu kommen. Er müßte ja lügen, wenn er sagte, er hätte etwas Wichtiges vor und so würde er bald als Letzter seiner Kompanie in Urlaub fahren. Kurt ist doch immer wieder ein gutmütiger Kerl.
Die Maße für einen Mantel schicke ich Dir in den nächsten Tagen. Ich hatte schon gar nicht mehr daran gedacht.
Sei Du, mein lieber , lieber Mann, wieder recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Mein liebster Ernst!     Konstanz, 28.10.40

Ganz kurz muß ich Dir heute Abend noch schreiben. Es ist ja eigentlich nichts Wichtiges, aber ich freue mich doch so, daß ich`s Dir schreiben muß. Es hat mir keine Ruhe gelassen, seit Du mir vom Belgrader Wachposten erzählt hast und so habe ich immer versucht, ihn zu finden. Heute habe ich es nun erreicht und vorhin habe ich das Lied zum Abschluß der Sendung noch gehört. Da Du mir bei Deinem Urlaub davon erzählt hast, war es mir, als wenn ich Dir ganz nahe gewesen sei. Es hat mir eine richtige Freude gemacht.
Nun gehe ich aber schlafen. Gute Nacht, mein lieber, bester, lieber Kerl. Einen ganz festen Kuß noch von mir.
29.10.
Mein liebster Schatz! Heute habe ich nun die drei restlichen Päckchen 10 - 12 erhalten. Ich möchte Dir nochmals für alles danken. Ich habe jetzt doch Vorrat da und werde sparsam damit umgehen. Es ist doch ganz schön, wenn man nicht so auf dem Trockenen sitzt.
Bei uns hat sich das Wetter noch nicht gebessert. An und für sich ist es nicht mehr ganz so kalt, aber der starke Wind macht es kalt, denn der weht durch alle Kleider. Da die Kinder bei diesem Wetter ja nicht lange draußen sein können, habe ich ihnen auf ihren Wunsch hin die Puppenküche herunter geholt. Da haben sie doch etwas zum spielen. Ich habe sie in den letzten Tagen zum üben etwas schreiben lassen. Aber den ganzen Tag wollen sie das natürlich auch nicht tun, das ist klar. Da war es ihnen nun doch etwas langweilig.
Heute haben die Kinder ihre Sparbüchse geplündert. Morgen ist doch Spartag, da wollen sie doch auch etwas auf die Sparkasse tragen. Es sind je 2,- herausgekommen. Vielleicht lege ich noch je 1,- zu. Das würde sie ja freuen.
Ich weiß heute auch wieder nicht viel zu berichten. Ich wünschte, es würde bald mal besseres Wetter, damit ich im Garten weiterschaffen könnte. Größere Näharbeit möchte ich mir noch nicht vornehmen, denn man kann dann so schlecht davon weg. Man möchte aber doch jeden guten Tag für den Garten ausnutzen. Fange ich eben einstweilen wieder mit stricken an, denn faulenzen kann man doch schließlich nicht.
Ich grüße Dich nur wieder recht herzlich, lieber Ernst, und küsse Dich viele, viele Male Deine Annie.

Donnerstag, 27. Oktober 2016

Brief 229 vom 26./27.10.1941


Mein lieber Ernst!                                                                         Konstanz, 26.10.41                                               

Heute, am Sonntag, erhielt ich Deinen lieben Brief vom 22.10. Ich habe mich sehr darüber gefreut, denn am Sonntag einen lieben Gruß von Dir zu erhalten, das ist doch besonders schön.
Ich hatte Dich heute in Paris vermutet, aber wie ich aus Deinem Brief ersehe, ist es nichts damit. Ich weiß ja, daß es nicht Dein Geschmack ist, so herdenweise durch eine Stadt geführt zu werden. Wenn Du heute als OVD eingeteilt bist, mußt Du ja zu hause bleiben, oder auf der Dienststelle. Vielleicht hörst Du da auch am Nachmittag Radio, wie wir, denn bei uns ist das Wetter so schlecht, daß man nicht fortgehen kann.
Ich bin sehr froh, daß Dein Rücken etwas besser geworden ist, bitte dich aber immer wieder, laß es nicht hängen. Schone Dich nur, soweit es Dir möglich ist.
Gestern Nachmittag habe ich im Garten noch die Dahlienstöcke heraus gemach, ebenso die Roten Rüben im großen Garten, da es doch ziemlich kalt wurde. Heute Morgen fing es nun an, halb zu schneien und zu regnen. Da habe ich gleich noch die Möhren, die restlichen roten Rüben und das Rotkraut ins Haus geholt, damit es mir nicht noch kaputt geht. Morgen will ich alles einlagern und das Kraut aufhängen. Sobald es dann möglich ist, will ich mit dem umgraben anfangen.
Morgen müssen ja nun die Kinder wieder in die Schule. Sie haben ja ziemlich lange Ferien gehabt.
Wieso muß eigentlich der Tommy auf den Truppenübungsplatz. Müssen das die anderen auch, die bei der Verwaltung sind? Du hättest übrigens in Deinem gestrigen Brief angefragt, ob Du an Dora Kaffee schicken sollst, auch wenn er etwas teurer sei. Da wird es vielleicht am besten sein, Du fragst einmal bei ihr an und schreibst ihr den ungefähren Preis.
Von Leipzig lassen sie auch nichts mehr von sich hören. Es könnte höchstens sein, es wäre ein Zeitungspaket unterwegs. Wahrscheinlich ist aber Dora noch eine Weile in Leipzig und da kommen sie nicht zum schreiben. Mir ist ja die Hauptsache, Du schreibst mir immer, das andere ist nicht so wichtig.
Dann wollte ich Dich noch etwas fragen. Wir müssen doch an Vater noch 100,- zahlen. Nächsten Monat hätte ich nun im ganzen 85,- übrig. Wäre es Dir da recht, wenn ich Vater 45,- zahle und Dir 40,- schicke? Da denke ich gerade daran, daß ich ja noch Filzschuhe beantragen will. Da würde ich mir noch 5,- nehmen, so daß also Du und Vater je 40,- bekämen. Ich schreibe Dir deshalb schon heute davon, da bis Deine Antwort da sein kann, doch schon 1 1/2 Woche vergangen sein wird.
Nun schließe ich wieder. Sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.
Viele Grüße und Küsse von Deiner Helga und Jörg.

Mein liebster Ernst!                                                               Konstanz, den 27.10.41

Die Woche hat heute damit angefangen, daß ich die Päckchen 2, 3, 5 und Zeitungen von Dir bekam. Ich danke Dir recht sehr dafür.
Heute Morgen stand in der Zeitung, daß die Schule weiterhin bis einschl. 1.11. ausfällt. Also noch eine Woche Ferien für die Banausen.
Schönes Wetter haben wir heute wieder. Die meiste Zeit schneit es und draußen ist alles Matsch. Dazwischen kommt ja wieder mal für ein paar Minuten die Sonne. Aber die kann auch nicht viel bessern, höchstens daß sie alles ein bißchen abtrocknet.
Ich habe am Vormittag das Kraut im Keller aufgehängt und die Möhren und einen Teil der roten Rüben eingekellert. Einen Teil werde ich gleich zu Salat verarbeiten und so aufheben.
Ich bin froh, daß ich die Brombeeren schon fertig habe, denn ich friere manchmal schon wieder mordsmäßig. Da möchte ich mich nicht gern so ruhig hinstellen müssen. Beim umgraben wird es einem ja eher ein bißchen warm, trotzdem hätte ich auch nichts dagegen, wenn ich dazu ein paar schöne Tage erwischte. Aber lange raus schieben will ich´s nicht mehr, sonst ist vielleicht schon alles verschneit, wenn es so weiter geht, wie die letzten Tage.
Von dem Rotwein habe ich schon ein paar Mal getrunken. Ich nehme mir aber immer noch ein bißchen Zucker dazu. Das ist doch nicht schlimm, nicht wahr?
Unsere Kinder sind froh, daß sie wieder richtig essen können. Jetzt tun sie sich wieder eine Güte. Aber vor allen Dingen Helga hat schmale Backen bekommen und soll nur richtig aufholen. Vor allen Dingen hatten Beide einen richtigen Heißhunger auf Milch, die sie ja die ganze Woche entbehren mußten.
Ich weiß heute nichts weiter zu berichten und möchte deshalb schließen. Sei nicht böse, daß der Brief so kurz ausgefallen ist.
Sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.
Kaum hatte ich meinen Namen unter den Brief gesetzt, da klingelte es und der Briefträger brachte mir die Päckchen 1,4,6,7,8, so daß ich jetzt bis 8 alle erhalten habe. Auch Deinen lieben Brief vom 23.10. brachte er mir noch. Ich habe ihn eben gelesen und danke Dir vielmals dafür.
Bei dem Brombeeren verschneiden war es diesmal mit den Stacheln nicht sehr schlimm. Ich habe mir nur ziemlich zerkratzt, aber das ist inzwischen auch wieder weg.
Wie ich Dir schon gestern schrieb, habe ich seit der Hochzeit, oder besser, seit der Karte am Vorabend der Hochzeit, noch keine weitere Nachricht von Leipzig. Vorige Woche hatten die Kinder ja nichts von den Ferien, da sie ja im Bett liegen mußten, aber nun, da sie wieder raus können, nutzen sie jede Pause, wo es nicht schneit, um schnell ins Freie zu laufen.
Jörg war vorhin ganz stolz über den Lob, daß er mir im Garten geholfen hat. Du hast recht, vor allen Dingen bei ihm ist es so, erst mault er und wenn man ihn dann ausschimpft, sagt er, er wolle es ja gerne machen. Dann ist er meist mir Eifer bei der Sache.
Das Motiv zur Tat  des Herrn Fleig hat sich ja nun in soweit herausgestellt, als seine Handlungen nicht sauber waren. Vater hat gestern den Ernst Hagenauer getroffen. Der sagte zu ihm, er sollte es Dir nur mitteilen, das würde Dich sicher interessieren. Der Fleig hätte ihm auch schwer mitgespielt. Er meinte aber, der Maier sei noch nicht verhaftet, sondern nur einstweilen beurlaubt. Die ganze Angelegenheit würde untersucht. Ich weiß nun nicht, was richtig ist. Jedenfalls sauber ist der auch nicht. Ich glaube, daß da sicher noch manches ans Licht kommt.
Bei dem Friseur dort wäre ich auch ganz gern dabei gewesen. Das hat Dir doch sicher Spaß gemacht, wie die so bestürzt waren, daß Du das Schimpfen verstanden hast.
Schicke ruhig so eine Tube Zahnpasta mal mit. Bürsten wir halt mal mit roter. Probieren geht über studieren. Sonst haben wir uns ganz gut an das Zahnputzpulver gewöhnt.
Bis jetzt habe ich 2 mal Zeitungen bekommen. Sie interessieren mich sehr. Ich habe schon ziemlich darin gelesen.
Nun will ich wirklich schließen. Nochmals viele Grüße und Küsse von Deiner Annie.

Montag, 24. Oktober 2016

Brief 228 vom 23./24./25.10.1941


Mein lieber Mann!                                                             Konstanz, 23.10.41                              

Du armer Kerl hast aber lange keinen Brief von mir bekommen. Sogar am Sonntag noch nicht, wie ich aus Deinem lieben Brief vom 19. ersehe, den ich heute erhielt. Dabei habe ich doch gleich geschrieben, als Du fort warst. Hoffentlich hast Du nicht mehr lange warten müssen.
Ich erhielt heute auch Deine Zeitungssendung. Damit hast Du mir wirklich eine Freude gemacht und ich freue mich, wenn Du mir öfter Zeitungen zusenden willst.
Bekommen wir evtl. das ganze Geld von der Zusatzversorgung zurück? Das wären doch immerhin rund 86,-Mk, wie ich an Hand der Gehaltszettel festgestellt habe.
Wenn Du noch ein kleineres Quantum Zucker kaufen kannst, so tue es nur. Zum Einkochen brauche ich doch immer welchen.
Dein Rücken macht mir doch Sorge. Sei doch so liebe und geh zum Arzt. Laß es doch bitte nicht hängen. Du hättest doch nichts davon, wenn Du später immer wieder Schmerzen bekämst.
Deine Hoffnung, daß die Kinder gesund sind, hat sich ja leider nicht ganz erfüllt, wie Du aus den vorhergehenden Briefen ersehen hast. D.h. Jörg ist schon wieder soweit. Er wird schon wieder übermütig und kann nicht begreifen, daß Helga noch nicht so mit ihm rumtollen kann. Sie ist zwar auch schon ein bißchen aufgestanden, legt sich aber noch öfter um. Sie hat eben doch nichts im Magen. Heute habe ich Beiden einmal Haferflocken gekocht, das kann ja auch nichts schaden. Ich denke, daß heute Nachmittag noch der Arzt kommt. Der wird ja sagen, was ich geben kann. Jörg wird wahrscheinlich bald alles essen können.
Da Jörg Langeweile hatte, da er ja jetzt nicht raus zum spielen kann, habe ich ihm seinen Kaufmannsladen holen müssen. Nun macht er aus Plastelina wieder Torten, Kuchen, Eier, sogar Tee. Aus Wasser mit Farbe wird Himbeersaft usw. gemacht. Damit vertreibt er sich die Zeit.
Aus Leipzig habe ich heute eine Karte erhalten, die Papa, Siegfried, Erna, Dora und Erna`s Schwester am Vorabend der Hochzeit geschrieben haben. Es stand nur ein kurzer Gruß drauf.
Sei nun für heute wieder herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.
Du lieber, lieber Kerl.

Mein liebster Ernst!                                                               Konstanz, 24.10.41

Heute kann ich Dir mit Freude melden, daß unsere zwei Schlawanzer wieder frisch und munter sind. Sie toben schon wieder ziemlich herum. Das ist mir aber doch lieber als wenn sie so still daliegen. Gegessen haben sie heute auch schon wieder mehr. Seit gestern Abend schlafen sie auch wieder in ihrem Zimmer, während sie vorher in der Stube lagen. Helga auf dem Sofa, Jörg in seinem Bett, das ich dort aufgestellt hatte. Da sie doch oft raus mußten, wäre es in ihrem Zimmer zu kühl gewesen. Jetzt, wo sie wieder soweit gesund sind, gefällt es ihnen aber im Kühlen wieder besser. Sie können besser schlafen. Ich freue mich, daß Beide wieder gesund sind.
Heute erhielt ich eine Ladung vom Amtsgericht Leipzig zur Testamenteröffnung. Man braucht ja nicht erscheinen und bekommt mitgeteilt, was einen angeht. Ich weiß es ja schon, was drin steht, weil Papa es mir gesagt hat. Papa kann über alles verfügen. An das Testament hatte ich gar nicht mehr gedacht. Als ich heute die Ladung bekam, war ich erst richtig erschrocken, weil ich nicht wußte, um was es sich handelte. Als ich dann aufmachte, war ich direkt erleichtert. Es ist doch eigenartig, wenn man auch das reinste Gewissen hat, bekommt man einen Schreck, wenn etwas vom Gericht kommt. Ginge es Dir nicht so? Die Testamentseröffnung ist am 4.11. 41. 9 Uhr.
Heute haben wir Sauerkraut eingehobelt. Ich habe gehobelt und die Kinder haben eingestampft. Der große Topf ist ca. 3/4 gefüllt. Das langt wieder reichlich für uns. Da kann auch Vater wieder etwas davon haben.
Die Apfelringe habe ich heute auch vom Fenster nehmen können. Sie sind gut getrocknet. Die Bohnen habe ich gestern auch sortiert. Von jeder Sorte lasse ich ein paar für nächstes Jahr übrig, die anderen können wir ja im Laufe des Winters essen. Von den halbhohen habe ich keine mehr aufgehoben, denn die werden ja immer so fleckig und man kann die wenigsten brauchen. Das lohnt sich nicht.
Ich habe heute und gestern Abend ein bißchen in den Brüsseler Zeitungen gelesen. Sie haben mich wirklich interessiert. Es steht schon ein bißchen mehr drin als in unserer Zeitung. Sie kostet zwar auch das Doppelte. Also, ich freue mich wirklich, daß Du sie mir geschickt hast.
Diese Woche habe ich ziemlich viel Fleischmarken übrig, da ja die Kinder nichts essen konnten. Die will ich nachher noch Vater bringen, damit er sich Morgen noch etwas Fleisch oder Wurst besorgen kann. Vor 8 Uhr wird er ja nicht daheim sein. Wenn ich nachher den Brief noch wegschaffe, gehe ich schnell noch zu Vater runter.
Einen Brief habe ich heute von Dir nicht bekommen und es ist mir dann, als wenn das Wichtigste vom Tag fehlte. Vielleicht kommt morgen wieder ein Gruß von Dir. Sei nun wieder herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.
Eben ist Vater gekommen, da brauche ich nicht runtergehen

Mein lieber Ernst!                                                               Konstanz, 25.10.41

Heute erhielt ich Deine beiden lieben  Briefe vom 20. und 21. Ich danke Dir vielmals dafür. Mit viel Freude habe ich gelesen, daß Du doch noch am Sonntag Briefe von mir bekommen hast. Da hast Du doch wenigstens noch einen Gruß aus der Heimat erhalten.
Nachher, wenn ich den Brief wegschaffe, bringe ich gleich noch ein Päckchen mit Inspiroltabletten und den Reklamheften, die ich mir gekauft hatte, fort, damit Du es bald erhältst. Eine Schachtel hatte ich schon da und habe heute noch 3 dazu besorgt. Du hast ja dort noch die Blechdose zum Nachfüllen. Ich dachte heute, das eine wäre auch noch eine Blechdose, aber es war doch nur Pappe, wenn sie auch silbern aussieht. Wenn Du wieder Tabletten brauchst, so schreibst Du`s mir.
Bei uns ist es jetzt immer ziemlich kühl. Auf dem Rad  kann ich schon gut Handschuhe gebrauchen. Die schönsten Tage waren eben doch, als Du noch hier warst.
Du hast recht, warten brauchen wir nicht, daß wir etwas erben. Wir tun es ja auch nicht. Als ich das Paket von Papa auspackte, habe ich doch heulen müssen. Es kamen da doch Sachen mit, an die ich mich noch gut aus meiner Kindheit erinnern konnte. Den einen Ring hatte ich oft an der Hand meiner Mutter gesehen und die Kette hatte Mama noch um, als wir in Leipzig waren. Ich bin aber doch froh, daß ich diese Andenken bekommen habe, denn es würde mir doch weh tun, sie in fremden Händen zu sehen. Daß ich denke, ich käme sonst irgendwo zu kurz beim Verteilen, braucht Papa nicht denken. Ich lege da gar keinen Wert drauf. Wie gesagt, froh bin ich nur über ein persönliches Andenken.
Als ich an die ganzen Verwandten und Bekannten geschrieben habe, mußte ich mich wirklich anstrengen. Als Erste hat mir heute Elsa geantwortet. Dora wird ja nicht zu hause gewesen sein, als das Päckchen ankam, denn sie war ja zu Siegfried´s Hochzeit in Leipzig.
Der Inspektor muß ja ein ekliger Kerl sein. Da ist es am besten, man macht was man muß und kümmert sich um nichts weiter. Die Freude an der Arbeit erhöhen solche Zustände ja nicht. Hoffentlich bekommst Du bald Dein abgeschlossenes Arbeitsgebiet, damit Du wieder schaffen kannst, wie Du es für recht befindest. Ich wünsche es Dir von ganzem Herzen.
Du brauchst Dich gar nicht entschuldigen, wenn Du mir von den Sachen schreibst. Es ist mir sogar sehr recht. Aussprechen muß man sich einmal und es ist besser, Du schreibst es mir, als wenn Du Dir dort Ärger damit machst.
Vater war gestern Abend da. Ihm ist der Garten per 1.11. gekündigt worden. Er will mir nur noch ein paar Erdbeersetzlinge bringen. In einer Beziehung ist es gut, wenn er den Garten nicht mehr hat. Er kommt doch immer nicht zum arbeiten darin. Besonders, wenn er jetzt erst 3/4 7 abends aufhört.
Nun will ich für heute wieder aufhören. Ich habe heute noch ziemlich viel zu tun. Sei wieder recht oft und herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Samstag, 22. Oktober 2016

Brief 227 vom 21./22.10.1941


Mein lieber, lieber Ernst!                                                              Konstanz, 21.10.41                     

Vor einer Woche warst Du den ersten Tag  von uns fort. Eine Woche wäre also vergangen. Nun fängt man bald wieder mit rechnen an, wie viele Wochen es wohl dauern wird, bis Du wieder einmal heim kommst.
Heute wird ja sicher Siegfried`s Hochzeit sein. Ich muß sagen, eigentlich habe ich noch gar nicht viel daran gedacht, denn - nun kommt das, was ich Dir gestern noch nicht schreiben wollte, weil ich noch nicht wußte, was draus wird - ich habe 2 Patienten. In der Nacht vom Sonntag zum Montag kam Helga zu mir ins Zimmer und sagte, daß sie brechen müsse. Sie brach dann noch mehrere Male und außerdem hatte sie Durchfall. Ich nahm sie mit zu mir ins Bett, stand aber dann gegen 5 Uhr auf, da ich merkte, daß Helga immer mehr Fieber bekam. Ich habe sie dann auf`s Sofa gebettet und kühle Umschläge auf die Stirn gemacht, was ihr gut tat. Für den Durchfall habe ich ihr später warme Leibumschläge gemacht, was aber nicht viel Zweck hatte, da sie zu oft raus mußte. Fieber hatte sie erst 39 Grad, später 39,5. Da habe ich dann Dr. Nast telefoniert. Der war gerade unterwegs und bis er kam, war das Fieber auf 40 Grad gestiegen und Helga phantasierte leicht.
Jörg stand morgens richtig auf und hat auch Frühstück gegessen. Auf einmal wurde er bleich und ihm wurde schlecht. Er bekam auch Durchfall. Das Fieber stieg bei ihm aber nur bis 37 Grad. Ich habe ihn dann auf den Liegestuhl gelegt. Bis der Arzt kam, habe ich Beiden Silargetten gegeben, zum desinfizieren. Zu essen gab ich ihnen nichts mehr, nur Tee, aber ohne Zucker.
Als der Arzt kam, hat er Beide untersucht. Ich durfte ihnen nur Reisschleim und Pfefferminztee mit geschlagenem Eiweiß geben. Er sagte mir besonders, ich dürfte ihnen auch nichts geben, wenn sie noch so bitten. Es  könnte sonst gefährlich werden. Gegen das Fieber bekamen sie Tabletten, die auch wirklich das Fieber herunterdrückten. Der Arzt sagte, daß er heute Morgen gleich wieder nachsehen würde. Heute Morgen kam er auch und sagte, daß es also keine Kinderlähmung würde. Das hatte er nämlich befürchtet, da 3 Häuser neben uns ein Bub von Distel`s deshalb ins Krankenhaus gekommen ist. Gestern konnte es der Arzt auch noch nicht bestimmt sagen, was draus würde und Du kannst Dir sicher sein, was ich mir für Sorgen gemacht habe. Vorläufig dürfen die Kinder noch 2 Tage nur Reisschleim und gedünstetes Möhrengemüse essen, sowie Tee, aber ohne Zucker. Das Fieber ist soweit weg, nur der Durchfall hält noch an. Der Arzt meint, daß es sicher noch 2 Tage anhalten wird. Alles was weg geht, ist fast wie Wasser. Von was es gekommen ist, weiß ich nicht. Es könnten ihnen höchstens die Trauben nicht bekommen sein, trotzdem wir sie gut gewaschen haben. Aber die haben sie auch schon am Samstag gegessen. Vielleicht haben sich die Kinder auch erkältet. Das Wetter war ja die letzten Tage dazu angetan. Jedenfalls bin ich froh, daß sich alles soweit gebessert hat. Da brauchst Du Dir nun auch keine Sorgen machen.
Eben war Helga wieder auf dem Eimer. Da ist ein ca. 20 cm langer Spulwurm mit herausgekommen. Vielleicht hat sie noch mehr und ist deshalb so nervös? Wenn der Arzt kommt, will ich es ihm sagen.
Soeben erhielt ich Deine beiden Briefe vom 19. und 18. Ich muß ja sagen, viel Schönes erlebst Du jetzt dort nicht. Kann denn der K.V.-Rat überhaupt nichts machen, daß Ordnung in den Laden kommt oder will er nicht. Da muß man schon ziemlich Geduld aufbringen, wenn man so dabei stehen muß und sehen, wie andere sich einfach hinsetzen, wo man selber alles mit aufbauen mußte. Hoffentlich ändert sich dieser Zustand  bald, denn so ohne Tätigkeit muß Dir ja das Fernsein von zuhause doppelt schwer werden. Wenn ich Dir nur helfen könnte, aber ich kann nur mit ganzem Herzen bei Dir sein und mit Dir fühlen. Ich werde mit Dir froh sein, wenn Du wieder Deine geordnete Arbeit hast.
Der Tag auf dem Haldenhof war wirklich wunderschön. Du hast Dir gar nicht merken lassen, wie beschwerlich es Dir war. Die Erinnerung an diesen Tag bleibt uns ja.
Ich war wirklich auch sehr froh, daß Du die ersten Tage nach dem Tode meiner Mutter bei mir warst. Es war doch leichter. So stark, daß ich jetzt soweit wieder alles meistern kann, bin ich wieder. Wenn ich auch recht oft Sehnsucht danach habe, daß Du bei uns wärst. Es wär dann alles viel schöner. Man darf gar nicht immer daran denken, wie Du uns fehlst. Es wird sonst zu schwer.
Im Garten kann ich jetzt einstweilen nichts machen solange die Kinder krank sind, denn da werde ich hier gebraucht. Aber wir haben ja schon vorgearbeitet, da ist es nicht so schlimm. In den nächsten Tagen will ich erst noch das Sauerkraut einhobeln. Das Kraut hatte ich ja in der vergangenen Woche abgeschnitten.
Ich wünsche Dir nun, daß Deine Rückenschmerzen recht bald nachlassen und am besten ganz aufhören. Sei für heute recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Mein lieber Ernst!                                                                  Konstanz, 22.10.41

Nachdem ich in 2 Tagen gleich 4 Briefe bekommen habe, konnte ich natürlich heute mit keinen rechnen. Es ist auch keiner gekommen. Ich weiß nun nicht, wie es bei Dir jetzt mit der Arbeit geworden ist. Hoffentlich kommt bald alles ins richtige Gleis. Mit Deinem Rücken wünsche ich Dir auch heute recht gute Besserung.
Jörg ist heute wieder soweit munter, daß er schon längere Zeit aufstehen konnte. Auch der Durchfall ist ziemlich weg. Anders bei Helga. Bei ihr hält er immer noch an. Fieber hat sie ja fast keins mehr und sie ist auch schon etwas munterer. Essen will sie nichts, wenigstens nicht das, was ich ihr geben darf. Wenn sie wieder essen kann, hat sie sich schon Spätzle und auch Pudding gewünscht. Morgen kommt ja der Arzt wieder und wir werden sehen, ob er zufrieden ist. Helga`s Wünsche gipfeln jetzt darin, daß ich mich zu ihr setzen und ihr erzählen oder vorlesen soll. Soweit es möglich ist, erfülle ich ihr diesen Wunsch natürlich.
Von Kurt kamen heute 2 Päckchen. Eins mit einem Buch zum aufheben und das andere mit viel Bonbons und Tabak. Ich habe ihm heute einmal etwas Honiggebäck gebacken und zugeschickt. Ich war sowieso gerade beim backen für Dich. Von dem Honiggebäck habe ich Dir ein paar Kostproben mit beigefügt. Laß Dir alles gut schmecken. Es wird ja wohl ein paar Tage länger unterwegs sein als der Brief. Es soll Dir wieder ein kleiner Gruß von zuhause sein, ein schmackhafter. Als Du hier warst, sagte ich Dir doch, daß der Emil von Leimenstolls eine Rückgradverkrümmung hat und seit fast 1/2 Jahr nicht mehr gut laufen kann mit dem einen Bein. Frau Leimenstoll war ja schon überall mit ihm. Vor längerer  Zeit habe ich sie einmal auf die Krüppelberatungsstunden des Gesundheitsamtes aufmerksam gemacht. Jetzt ist sie nun mal hingegangen. Der Arzt, der die Beratungsstunden abhält, ist in Singen im Krankenhaus. Dar hat der Frau Leimenstoll nun gestern gesagt, daß es gut sei, daß sie gekommen ist. Bis in einem Jahr wäre er auf beiden Beinen gelähmt gewesen. Es sind Röntgenaufnahmen gemacht worden, die ans Gesundheitsamt gehen. Von dort aus müßte er dann ca. 3/4 Jahr fort kommen und in ein Gipsbett kommen. Es fängt alles mit dem Rückgrat zusammen. Das ist doch auch schlimm. Der Bub ist doch sonst gesund und kräftig. Heute war Herr Ganahl bei uns. Er erkundigte sich nach Büsings Kindern. Es sei eine Klage aus der Nachbarschaft gegen sie eingelaufen. Ob ich jetzt zu klagen hätte. Ich sagte ihm, daß immer etwas los sei. Da sollten wir sie zurecht weisen, meinte er. Ich sagte darauf, daß es da immer großen Krach gäbe. Darauf meinte er, das gibt es nicht, entweder fügen sie sich ein oder sie fliegen raus. Mal sehen, was nun wird. Ich will sie bestimmt nicht rausdrängen, nur anständig benehmen sollen sie sich. Ich bin ja immer froh, wenn ich von diesen Sachen nichts sehe und höre.
Nun schließe ich für heute wieder und hoffe fest, daß ich morgen wieder einen Brief von Dir erhalte. Sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Donnerstag, 20. Oktober 2016

Brief 226 vom 18./19./20.10.1941


Mein liebster Ernst!                                                                    Konstanz, 18.10.41                                                                        

Auch heute ist es wieder Abend geworden, ehe ich mich zum schreiben hinsetze. Am Vormittag bin ich einkaufen gegangen und habe hinterher Essen gekocht und Kuchen gebacken. Nach dem Essen bin ich in den Garten gegangen, habe die abgeschnittenen Brombeerranken rüber in den Garten geschafft, da ich sie dort besser verbrennen kann. Dann habe ich die Dahlien abgeschnitten und die restlichen Bohnenstangen raus gemacht. Als wir mit der Arbeit fast fertig waren (heute hat mir Jörg einmal mitgeholfen) kam Vater und wollte den Wagen holen. Er wollte sich beim Grießer seine 4 Ztr. Kartoffeln holen. Eigentlich sollten sie ja in der vergangenen Woche gebracht werden, aber Grießer erklärte heute, das könnten sie nicht. Ich bin mit den Kindern gleich mitgegangen, damit sich Vater nicht so abschleppen muß. Als wir hinkamen, waren keine Kartoffeln mehr da und Grießers versprachen Deinem Vater, daß sie ihm die Kartoffeln nun doch am Dienstag bringen. So sind wir also wieder heimgegangen. Vater hatte für uns zur Entschädigung noch 1 Pfund Trauben gekauft. Das wäre nicht nötig gewesen, aber er ließ sich nicht davon abbringen. Als wir heim kamen, habe ich Abendessen gekocht und nun sitze ich beim schreiben.
Von zuhause erhielt ich eine Karte meines Bruders, daß sie erst am Dienstag, den 21. heiraten können, da ihnen noch verschiedene Papiere fehlen. Das Frl. Waibel uns gegenüber, hat heute auch geheiratet.
Vater sagte mir heute, daß sich der Herr Flaig vom Fürsorgeamt am Dienstag aufgehängt hat. Die Notiz in der Zeitung, die allerdings ohne Name ist, schicke ich Dir mit.
Du hattest vergangene Woche recht gehabt, als Du sagtest, wer weiß, ob wir nächste Woche noch so schönes Wetter zum Fortgehen hätten. Es ist wirklich nicht mehr schön. Gestern war es mild, aber etwas windig und regnerisch. Heute ist es direkt stürmisch. Du bist doch gerade zur richtigen Zeit auf Urlaub gekommen.
Heute Abend wollte Vater noch rauf kommen, aber ich glaube, der Sturm wird es ihm verleidet haben. Es ist jetzt bereits 1/2 9 Uhr. Ich schaffe nun noch den Brief weg, wasche noch ab und gehe dann bald schlafen. Da ist es mir am wohlsten, denn es ist mir doch immer noch sehr einsam ohne Dich.
Sei Du, mein liebster Schatz, wieder recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Mein liebster Ernst!                                                                 Konstanz, 19.10.41

Wir haben heute keinen schönen Sonntag. Die ganze Nacht hat es schon gestürmt und heute geht es weiter. Dabei regnet es auch noch. Ich bin froh, daß wir die Doppelfenster drin haben. Zwischen die Fenster habe ich heute noch Stroh gelegt, damit es nicht so durchzieht.
Vater sagte gestern, daß er, wenn er gestern nicht mehr heraufgekommen konnte, bestimmt heute käme. Wenn er sich doch nicht den ganzen Nachmittag in seine Wohnung setzen würde. D.h. sitzen ist nicht der richtige Ausdruck, denn er wirtschaftet doch immer herum. Ich meine, hier bei uns hätte er`s doch ein bißchen gemütlicher. Es ist nur immer der Weg bis hierher. Bei dem Wetter mag man nicht gern aus dem Haus.
Am Morgen haben wir Jörg die Haare geschnitten. Er wird mit der Zeit doch gescheiter, denn er hat auch vorher gar kein Theater gemacht. Hinterher ist er ja immer ganz begeistert, wenn er wieder ordentlich aussieht.
Heute Abend will ich noch an Siegfried und Erna schreiben. Davor graut mir ein wenig, denn ich weiß jetzt noch nicht, was ich eigentlich schreiben soll.
Nach dem Mittagessen habe ich mit den Kinder „Mensch hau` ab“ und „Mensch ärgere Dich nicht“ gespielt. Dann haben sie sich die Märchen im Radio angehört und ich habe inzwischen geschrieben.
Einen Brief habe ich noch nicht von Dir bekommen. Ich hoffe aber, daß nun recht bald einer eintrifft. Ich möchte doch gern wissen, wie Du angekommen bist und wie es Dir geht. Hoffentlich hast Du keine Rückenschmerzen mehr.
Laß mich nun für heute schließen, denn ich habe gar nichts mehr zu berichten.
Sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Mein liebster Ernst!                                                               Konstanz, 20.10.41

Heute Morgen erhielt ich Deine ersten lieben Briefe vom 15. und 16. Leider muß ich daraus ersehen, daß Du wohl soweit gut hingekommen bist, aber vieles nicht so vorgefunden hast, wie es zu wünschen gewesen wäre. Dieser Empfang dort hilft Dir ja wirklich nicht über den neuerlichen Abschied von daheim hinweg. Am nettesten war also eigentlich noch Euer Hund. Schön fände ich es ja wirklich nicht, daß man Dir einfach dort Deinen Platz weggenommen hat. Der andere hat sich nur ins fertige Nest setzen brauchen, während Du vorher alles aufbauen mußtest. Aber, bitte lieber Ernst, ärgere Dich nicht zu viel. Denke immer, daß es ja nicht für immer ist, daß Du dort sein bist.
Dein Rücken macht mir ja Sorge. Laß es nicht hängen, sondern gehe, wenn es möglich ist, zum Arzt. Damit Du nicht Dein Leben lang damit zu tun hast.
Das ist ja auch blöd, wenn Ihr nicht einmal Eure Wohnung heizen könnt. Das braucht man jetzt doch bestimmt schon notwendig. Man möchte sich doch auch einmal längere Zeit in der Wohnung aufhalten. Ich bin mit Dir gespannt, wie das alles noch wird.
Die Kinder sind über den Abschied soweit hinweg. Mir ist es ja immer sehr einsam und die Ruhe, die ich bei Deinem Hiersein hatte, ist auch weg. Es ist eben einfach kein richtiges Leben ohne Dich. Man kann sich nur immer wieder damit trösten, daß es noch vielen so geht.
Der Schulanfang ist ja, wie ich Dir, soviel ich weiß, schon schrieb, auf den 27. hinausgeschoben worden.
Die restlichen Brief und Päckchen hast Du also inzwischen erhalten. Da hast Du wenigstens noch etwas von zu hause.
Der Hauptmann wird sich gefreut haben, als er seine Sachen so hoch verzollen mußte. Das lohnt sich ja wirklich nicht.
Jetzt muß ich Dir noch etwas berichten. Ich denke nicht, daß es Dich sehr ärgern wird. Ich schrieb Dir ja, daß sich der Flaig erhängt hat. In einem hinterlassenen Brief soll er den Mayer vom Fürsorgeamt beschuldigt haben. Jedenfalls ist der Mayer beurlaubt und sitzt augenblicklich. Wahrscheinlich vorläufig in Untersuchungshaft. Sie sollen, soviel ich hörte, mit Möbeln, die doch immer aufs Fürsorgeamt kommen, hintenherum  gehandelt haben. Jedenfalls hätten Beide, Flaig und Mayer, ein schönes Stück Geld beiseite gebracht. Es herrscht in der Stadt ziemliche Aufregung, daß man solchen Leuten Ämter gebe, von denen sie nichts verstehen und die keinerlei Prüfungen abgelegt hätten. Wenn ich Weiteres hören sollte, schreibe ich Dir. Besonders peinlich ist es noch, daß er Ortsgruppenleiter ist. Aber es gönnen`s dem Mayer viele, er war zu hochnäsig. Ich schließe nun für heute, denn ich denke, daß Dich der Schluß des Briefes sicher nicht traurig gestimmt hat. Sei nun recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Samstag, 15. Oktober 2016

Brief 225 vom 15./16./17.10.1941


Liebster Ernst!                                                                               Konstanz, den 15.10.41                                          

Heute, da es regnet und ich nichts im Garten schaffen kann, habe ich mich gleich einmal ans schreiben gesetzt und habe einstweilen an Papa, Kurt und Alice geschrieben. Die Durchschläge füge ich bei. Nachher schreibe ich vielleicht noch an Dora. Aber erst sollst Du an die Reihe kommen, denn ich möchte, daß der Brief noch 1/2 5 mit fort kommt, damit Du nicht zu lange warten mußt.
Heute erhielt ich wieder eine Karte von Papa, in der er mir mitteilt, daß er unser Päckchen erhalten hat und sich noch persönlich bei Dir bedanken wird. Er will mir in der nächsten Woche auch wieder Zeitungen schicken. Siegfried und Erna waren am Sonntag immer noch nicht zurück gekommen und hatten auch nichts weiter geschrieben als eine Karte, daß sie gut in Rehau angekommen sind. Das finde ich aber nicht schön von Siegfried. Er müßte doch wissen, daß es Papa jetzt schwer zu Mute ist. Ich kann gar nicht begreifen, daß er dafür gar kein Gefühl hat. Aber ich werde mich deshalb nicht aufregen. Ich werde an Papa öfter schreiben, das wird ihm auch eine Erleichterung sein.
Denke, wer noch geschrieben hat, Elsa. Sie entschuldigt sich, daß sie so lange nichts hat von sich hören lassen. Ich solle es nicht übel nehmen, sie sei in der Zwischenzeit schon öfter wieder so krank gewesen, daß sie im Bett liegen mußte, so daß nicht zum Schreiben gekommen ist. Ich werde ihr nun auch wieder antworten.
Wir haben heute wunderbares Wetter. Du hast mit Deiner Voraussage wahrscheinlich doch recht gehabt, daß die schönste Zeit vorbei ist. Sogar Hagel hat es vorhin gegeben. Wir sind froh, daß wir gestern den Tag gleich für den Garten ausgenutzt haben. Übrigens, das Kellerfenster haben wir gestern auch mit aufgeräumt, die Blumentöpfe und die Flasche weggeräumt. Das ist also jetzt auch in Ordnung.
Du bist mir doch sicher nicht böse, wenn ich heute einmal nicht so viel schreibe. Sicher wird es morgen wieder mehr. Ich bin vom vielen Briefschreiben ganz ausgepumpt. An Tante Agnes und an Dora werde ich ja sicher dasselbe schreiben, wie in den anderen Briefen, aber das läßt sich nicht ändern. Was gegrüßt und ganz fest geküßt von Deiner Annie.

Mein liebster Ernst!                                                                         Konstanz, 16.10.41

Heute fange ich gleich mittags zu schreiben an. Später will ich zur Post fahren und alle Briefe, die ich gestern geschrieben habe, wegschicken, ebenso das Päckchen an Dora. Durchschläge von den Briefen, die ich gestern noch geschrieben habe, lege ich bei. Mit schreiben habe ich mich doch gestern ziemlich angestrengt, nicht wahr? Weißt Du, was ich auch bis jetzt verbummelt habe? An die Frau Graser das Geld zu schicken. Ich will es heute gleich mit erledigen, sonst meint sie, wir wollten es ihr gar nicht wiedergeben.
Ich schicke Dir heute einen Zeitungsausschnitt mit, der Dich vielleicht interessiert.
Frau Steinmehl ist also doch gestorben. Sie haben sie nicht mal mehr bis ins Krankenhaus gebracht. Ich habe vorhin einen Kranz besorgt. Weil alle hier herum einen gekauft haben, will ich nicht zurückstehen. Ich habe ihn vorhin auf den Friedhof gebracht. Herrn Steinmehl habe ich auch gesehen. Da hat man auch gemeint, die lebten gut miteinander. Wie ich nun hörte, hat sich Frau Steinmehl öfter beklagt, daß ihr Mann schon seit Jahren kein gutes Wort mehr für sie hätte. Bezeichnend ist ja, daß er vorgestern, ehe sie ins Krankenhaus gebracht werden sollte, nicht einmal nach ihr gesehen hat und dem Vorwand, er könnte so etwas nicht sehen. Na, uns geht es ja nichts an.
Heute Morgen hatten wir ganz dicken Nebel. Jetzt hat es sich etwas aufgeheitert. Trotzdem, richtig warm ist es deshalb doch nicht.
Eigentlich hatte ich Dir heute einen längeren Brief versprochen, aber ich weiß wirklich nichts weiter zu schreiben. Ein Tag geht ja wieder wie der andere dahin. Eigentlich wollte ich heute noch im Garten arbeiten, aber ich habe noch ziemlich in der Wohnung zu tun, daß ich erst einmal da fertig werden will. Nachher will ich bei Kornbeck wegen Dünger nachfragen. Mal sehen, was ich bekomme.
Ich will mich nun zum fortgehen fertig machen und grüße und küsse Dich deshalb für heute herzlich Deine Annie.

Mein liebster Ernst!                                                                     Konstanz, 17.10.41

Ich komme erst heute Abend zum schreiben, denn ich war heute den ganzen Tag im Garten und habe die Brombeeren verschnitten und frisch festgebunden. Ich habe ziemlich aufgeräumt und die abgeschnittenen Ranken türmen sich zu einem richtigen Haufen. Man kann jetzt sogar wieder durch die Hecke hindurch sehen. Es sieht jetzt ganz ordentlich aus. Diese Arbeit wäre also getan. Nun kann ich das Weitere in Angriff nehmen. Aber das umgraben usw. kann man auch machen, wenn es etwas kühl ist, aber das Verschneiden, bei dem man ziemlich ruhig steht, möchte man doch gern bei etwas wärmeren Wetter erledigen. Und das war heute der Fall.
Gestern habe ich wegen Dünger nachgefragt. Ich konnte aber nur Kali bekommen und davon nur 5 kg. Es kann sein, daß vielleicht noch Thomasmehl hereinkommt, aber sehr sicher ist es nicht. Ich muß also einstweilen nut Kali verwenden.
Das Geld an Frau Graser habe ich gestern abgeschickt. Von daheim erhielt ich gestern einen Brief, in dem sie mir mitteilen, daß Siegfried und Erna sicher morgen, also Samstag  heiraten werden. Siegfried hat die Heiratserlaubnis von seiner Truppe bekommen. Ich werde ihnen schreiben und fragen, was sie sich als Hochzeitsgeschenk wünschen. Etwas Unnützes möchte ich ihnen nicht schenken. Sollte sie keinen bestimmten Wunsch haben, können wir ihnen ja etwas Geld schicken, oder Du kannst vielleicht dort etwas besorgen.
In der Zeitung stand heute, daß der Schulunterricht bis einschließlich 25.10. ausfällt. Da brauchen die Kinder also nächste Woche noch nicht zur Schule.
Jetzt wird es ja sicher nicht mehr so lange dauern, bis ich wieder einen Brief von Dir erhalte. Ich warte schon sehnsüchtig darauf. Es ist doch sehr einsam ohne Dich. Ich mache mir auch immer Gedanken, ob wohl Deine Rückenschmerzen verschwunden sind. Ich hoffe, daß Du mir davon schon schreiben wirst.
Sei Du, mein liebster, bester Mann, recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Brief 224 vom 13./14.10.1941


Mein liebster Ernst!                                                                     Konstanz, 13.10.41                                                                           

Heute Nachmittag haben wir Dich zur Bahn gebracht und nun fange ich bereits an, an Dich zu schreiben. Du sollst doch recht bald Nachricht von uns bekommen. Es ist gegen 9 Uhr und ich denke daran, daß Du bald in Stuttgart sein wirst. Die Kinder wollen auch noch nicht einschlafen, sie möchten auch noch den Zeitpunkt Deiner Ankunft in Stuttgart abwarten. Du hättest Dich heute sicher noch an ihnen gefreut, denn sie haben sich sehr zusammengenommen, daß sie nicht so viel weinten und sagten mir immer: „Wir wollen doch Vaterle noch Freude machen, er hat doch gesagt, wir sollen tapfer sein.“ Über die Bonbons haben sie sich sehr gefreut und sie danken Dir dafür ganz fest. Wir sind nach Deiner Abfahrt noch einkaufen gegangen. Ich habe mir ein paar Reclamhefte gekauft, damit ich besser über die ersten Abende hinwegkomme. Soll ich sie Dir hinschicken, wenn ich sie gelesen habe? Nach dem einkaufen sind wir heim gegangen und haben Abendbrot gegessen. So schön und gemütlich wie die letzten Abende war es nicht. Die nötige Ruhe hat uns allen gefehlt.
Ich denke immer daran, ob Du wohl rechte Rückenschmerzen hast bei der Fahrt. Wenn ich sie Dir doch abnehmen könnte. Inzwischen ist es 9,20 Uhr geworden und Du wirst in Stuttgart also schon umgestiegen sein. Hoffentlich hast Du wieder einen guten Platz bekommen, damit Du ein bißchen schlafen kannst.
Heute Abend gab es noch ein kleines Zwischenspiel. Die Haushaltungsliste wurde abgeholt und ich wußte nicht, wo das Ding war. Ausgefüllt hatte ich sie ja, aber dann hatte ich mich nicht mehr darum gekümmert. Unter den Zeitungen haben wir sie dann entdeckt.
Jetzt wird im Radio das Lied von der Laterne gesungen. Das haben wir doch öfter zusammen gehört. Dadurch ist es mir nun besonders lieb geworden.
Nun ist es 1/4 11 geworden. Nun wirst Du bald in Heilbronn sein. Ich gehe nun schlafen. Gute Nacht, mein lieber, lieber Ernst. Bleib mir gesund. Morgen früh, wenn Du in Maastricht bis, bin ich auch wieder munter und meine Gedanken sind bei dir. Hoffentlich hast Du heute Nacht keinen Alarm.
Sei nun recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Mein liebster Ernst!                                                                         Konstanz, 14.10.41

Es ist jetzt bereits 8 Uhr abends. Ob Du wohl schon an Deinem Bestimmungsort bist? Hoffentlich ist die Fahrt gut verlaufen. Ich werde es ja in einigen Tagen aus Deinem Brief ersehen. Deine liebe Karte aus Stuttgart habe ich heute Nachmittag erhalten. Du bist doch ein lieber Kerl.
Der Tag ist heute nicht sehr fröhlich verlaufen. Am Morgen kam das Paket von Papa. Er schickte mir verschiedene Sachen von Mama. Ich lege den Brief mit der Aufstellung bei. Es waren verschiedene Sachen dabei, die ich früher immer an Mama gesehen habe, so die Ringe und die Kette. Die hatte sie auch noch an, als wir zusammen im Variete waren. Es tut weh, diese Sachen  jetzt so in die Hand nehmen zu müssen.
Du hast mir auch so sehr gefehlt. Es ist so einsam hier bei uns. Wir sind deshalb auch in den Garten gegangen, nachdem wir die restlichen Kartoffeln versorgt hatten. Im Garten haben wir Weißkraut abgemacht und rübergeschafft, ebenso die Bohnen und die Bohnenstangen. Einige stehen noch, da noch grüne Bohnen dran sind. Als wir im Garten waren, wurde Frau Steinmehl wieder mit dem Krankenauto geholt. Frau Rebholz sagte, daß sie gestern noch geschafft habe. Heute Morgen hatte sie Kopfweh, dann Schmerzen im Nacken. Später röchelte sie so sehr, daß man es bis vorm Haus hörte. Frau Rebholz, die nach ihr sehen sollte, fand sie mit ganz gelben Streifen bis zu den Ohren. Außerdem verfärbte sie sich dauernd. Heute Abend hörte ich nun, daß sie gestorben sei. Ich hörte es nur von dritter Seite, weiß es also nicht genau. Frau Rebholz sagte heute Mittag, daß sie sich schon öfter gewünscht hat, sie könnte sterben. Auch ein Frl. Hermann ist gestorben. Vielleicht kennst Du sie, denn sie hat einen ledigen Buben von 10 Jahren. Sie hinkte und soll lungenkrank gewesen sein.
Von Kurt habe ich heute auch einen sehr netten Brief bekommen. Ich schicke ihn auch mit. Es hat mich gefreut, daß er so gut meiner Mutter gedenkt. Ich werde ihm bald antworten und schreiben, daß sich mein Vater sicher über einen Brief freuen würde.
Helga hat vorhin auch einen Brief an Dich geschrieben. Sie war ganz glücklich, daß sie Dir schreiben konnte. Ein paar Fehler haben sich ja eingeschlichen. Sieh bitte darüber hinweg. Mit viel Liebe ist der Brief geschrieben.
Heute war es am Morgen wieder ziemlich kühl. Bis zu 5 Grad Kälte. Am Tag hat die Sonne ja alles ziemlich erwärmt, das heißt, eigentlich erst am Nachmittag. Ich glaube, wir hatten während Deines Urlaubs doch die schönsten Tage. Die schöne Fahrt zum Haldenhof werden wir nicht so bald vergessen. Es war doch herrlich. Wenn man immer über den See sehen konnte, von dem Höhenweg. Auch der Weg nach dem Tabor am Tage vorher war doch schön. Ich möchte Dir nochmals für all die schönen Tage danken. Wenn es wieder anders ist, so muß man es eben so nehmen, die ganze Hoffnung gilt nun wieder dem nächsten Urlaub. Die innere Ruhe, die ich immer habe, wenn Du da bist, ist ja wieder dahin. Mit meinen Gedanken bin ich ja immer bei Dir. Aber davon will ich jetzt nicht reden, sonst werde ich noch ganz traurig und das willst Du doch nicht. Du willst doch, daß wir tapfer sind.
Es ist inzwischen 3/4 9 geworden und ich will den Brief noch wegschaffen, damit er Morgen früh mit fort kommt.
Sei wieder recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.


Donnerstag, 6. Oktober 2016

Brief 223a Zwischenspiel

Helga und Jörg



In der Zeit der Pause, die gerade jetzt eintritt, weil meine Großmutter mit den Kindern zu ihren Verwandten nach Leipzig gefahren ist und gleichzeitig mein Großvater in Konstanz in eine leere Wohnung kommt, nutze ich die Lücke nun, um ein paar Bilder aus der damaligen Zeit zu posten.






Die Familie meiner Großmutter in Leipzig. Sie ist hinten stehend die zweite von links.