Mein
lieber, lieber Ernst!
Konstanz, 30.10.41
Heute
habe ich sooo einen langen Brief von Dir bekommen, vom 26. Am liebsten hätte
ich einen Indianertanz aufgeführt, so habe ich mich darüber gefreut. Wenn Du da
gewesen wärst, hätte ich Dich ganz fest abgeküßt, natürlich nur mit Deiner
Genehmigung. Nun muß ich alles nacheinander beantworten.
Also,
die Kinder sind ja Gott sei Dank wieder ganz gesund. Ich glaube, Du und ich,
wir Beide, sind gleich froh darüber. Wir haben sie doch Beide lieb und möchten
sie gesund erhalten. Weiß Du, hätte Helga nur Durchfall bekommen, hätte ich den
Arzt nicht geholt, aber das Fieber hat mir nicht gefallen. Die Äußerung des
Arztes „Es wird also keine Kinderlähmung“ hat mir ja dann auch gezeigt, daß
doch nicht damit zu spaßen ist. Heute war ich mit den Kindern noch einmal beim
Arzt und habe Pulver für eine Wurmkur für Helga verschrieben bekommen. Sie muß
3 Tage hintereinander je 1 Pulver nehmen. Den Erfolg werden wir ja sehen. Dr.
Nast sagte auch, daß das nervöse und auch das Kopfweh, das sie doch öfter mal
bekam, sicher von den Würmern her rührt.
Ich
bin froh, daß Du Dich nicht mehr so ärgerst, wenn Du auch oft dazu Anlaß
hättest. Du mußt ja nicht für Dein ganzes Leben dort aushalten. Schön fände ich
es ja von dem K.V.-Rat bestimmt nicht, erst packt er Dir alle Arbeit auf und
dann tritt er nicht für Dich ein. Aber man ändert ja die Leute doch nicht.
Es
wird sicher nichts schaden, wenn Du einmal einen dicken Kopf aufsetzt, wenn es
notwendig ist. Es ist ja leider so, daß einem manche gern auf dem Kopf
herumtanzen möchten, wenn sie merken, man läßt sich viel gefallen. Richtig wäre
es, wenn einer dem anderen rücksichtsvoll begegnen würde. Aber leider trifft
man´s nicht immer so an.
Ach
weißt Du, lieber Kerl,. pimplig wärst Du auch nicht gewesen, wenn Du`s gesagt
hättest, daß Du Schmerzen hast, als wir nach dem Haldenhof fuhren. Es kann
sein, daß der Tag nicht ganz so schön geworden wär, aber wir hätten es Dir doch
vielleicht etwas leichter machen können. Na, es ist ja nun vorbei. Die
Hauptsache ist noch, daß Dein Rücken wieder ganz gut wird.
Im
Garten habe ich ja die letzten Tage wegen dem schlechten Wetter nichts machen
können. Aber heute war es trocken und so habe ich gleich mit umgraben
angefangen. Ich habe zwar nur das Stück fertig gebracht, wo die Bohnen standen,
aber es ist doch ein Anfang.
Am
Morgen waren wir in der Stadt auf der Sparkasse. Die Kinder haben je 3,-
eingezahlt. Helga hat jetzt 58,-, Jörg 56,-Mk.
Da
will ich Dich auch gleich noch fragen. Du hast doch sicher von dem eisernen
Sparen gehört. Da führt man jeden Monat einen bestimmten Betrag gleich durch
den Arbeitgeber auf die Sparkasse ab. Dafür braucht man dann keine sozialen
Abgaben bezahlen. Diese werden nur für den verbleibenden Betrag gemessen. Man
muß den Sparbetrag aber während der Dauer des Krieges stehen lassen und dann
ist er nur jährlich kündbar. Ich denke, daß sie sicher von der Stadt anfragen
werden, ob wir eisern sparen wollen, wie der Ausdruck dafür so schön heißt. Ich
möchte Dich nun bitten, Deine Meinung zu schreiben, ob wir eisern sparen wollen
oder so, wie bisher, wo wir`s jederzeit abheben können.
Wenn
Du Pudding bekommen kannst, so sind wir Dir bestimmt darum nicht böse. Du weißt
ja, wir essen ihn alle gern und so haben wir pro Monat und pro Person nur
einen.
Spätzle
gibt es bei uns am Sonntag, allerdings ohne sauren Rahm. Das würde Dir ja nicht
so ganz richtig gefallen, nicht wahr? Aber die Kinder sind auch so schon froh.
Wenn mal wieder Friede ist, dann mache ich für Dich mal wieder Spätzle mit Rahm.
Ich ess sie ja mit Rahm auch am liebsten.
Der
Junge von Leimenstolls soll schon bald fortkommen. Die Frau hat schon Bescheid
vom Gesundheitsamt bekommen. Es kann sein, daß die Krankheit tuberkulös ist.
Genau weiß es Frau Leimenstoll nicht. Ich denke aber, daß sie dem Buben schon
noch helfen können.
Wenn
wir die ca. 86,- von der Zusatzversorgung bekommen würden, wäre es mir recht,
wenn ich 20,- davon bekommen würde. Wenn Du aber gern alles hättest, so
schreibst Du mir`s bitte. Eine Weile werden wir ja wohl sicher damit noch
warten müssen.
In
Lille warst Du also wieder einmal. Du wirst es sicher bedauert haben, daß Du
den Tommy nicht mehr angetroffen hast. Aber wenigstens mit dem Graser konntest
Du noch ein paar schöne Stunden verleben. Der Lorenz, oder wie er sich sonst
schreibt, ist doch ein ziemlicher Lump. Diese Leute schauen nur, daß sie viel
Geld machen, wie, ist Nebensache. Vielleicht wird er später, wenn die Deutschen
wieder fort sind, am meisten schimpfen.
Ich
gratuliere Dir zur eigenen Pistole. Ich freue mich mit Dir. Es ist ja bei uns
so, daß wir lieber etwas Eigenes als etwas geborgtes tragen. Jetzt bist Du doch
von niemand abhängig, daß er´s Dir bei Gelegenheit wieder abverlangen könnte.
Also, ich freue mich wirklich.
Die
Küsse habe ich unseren beiden, jetzt wieder gesunden, Schlawanzern gegeben. Ich
mußte doch meine Freude über Deinen langen Brief irgendwie äußern und so habe
ich sie ziemlich rumgewurschtelt. Es hat ihnen aber nichts geschadet.
Der
Brief an Siegfried und Erna ist wieder sehr fein. Du kannst Deine Gedanken so
gut zu Papier bringen, da hapert´s bei mir immer.
Nachricht
habe ich von zu hause noch keine. Bis nächste Woche warte ich noch ab, dann
frage ich mal, ob sie mich ganz vergessen haben.
Da
ich heute Nachmittag im Garten geschafft habe, bin ich nun erst heute Abend zum
schreiben gekommen. Der Brief kommt nun leider erst morgen früh weg, wenn ich
ihn auch noch heute Abend zum Briefkasten bringe, denn 1/4 7 wird erst geleert.
Sei nun wieder recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.
Mein
liebster Ernst! Konstanz, 31.10.41
Nachdem
ich gestern einen so schönen Brief von Dir bekommen habe, habe ich heute
vergeblich auf einen gewartet. Aber dafür habe ich wieder Zeitungen von Dir
bekommen. Darüber freue ich mich auch sehr. Da habe ich doch immer etwas zu
lesen. Heute bin ich ja noch nicht dazu gekommen, denn ich war wieder im
Garten. Am Vormittag habe ich erst unsere Kleiderkarten geholt, dann habe ich
Essen gekocht, dann haben wir gegessen und hinterher habe ich weiter
umgegraben. Bis zu den Dahlien bin ich damit gekommen. Es war wirklich eine
Arbeitserleichterung, daß die Erde da, wo Du die Kartoffeln raus gemacht
hattest, locker war. Es ging viel besser. Morgen habe ich davon ja auch noch ein
Stück.
Es
war heute wieder trocken und kalt. Aber von der Kälte merkt man beim Umgraben
nicht so viel, wenn nicht gerade ein kalter Wind geht. Bloß der Rücken tut mir
ein bißl weh. Da sieht man erst, daß man nicht mehr gewöhnt ist.
Ich
habe wieder mal nach Kali und Thomasmehl gefragt. Es ist aber nichts zu haben.
Da kann ich eben für das restliche Stück nur Kalk nehmen, denn trotz
sparsamsten Verbrauchs ist das Kali jetzt alle geworden.
Heute
kam der Rick beim Garten vorbei und hat mich begrüßt. Wir kamen auch auf die
Sache im Amt zu sprechen. Er meinte, es sei ein Blödsinn vom Flaig gewesen,
sich aufzuhängen und die Schuld auf sich zu nehmen. Tatsache sei jedenfalls,
daß auf dem Lager fast nichts mehr vorhanden sei. Die Sache würde noch
untersucht. Aber das ganze Amt leide darunter, denn sie würden jetzt alle als
Lumpen angesehen.
Vater
ist vorhin gekommen. Er wollte zwar gleich wieder gehen, aber jetzt sitzt er
doch schon eine ganze Weile bei der Zeitung. Es ist eben auch gemütlich warm
bei uns.
Es
ist mir jetzt schon zur Gewohnheit geworden, daß ich abends kurz vor 10 Uhr den
Sender Belgrad einstelle. Leider höre
ich ihn nicht immer gleich gut. Heute habe ich ihn schon jetzt, 3/4 9 Uhr,
eingestellt und höre Tanzmusik. Ob Du wohl auch zu hause bist und hörst, oder
ob Du im Kino bist? Ich wollte mir doch den Film „Ich klage an“ ansehen. Er ist
jetzt ziemlich 2 Wochen hier gelaufen und soll sehr gut gewesen sein. Aber es
ist nichts draus geworden. Erst konnte ich nicht wegen den Kindern, dann wegen
mir nicht. Das Übel ist immer noch nicht ganz vorbei. Du, jetzt habe ich noch
eine komische Frage an Dich. Kannst Du dort ein paar Rollen Klo-Papier
bekommen. Wie Du Dir denken kannst, war unser Verbrauch ziemlich groß und es
ist einfach nirgends welches zu bekommen. Alle rechnen, daß sie in den nächsten
Wochen wieder welches kriegen. Es ist ja eine eigenartige Angelegenheit, mit
der ich Dich belästige, aber Du hattest ja gesagt, ich sollte Dir ruhig
schreiben, wenn ich etwas wollte, was Du evtl. besorgen könntest.
Nun
will ich aber für heute Schluß machen. Sei wieder recht herzlich gegrüßt und
geküßt von Deiner Annie.