Mein liebster Ernst! Konstanz, 14.12.40
Heute waren wir in der Stadt und haben
Geld geholt. Als wir heim kamen, war ein Päckchen von Siegfried da. Er hat
Gebäck, Pralinen, Bonbons, Parfüm und 10,- geschickt. Das ist doch wirklich
schön. Findest Du nicht auch? Von Dir war leider kein Brief da, so daß ich
nicht weiß, ob es Dir wieder besser geht. Ich warte so auf einen weiteren Brief
von Dir.
Heute hat es auch die Weihnachtsabzeichen
gegeben. Kasper, Ritter, Prinzessin, Teufel, Räuber, Gretel usw. Sie sehen ganz
putzig aus. Die Arme sind beweglich. Die HJ macht es genau wie die SA. Zuletzt
halten sie einem immer noch um einen Pfennig an. In den nächsten Tagen muß ich
mich mal hinsetzen und an alle schreiben, von denen ich in den letzten Tagen
Briefe erhalten habe. An Elsa, Erna, Frau Diez und Siegfried. An Kurt schreibe
ich nur noch ein paar Zeilen zum Päckchen, das will ich heute auch noch
mitnehmen. Gestern bin ich, als ich den Brief wegschaffte, gleich noch beim
Zahlarzt gewesen. Von den zwei Zähnen, die er zuletzt gemacht hat, war doch
schon mal eine Plombe rausgegangen. Jetzt hatte ich wieder so einen
Zahnarztgeschmack im Mund. Damit ich nun zu Weihnachten nicht mit Zahnweh
dasitze, bin ich gleich mit hingegangen. Da war nun die andere Plombe
gesprungen. Der Zahnarzt sagt, ich hätte zu schnell darauf gebissen. Das ist
aber nicht wahr. Das hätte er ja auch damals sehen müssen, als er den Danebenliegenden
nochmals gemacht hat. Ich bin nur gespannt, ob es diesmal hält. Gestern Abend
hat es ganz verdächtig geknackt. Schwer weh getan hat die Behandlung ja
gestern. Ich bin froh, daß es vorbei ist. Es ist eben immer wieder etwas.
Die Kinder sind wieder runter zu Großvater
und ich will mich dann fertig machen.
Als ich heute den Gehaltszettel bekam, war
da wieder 3,40 Arbeitsfront abgezogen. Ich habe angerufen und da wurde mir
gesagt, daß die Nichtberechnung, der vergangenen Monate nur ein Versehen sei,
denn solange der Gehalt weiterläuft, muß man auch Arbeitsfront bezahlen. Da
kann man nix machen. Nun will ich schließen. Hoffentlich bekomme ich bald
Bescheid, ob Du wieder gesund bist. Sei nun für heute recht herzlich gegrüßt
und geküßt von Deiner Annie.
Mein lieber Ernst! Konstanz, 16.12.40
Zuerst möchte ich Dir für das Päckchen Nrr.10
und Deine lieben Briefe vom 3.und 8.12. danken. Gestern habe ich einmal keinen
Brief an Dich geschrieben, was Du entschuldigen mußt. Ich habe gestern noch
gebacken, da bin ich einfach nicht dazu gekommen. Gestern Abend ist mir dann
noch etwas „Schönes“ passiert. Kurz vorm Schlafengehen wurde mir auf einmal der
ganze Körper heiß und als ich mich dann auszog ist mir doch der Schreck in die
Glieder gefahren. Der ganze Körper, von den Schenkeln bis zum Hals, war mit
großen, angeschwollenen, roten Flecken bedeckt. Zuerst dachte ich an Scharlach,
weil das auch an den Schenkeln anfängt. Ich habe mich gleich mit einer
Sysoform-Lösung abgewaschen. Heute früh bin ich zum Arzt, der feststellte, daß ich Nesselfieber habe.
Von was weiß ich auch nicht. Der Arzt sagt, das kommt von verschiedenen Sachen,
Verdauungsstörungen usw. Hoffentlich ist es wieder gut bis Du kommst.
Heute erhielt ich auch noch Deinen lieben
Brief vom 9.12. Beantworten werde ich ihn nicht mehr viel, denn es fragt sich
ja, ob dieses Schreiben Dich noch antrifft, ehe Du in Urlaub kommst. Wir können
ja dann alles mündlich miteinander besprechen. Heute früh haben wir auch den
Weihnachtsbaum gekauft. Er ist sehr schön, kostet aber auch 2,-. Von den Eltern bekam ich heute auch ein
Paket. An Dich haben sie ja auch eine Stolle geschickt. Ich schreibe ihnen
heute noch, daß Du höchstwahrscheinlich nun doch zu Weihnachten heim kommst.
Ich freue mich ja schon so sehr darauf.
Mein liebster Ernst, nimm bitte heute mit
diesem kurzen Brief vorlieb. Ich habe heute gar kein Sitzfleisch. Von dem
Nesselfieber juckt es am ganzen Körper. Bleib Du nur gesund, damit wir uns
recht bald wiedersehen. Ich danke Dir recht sehr für das liebe Päckchen und die
Briefe und grüße und küsse Dich recht herzlich Deine Annie.
Mein lieber Ernst! Konstanz, 17.12.40
Du wirst sicher staunen, heute einen
Schreibmaschinenbrief von mir zu erhalten. Es ist, glaub ich, das erste Mal. Heute
kam Dein lieber Brief vom 10.12. an. Hab recht vielen Dank dafür. Nun ist es
nicht mehr so lange, bis Du zu uns nach hause kommst. Es ist heute der letzte
Brief, den ich bis zu Deinem Urlaub schreibe, die anderen würden Dich doch
nicht mehr dort erreichen. Nach der Stadt kann ich ihn leider nicht bringen, da
ich gestern Nachmittag und heute ein bißchen Stubenarrest habe, bzw. ich habe
mir selber gesagt, daß ich nicht raus gehe, da ich noch immer Nesselfieber und
auch ein wenig Nierenschmerzen habe. Da will ich mich lieber vorsehen, damit
ich nicht etwa im Bett liege, wenn Du bei uns bist.
Ich mache mich heute einmal an die Beantwortung
der verschiedenen Briefe, die ich bekommen habe. Da brauche ich mich nicht
gerade zu Weihnachten dazu hinsetzen. Augenblicklich halten wir uns wieder in
der Küche auf. Ich brauche zwar mehr Heizung, aber, da es mir doch nicht ganz
gut ist, muß ich schon die Küche, in der ich doch immer zu tun habe, warm
haben. Ich muß eben sehen, daß ich später wieder einspare. Bei uns ist es jetzt
auch ziemlich kalt, heute sind es 14 Grad Kälte.
In dem Paket der Eltern waren neben den
neuen auch noch einige alte Soldaten drin. Die habe ich Jörg nun gegeben. Jetzt
spielt er die ganze Zeit mit ihnen und seiner Kaserne. Er sagt, daß er jetzt,
wo er so viel Soldaten hat, viel schöner spielen kann. Wie wird das erst sein,
wenn noch welche dazu kommen. Die „Rösser“ gefallen ihm ganz besonders.
Eine Sonderzuteilung von Fleisch gibt es
zu Weihnachten nicht. Ich habe mir aber vorige Woche schon ein Pfund
aufgehoben, diese Woche sind es auch bald zwei Pfund, die ich mir aufspare und
Anfang nächster Woche gibt es nochmals ca. ein Pfund, außerdem kommt noch das
Fleisch Deiner Urlauberkarte dazu, so daß wir schon auskommen , wenn Du auch
nicht mitbringen kannst. Gebacken habe ich ja auch und auch sonst habe ich
verschiedenes, so daß wir auf keinen Fall zu hungern brauchen.
So ziemlich die meiste Arbeit habe ich ja
für Weihnachten hinter mir. Es ist doch gut, wenn man nicht alles bis zur
letzen Minute aufhebt. Jetzt hätte ich nun gar nicht so gut schaffen können. So
gibt es doch wenigstens die letzte Woche keine Hetzerei.
Ich freue mich ja schon mächtig, wenn Du
kommst. Ich kann die Zeit kaum erwarten. Aber nun geht es ja mit
Riesenschritten auf Weihnachten zu. Die paar Tage werden auch noch vergehen.
Mein Wunsch ist nur, daß ich dann nicht mehr so scheckig aussehe. Wenn es auch
keine Schmerzen macht, sondern nur heiß ist, sieht es doch ganz gefährlich aus.
Das eigenartige ist, nachts in der Bettwärme gehen die Flecke alle weg und bei
Tag, vor allen Dingen gegen Abend, kommen sie verstärkt wieder. Ich kann mich
doch aber wegen diesem Zeug nicht ins Bett legen.
Nun will ich aber für heute schließen,
sonst komme ich gar nicht mehr zu den anderen Briefen. Verschrieben habe ich
mich ja im Brief mehrmals, aber Du mußt eben ein bißchen drüber weg sehen.
Sei nun für heute recht herzlich
gegrüßt und geküßt von Deiner
Annie.