Freitag, 18. Dezember 2015

Brief 108 vom 14./16./17.12.1940


Mein liebster Ernst!                                                                               Konstanz, 14.12.40

Heute waren wir in der Stadt und haben Geld geholt. Als wir heim kamen, war ein Päckchen von Siegfried da. Er hat Gebäck, Pralinen, Bonbons, Parfüm und 10,- geschickt. Das ist doch wirklich schön. Findest Du nicht auch? Von Dir war leider kein Brief da, so daß ich nicht weiß, ob es Dir wieder besser geht. Ich warte so auf einen weiteren Brief von Dir.
Heute hat es auch die Weihnachtsabzeichen gegeben. Kasper, Ritter, Prinzessin, Teufel, Räuber, Gretel usw. Sie sehen ganz putzig aus. Die Arme sind beweglich. Die HJ macht es genau wie die SA. Zuletzt halten sie einem immer noch um einen Pfennig an. In den nächsten Tagen muß ich mich mal hinsetzen und an alle schreiben, von denen ich in den letzten Tagen Briefe erhalten habe. An Elsa, Erna, Frau Diez und Siegfried. An Kurt schreibe ich nur noch ein paar Zeilen zum Päckchen, das will ich heute auch noch mitnehmen. Gestern bin ich, als ich den Brief wegschaffte, gleich noch beim Zahlarzt gewesen. Von den zwei Zähnen, die er zuletzt gemacht hat, war doch schon mal eine Plombe rausgegangen. Jetzt hatte ich wieder so einen Zahnarztgeschmack im Mund. Damit ich nun zu Weihnachten nicht mit Zahnweh dasitze, bin ich gleich mit hingegangen. Da war nun die andere Plombe gesprungen. Der Zahnarzt sagt, ich hätte zu schnell darauf gebissen. Das ist aber nicht wahr. Das hätte er ja auch damals sehen müssen, als er den Danebenliegenden nochmals gemacht hat. Ich bin nur gespannt, ob es diesmal hält. Gestern Abend hat es ganz verdächtig geknackt. Schwer weh getan hat die Behandlung ja gestern. Ich bin froh, daß es vorbei ist. Es ist eben immer wieder etwas.
Die Kinder sind wieder runter zu Großvater und ich will mich dann fertig machen.
Als ich heute den Gehaltszettel bekam, war da wieder 3,40 Arbeitsfront abgezogen. Ich habe angerufen und da wurde mir gesagt, daß die Nichtberechnung, der vergangenen Monate nur ein Versehen sei, denn solange der Gehalt weiterläuft, muß man auch Arbeitsfront bezahlen. Da kann man nix machen. Nun will ich schließen. Hoffentlich bekomme ich bald Bescheid, ob Du wieder gesund bist. Sei nun für heute recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Mein lieber Ernst!                                                                                     Konstanz, 16.12.40                  

Zuerst möchte ich Dir für das Päckchen Nrr.10 und Deine lieben Briefe vom 3.und 8.12. danken. Gestern habe ich einmal keinen Brief an Dich geschrieben, was Du entschuldigen mußt. Ich habe gestern noch gebacken, da bin ich einfach nicht dazu gekommen. Gestern Abend ist mir dann noch etwas „Schönes“ passiert. Kurz vorm Schlafengehen wurde mir auf einmal der ganze Körper heiß und als ich mich dann auszog ist mir doch der Schreck in die Glieder gefahren. Der ganze Körper, von den Schenkeln bis zum Hals, war mit großen, angeschwollenen, roten Flecken bedeckt. Zuerst dachte ich an Scharlach, weil das auch an den Schenkeln anfängt. Ich habe mich gleich mit einer Sysoform-Lösung abgewaschen. Heute früh bin ich zum Arzt,  der feststellte, daß ich Nesselfieber habe. Von was weiß ich auch nicht. Der Arzt sagt, das kommt von verschiedenen Sachen, Verdauungsstörungen usw. Hoffentlich ist es wieder gut bis Du kommst.
Heute erhielt ich auch noch Deinen lieben Brief vom 9.12. Beantworten werde ich ihn nicht mehr viel, denn es fragt sich ja, ob dieses Schreiben Dich noch antrifft, ehe Du in Urlaub kommst. Wir können ja dann alles mündlich miteinander besprechen. Heute früh haben wir auch den Weihnachtsbaum gekauft. Er ist sehr schön, kostet aber auch  2,-. Von den Eltern bekam ich heute auch ein Paket. An Dich haben sie ja auch eine Stolle geschickt. Ich schreibe ihnen heute noch, daß Du höchstwahrscheinlich nun doch zu Weihnachten heim kommst. Ich freue mich ja schon so sehr darauf.
Mein liebster Ernst, nimm bitte heute mit diesem kurzen Brief vorlieb. Ich habe heute gar kein Sitzfleisch. Von dem Nesselfieber juckt es am ganzen Körper. Bleib Du nur gesund, damit wir uns recht bald wiedersehen. Ich danke Dir recht sehr für das liebe Päckchen und die Briefe und grüße und küsse Dich recht herzlich Deine Annie.

Mein lieber Ernst!                                                                            Konstanz, 17.12.40

Du wirst sicher staunen, heute einen Schreibmaschinenbrief von mir zu erhalten. Es ist, glaub ich, das erste Mal. Heute kam Dein lieber Brief vom 10.12. an. Hab recht vielen Dank dafür. Nun ist es nicht mehr so lange, bis Du zu uns nach hause kommst. Es ist heute der letzte Brief, den ich bis zu Deinem Urlaub schreibe, die anderen würden Dich doch nicht mehr dort erreichen. Nach der Stadt kann ich ihn leider nicht bringen, da ich gestern Nachmittag und heute ein bißchen Stubenarrest habe, bzw. ich habe mir selber gesagt, daß ich nicht raus gehe, da ich noch immer Nesselfieber und auch ein wenig Nierenschmerzen habe. Da will ich mich lieber vorsehen, damit ich nicht etwa im Bett liege, wenn Du bei uns bist.
Ich mache mich heute einmal an die Beantwortung der verschiedenen Briefe, die ich bekommen habe. Da brauche ich mich nicht gerade zu Weihnachten dazu hinsetzen. Augenblicklich halten wir uns wieder in der Küche auf. Ich brauche zwar mehr Heizung, aber, da es mir doch nicht ganz gut ist, muß ich schon die Küche, in der ich doch immer zu tun habe, warm haben. Ich muß eben sehen, daß ich später wieder einspare. Bei uns ist es jetzt auch ziemlich kalt, heute sind es 14 Grad Kälte.
In dem Paket der Eltern waren neben den neuen auch noch einige alte Soldaten drin. Die habe ich Jörg nun gegeben. Jetzt spielt er die ganze Zeit mit ihnen und seiner Kaserne. Er sagt, daß er jetzt, wo er so viel Soldaten hat, viel schöner spielen kann. Wie wird das erst sein, wenn noch welche dazu kommen. Die „Rösser“ gefallen ihm ganz besonders.
Eine Sonderzuteilung von Fleisch gibt es zu Weihnachten nicht. Ich habe mir aber vorige Woche schon ein Pfund aufgehoben, diese Woche sind es auch bald zwei Pfund, die ich mir aufspare und Anfang nächster Woche gibt es nochmals ca. ein Pfund, außerdem kommt noch das Fleisch Deiner Urlauberkarte dazu, so daß wir schon auskommen , wenn Du auch nicht mitbringen kannst. Gebacken habe ich ja auch und auch sonst habe ich verschiedenes, so daß wir auf keinen Fall zu hungern brauchen.
So ziemlich die meiste Arbeit habe ich ja für Weihnachten hinter mir. Es ist doch gut, wenn man nicht alles bis zur letzen Minute aufhebt. Jetzt hätte ich nun gar nicht so gut schaffen können. So gibt es doch wenigstens die letzte Woche keine Hetzerei.
Ich freue mich ja schon mächtig, wenn Du kommst. Ich kann die Zeit kaum erwarten. Aber nun geht es ja mit Riesenschritten auf Weihnachten zu. Die paar Tage werden auch noch vergehen. Mein Wunsch ist nur, daß ich dann nicht mehr so scheckig aussehe. Wenn es auch keine Schmerzen macht, sondern nur heiß ist, sieht es doch ganz gefährlich aus. Das eigenartige ist, nachts in der Bettwärme gehen die Flecke alle weg und bei Tag, vor allen Dingen gegen Abend, kommen sie verstärkt wieder. Ich kann mich doch aber wegen diesem Zeug nicht ins Bett legen.
Nun will ich aber für heute schließen, sonst komme ich gar nicht mehr zu den anderen Briefen. Verschrieben habe ich mich ja im Brief mehrmals, aber Du mußt eben ein bißchen drüber weg sehen.
Sei nun für heute recht herzlich gegrüßt  und geküßt von Deiner Annie.  

Freitag, 11. Dezember 2015

Brief 107 vom 11./12./13.12.1940


Mein lieber Ernst!                                                                        Konstanz, 11.12.40 

 Heute habe ich Dir wieder allerhand zu berichten. Gestern kam Dein liebes Päckchen Nr. 8 an. Da haben wir uns sehr darüber gefreut. Jörg war besonders über den Reis begeistert. Das ist doch sein Lieblingsessen.
Dann erhielt ich einen Brief von Kurt, von Elsa und Erna. Kurt kommt Weihnachten nicht heim und im Januar fährt er zu Nanni. Elsa schreibt, daß Gerhard jetzt Gefangene bewachen muß. Erna schreibt, daß Siegfried vom 21. – 23.12 und zu Neujahr heimkommt.
Heute erhielt ich von Dir Zeitungen und meinen Brief vom 15.11. an Dich zurück. Nun kann ich mir nur denken, warum Du nicht weißt, daß alle Päckchen angekommen sind. In diesem Brief bestätige ich Dir ja auch ein Päckchen. Ich möchte bloß wissen, wo dieser Brief diesen ganzen Monat rumgefahren ist. Ich bin schon schwer beim nähen. Aber es macht mir Freude. Ich will doch zu Weihnachten soweit fertig sein. Ich freue mich ja schon so sehr, wenn Du kommst. Es dauert ja gar nicht mehr so lange. Jetzt bin ich selber froh, wenn Weihnachten recht schnell kommt. Es gibt ja gar nichts Schöneres, als Dich bei uns zu haben.
Heute hatte ja Helga keine Schule, da haben unsere Zwei zusammen gespielt, die ganze Küche ist von ihren Spielsachen besetzt. Aber nicht nur spielen können sie. Da ich doch genäht habe, sind sie auch fleißig gewesen. Helga hat Möhren geschabt und Kartoffeln geschält, Jörg hat sie geschnitten. Dazu nimmt er sich immer ein Brett. Ich habe das Mittagessen nur noch aufsetzen müssen. Auch die Treppe haben Beide gekehrt. Das ist doch was? Bist Du mir böse, wenn ich Dir heute nicht so viel schreibe? Weißt Du, vom nähen bin ich immer so abgespannt. Ich bin sehr froh, daß ich beim Fortschaffen noch ein bißchen an die Luft komme.
Nun möchte ich heute schließen. Ich danke Dir noch vielmals für das Päckchen und grüße und küsse Dich recht herzlich Deine Annie

Mein liebster Schatz!                                                            Konstanz, 12.12.40

Manchmal ist es doch schwer, eine Frau zu sein. Da erfahre ich nun aus Deinem Brief, daß Du krank warst (hoffentlich bist zu inzwischen wieder gesund geworden) und ich muß hier sitzen und habe Dich gar nicht ein bißchen pflegen können. Nimm Dich nur in acht und schone Dich. Wir sind alle schon so froh, Dich bald wieder zu sehen. Ohrfeigen könnte ich mich ja, daß ich Dir mit meinem Brief Sorgen gemacht habe, als Du krank warst. Deine lieben Briefe, die ich erhielt, sind vom 4. und 6.12. Wenn Du gesund wirst, sind es nur noch 10 Tage, bis Du dort fortfährst. Heute erhielt ich ein Päckchen mit einem Polohemd für Jörg und einen langen Brief von Frau Diez. Sie schreibt sehr nett. Sie wohnt den Winter über mit bei ihrer Tochter. Nur sonntags ist sie in ihrer Wohnung, die nur 2 Häuser entfernt ist. Auch die Frau und das Kind von ihrem Sohn Gerhard wohnt mit bei der Tochter, seit er in der „Cherisy-Kaserne“ ist. Er hat sich freiwillig gemeldet, seit das Gut, auf dem er schaffte und das einem Juden gehörte, verkauft worden ist. Die Eltern von seiner Frau sind Auslandsdeutsche und in Palästina von den Engländern interniert, ebenso die Geschwister. Heute bin ich beim nähen eines Kleides für Helga. Vorläufig habe ich es erst einmal zugeschnitten. Wir wollen Dir doch alle gefallen, wenn Du kommst.
Wenn ich nur wüßte, ob es Dir schon wieder besser geht. Ich hoffe es ganz fest. Es dauert eben doch ziemlich lange, ehe man Bescheid bekommt. Eine Woche geht doch immer, ehe ich Deine Briefe erhalte. Na, es bleibt mir ja nichts anderes übrig, als abzuwarten. Die Kinder sind immer schwer gekränkt, daß der Schnee, den es ab und zu mal schneit, nicht liegen bleibt. Sie würden doch so gern mal Schlitten fahren. Damit es ihnen nicht zu langweilig oben wird, lasse ich sie Ketten zum Weihnachtsbaum machen, bzw. kleben. Auch kleine Figuren schneiden wir aus. Ein Muster schicke ich Dir mit. Kinder können ja kaum erwarten, bis Weihnachten ist. Sie bemühen sich auch, brav zu sein. Wenn es auch nicht immer gelingt, wie heute, wo ich unseren Burschen wieder mal kräftig verwichsen mußte. Aber das ist schon wieder vergessen.
Nun will ich mich wieder auf den Weg machen. Bei dem trüben Wetter wird es so schnell dunkel. Ich wünsche dir, daß Du recht bald wieder ganz gesund wirst und grüße und küsse Dich ganz herzlich Deine Annie.

Mein liebster Ernst!                                                                 Konstanz, 13.12.40

Einen Brief habe ich heute nicht erhalten, trotzdem ich sehr darauf gewartet habe, denn ich mache mir doch Sorgen, ob du wieder ganz gesund oder noch krank bist. Aber sechs Päckchen erhielt ich und zwar Nr. 3, 4, 5, 6, 7, 9. Nun habe ich bis Nr. 9 all erhalten. Es ist direkt ein Vergnügen, die Päckchen auszupacken, so schöne Sachen kommen immer zum Vorschein. Von dem Spargel werde ich zu Weihnachten, wenn Du da bist, etwas kochen. Auch über die Hörnchen freue ich mich sehr sowie über den Kakao und die Ölsardinen. Bei den anderen Sachen weiß ich nicht, was es ist. Aber für die Seife möchte ich Dir noch danken. Die hat einen wunderbaren Geruch. Den ganzen Vormittag haben wir sie schon angerochen.
Der Pullover für Vater ist fein. Ich dachte erst, er sei zu lang, aber er dehnt sich dann in die Breite beim anziehen und verliert an Länge. Da hast Du wirklich etwas schönes gekauft. Er fühlt sich ganz mollig an.
Ich möchte Dir für alle gesandten Sachen recht herzlich danken, auch für die Mühe, die Du Dir immer mit den Päckchen machst. Helga hat heute einen Brief von den Eltern bekommen, in dem sie ihr für den Brief danken, den Helga an sie geschrieben hat. Sie loben sehr ihre Schrift. Helga hat den Brief ganz stolz gelesen, aber als sie an den Satz kam: „Du zankst Dich doch sicher nie mit Jörg...“ hat sie doch gestutzt und mich angesehen .
Da muß ich Dir auch nicht etwas erzählen. Gestern hatten die Kinder doch ein paar Sterne usw. ausgeschnitten. Jörg hat auch einen aus lauter Streifen geklebt. Ich habe ihn dann zu recht geschnitten. Hinterher hat er ihn immer voll Stolz angesehen und zuletzt gemeint: „Gell, Mutterle, das Schwerste habe ich doch gemacht, die bißchen Schnippselei ist das Wenigste.“ Also, von dem Wert seiner Arbeit ist er voll und ganz überzeugt.
Wir bereiten schon alles für Weihnachten vor und mein einziger Wunsch ist nur, daß Du gesund wirst und zu uns kommen kannst, Du mein lieber, lieber Ernst.
Das Kleid für Helga habe ich nun auch fertig. Es ist mir gut geraten. Darüber freue ich mich. Hoffentlich bist Du, wenn Du es siehst, auch damit zufrieden. Darauf lege ich nämlich besonderen Wert.
Kommen jetzt oft  feindliche Flieger zu Euch? Es heißt doch öfter „...flogen in das besetzte Gebiet ein.“ Ich denke da immer an Dich, daß Dir nichts passiert. Sei Du nun für heute herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.


Brief 106 vom 9./10.12.1940


Mein lieber Mann!                                                                             Konstanz, 9.12.40

Nun hat schon wieder eine Woche begonnen und Weihnachten kommt immer näher. Die Kinder können es früh gar nicht erwarten, bis sie wieder ein Fenster am Adventskalender aufmachen können. Den ganzen Tag malt Jörg Weihnachtsbäume, schaut sich Weihnachtsbilder an  oder spielt gar selbst den Weihnachtsmann. Wie heute, da hat er eine schwarze Regenkapuze (die Du immer als Nikolaus benutzt hast) aufgesetzt, ein weißes Tuch war der Bart, Helga`s Nachtmantel war der Mantel. Dann wurden alle Stühle zusammengesetzt. Auf die kamen seine ganzen Spielsachen. Vorn war das Schaukelpferd. Darauf hat er sich dann gesetzt und ist zu den einzelnen Kindern gefahren um ihnen zu bescheren. Vorher wurde natürlich immer die Frage gestellt, ob die Kinder auch ganz brav waren. Er räumt auch schon immer das Regal um, damit die kommenden Spielsachen auch Platz haben. Gestern sind die Kinder ganz brav wieder aus der Stadt heimgekommen. Sie haben sich alle Spielsachen angesehen und es gab dann viel zu erzählen. Ich habe die Zeit gut zum nähen benutzen können. Aus allem gibt es allerhand neues zu machen, besonders für Helga. Zum Schluß kommen dann die Mäntel dran.
Heute schicke ich nun die Päckchen an Siegfried und die Eltern weg. Dann ist das auch erledigt. Wie ich Dir schon schrieb, muß ich mit dem Päckchen an Kurt noch warten.
Nachdem es die vergangenen Tage ziemlich stürmisch war, scheint wieder einmal die Sonne. Vielleicht kann ich da Jörg mit dem Rad mitnehmen. Für ihn ist das ja immer ein Vergnügen.
Ich muß auch noch die neuen Lebensmittelkarten anmelden. Diesen Monat gibt es für Weihnachten eine Sonderzuteilung von einem Pfund Zucker. Das kann man brauchen. Um 12,5g werden wir diesmal mit der Butter kürzer gehalten. Klingt das nicht putzig? 25g Schwarztee gibt es auch, aber den nehme ich ja nicht, ich trinke lieber unsere anderen Tees. Ich hatte doch in letzter Zeit mal so Geschwüre. Ich habe mir allerhand  überlegt, von was das sein könnte. Dann habe ich gedacht, vielleicht kommt es daher, daß wir immer nur Kaffee trinken und keinen Tee mehr (um Zucker zu sparen). Jetzt haben wir seit einer ganzen Weile wieder Tee und bin ich nun auch mit so blödem Zeug bisher verschont geblieben. Vielleicht macht das doch was aus.
Weißt Du übrigens wer Leutnant geworden ist? Der junge Schäfer, der auf der Ordensburg war. Was sagst Du nun? Post habe ich heute wieder keine erhalten. Warten tue ich ja schon wieder fest drauf, denn Briefe kann ich von Dir gar nicht genug erhalten. Nun will ich aber schließen und mich zum fortfahren fertig machen. Sei für heute recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Ernst, mein lieber Ernst!                                                                Konstanz, 9.12.40

Ist es wirklich wahr, daß Du zu Weihnachten bei uns bist. Ist es wirklich wahr? Ach ich freue mich ja unendlich. Wenn es wirklich Tatsache wird, daß Du zu Weihnachten bei uns bist, bin ich der glücklichste Mensch. Ich wollte mich vorher immer nicht zu sehr freuen, denn wenn etwas dazwischen käme, wäre die Enttäuschung ungeheuer. Aber was will ich machen. Mein Herz schlägt nun noch: „Er kommt, er kommt, er kommt.“ Jetzt geht mir die Arbeit noch mal so gut von der Hand. Als wir heimkamen  heute Nachmittag war Dein Brief vom 2.12. da. Ich habe erst ziemlich über Euren Streich vom Samstag lachen müssen. Als ich dann las: Ich muß Dir eine unangenehme Mitteilung machen, es handelt sich um den Urlaub, da war ich direkt zu feig zum Weiterlesen und dachte, also wird sicher aus dem Urlaub nichts. Dann kam die große Überraschung. Vor Freude habe ich Jörg in der Küche herumgeschwenkt. Als ich ihm dann sagte, daß Du kommst, ist er auch ganz toll geworden. Als Helga dann aus der Schule kam, war sein erster Ruf: Vater kommt, Vater kommt. Hoffentlich ist es nun auch wahr. Da bist Du dann ja nicht nur 3 Tage da und kannst Dich schon ein wenig erholen. Ach Ernst, ich weiß gar nichts mehr zu schreiben. Die Gedanken sind mir ganz durcheinander geraten. Nur daß ich mich freue, möchte ich Dir hundertmal schreiben. Ich glaube, ich kann heute vor Glück gar nicht schlafen. Alle Gedanken, die ich beiseite geschoben hatte, damit mir die Trennung nicht gar so schwer fällt, kommen nun wieder hervor. Es ist, als sei ich erst wieder richtig zum Leben erwacht. Jetzt hat die Welt erst wieder Glanz und der Gedanke an Weihnachten ist nicht mehr mit Traurigkeit verknüpft. Wenn es nur Wahrheit wird und daß Du gesund ankommst, mein lieber, lieber Ernst.

Mein liebster Schatz!                                                                                     10.12.40

Ich nehme den Brief gleich heute früh mit, da ich in die Stadt muß und Nähmaschinennadeln holen.
Viel weiß ich heute früh nicht zu schreiben, nur das eine, daß ich so glücklich bin, daß Du zu Weihnachten kommst. Hoffentlich bleibt es dabei. Das ist so viel Glück, daß ich immer fürchte, es könnte widerrufen werden. Ich grüße und küsse Dich herzlich und freue mich auf unser Wiedersehen Deine Annie.


Dienstag, 8. Dezember 2015

Brief 105 vom 7./8.12.1940


Mein lieber Schatz!                                                                                            7.12. 

Heute ist wieder ein Tag, der einem, dem Wetter nach, gar nicht freut. Es schneit und taut. Da nun Jörg schon mehrere Tage nicht raus konnte, den zum draußen spielen ist es nichts, will ich heute einmal nicht das Rad nehmen, sondern mit ihm einkaufen gehen. Das ewige Stubenhocken ist doch nichts. Helga muß heute erst um 10 zur Schule, da wir von 12 - 3/4 1 im Keller waren.  Ich schreibe Dir heute nur kurz, weil wir nun gleich gehen müssen. Sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Mein lieber Ernst!                                                                         Konstanz,7.12.40

Wenn Du diesen Brief liest, ist es ja Heiliger Abend. Ich möchte Dir vor allen Dingen ein frohes Weihnachtsfest wünschen. So froh, wie die anderen Jahre wird es uns zwar  allen nicht zu Mute sein, nachdem wir das Weihnachtsfest nicht zusammen verleben können. Aber die eine Hoffnung haben wir ja, daß wir uns in nicht allzu langer Zeit wiedersehen, wenn es auch wieder nur für wenige Tage sein wird.
Aus den Päckchen wirst Du ja ersehen haben, daß ich Dir dieses Jahr wenig habe schenken können. Ich hoffe aber, daß ich Dir trotzdem eine kleine Freude machen konnte. Verlebe die Feiertage gesund und denke an uns, wie wir auch im Geist immer bei Dir sein werden. Sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie. Auch wir wünschen Dir ein frohes Weihnachtsfest Deine Helga und Jörg

Mein lieber Ernst!                                                                                  8.12.40

Wie ich es mir schon dachte, werde ich nun wieder mit Briefen kurz gehalten, nachdem ich erst so verwöhnt worden bin. Heute, am Sonntag, höre ich wieder das Wunschkonzert. Ich habe mich heute ans nähen gemacht. Die Wochentage reichen mir zum schaffen einfach nicht mehr aus, wenn ich auch meist vor 11 Uhr nicht ins Bett komme. Da ist Wäsche zu bügeln und auszubessern, Strümpfe zu stopfen, zu stricken , zu nähen. Zu Weihnachten möchte ich wenigstens soweit fertig sein. Da muß ich mich schon ein bißchen dazuhalten. Wenn alles wieder in Schuß ist, habe ich dann mehr Ruhe.
Die Kinder bringen heute den Brief in die Stadt und gucken sich dabei gleich die Spielzeugfenster mit an. Sie freuen sich schon sehr darauf. Gestern Abend habe ich noch die Briefe zu den Päckchen an die Eltern, Siegfried und Kurt geschrieben. Mit dem Päckchen an Kurt warte ich noch, da Vater bei ihm angefragt hat, ob er Weihnachten nach hause kommt. Ich schicke Dir die Durchschläge mit. Von den Eltern habe ich heute eine Karte erhalten, daß er für Jörg doch noch einige Soldaten  hat auftreiben können und daß sie das Paket kommende Woche abschicken. Schreib doch vielleicht zu Weihnachten mal an Dora und wenn Du Lust und Vorrat hast, kannst Du ja ein bißchen Kaffee mitschicken. Ich überlasse es aber ganz Dir, was Du tun willst.
Nanni hat in ihrem Brief viel trübe Gedanken. Das kommt aber daher, daß sie auch so einsam ist. Da erscheint alles nochmals so schlimm. Sie sollte auch mal wenigstens für kurze Zeit ein bißchen Zerstreuung haben. Aber sie wird eben auch dort nicht fort können, besonders wenn ihr Mann jetzt mehr zu schaffen hat.
Lieber Ernst! Wenn es nur wahr ist, daß Du im Januar zu uns kommen kannst. Das wäre wunderschön. Ich lebe nur immer in der Hoffnung auf diese Tage. Gestern habe ich das restliche Päckchen an Dich abgesandt. Es ist auch für Weihnachten bestimmt. Da ist auch der Brief drin. Nun möchte ich für heute schließen. Die Kinder sind schon ganz ungeduldig, daß sie noch nicht gehen können. Ich werde noch ein bißchen nähen. Ich denke immer an Dich und grüße und küsse Dich recht herzlich Deine Annie.

Lieber Vater! wir gehen jetzt alleine in die Stadt Deinen Brief fort schaffen. Wir gucken uns noch die Spielsachen an. Sei herzlich gegrüßt und fest von uns geküßt von Deiner Helga und  Jörg.

Brief 104 vom 6.12.1940


Mein lieber Ernst!                                                                                     6.12.                                                                                                                      
Also, die Kinder waren mit dem Nikolaus restlos zufrieden. Aber am besten erzähle ich Dir von vorn.
Am Abend hatten also Beide Teller in den Korridor auf die Truhe gestellt. Sie hatten mich gleich gebeten, ein Tuch drüber zu legen, damit sie, wenn sie einmal raus müssen, nichts sehen, denn sonst wär die Freude doch nicht so groß. Das habe ich auch getan. In der Nacht wurde ich durch den Ruf von Helga geweckt, daß Jörg immer schwätzt. Ich ging rüber und wurde mit Lachen von Jörg begrüßt: „Denke Dir, Mutterle, der Nikolaus hat was gebracht. Das Tuch liegt jetzt viel höher. Stehn wir noch nicht bald auf, damit wir sehen können, was wir gekriegt haben?“ Als ich ihm sagte, daß es erst 1 Uhr sei, war er sehr enttäuscht. So lange könnte er gar nicht mehr schlafen. Ich sagte ihm dann, je schneller er schläft, desto eher ist der Morgen da. Dann haben beide aber doch sehr unruhig geschlafen. Um 5 sind sie einmal raus, um 6 Uhr wieder. 1/2 7 haben sie es dann aber doch nicht mehr ausgehalten. „Stehen wir nooch nicht auf?“ Ich habe ihnen dann gesagt, sie sollen sich`s einmal ansehen und dann wieder ins Bett gehen. „Dürfen wir nicht noch eine Weile zu Dir ins Bett?“  das ist die Frage, die jetzt öfter am Morgen ertönt. „Na meinetwegen“. Nun ging ein Erzählen los. „Ist der Nikolaus lieb gewesen“  „Soviiel haben wir gar nicht geglaubt, daß er uns das bringen kann“, „Der Nikolaus ist bald so lieb wie´s Vaterle“, usw., usw. Um 7 Uhr sind wir dann aufgestanden. Da wurde alles noch einmal besehen und manches Stück wandere in den Mund. Mir haben sie auch immer ein Stückchen abgegeben. Nun ist dieser große Tag auch bald wieder vorbei.
Im Übrigen hat Helga dieses Jahr längere Weihnachtsferien, da die Kartoffelferien dazugerechnet werden. Am 21. Dezember beginnen die Ferien und enden, wenn ich`s noch recht weiß, um den 15.Januar herum. Das gilt aber nur für die Städte. Auf dem Land haben sie Herbstferien gehabt.
Am Vormittag hat es wieder gestürmt und geregnet, jetzt hat der Regen etwas nachgelassen. Die Kälte ist auch weniger geworden. Vorgestern habe ich die Pacht für den Garten zahlen müssen. Es kam mir ja jetzt gerade sehr ungelegen, aber nun ist es bezahlt. Helga sitzt gerade am Tisch und bedankt sich bei den Eltern für den schönen Adventskalender. Die Eltern werden sich sicher auch über einen Brief von Helga freuen. An Dich will Helga auch noch was schreiben. Auf Wunsch der Kinder muß ich Dir heute auch noch einen Nikolaus malen. Lach aber nicht zu sehr. Nun will ich aber schließen. Sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Mein lieber Ernst!                                                              Konstanz, 6.12.40

Heute erhielt ich 4 Briefe und 2 Päckchen von Dir. Auch der Brief an die Kinder kam an. Ich beantworte sie im nächsten Brief, nur den einen möchte ich herausgreifen, wo es sich um den Urlaub handelt.
Ich kann mir ja Weihnachten ohne Dich fast nicht denken, aber, nachdem Du nur drei Tage hier sein könntest und der Urlaub und die Fahrt auf den nächsten Urlaub gerechnet wird, halte ich es fast für besser, wir warten mit dem Urlaub bis zum Januar. Bei Teilung des Urlaubs sitzt Du mehr auf der Bahn als bei uns. Außerdem ist es für Dich auch keine richtige Erholung. Wenn wir die Aussicht haben, uns bald wieder zu sehen, können wir vielleicht leichter über die Weihnachtsfeiertage hinweg. Es ist ja, wie ich aus Deinem Schreiben ersehe, auch noch nicht sicher, ob Du zu Weihnachten Urlaub erhalten würdest.
Also, lieber Ernst, wenn es Dir recht ist, komme lieber im Januar. Ich habe meinen heutigen Brief schnell noch mal aufgemacht, um dies noch zu schreibe. Ich wollte gerade auf die Post fahren. Die Päckchen habe ich noch nicht geöffnet. Das will ich in Ruhe tun. Auch  die Briefe will ich nachher noch richtig lesen. - Nochmals viele Grüße und Küsse von Deiner Annie.

Mein liebster Mann!                                                      Konstanz,6.12.40      abends

Wie ich Dir heute schon kurz mitteilte, habe ich heute vier Briefe, vom 25., 26., 29., und 30. sowie die Päckchen 1 und 2 erhalten. Auch der Brief vom Nikolaus ging ein. Als ich diesen letzten Brief ansah, keinen Absender und diese Schrift, habe ich tatsächlich nicht gewußt, von wem der Brief sein konnte. So ungewohnt ist mir die deutsche Schrift bei Dir. Als ich sagte: „Von wem kann der Brief an Euch nur sein“, kam es wie aus einem Munde: “Sicher vom Nikolaus.“ Und tatsächlich! Das war eine große Freude. Das hast Du fein gemacht.
Nun erst zu den Päckchen. Ich habe mich sehr über die Konserven gefreut und danke Dir herzlich dafür. Einen Haken hat die Sache nur, ich weiß nicht was drin ist. Ich kann ja nicht französisch. Wenn ich nun was verwenden will, kann ich doch nicht erst die Dosen aufmachen. Ölsardinen, Ananas kenne ich ja. Aber das andere? Das eine ist wahrscheinlich Fleischextrakt, oder? Ich werde es evtl. so machen, daß ich alle Dosen, die ich nicht kenne, aufheben, bis Du auf Urlaub kommst. Daß dieser in absehbarer Zeit zu erwarten ist, ist das allerschönste, was ich aus Deinen Briefen ersehen habe.
Nun will ich sie aber erst einmal nach und nach beantworten.
Dein Bericht von Eurer Fahrt hat mich wieder sehr gefreut und interessiert. Wenn wir später diese Briefe wieder durchlesen, wirst Du wahrscheinlich noch manche Einzelheiten erzählen können. Als ich den einen geschlossenen Umschlag aus dem Brief nahm, dachte ich „aha, Briefmarken“. Als ich dann las, daß Du mir von Deinen Fahrten ein Andenken mitgebracht hast, habe ich den Umschlag aufgemacht und bin nun sehr begeistert von diesen Deckchen. Dir möchte ich danken, daß Du in so lieber Weise an mich gedacht hast.
Nachdem Du schreibst, daß Du mir noch Schokolade schicken kannst, werde ich bei Gelegenheit wieder einmal welche essen. Bis jetzt habe ich immer noch welche aufgehoben. Sie braucht ja auch nicht gleich alle zu sein, nachdem Du Dir mit der Beschaffung solche Mühe gibst.
Wie ich Dir schon schrieb, sollst Du mir die Weste ja auch nicht gleich kaufen, sondern später, wenn Du einmal Gelegenheit und Geld hast. Ich bin sehr froh, daß Dir durch den Adventskranz ein bißchen Adventsstimmung in Dein Zimmer gezaubert wurde. Ich erinnere mich sehr gut daran, als ich Dir den ersten Adventskranz gebracht habe. Papa durfte ja gar nichts davon wissen, nur die Mama wußte Bescheid. Es freut mich, daß wir Dir auch so fehlen, wie Du uns. Sehe ich doch daraus, daß Du uns auch lieb hast. Darüber habe ich Dir ja in meinen letzten Briefen schon geschrieben. Du glaubst gar nicht, wie froh es mich macht, hoffen zu dürfen, daß wir Dich im Januar wiedersehen. Zwischen dem jetzt beantworteten und dem Brief vom 29.11. liegt ja der vom 28.11., den ich vor einigen Tagen erhielt und der mich so froh gemacht hat. Leider mußte ich darin auch lesen, daß es Dir nicht recht war. Nach den folgenden Briefen zu urteilen, ist es Dir wieder besser geworden. Das beruhigt mich ein bißchen wieder.
Du fragst nach einem Päckchen mit Kakao. In dem Päckchen vom 29.10. war Kakao, Schokolade und der weiße Gummi. Das habe ich erhalten. Ich habe Dir ja in den letzten Tagen eine Aufstellung über die Päckchen geschickt. Inzwischen wirst Du sie erhalten haben. Ich habe Deinen Brief mit der Anfrage eben so spät erhalten, so daß die Beantwortung nicht eher möglich war. Du darfst mir also nicht böse sein, daß Du so lange hast warten müssen. Wegen dem Urlaub habe ich Dir ja heute schon geschrieben. Da es aber möglich sein  kann, daß Du diesen Brief erst später erhältst und dann doch nicht Bescheid wüßtest (es kommt ja jetzt öfter vor, daß Briefe ganz durcheinander ankommen) will ich Dir nochmals schreiben. Ich habe geschrieben, daß Du am besten Deinen ganzen Urlaub im Januar nimmst. Es wäre ja schön gewesen, wenn Du zu Weihnachten da wärst, aber es lohnt sich nicht. Du verfährst Deinen halben Urlaub. Drei Tage gehen so schnell herum und den halben Urlaub bist Du bald los. Wenn Du im Januar länger kommen kannst, hast Du doch wenigstens ein bißchen Erholung von der Arbeit, diese ginge sonst ganz verloren. Wenn es auch schwer sein wird, zu Weihnachten nicht zusammen zu sein, so haben wir doch wenigstens die Hoffnung, uns bald wiederzusehen. Ist es Dir recht, wie ich`s geschrieben habe?
Den Brief an die Eltern hast Du gut geschrieben. Sie haben ja in einem Briefe an Dich einmal bemerkt, sie würden das Geld sofort schicken. Also ist es auch nicht schlimm, wenn Du darum schreibst.
Manchmal ist es wirklich schlimm mit der Post, erst kann man tagelang warten und dann bekommt man, wie ich heute, gleich einen ganzen Stoß Briefe. Ich bin auch gespannt, wie lange ich nun wieder warten muß. Wenn man einmal verwöhnt wird, muß man es meistens tagelang wieder büßen.
Du schreibst, ich würde sicher froh sein, wieder einmal eine mit der Maschine geschriebenen Brief zu erhalten, damit ich nicht so herumbuchstabieren brauche. Das ist nun nicht einmal wahr. Bei den handgeschriebenen Briefen weiß ich, da ist Deine Hand über das Papier gefahren. Das macht sie mir besonders lieb. Und zu buchstabieren brauche ich bei Deinen Briefen niemals. Die kann ich sogar sehr gut lesen. Wegen mir brauchst Du also nicht mit der Maschine zu schreiben. Die anderen Briefe sind mir noch lieber. Mit anderen, d.h. mit der Maschine geschriebenen Briefen bin ich natürlich auch zufrieden, wenn es nur etwas von Dir ist.
Im Übrigen schreibst Du sehr gut deutsch. Ich habe gar nicht gedacht, daß Du die deutsche Schrift so schön schreibst. Dein Nikolausbrief gefällt mir sehr gut. Die Kinder haben große Freude daran gehabt. Der Nikolausbrief vom vorigen Jahr war auch auf gekästeltem Papier geschrieben.. Den haben sie sich noch aufgehoben und nun herausgesucht. Da passen nun beide gerade zusammen. Du bist doch ein lieber Kerl. An alles denkst Du.
Hoffentlich geht die Zeit bis Januar recht schnell herum. Wegen mir brauchte kein Weihnachten und kein Neujahr zu sei, wenn ich Dich nur bald wiedersehen würde. Das ist meine große Sehnsucht. Darauf will ich auch  meine ganzen Gedanken richten, um über die kommenden Wochen besser hinweg zu kommen. Die Festtage ohne Dich werden ja schwer werden, aber dafür haben wir Dich dann wieder mehrere Tage bei uns. Das ist für mich ein Lichtblick, Du lieber, lieber Ernst! Nun will ich schlafen gehen. Schlaf auch Du gut, mein lieber Schatz, und wach gesund wieder auf.

Samstag, 5. Dezember 2015

Brief 103 vom 5.12.1940


Mein lieber Ernst!                                                                                           5.12.40   

Heute ist wieder das scheußlichste Wetter, das man sich denken kann. Stürmisch und dabei halb Schnee, halb Regen. Du wirst lachen, wenn ich Dir sage, daß ich jetzt „Faust“ lese, der so lange unbeachtet im Regal stand. Ich habe geradezu gestaunt, wie viele Zitate ich daraus kenne, von denen ich keine Ahnung hatte, daß sie daraus stammen, wie z.B. „Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen“; „der Worte sind genug gewechselt, laßt mich auch endlich Taten sehen“; „es irrt der Mensch, solang er strebt“; „da steh ich nun ich armer Tor und bin so klug als wie  zuvor“. Auch das Wort: „Das also war des Pudels Kern“ war mir bekannt, aber ich habe nie gewußt, daß es daher stammt, daß Mephistopheles  aus dem Pudel erscheint. Siehst Du, so dumm bin ich noch. Im Übrigen muß ich feststellen, daß der „Faust“ gar nicht langweilig ist. Manches hat ja eine gewisse Komik für mich, z.B. der Besuch bei der Hexe. Dieses Kapitel hat doch Hauff in seinem Buch „Memoiren des Satans“ verspottet und nun fällt mir das immer beim lesen ein. Aber das wird Dich vielleicht alles gar nicht so interessieren.
Heute Abend sollte doch eigentlich der Nikolaus kommen, nun ist er nicht einmal da. Ich habe die Kinder schon langsam dahin gebracht, daß sie ihn nicht erwarten, sondern ein Tellerchen auf den  Korridor stellen. Heute sagten sie schon: „Weißt Du, Mutterle, der Bart vom Nikolaus sieht immer aus wie Watte, aber das wird sicher keine Watte sein?“ Auch viele andere Fragen habe ich in den letzten Tagen gestellt bekommen. „Es gibt doch bloß einen Nikolaus? Wo wohnt er? Ist er im Himmel? Warum kommt er nur zu manchen Kindern? Müßt Ihr zu den Geschenken dem Weihnachtsmann Geld geben? Darum bekommen manche Kinder wohl mehr oder wenig geschenkt, wenn die Eltern kein Geld haben? Zum Vaterle kommt doch sicher auch der Nikolaus?“ So geht es immer weiter. Jörg ist ja nicht sehr bescheiden: „Wenn ich bloß die Sachen kriege, die ich mir wünsche, dann habe ich ja wenig Sachen zu Weihnachten. Aber es ist eben Krieg.“ Helga sagt dann drauf: „Du bist aber bös. Die Sachen, die Du Dir wünschst, kosten schon genug Geld.“
Ich habe ja soweit alles zusammen, auch Kerzen usw. Nur der Baum fehlt noch. Das hat aber noch gut Zeit.
Nachdem ich die Handschuhe für die Kinder gestrickt habe, bin ich jetzt bei den Socken. Das ist so eine Arbeit, die ich immer am Abend mache.
Gestern Abend wurde beim Nachrichtendienst doch die Nachricht durchgegeben, daß Major Wick den Fliegertod gefunden hat. Das hat uns allen sehr leid getan. Vor ein paar Wochen war doch erst auf den Illustrierten das Bild zu sehen, wo er von seiner Mutter, die in einem Berliner Krankenhaus liegt, Abschied nahm. Für diese Frau wird es auch sehr schwer sein.
Diesmal habe ich Dir aber einen langen Brief geschrieben und ich will schließen, um nicht Deinen Unwillen zu erregen, daß Du Deine ganze Zeit mit lesen vertrödeln mußt. Bleib gesund, mein lieber Ernst, und sei herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Lieber Vater! Hurra, Hurra, heute Nacht kommt der Nikolaus, wir stellen einen Teller raus. Mutterle sagt: Er bringt uns sicher eine Rute. Glaubst Du das auch? Wir glauben`s nicht. Er bringt uns sicher was anderes. Ich schreibe es Dir Morgen. Kommt der Nikolaus auch zu Dir? Viele Grüße und Küsse von Deiner Helga. Jörg

Mein liebster Mann!                                                               Konstanz, 5.12.40   abends

Nun ist der große Nikolausabend herangekommen. Am Abend sind die Kinder immer ganz zusammen gefahren, wenn sie draußen nur einen Schritt hörten. Im Dunkeln trauten sie sich schon gar nicht mehr aus der Stube, aus Furcht, plötzlich dem Nikolaus gegenüber zu stehen. Ein großes Raten hat begonnen, was er wohl bringen wird. Vorhin hat mir Helga ein nettes Nikolauslied vorgesungen. Sie hat es in der Schule gelernt. Morgen wollen wir es öfter zusammen singen, damit es Jörg es auch lernt.
Ich habe für jeden einen gebackenen Nikolaus, einen Pfefferkuchen-Nikolaus, ein großes und zwei kleine Pfefferkuchenherzen und einige Bonbon besorgt. Schokolade und Figuren gibt es ja dieses Jahr nicht. Aber ich glaube, sie werden auch an diesen Sachen ihre Freude haben.
Ich habe heute Abend noch ein bißchen an den Socken gestrickt und will jetzt, nachdem die Nachrichten vorbei sind, ins Bett gehen. Schlaf auch Du gut, mein lieber Ernst und bleib gesund.

Brief 102 vom 3./4.12.1940


Mein lieber Ernst!                                                                                Konstanz, 3.12.40  

Post habe ich heute auch wieder keine erhalten. Da freue ich mich nun auf morgen,  wo ich hoffe, wieder etwas von Dir zu erhalten. Heute ist mir wieder einmal der Tag zu kurz, um alles zu schaffen. Am Vormittag habe ich gewaschen und am Nachmittag habe zuerst ich und dann Jörg gebadet. Helga kommt nachher dran, wenn sie aus der Schule kommt. Wir haben gleich im Anschluß an die Wäsche gebadet, um Kohlen zu sparen. Wenn ich Helga fertig abgerumpelt habe, fahre ich in die Stadt. Bis dahin sind dann auch meine Haare getrocknet.
Ich habe doch den Kindern einen neuen Adventskalender geschenkt. Gestern kam nun von den Eltern auch einer an. Heute erhielt ich auch einen Brief von ihnen. Ich solle Bescheid sagen, ob die Helga schon Grimm`s Märchen hat. Außerdem fragen sie, warum ich so wenig schreibe und von Dir hätten sie auch schon lange keine Nachricht. Da haben sie das Kaffeepäckchen von Dir also noch nicht erhalten. Von Kurt erhielt ich auch einen Brief. Ich solle ihm Deine und von meinen Eltern die Adresse schicken. Sie sind ihm verloren gegangen.
Gestern habe ich mir nun die Nähmaschine in die Stube geholt. Da ist es so mollig warm und was das Wichtigste ist, man braucht wenig Heizung. Das Einteilen und Einsparen ist jetzt bei allem das Wichtigste.
Für Jörg ist es jetzt etwas besonders Schönes, daß er sich in der Stube öfter mal aufs Sofa legen kann. Damit die gute Decke nicht gleich kaputt geht habe ich die rote Decke von Tante Anna drauf gelegt. Da kommt es nicht so darauf an. Morgen will ich mit den Kindern auf Messe gehen. Vater hat für Helga und Jörg je 30 Pfennig gestiftet. Ich bekomme von ihm auch wieder etwas Geld für`s Waschen.
An unseren Fensterschutz im Vorraum sind jetzt endlich Ketten gemacht worden, damit wir etwas aufmachen können und auch wieder ein bißchen Licht im Vorraum ist. Früher hat man ja immer die Tür ein bißchen offen gelassen, aber bei der Kälte jetzt geht das nicht mehr gut.
Nun ist es nach 1/2 5. Die Helga ist jetzt heim gekommen. Nun will ich mit ihr ins Waschhaus gehen. Hinterher fahre ich dann fort.
Ich schließe deshalb für heute und grüße und küsse Dich, mein lieber Schatz, recht herzlich Deine Annie.

Mein allerliebster Mann!                                                               Konstanz, 4.12.40

Nun habe ich mich wieder soweit durch die tiefe Niedergeschlagenheit, die mich seit einigen Wochen beherrschte, durchgerungen. Einen großen Anteil daran hat der Brief, den ich am Sonntag an Dich geschrieben habe. Um dieses Erfolges willen bitte ich Dich, mir wegen des Briefes nicht mehr zu zürnen, wenn Du Dich geärgert haben solltest. Wenn du da gewesen wärst, hätte ich mich ja nicht so lange rumquälen müssen, denn Du hast es immer verstanden, mich mit ein paar lieben Worten zu recht zu stupfen. Schreiben wollte ich aber nicht gleich und ich habe es erst getan, als ich nicht mehr allein damit fertig werden konnte.
Heute erhielt ich Deinen lieben Brief vom 21.11. Der letzte vorher, den ich erhielt, war vom 23. Da fehlen also noch welche. Ich möchte Dir für Deinen lieben Brief recht herzlich danken. Ich glaube, mit dem unregelmäßigen Eingang der Post müssen wir uns bald abfinden. Jetzt, während der Weihnachtszeit wird es sicher damit nicht besser werden. Die Nummerierung der Päckchen ist am praktischsten. Da weiß man ganz genau, was man bekommen hat. 20.- bis 25.- Mk. ist eine ziemliche Summe, die Du da für uns ausgibst. Sollte es nötig sein, würde ich mich gern daran beteiligen. Du gibst mir darüber bitte noch Bescheid.
Da Du wegen des Verpackungsmaterials Schwierigkeiten hast, schicke ich Dir heute einmal 5 Faltkartons. Sollten sie Dir zusagen, könnte ich sicher noch einige besorgen.
In Deiner neuen Mütze würde ich Dich gern einmal sehen. Wenn Du wieder einmal Urlaub bekommen solltest, bringe sie nur mit, damit ich mich auch daran freuen kann. Ich glaube gern, daß sie Dich gut kleidet. Werde aber nun nur nicht eitel, hörst Du. Für die Zeitungsartikel, die Du mir mit senden willst, interessiere ich mich schon. Man kann immer wieder etwas lernen. Da wir heute Nachmittag auf die Messe gehen wollen, habe ich schon am Vormittag geschrieben. Wir müssen schon ziemlich zeitig fortgehen, weil ich für Vater noch die Lichtrechnung bezahlen will. Zum Fortgehen ist heute ganz gutes Wetter. Es ist zwar kalt, aber sonnig. Meine Wäsche, die ich gestern aufgehängt habe, ist steif wie ein Brett. Der Winter hat also doch seinen Einzug gehalten.
Von Vater soll ich Dich auch noch grüßen. Ich hatte es ganz vergessen. Sei nun von mir recht herzlich gegrüßt und geküßt, mein lieber Ernst und denke immer an Deine Annie.

Lieber Vater! Mama und Papa haben noch einen Adventskalender geschickt da sind schöne Sachen drin. Heute ist eine Wiege rausgekommen. Lieber Vater! Wir gehen heute Mittag auf die Messe es freut mich jetzt schon. Viele Grüße und tausend, tausend, tausend Küsse von Deiner Helga.    Jörg. 

Mein herzlieber Mann!                                                         Konstanz, 4.12.40       abends

Ich muß Dir heute Abend nochmals schreiben. So zutiefst beglückt hat mich noch kein Brief von Dir wie der, den ich  heute erhielt vom 28.11. Wie töricht war ich doch, zu befürchten, Du könntest Dich uns entfremden. Wie innig hast Du an uns gedacht. Mein Wunsch nach einem besonderen Brief ist eigentlich nun hinfällig, denn in Deinem Schreiben spüre ich Deine tiefe Liebe zu uns. Du Lieber, ich habe so große Sehnsucht nach dir. Ich kann es manchmal gar nicht fassen, daß Du von uns fort sein mußt. Eigentlich sollte ich mich schon daran gewöhnt haben, aber daran gewöhne ich mich nie. Aber ich will wieder versuchen, tapfer über diese Zeit hinwegzukommen. Die mir immer gesandten Sachen sehe ich als ein Zeichen Deiner Liebe an.
Hoffentlich bist Du nicht noch krank geworden und der Besuch des Konzerts hat Dir nichts geschadet. Es ist so lieb von Dir, daß Du, trotzdem es Dir nicht ganz recht war, noch an mich geschrieben hast.
Du fragst, in welchem Zustand die Päckchen ankommen. Im Allgemeinen kommen sie ganz gut an. Nur das Papier ist ziemlich durchgestoßen. Das eine Mal, als du mir den weißen Gummi geschickt hast, war der Karton so kaputt, daß man den Gummi gut hätte rausziehen können. Unsere Post ist aber ehrlich und so haben sie ihn drin gelassen.
Seife werde ich an Vater also nicht mehr abgeben. Von der mir gesandten habe ich noch 14 Stück Gesichtsseife, 8 Stück Waschseife, 4 Doppelstück Sunlichtseife und die 2 großen Blocks, die Du mir zuletzt geschickt hast. Mangel leide  ich also noch nicht. Ich gehe aber auch nicht verschwenderisch damit um, Seife wird ja beim liegen nicht schlecht.
Nach Deiner lieben Schilderung in Deinem Brief ist mir unsere Wohnung, in der ich mir in letzter Zeit manchmal ganz gefangen vorkam, wieder recht lieb geworden, sehe ich doch, daß mich Deine Gedanken hier suchen. Das ist das Schönste für mich.
Jörg und Helga haben Dir Bilder gemalt. So wie Jörg den Adventskranz gemalt hat, sieht unserer ungefähr aus. Er steht bei uns auch auf dem Tisch. Ich muß ja schon sagen, Du verstehst es, einen neugierig zu machen. Nun könnte ich mir wieder den Kopf zerbrechen, was das sein könnte, was in zwei Kartons zusammen gehört. Sei froh, daß ich so wenig neugierig bin, sonst könnte ich es bis Weihnachten gar nicht aushalten.
Heute waren wir auf der Messe. Es war aber nicht viel los, jedenfalls für die Kinder nicht. Auf dem einen Karussell, das da war, sind die Kinder einmal gefahren. Dann mußten wir aber wieder losstrampeln, denn es gab schon kalte Füße. Nun sitze ich in der Stube, die schön warm ist. Mir schon fast zu warm, aber Vater, der gerade da ist, sagt, so sei es ihm gerade recht, er könne ziemlich viel Wärme vertragen. Unten bei sich muß er ja sowieso genug frieren.
Vater hat sich sehr schwer von der warmen Stube trennen können. So ist es nun bereits 1/4 12 Uhr geworden, bis er sich aufgerafft hat. Er sagte immer wieder, nun müsse er wieder in die kalte Küche, da graue es ihm direkt.
Nun will ich aber auch schlafe gehen. Ich bin redlich müd. Schlaf Du auch gut, mein lieber Ernst und wach ganz gesund wieder auf.

Dienstag, 1. Dezember 2015

Brief 101 vom 1./2.12.1940


Mein lieber Ernst!                                                                           Konstanz, 1.Dez.40  

Es ist heute bereits 10 Uhr geworden ehe ich dazu komme, an Dich zu schreiben und Dir für Deine beiden lieben Briefe vom 21. und 22.11. zu danken. Das war heute eine schöne Sonntagsfreude. Nun wirst Du auch wissen wollen, warum ich heute keinen Brief an Dich geschrieben habe. Daran war das Stollen backen schuld. Ich hätte Dir vielleicht ganz kurz schreiben können, aber damit wollte ich Dich nicht abspeisen. Ich wollte doch wenigstens Deine Briefe beantworten.
Ja sag mal, seid Ihr eigentlich noch in Feindesland, daß Ihr soviel Familien dort habt, die Ihr sehr gut kennt? Du hast ja dort mehr Bekannte als ich hier. Der Vergleich hinkt ja eigentlich, denn Bekannte habe ich hier ja eigentlich gar nicht und bin sehr allein und verlassen. Von den Hausbewohnern habe ich mich auch noch mehr zurückgezogen, damit ich in keinen Krach mit hineingezogen werde. Ich will mich ja in nichts hineinmischen, aber ich muß schon sagen, daß mir die Familie, von der Du sprichst,  nicht sehr gefällt, nachdem sie sich gewissermaßen  über unsere Soldaten lustig machen, wenn sie sagen, Marken sind nur für Soldaten da. Ich glaube nämlich, es wird auch dort nur Sachen ohne Marken für die Leute geben, die viel Geld haben und sich auf Kosten anderer bereichern. Sind diese Leute eigentlich den Deutschen wirklich so gewogen, daß sie Euch einladen, oder versuchen sie nicht, sich dadurch irgendwelche Vorteile zu verschaffen. Vielleicht denke ich auch falsch, denn ich kenne ja die Leute, mit denen Du dort verkehrst, nicht, wie ich ja eigentlich überhaupt, trotzdem wir uns viel schreiben, von Deinem Leben dort sehr wenig weiß. Das eine bitte ich Dich aber, entwöhne Dich uns nicht ganz und lebe Dich bitte dort nicht zu sehr ein. Ich möchte Dich nicht verlieren. Es ist vielleicht egoistisch von mir, aber lieber Ernst, Du weißt, ich habe nur Dich, dem ich ganz vertrauen kann und manchmal habe ich große Angst, daß Du Dich uns entfremdest. Diese Angst ist so groß, daß sie mich bis in die Träume hinein verfolgt und mir die Nächte zur Qual macht. Bitte Ernst, schreibe mir doch einmal Deine ehrliche Meinung darüber. Ich lasse den Kopf nicht hängen, aber es ist oft sehr hart, so ganz allein zu sein. Ich wünschte wirklich, es wär´ schon wieder Frühling, damit ich im Garten schaffen könnte. So immer in der Wohnung und die langen Abende allein dasitzend, komme ich mir manchmal wie gefangen vor.
Wenn Du mir Konserven schicken kannst, so freue ich mich sehr und danke Dir, daß Du auch in dieser Beziehung an uns denkst. Von vielen Sachen, die Du beschreibst, habe ich keine blasse Ahnung.
Wenn Du Deine Wohnung für mich aufzeichnest, so brauchen das nun keine Kunstwerke zu werden. Ich bin schon mit ein paar Strichen zufrieden. In der Hauptsache möchte ich wissen, wo Du schläfst, damit ich mir das beim einschlafen immer vorstellen kann.
Nun zu der Päckchenangelegenheit. Du schreibst: am 21., 22., 23.10 je 2 Päckchen abgeschickt (die habe ich erhalten) am 29. und 30.10. eins, am 13.11. mit Kaffee und Fett ein Päckchen. Nun kommt die Schwierigkeit und Unstimmigkeit. Im Brief vom 22. schreibst Du: am 14.11. 2 Päckchen, am15.11. fünf Päckchen ab gesandt. Nun habe ich nochmals alle Briefe nachgesehen. Du schreibst am 14.11.: Morgen gehen die angekündigten Päckchen ab. Es sind mit dem gestern (am 13.11.) gesandten 6 Päckchen. Diese habe ich ja auch erhalten. Nur die angekündigten Konserven waren nicht dabei. Von 2 weiteren Päckchen schreibst Du weder im Brief vom 14. oder 15. noch in einem weiteren Brief etwas.
Du bist ein schlimmer Kerl. Immer willst Du mich mit Deinen Einkäufen neugierig machen. Aber Du weißt ja, Neugierde ist nun nicht gerade meine schwache Seite. Freuen tue ich mich aber doch, wenn Du mir etwas gekauft hast. Wenn ich auch noch nicht weiß, was es ist, so weiß ich doch, daß es sicher etwas schönes ist. Über das, was Du mir bisher gekauft hast, habe ich mich immer freuen können.
Heute Abend war Vater da und hat die Wäsche gebracht. Als ich ihn vorhin zum Haus hinaus ließ, habe ich auch unsere Sterne gesehen. Vielleicht hast Du auch gerade zu ihnen hinauf gesehen. Am Nachmittag habe ich heute den Adventskranz für uns geflochten. Es sieht gleich ein wenig weihnachtlich aus, besonders wenn die mit Puderzucker bestreuten Stollen daneben stehen. Jörg hat heute auch einen Wunschzettel geschrieben, d.h. eigentlich hat er ihn gemalt. Oben einen Soldaten, daneben steht eine 6, also will er 6 Soldaten. Darunter steht ein Motorrad mit einer 2, also 2 Motorräder. Ganz unten steht ein Auto. Ich schicke Dir den Wunschzettel mit.
Übrigens brauchst Du, wie Du in dem  langen Brief vom 22. schreibst, wirklich keine Angst haben, daß mir Deine längeren Briefe zu viel werden. Von Deinen Briefen kann ich überhaupt nicht genug bekommen und wenn sie zehnmal so lang sind. .
An Elsa Legler habe ich auch geschrieben. Den Durchschlag füge ich bei. Bei uns wird es jetzt ziemlich kalt. Heute hatten wir ca. 5 Grad Kälte und dabei ziemlichen Wind. Dadurch erscheint einem die Kälte doppelt groß. Nächste Woche will ich Vater mit helfen, die Doppelfenster reinmachen. Jetzt kann er sie bald brauchen. Er gibt mir Bescheid, wenn er sie vom Speicher geholt hat. Heute habe ich vom Roten Kreuz Bescheid bekommen, daß ich den Liegestuhl wieder abholen kann. Da wollen wir morgen früh hingehen.
Nun will ich für heute Abend schließen. Es ist bereits 3/4 12 Uhr. Schlaf gut, mein lieber, lieber Ernst und wach ganz gesund wieder auf.
2.Dezember.  Guten Morgen, mein lieber Schatz! Wir gehen jetzt zum Roten Kreuz. Da nehmen wir diesen Brief gleich mit. Lieber Ernst! Vielleicht ist es nicht recht von mir, daß ich Dir gestern von meiner Angst geschrieben habe. Aber ich mußte es Dir einmal sagen. Mit jemand anders, auch mit Vater, möchte ich nicht darüber reden. Nur Dir möchte ich immer alles sagen. Nun will ich schließen. Sei mir bitte über mein Schreiben nicht böse.
Sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.
Mein lieber Ernst!                                                                                         Konstanz, 2.12.40

Heute schreibe ich Dir das erste Mal von der Stube aus. In der Küche muß ich so viel heizen, um warm zu bekommen da reichen mir dann evtl. die Kohlen gar nicht. Ich habe nun Deinen Rat befolgt und am Nachmittag in der Stube gefeuert. Es ist ganz gemütlich.
Du wirst vielleicht schon meinen Brief von gestern erhalten haben. Vielleicht hast Du Dich darüber geärgert. Ich bereue es heute, daß ich Dir von meiner Angst um Dich geschrieben habe, denn eigentlich ist es  von mit Dir gegenüber undankbar. Aus vielen Sachen, die Du für mich und uns gekauft hast, sehe ich ja immer wieder, wie Du mit uns verbunden bist. Trotzdem bitte ich Dich, mir, wie ich Dich gebeten habe, zu antworten. Ein wenig leichter ist es mir jetzt geworden, nachdem ich Dir geschrieben habe. Aber es können doch wieder dunkle und kleingläubige Stunden kommen, da soll mir Dein Brief dann ein Helfer sein. Einsamkeit ist manchmal schwer zu ertragen. Die Gedanken gehen immer im Kreis und zuletzt rennen sie sich fest.
Heute früh haben wir den Liegestuhl geholt. Am Nachmittag mußte Helga ohne Schulranzen zur Schule, da sie einen Schulfilm, einige Märchen, sehen konnten. Du kannst Dir die Freude denken.
Bei uns ist nun wirklich der Winter eingekehrt. Wenn nicht mit Schnee, so doch mit Kälte. 5 - 6 Grad waren es in den letzten Tagen immer. Man friert schon ziemlich an die Nasenspitze, wenn man auf dem Rad fährt.
Ob du wohl gestern schon die zwei Adventspäckchen erhalten hast? Es würde mich a sehr freuen.
Ich habe jetzt meine Weihnachtsbäckerei  soweit fertig. Vier Stück 1 1/2Pfund Stollen und Kleingebäck. Von letzterem werde ich noch ein bißchen backen, wenn es neue Karten und damit auch wieder Mehl gibt. Aber das ist dann nicht mehr viel Arbeit.
Mein lieber Ernst! Nun möchte ich Dich wegen meines gestrigen Schreibens nochmals um Entschuldigung und darum bitten, daß Du mich auch weiterhin lieb behältst, wenn ich Dir auch gestern Ärger bereitet habe. Ich werde weiter versuchen, Deine tapfere Frau zu sein. Du fehlst mir eben sehr.
Nun will ich schließen mit der Bitte, daß Du mir gar nicht mehr böse sein mögest.
Sei nun recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Brief 100 vom 29./30.11.1940


Mein lieber Ernst!                                                                            Konstanz, 29.11.40   

Dein lieber Brief vom 23. traf heute bei mir ein. Ich habe mich sehr darüber gefreut.
Du mußt Dich wirklich mit vielen Dingen befassen, aber es kann ja nicht schaden, wenn Du überall Bescheid weißt. Sogar eine Schweinemästerei habt Ihr dort. Da hätte ich durch Deine Vermittlung dort sicher den Mist billiger bekommen Es ist leider nur ein bißchen weit. Sogar in der Zeitung werdet Ihr also lobend erwähnt. Die Leute, denen die Nachbarhäuser gehören, werden ja froh sein, daß ihre Häuser verschont geblieben sind.
Wenn der Pullover für Vater schön ist, so kommt es auf die 2,- mehr auch nicht an. Das ist dann wenigstens ein schönes und nützliches Weihnachtsgeschenkt. Für meine Eltern habe ich ein kleines Päckchen mit ein wenig Gebäck und 1/2 Pfund Kaffee sowie eine kleine Schachtel Zigaretten fertig gemacht. An Siegfried und Kurt schicke ich auch 1 kleines Päckchen mit Gebäck. An Kurt etwas mehr als an Siegfried, da Siegfried ja von den Eltern, Erna, Alice und wahrscheinlich auch von Neustadt etwas bekommt. Aber mehr als ein 1kg-Päckchen schicke ich an niemand. Schreibe mir bitte, ob ich es recht gemacht habe.
Ich schicke heute an Dich fünf Stück 1 kg-Päckchen und ein kleines Päckchen fort. Am Mittwoch folgt noch ein kleines Päckchen. Ich schreibe Dir das heute schon, damit Du mir schreiben kannst, ob Du alles erhalten hast. Alle Päckchen sind für Weihnachen bestimmt. Ich habe sie jetzt schon geschickt, damit Du sie rechtzeitig erhältst. Solltest Du ja zu Weihnachten Urlaub bekommen, was ja wunderschön wäre, aber wohl kaum wahrscheinlich ist, so wäre es auch nicht schlimm, wenn ich die Päckchen weggeschickt habe.
Als ich gestern 3/4 10 Uhr beim Einpacken war, gab es auf einmal Fliegeralarm. Ca. 1/2 Stunde waren wir unten. Es war ganz gemütlich mit unserer neuen Einrichtung. Nur Frau Büsing hat sich wieder schadmäßig betragen. Das Geschrei hat man bis auf die Straße gehört und Herr Schwehr ist angesaust gekommen. Ich war ja nicht an der ganzen Sache beteiligt. Gott sei dank.
Heute hat es wieder ein kleines bißchen geschneit. Auf der Straße hat es ja getaut. Aber durch die weißen Dächer ist es doch ein winterliches Bild. Dazu strahlender Sonnenschein. eigentlich ein Anblick, der einen froh machen muß und der mich auch froh machen würde, wenn  ich nicht so Heimweh nach Dir hätte, mein lieber, lieber Ernst. Das wollte ich auch noch schreiben. Soweit es erlaubt ist, kannst Du mir ruhig öfter von Deinem Dienst erzählen. Du weißt ja, mich interessiert alles, was Dich angeht.
Gestern war ich beim Schuster die Schuhe von Helga gehen nicht mehr zu machen. Sie kann sie jetzt nur noch bei trockenem Wetter abtragen. Es ist gut, daß Helga jetzt  die neuen festen Schuhe hat. Ich hätte für sie gern nun noch ein paar Schuhe gekauft, damit sie zwei Paar zum wechseln hat. Ich habe mich gestern erkundigt. Jetzt und wahrscheinlich auch nächsten Monat bekomme ich keinen weiteren Bezugsschein. Hoffentlich gibt es nicht gar so schlechtes Wetter, damit die hohen Schuhe reichen. Helga zieht sie ja sehr gern an. Nun muß ich mich wieder auf den Weg mache. Sei Du, mein lieber Schatz, recht herzlich gegrüßt und geküßt und behalte lieb Deine Annie.

Lieber Vater! Jetzt ist bald Weihnachten ich freue mich schon. Viele Grüße und Küsse von Deiner Helga . Jörg.

Mein lieber Ernst!                                                                   Konstanz, 30.11.40

Morgen ist nun schon der 1.Advent und Du bist bereits wieder 6 1/2 Wochen von uns fort. Wie lange wird es dauern, da ist schon Weihnachten. Die Kinder freuen sich ja schon drauf. Ich kann mir ein Weihnachten ohne Dich gar nicht denken und würde es am liebsten überspringen.
Bei uns ist es jetzt ziemlich kalt geworden. Nachts schneit es immer ein bißchen, früh ist es auf den Straßen wieder getaut und hinterher gleich gefroren, so daß die Straßen immer glatt sind. Bei Tag ist es heute wieder sonnig und sehr windig. Jörg ist draußen und fährt auf dem restlichen Schnee und Dreck Schlitten. Er hat heute auch seine hohen Schuhe an, da friert er nicht so schnell. Ob Du wohl morgen auf das 50. Wunschkonzert hörst? Nach den Ankündigungen muß es ja ganz besonders schön werden. Ich werde wahrscheinlich morgen Stollen backen, dabei kann man gut Wunschkonzert hören.
Ich habe heute sehr viel zu schaffen und bitte Dich deshalb, mir nicht bös zu sein, wenn der Brief etwas kurz wird. Ich will sehen, daß ich noch ein paar Sultaninen und Mandeln bekomme. Da muß ich schon beizeiten in die Stadt fahren.
Ich habe nun die Handschuhe für unsere Beiden fertig. Ich habe sie ein bißchen bunt bestickt. Das sieht sehr freundlich aus. Ich brauche ja für mich keine zu machen, denn Du hast mir ja so schöne Handschuhe gekauft.
Nicht wahr, lieber Ernst, Du nimmst es mir nicht übel, wenn ich jetzt schon schließe. Du weißt ja, der Samstag ist ein ganz besonderer Arbeitstag.
Sei nun für heute recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner immer an Dich denkenden Annie.