Samstag, 7. Oktober 2017

Brief 434 vom 30.9.1942


Mein liebster Ernst!                                       Konstanz, 30.9.42

Der Tag ist wieder vorbei. Gar zu viel habe ich heute nicht getan. Aber müde bin ich doch genug. Am Morgen habe ich Geld geholt. 30.-Mk. habe ich eingezahlt, so dass wir jetzt 478.-Mk. gespart haben. 25.- stehen noch auf dem Gehaltskonto. Ich habe von 229.- zuerst immer nur 227.- und zuletzt nur 225.- abgehoben. So sind die 25.-Mk. zusammen gekommen. Die lasse ich stehen, wenn wir mal etwas Unvorhergesehenes zu bezahlen haben.
Am Nachmittag wollte ich eigentlich in den Garten gehen. Aber da kam Frau Nußbaumer und fragte, ob sie einmal den Wagen bekommen könnte, sie wollte Kartoffeln holen. Ich hatte es ihr gesagt, dass sie ihn bekommen könnte. Da sie aber ja nicht allein 4 Zentner den Schneckenbuckel rauf bringen kann, und da sie mir auch schon manchmal behilflich war, sagte ich, dass ich mit ginge und ihr helfen würde. Sie hat sie woanders bestellt, als wir und musste nur zum Petershause Güterbahnhof. Die Ausgeberei klappte aber nicht richtig, es ging so langsam. Wir haben dann gestanden von 2 bis ½ 6 Uhr. Zuletzt hat der Kartoffelhändler durch Soldaten Biere holen lassen, die er dann gratis verteilt hat zur Erfrischung. Da habe ich in diesem Jahr zum zweiten Mal Bier getrunken, zum ersten Mal in Bregenz. Frau Nußbaumer hat dann den Kindern zum Dank 6 Brötchen und mir 2 Zitronen gegeben, die ja Mangelware sind. Als wir heim kamen, habe ich doch angefangen, mit Äpfel runter machen. 50 Pfund habe ich gepflückt mit dem Pflücker. Sie sind reif, denn wenn ich einen abpflücke, fallen manchmal 2 runter. Und schön groß sind sie. Ich werde jetzt jeden Tag ein paar runter machen, damit nicht plötzlich einmal die Kälte überfällt und Äpfel kaputt gehen. Es wäre sehr schade. Alles Obst ist jetzt wichtig.
Vorige Woche konnte ich dir die grüne Post nicht schicken. Die Frau sagt, dass die Zeitungen zurück geschickt werden mussten und nicht verkauft werden durften.
Ich höre jetzt gerade die Führerrede, die wieder ganz hervorragend ist. Jetzt ist es 10 Uhr. Bald wird sie vorbei sein. Vielleicht sitzt du auch am Lausprecher.
Ich grüße und küsse dich nun wieder recht herzlich   Deine Annie.

Brief 433 vom 29./30.9.1942


Mein liebster Ernst!                                       Konstanz, 29.9.42

Heute erhielt ich Deine lieben Briefe vom 16. Und 17.9. und das Päckchen Nr.38 mit Butter. Diese ist sehr gut angekommen.
Wie ich Dir schon schrieb, ist der Besuch von Papa friedlich vorbei gegangen. Wir sind eigentlich nur einmal auf die ganze Sache zu sprechen gekommen. Papa war ziemlich maßvoll, und ich habe auch nicht viel dazu gesagt. So sind wir friedlich auseinander gekommen.
Herbstlich wird es bei uns jetzt auch. Ich heize jetzt manchmal schon ein bisschen. Das Abräumen im Garten habe ich auch schon begonnen.
Ich freue mich, dass du gegen meine Dauerwellen nichts einzuwenden hast. Wir sind ja jetzt nicht mehr ganz so knapp mit dem Geld dran. Da habe ich gemeint, ich könnte es schon mal machen lassen. Im anderen Falle hätte ich es sein lassen, denn ich habe ja noch nichts verlangt, was über unsere Verhältnisse ging. Praktisch ist es, weil man nicht jeden Abend die Haare einwickeln muss.
Helga und Jörg haben sich zu meinem Geburtstag schon angestrengt. Über die Handarbeit von Helga habe ich mich natürlich sehr gefreut. Beide sind ja froh, wenn sie mir zum Geburtstag eine wirkliche Freude machen können.
Heute Nachmittag waren wir im Kino, ich in GPU, die Kinder in „Kleines Bezirksgericht“. Der Film hat mich sehr interessiert. Vielleicht siehst Du ihn dort auch noch. Es wird natürlich nur ein kleiner Ausschnitt der furchtbaren Arbeit der GPU gezeigt, aber es genügt. Das weitere kann man sich nach den furchtbaren Funden in Lemberg usw. ungefähr denken, wenn auch nicht in der ganzen Scheußlichkeit.
In nächster Zeit will ich ein paar Halbschuhe für Helga beantragen. Sie hat nur noch ihre hohen Schuhe von Mama und die Wildlederschuhe, die sie aber bei nassem Wetter nicht so gut anziehen kann. Alle anderen Schuhe sind ihr zu klein geworden, und Jörg trägt sie mit ab. Ich bin gespannt, ob ich sie bewilligt bekomme.

                                                                                         30.9. früh
Nachher fahre ich zum Geld holen. 30.-Mk. zahle ich auf unser Sparkassenbuch ein. Das andere halte ich noch zurück für die restlichen 6 Zentner Kartoffeln und evtl. für Schuhe für Helga. Kohlen habe ich auch noch gut. Von 29 Zentnern habe ich erst 15 erhalten. Da ich aber vom vergangenen Jahr noch ziemlich da hatte, gehen keine mehr in den Keller rein und ich kann sie erst im Frühjahr holen oder bringen lassen. Der Keller wird mir bald zu eng, denn jetzt kommen ja noch die Äpfel. Aber die Hauptsache ist, man hat sie da. Gegessen wird alles schnell genug sein. Dann ist auch wieder Platz da.
In den nächsten Tagen schicke ich dir das eine Zierkistchen zurück. Ich habe gerade noch eine Zulassungsmarke. Da lege ich auch den Rasierklingenschärfer mit bei. Die Handhabung habe ich dir schon beschrieben. Papa sagte, ich sollte dir noch schreiben, dass die Creme hinterher immer abgewischt werden muss, damit sie nicht stockig wird.
Nun will ich fort fahren und gleich den Brief mitnehmen. Ich grüße und küsse dich recht herzlich, Deine Annie.

Brief 432 vom 28.9.1942


Mein lieber Ernst!                                       Konstanz, 28.9.42

Nachdem es gestern den ganzen Tag geregnet hat, klärte es sich über Nacht auf, so dass ich an meine Gartenarbeit gehen konnte. Die dürren Bohnen habe ich abgemacht, die noch grünen Tomaten ebenfalls, und habe die Stangen rüber geholt. Die restlichen Gurken habe ich ebenfalls geholt und werde noch Senfgurken machen. Die grünen Tomaten habe ich in Papier und in einen Karton verpackt zum nachreifen. In den nächsten Tagen mache ich das Weißkraut zu Sauerkraut ab. Auch die Äpfel werde ich bald abmachen. Es muss nur erst wieder trocken sein. Heute Abend regnet es wieder.
Am Morgen habe ich mal wieder alle Matratzen geklopft. Man muss doch langsam Vorbereitungen für den Winter treffen. Nächstens werde ich den Küchenherd und das Rohr nochmals gründlich putzen. Man kann seit gestern schon ein bisschen Heizung vertragen, es ist ziemlich kühl geworden. In der vergangenen Nacht hatten wir den ersten leichten Reif.
Wir haben alle 3 den Schnupfen. Jörg war es dadurch heute nicht ganz gut und er hat den ganzen Nachmittag auf dem Sofa gelegen. Da hat er sich richtig ausgeruht und am Abend ging es ihm schon wieder besser.
Heute habe ich endlich die Nachttischlampe für Helga bekommen. Sie kostet 10.50 Mk. Schön ist an der Lampe, dass der Knopf zum anmachen des Lichtes im Dunkeln leuchtet. Da braucht man nicht lange zu suchen. Helga freut sich sehr, dass sie nun die Lampe hat.
Von Papa erhielt ich eine Karte, dass er gut heimgekommen ist. Er hatte sogar Sitzplatz auf der ganzen Fahrt.
Nun gehe ich schlafen. Müde bin ich sehr. Schlaf auch du gut und wach gesund wieder auf. Ich grüße und küsse Dich recht herzlich   Deine Annie.

Brief 431 vom 27.9.1942


Mein liebster Ernst!                                       Konstanz, 27.9.42

Es ist heute ein ganz verregneter Sonntag, aber mir macht es nichts aus, denn ich habe heute allerhand zu schaffen, was in den letzten Tagen liegen geblieben ist. Ich will aber alles soweit fertig haben, denn sobald schönes Wetter wird, will ich im Garten anfangen.
Zuerst möchte ich Dir für Deinen lieben Brief vom 14. danken, den ich schon gestern erhielt, dessen Beantwortung ich aber gestern in dem langen Brief vergessen habe. Der Brief an meinen Vater kam gerade einen halben Tag zu spät an. Ich habe ihn nach Leipzig nachgeschickt. Dass es dort einen Tiergarten gibt, habe ich gar nicht gedacht. Mit was füttern die, wo es doch sonst so knapp zugeht?  Deine Dienstzeit ist ja ziemlich ausgedehnt, und viel zum Fortgehen kommst Du nicht.
Heute erhielt ich Deinen lieben Brief vom 15.9. du meinst, dass es auf der Messe nicht mehr viel zu kaufen gibt. So, wie früher, natürlich nicht mehr, aber doch gibt es so manche Sachen, die man in den Geschäften nicht bekommt. Ich habe diesmal nicht viel gebraucht, nur noch ein paar warme Schlüpfer für Helga. Und ein Armband habe ich mir auch noch gekauft. Ich hatte ja bisher nur eins. Es ist sudetendeutsche Arbeit. Das habe ich mir noch vom Geburtstagsgeld gekauft. Die Kinder haben zum Spielen noch allerhand bekommen. Es ist ja so, dass sie es immer nicht lange benutzen, oder dass es bald kaputt ist, aber doch freuen sie sich immer am meisten darauf.
Wie ich dir schon schrieb, war der Schaden am Widerstand bald behoben. Dass Du daran schuld gewesen sein sollst, war natürlich nicht ernst gemeint, und ich glaube auch, dass du mich nur wieder ein wenig fuchsen willst. Wenn es nicht geht, dass man Röhren bestellen kann, lässt es sich nicht ändern. Ich wollte es nur nochmal erwähnen, damit wir es nicht ganz vergessen.
Es hat mich interessiert, dass du zu wissen glaubst, wo Kurt ist. Ich bin gespannt, ob er deinen diesbezüglichen Hinweis bestätigt.
Du hattest mir noch vor kurzem geschrieben, ob es nicht für die Nähmaschine schädlich sei, wenn sie immer in der Küche steht. Ich habe mir die Sache nochmals durch den Kopf gehen lassen und habe nun auch eine Lösung gefunden. Denke dir, ich habe sogar mehr Platz geschaffen, wie vorher war. Ich will dir das mal erklären. Das kleine Tischchen, auf dem das Radio stand, habe ich ausrangiert und einstweilen auf den Speicher gestellt. Dafür habe ich das frühere Spielzeugregal, in dem jetzt nur noch die Spiele und Baukästen sind in die Ecke, und das Radio darauf gestellt. An seiner Stelle steht jetzt die eine Truhe von dir. Die Nähmaschine steht jetzt vor unseren Betten. Da in den Regalen noch Platz war, stehen die Tee-Dosen noch mit drin, sodass das kleine Regal in der Ecke neben dem Ausguss überflüssig geworden ist und in nächster Zeit als Apfelkiste dienen wird.  Es ist also in der Küche wieder freier, und auch das Kinderzimmer sieht nicht überfüllt aus. In unserem Schlafzimmer ist auch noch ein schöner breiter Durchgang.
Da fällt mir gerade ein: habe ich dir denn schon von dem neuen Spielregal von den Kindern geschrieben? Neu ist es ja eigentlich nicht, aber sehr praktisch. Vor einigen Monaten haben Nussbaumers ihre Küche umgeräumt. Da war ein Regal übrig. Sie stellten es in den Vorraum, und sie sagten mir einmal, sie wüssten nicht, was sie damit machen sollten. Zum Zerhacken sei es wirklich zu schade, und stellen könnten sie es auch nicht. Ich sagte zu ihr, dass ich es ihr abkaufen würde. Ich habe es dann für 3.-Mk. erworben. Es ist nur 18 cm breit und steht an der Wand bei dem Stuhl von Jörg. Lang ist es 1 Mtr., und hoch 75cm. Es hat 3 Fächer. Unten stehen die Kisten mit Soldaten, mit Buntstiften, Bauklötzen, schiffen usw. Im mittleren Regal bzw. Fach stehen Bücher, 42 Stück. Es sind alles Märchen- und Sagenbücher und Erzählungen. Im oberen Fach stehen die verschiedenen Kanonen, Pferde, Autos, Puppenwägelchen, Stühlchen usw. Da das Regal schmal ist, steht alles gleich griffbereit. Davor ist ein Vorhang, sodass es einen guten Eindruck macht. Oben auf dem regal stehen natürlich auch noch verschiedene Sachen. Jetzt z.B. der Kaufmannsladen, die Telefone und ein Puppenbettchen. Also Platz haben die Kinder für ihre Sachen doch viel, nicht wahr?
Du wirst überhaupt fragen, wo ich denn deine Sachen aus dem Tischchen hingetan habe? Ich habe dir das obere Schubfach von der kleinen Truhe von deinem Vater, die in der Küche steht, eingeräumt. Da hast Du auch alles bei der Hand.
Gestern habe ich auch noch vergessen, dir zu schreiben, dass Papa den Kindern je 10.-Mk. gegeben hat. Er wollte mir erst was bezahlen, ich sagte ihm aber, dass ich das nicht wollte. Als er den Kindern 10.-Mk. geben wollte, sagte ich ihm auch, dass das zu viel sei, denn 20.-Mk brauche ich ja für uns alle 3 in der Woche nur zum Essen. Da käme er schlecht weg. Er meinte aber, das sei ihm egal. Ich sagte ihm auch, dass er das Geld lieber nehmen sollte dafür, dass er mir den Schrank geschickt, und die Fracht und die Verpackung bezahlt hat. Aber auch davon wollte er nichts wissen, und sagte, das sei ein Erbteil von Mama, und das sollte ich auf keinen Fall bezahlen. Jedenfalls hat er zum Schluss den Kindern doch noch je 10.-Mk. gegeben. Dazu kommen bei Helga noch 3.50Mk aus der Sparbüchse und bei Jörg 2.-Mk., für die übrigen 1,50 Mk. hatte er Helga was zum Geburtstag gekauft. Dann hat Helga im ganzen 139.-Mk., und Jörg 132.- auf der Sparkasse. Das macht sie ja sehr stolz. Sie sagen immer, es ist doch gut, wenn man auch immer die 10 Pfg. spart, da kommt doch viel zusammen.
Nun lass mich schließen. Ich fange noch ein bißchen mit stopfen an und dazu höre ich Radio. Radio ist einfach was Feines. Abends habe ich schon manchmal Belgrad eingestellt, aber vielmals sind solche Störungen da, dass man rein gar nichts versteht. Das ist immer schade, denn die haben immer so schöne, unterhaltsame Sachen.
Ich grüße und küsse Dich wieder recht, recht herzlich, dich, meinen lieben, lieben Mann, Deine Annie.

Brief 430 vom 26.9.1942


Mein liebster Ernst!                                       Konstanz, 26.9.42

Zum zweiten Male in kurzer Zeit muss ich Dich um Entschuldigung bitten, dass ich am vorhergehenden Tage nicht geschrieben habe. Ich bin aber wirklich nicht dazu gekommen. An Morgen bin ich noch schnell einkaufen gefahren, dann habe ich gekocht, später haben wir Papa auf´s Schiff gebracht und sind hinterher zum Doktor gegangen. Als wir heim kamen, haben wir Abendbrot gegessen, und nachdem die Kinder in´s Bett gegangen sind, habe ich mich auch schlafen gelegt. Vater war die vorhergehenden Abende immer hier, und meist bin ich dann vor ¼ 12 Uhr nicht in´s Bett gekommen. Gestern war ich aber nun so müd, dass mir dauernd die Augen zu gefallen sind.
Vor allem wird Dich nun der Bescheid des Arztes über Helga interessieren. Wie ich Dir schon schrieb, war mit dem Ausfluss auch gleichzeitig die Geschwulst in der Brust weg. Der Arzt sagt nun, dass diese beiden Sachen nur indirekt Zusammenhang haben. Der Körper ist in der Entwicklung begriffen. Im Verlauf dieser ist die Geschwulst verschwunden, und die Sache mit der Brust ist als erledigt zu betrachten. Wir müssen nichts mehr machen. Der Ausfluss ist ein Vorläufer der späteren Periode. Scheinbar ist der ganze Körper in Mitleidenschaft gezogen, denn der Arzt verschrieb Helga diesmal Calcipot C und sagte, wir müssten das tun, damit die gegenwärtige Krise gut überstanden wird. In drei Wochen muss ich wieder mit Helga hinkommen. Die Müdigkeit hat bei ihr wieder nachgelassen, sie ist jetzt wieder munterer, nur bei den Schulaufgaben merkt man, dass sie noch nicht ganz bei der Sache ist. Zu essen gebe ich den Kindern ja immer reichlich, da leiden sie keine Not. Sie bekommen viel Butter auf´s Brot, haben auch immer Äpfel zu essen, Brot selber bekommen sie ja jetzt auch mehr. Und beim Mittagessen fehlt es auch nicht. Aber ich weiß es ja noch von mir. Während der Entwicklungszeit habe ich manchmal vor Schwäche fast nicht mehr laufen können, und sogar der Schulranzen war mir zu schwer zum Tragen. Helga wird es schon gut überhauen. Ich gebe jedenfalls in jeder Beziehung Obacht und lasse es an nichts fehlen. Das kannst du ganz bestimmt glauben. Froh bin ich ja erst mal, dass das mit der Brust gut ist, denn das hat mir immer Sorge gemacht. Man weiß zwar nicht, was noch alles mal auftritt.
Nun will ich Dir noch von Papas Besuch erzählen. Vorausschicken will ich noch, dass meine Sorge unbegründet war. Es waren schöne 2 Wochen, und sie sind ohne jeden Zank verlaufen. Papa war für alles sehr dankbar. Wie er mir wiederholt sagte, hatte er nach unserem Briefwechsel gar nicht mit solch herzlichem empfang gerechnet. Zuerst traute er sich gar nicht richtig zu essen, weil er es nicht gewohnt war, sich einige Male nehmen zu können, denn er isst doch sonst im Geschäft. Mich hat´s gefreut, dass ich ihm richtig was vorsetzen konnte, vor allen Dingen, da ich es doch meist aus dem Garten holen konnte. Äpfel hat er auch gerne gegessen, und wir hatten ja auch jeden Tag Falläpfel oder Apfelmus.
Einmal sind wir ja nach Bregenz gefahren, wie ich Dir schon schrieb. Einige Male ist Papa angeln gegangen, leider ohne Ergebnis. Aber das ist ja nicht das Wichtigste. Er hat sich dabei doch ein wenig erholt. 3 Mal war ich mit Papa im Kino. 2 Mal waren wir im Cafe, dann war er einmal auf der Reichenau. Einen Tag hat er mir mit Kartoffeln raus gemacht, und am Donnerstag hat er mit Kartoffeln geholt. Es ist doch ziemlich weit, bei Klein Venedig vom Güterwagen muss man sie holen. So sind die Tage schnell vergangen. Einmal haben wir von der Heirat und von Erna gesprochen. Ich schreibe es Dir so auf, wie er es gesagt hat:
„Weißt Du, Alt und Jung passt nicht immer zusammen. Ich bin von Mam gewöhnt, dass wir immer ein wenig zusammen waren. Aber jetzt bin ich mir manchmal vorgekommen, wie ein Handwerksbursche. Früh steht Erna schnell auf, macht mir das Frühstück, stell es in die Stube und geht wieder in´s Bett. Da esse ich nun, stelle dann die Teller in die Küche und gehe fort. Abends ist es das Gleiche. Das Essen wird mir hingestellt, sage ich zu Erna, ob sie nicht mit isst, so sagt sie entweder, sie hat schon gegessen oder sie hat keinen Hunger und geht zu ihrer Freundin oder zu den Frauen im Haus. Das ist nichts für mich. Jetzt, wo Siegfried im Urlaub war, hat sie immer für Siegfried was anderes gekocht, wie für mich. Wahrscheinlich hat es Siegfried mitgebracht. Ich will auch nichts davon, aber dann sollen sie es essen, wenn ich nicht dabei bin, sonst kommt man sich so ausgeschlossen vor.“
Von seiner zukünftigen Frau sagte er: „Wir kennen uns schon so lange vom Geschäft her und ich weiß, sie ist tüchtig und auch gut. Warum soll ich eine ganz Fremde heiraten, die ich vielleicht erst einige Monate kenne und wo ich nicht weiß, wie sie ist. Angebote habe ich nach Mama´s Tod genug bekommen. Lotte würde sich sehr freuen, wenn sie mit Euch in ein gutes Verhältnis käme. Sie hat mir auch gesagt, dass wir unser Testament zusammen in der Weise machen, dass Ihr nach meinem Tod einen Teil meiner Sachen bekommt, und nach Lottes Tod alles, denn sie hat keine Angehörigen mehr, außer ihrer Schwester, die sich aber um die Mutter nicht gekümmert hat, und mit der sie sich deshalb nicht gut steht.“
Ich habe Papa ja nun wieder gesehen, und habe mir ein besseres Bild von ihm machen können, als nach den Briefen. Er ist noch voller Lebenslust, und auf die trüben Gedanken kommt er, wie er selber sagt, nur, wenn er so alleine sitzen muss. Soviel ich sehe, bleibt er doch nicht allein, und da ist es wohl besser, er heiratet,  als wenn er evtl. so mit jemandem rumziehen würde. Das wäre mir erst recht schlimm. Aus seinen Reden habe ich gemerkt, dass er sich von der alten Frau nichts reinreden lässt, sondern dass er da bestimmt. Ich hoffe, dass sich das Verhältnis zwischen uns allen nun wieder besser gestaltet.
Zu Papa haben sie im Haus schon gesagt, er wäre ja noch so voller Lebenslust, er solle mir was davon abgeben, ich sei immer so ruhig und würde immer zuhause sitzen und fast nie fortgehen. Da hat mich Papa in Schutz genommen und hat zu Frau Leimenstoll gesagt, er würde eben sehr an Dir hängen, und hätte deshalb keine Lust, allein fortzugehen. Überhaupt war Papa sehr milde in seinem Urteil diesmal. Auch Deinen Vater hat er ja gelobt, was umgekehrt nicht ganz so gewesen ist. Vater sagte mal, Papa wäre so anmaßend, er würde sich ohne weiteres von dem Cognac eingießen, den ich auf den Tisch gestellt habe und würde so über andere bestimmen. Da hätte er mehr Takt und wüsste, was sich gehört. Da hättest Du gestern mal dabei sein müssen. Dein Vater war nochmal hier und wollte ade sagen. Er musste nun sowieso in die Stadt, und da hat ihn Papa soweit gebracht, dass er mit dem Omnibus fuhr. Wenn Papa, wie es nun seine Art ist, mal laut geredet hat, ist Vater bald in ein Mauseloch gekrochen und hat immer „psst“ gesagt. Die Kinder hätten auch am liebsten nichts sagen sollen. Aber das machen doch alle so, da ist doch nichts dabei. Da hat man gemerkt, dass Vater das Omnibusfahren nicht gewöhnt ist, denn er läuft doch noch alles. Putzig ist es mir immer vorgekommen, wenn sie Paul und Adolf zueinander gesagt haben.
Gestern ist nun Papa wieder weggefahren. Er hat sich immer wieder bedankt und gesagt, so schön hätte er sich den Urlaub nicht gedacht und er danke mir immer wieder. Mich freut es ja auch, wenn ich es jemand recht gemütlich und froh machen kann.
Heute Morgen habe ich mit Vater für mich noch 2 Zentner und für ihn 2 Zentner Kartoffeln geholt. Wir haben nun beide die Hälfte da. Die anderen werden später zugeteilt. Vielleicht in einigen Wochen. Hoffentlich ist es da noch nicht kalt.
Nun habe ich noch eine Frage: Helga quält mich schon immer damit. Sie möchte auch die Haare kurz geschnitten haben. Was sagst Du dazu?
Nun lass mich schließen und sei recht herzlich gegrüßt und geküsst von Deiner Annie.

Brief 429 vom 24.9.1942


Mein liebster Mann!                                      Konstanz, 24.9.42

Ich danke Dir sehr für Deinen lieben Brief vom 13.9., den ich erhielt, als ich mit Papa vom Kino kam.
Am Morgen haben wir zusammen 4 Zentner Kartoffeln geholt, noch etwas nachgetrocknet und ausgelesen und versorgt. Nun muss ich noch 2 Zentner holen, denn man bekommt vorläufig die Hälfte. Da Vater auch 2 Zentner holen muss, werden wir sie sicher zusammen holen. Im Film wurde „Ihr erstes Rendezvous“ gespielt. Es ist ein französischer Film, aber er hat mir ganz gut gefallen.
Bei Helga macht das Wachsen beim Lernen wirklich was aus. Sie hat noch nie so schwer gelernt, wie jetzt. Vielleicht wird es bald wieder besser.
Wegen der Apfelernte musst Du Dir keine Sorge machen. Wie Frau Leimenstoll sagte, wird ihr Mann mir helfen. Schön wär´s natürlich, wenn Du da wärst.
Es besteht also eine geringe Aussicht, dass Du wieder einen Kurs mitmachen kannst. Da es noch so unsicher ist, will ich mich noch gar nicht freuen. Man weiß auch gar nicht, wenn man sich freuen soll, denn gerade Karlsruhe ist ja auch nicht fliegersicher. Aber man muss eben alles nehmen, wie es kommt. Abgesehen von diesen Dingen, wäre es natürlich eine ganz große Freude für uns, wenn wir Dich bald wieder einmal sehen könnten.
Heute Nacht vor einem Jahr ist Mama gestorben. Wir haben einen kleinen Kranz, den ich gebunden habe, um ihr Bild gehängt.
Nun gute Nacht, mein lieber Ernst, schlaf gut und wach gesund wieder auf. Ich grüße und küsse Dich recht herzlich, Deine Annie.