Mein lieber Ernst! Konstanz, 18.4.41
Gestern erhielt ich Deinen lieben Brief
vom 16.4. Ich danke Dir sehr dafür. Du bist ja ein rechter Leichtsinn. Gehst
vor der Prüfung nicht schlafen, sondern bummelst. Die Hauptsache ist ja, daß Du
am nächsten Tag einen klaren Kopf hattest, so daß Du die Aufgabe bewältigen
konntest.
Ich dachte es mir schon, daß der Mariner
bald ruhig geworden ist, denn ich habe in den letzten Minuten gemerkt, wie er
immer seinen Vater angesehen hat und wie er ihm den Abschied nicht so schwer machen
wollte. Auch als er sagte „fahrt doch nur bald ab, damit man bald aus diesem
Kaff raus kommt“ hat er immer seinen Vater angesehen und es war ihm nicht
leicht.
Du schreibst von einem Brummschädel. Ist
der vom Arbeiten oder von dem
abendlichen Ausgang gekommen. Morgen ist ja nun der letzte Tag der
schriftlichen Arbeiten. Ich glaube, Du wirst auch froh sein, wenn es diesmal
Sonntag ist.
Ich habe gestern und heute Vormittag im
Garten geschafft. Du wirst es ja sehen, wenn Du herkommst. Heute Nachmittag
waren wir im Wald und haben nochmals viel Tee gefunden. Auch Zapfen haben wir
mitgebracht. Draußen haben wir gerade eine Übung der Soldaten gesehen. Das war
ganz interessant. Etwas unangenehm war nur, daß man überall auf Soldaten
gestoßen ist, wenn man beim Tee sammeln war.
Ich wollte Dir eigentlich schon gestern
schreiben, aber ich bin nicht dazu gekommen. Erstens war ich so müd und dann
hatte ich die ganze Zeit mit Deines Vaters Kopf zu tun. Heute kommt er auch
wieder rauf.
Kohlrabisetzlinge habe ich heute besorgt,
30 Stück. Hoffentlich wachsen sie gut an. Die Setzlinge kosten jetzt
einheitlich 2 Pfennig das Stück.
Nun schließe ich wieder, ich will den
Brief noch an den Kasten schaffen und hinterher muß ich noch den ganzen Tee
schneiden. Da ist der Abend gleich vorbei. Nach meiner Müdigkeit zu rechnen,
ginge ich am liebsten jetzt schon schlafen.
Verlebe den Sonntag gesund und froh. Ich
freue mich schon, daß wir uns bald wiedersehen.
Sei nun recht herzlich gegrüßt und geküßt
von Deiner Annie.
Mein liebster Ernst! Konstanz, 20.4.41
Der Sonntag ist nun gleich wieder vorbei.
Wir waren heute nicht zu Hause. 1/4 11 Uhr sind wir nach Hegne gefahren. Die
Kinder waren ganz glückselig, daß sie einmal wieder mit der Eisenbahn fahren konnte.
Die ganze Zeit haben sie am Fenster gestanden und gejubelt. Von Hegne aus sind
wir zu unserer Wiese gegangen. Wir haben auch Schlüsselblumen gefunden, aber
wir müssen schon noch einmal gehen, denn viele fangen erst an mit blühen. Wir
sind dann durch den Wald noch zu der anderen Wiese gelaufen, wo es auch immer
Himmelsschlüssel gibt. Etliche haben wir dort auch gefunden. Wir sind dann
wieder nach Hegne zu gelaufen, nachdem wir erst etwas gegessen hatten. Da es
noch ziemlich zeitig, 2 Uhr, war und der Zug erst ¼ 5 Uhr fuhr, haben wir uns
noch ins Gras gesetzt und uns ausgeruht. Da es schönes Wetter war, sind wir
noch bis nach Allensbach gelaufen. Vor dort sind wir dann zurückgefahren, die
Kinder haben mich fast umgebracht vor Begeisterung, daß wir noch eine Station
weitergefahren sind. Der Tag war sonst schön, aber es ist doch nicht so gut,
dort hinzugehen, wo wir sonst mit Dir gegangen sind. Es war mir oft recht wehmütig und man merkt in
solchen Fällen ganz besonders, wie Du uns fehlst.
Ich weiß ja nicht, wie Du den Sonntag
verbracht hast. Die schriftlichen Arbeiten für die Prüfung hast Du ja nun
sicher hinter Dir. Ich wüßte ja gern, wie es gegangen ist. War es recht schwer?
In wenigen Tagen werden wir Dich ja noch einmal bei uns haben, bevor Du wieder
weit von uns fortfährst. Da wirst Du uns, bzw. mir ja von Deinen Arbeiten
erzählen. Ich bin schon sehr gespannt. Hoffentlich geht die mündliche Prüfung
gut vorbei. Es ist dann auch für mich, die ich ja eigentlich nichts dabei
schaffe, eine Entspannung, denn ich denke ja immer an Dich und sorge mich um
Dich.
Nachher will ich mich ans Teeschneiden
machen, denn später kommt Vater, da habe ich wieder mit seinem Kopf zu tun. Er
hat immer noch Schmerzen. Etwas besser ist es ja geworden, aber es eitert immer
noch.
Unsere Wohnung gleicht jetzt wieder einem
Blumen- und Teeladen. Alle Vasen sind mit Schlüsselblumen und Gänseblümchen
gefüllt, denn vor allen Dingen Jörg kann ja nie genug Blumen haben. Auch Tee
steht überall herum. Aber wie froh sind wir wieder im Winter darüber. Was wir
bis jetzt gesammelt haben, ist ja ein guter Anfang für dieses Jahr.
Ich freue mich, daß ich wenigstens den
Garten hinter dem Haus fertig habe. Im großen Garten müssen ja noch die
Kartoffeln rein. Herr Steinmehl hat sie ja schon rein getan, aber er sagte, er
macht den ganzen Garten deshalb schon fertig, weil er glaubt, daß sie wieder
fort kommen.
Wir werden uns ja bald wiedersehen und es
ist der letzte Brief vorher, den ich heute schreibe.
Sei nun recht herzlich gegrüßt und geküßt
von Deiner Annie.