Freitag, 30. Oktober 2015

Brief 80 vom 27./28.10.1940


Mein lieber Mann!                                              27.Oktober 40      

Nun ist schon bald der Sonntag wieder vorbei, das Wunschkonzert hat auch schon begonnen. Wetter zum fortgehen ist heute auch keins, also sind wir zuhause geblieben. Es wird jetzt schon ziemlich kalt, da die Sonne durch die Nebelschicht nicht durch kommt. Die Kinder trösten sich darüber, daß sie nicht mehr so raus können, indem sie sich gegenseitig immer wieder versichern, daß es drin doch viel schöner sei und man auch viel schöner spielen könne.
Wie mir Helga erzählte, geben die elsäßischen Lehrerinnen, die zum Umlernen hier sind, den Kindern nächste Woche Unterricht und die Lehrerin schaut zu. 
Ich habe heute ein bißchen gefaulenzt. Ich habe mir den Zeitungsroman „Sturm auf Zeebrügge“ vorgeholt und gelesen. Dieser ist gerade jetzt, wo wir die Küste besetzt haben, interessant. Was wirst Du heute tun? Ob Du auch wieder auf das Wunschkonzert hörst?
Einen Brief habe ich heute nicht bekommen, dafür ja aber die vergangenen Tage immer. Aber freuen tue ich mich doch schon fest auf den nächsten Brief von Dir. Jetzt fängt es sogar an, einzelne Flocken zu schneien. Es ist eben doch schon bald Winter.  Sei Du, mein lieber, allerliebster Ernst, recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

 Mein lieber Ernst!                                            Konstanz, 27.10. abends

Heute Abend will ich Dir nur noch erzählen, wie ich den Kindern heute mit so kleinen Mitteln eine große Freude machen konnte.  Als ich nachmittags den Brief an Dich geschlossen hatte, kam mir eine Idee. Ich weiß doch, daß die Kinder sehr gern Omnibus fahren. Da habe ich sie nun gefragt, ob sie den Brief an Dich wegschaffen wollen. Sie sollten bis zum Lutherplatz fahren, nach der Post laufen und wieder zurückfahren. Da ging ein Freudengeheul los. Sie sind dann auch gefahren und nach 1 Stunde waren sie wieder da. Den ganzen Abend haben sie sich noch gefreut, daß sie wirklich einmal allein fahren durften. Sie haben schon gesagt, am liebsten machten sie das am nächsten Sonntag wieder. Da habe ich aber gleich abgebremst. Das ganze Vergnügen hat 40 Pfennig gekostet und hat viel Freude ausgelöst. 
Als die Kinder wieder heimkamen, haben wir Abendbrot gegessen und dann mußte ich wieder vorlesen. Beide sind immer den ganzen Tag schon gespannt, wie das Märchen weitergeht.  Bei Jörg ist das Auge doch immer noch dick und der Arzt sagte damals, vielleicht geht es durch warme Umschläge wieder weg. Diese habe ich ihn während des Vorlesens machen lassen. Damit er nun nicht allein ist, habe ich Helga über beide Augen feuchte Umschläge machen lassen, da sie doch immer so blinzelt und sagt, daß ihr die Augen weh tun, darum müßte sie so blinzeln. Sie haben ihr gut getan und ich habe den Kindern angekündigt, daß wir das jeden Abend beim vorlesen machen werden. Beim Vorlesen brauchen sie ja nicht sehen, sondern nur hören. Im Übrigen muß man die Augen pflegen und nicht leichtsinnig damit umgehen. Das meinst du doch sicher auch? 
Nachdem es jetzt auf einmal so kalt geworden ist, bin ich froh, daß ich die schönen Tage zum Umgraben ausgenutzt habe. Da war es noch schön warm. Die Doppelfenster kann ich auch schon ganz gut gebrauchen. Vor ein paar Tagen schrieb ich Dir noch, daß ich den Ofen sauber gemacht habe, da man jetzt bald mit dem heizen rechnen muß und nun habe ich die beiden letzten Tage schon Feuer machen müssen. Es hat mich gefreut zu merken, wie gut der Ofen wieder brennt. Es ist ganz mollig in der Küche. Von jetzt an werde ich mir für den Abend wieder Strickzeug fertig machen.  Darauf freue ich mich schon ein bißchen, fast mehr als auf´s nähen. Letzteres mache ich ja bei Tag.  Nun will ich schlafen gehen. Gute Nacht, mein lieber Schatz. 

                                                                                             28.Oktober   
Lieber Ernst!
Wir haben jeden Tag das gleiche Wetter.  Es nieselt so runter und ist trüb und unfreundlich. Da ist man immer an die Stube gefesselt.  Heute habe ich auch keinen Brief von Dir bekommen, ich weiß zwar nicht genau, ob der Briefträger heute Nachmittag schon vorbei ist.  Ich nehme nachher das Päckchen mit den Honigbehältern mit zur Post. Es wird Dir sicher nichts ausmachen, daß ich sie nicht schon am Samstag geschickt habe.  Morgen hoble ich nun das Kraut ein. Mal sehen, wie viel es gibt. Sauerkraut ist doch immer was Gutes, vor allen Dingen im Winter, wenn das Gemüse knapp ist. 
Am Mittwoch ist Spartag. Da hat Helga schon in der Schule ein Spiel und ein kleines Liederbuch bekommen, die alle vom Sparen handeln. Nun hat die Lehrerin gesagt, wenn sie am Spartag Geld auf die Kasse bringen, bekommen sie evtl. noch was. Das hat sie beide, Helga und Jörg, nicht ruhen lassen. Wir haben gleich ihre Sparbüchsen geleert und am Mittwoch bringt jeder 1,50 fort. Helga singt jetzt nichts weiter als die Sparlieder wie z.B. Ich spar mir mein Geld, denn ich bin ja nicht dumm, nein, nein, ich schlepp auch kein Geld in der Tasch‘. Dann hab ich nur Angst, daß ich alles vernasch‘, nein , nein, nein, nein,  nein nein.“ Oder „Pfennig, Pfennig, bist nur so klein, aber in Scharen, will ich Dich sparen, Pfennig, Pfennig, bist nur so klein.“ In dem Büchlein sind nun sieben Lieder mit je 3 bis 4 Versen, alle auf bekannte Kinderlieder-Melodien. So bringt man die Kinder zu sparen. Das Büchlein ist außerdem mit bunten Bildern ausgestattet, da nehmen´s die Kinder noch mal so gern in die Hand.  Eben kam der Briefträger, aber für mich hatte er nichts. Vielleicht bekomme ich morgen dafür desto mehr.  Sei nun recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Mein lieber Ernst!                                                 Konstanz, 28.Okt.40

Heute schicke ich Dir die gewünschten Honigbehälter. Ich hätte sie ja schon am Samstag wegschicken können, aber da hatte ich keine Zeit zum backen. Ich hoffe, daß Dir die Gewürzkuchen schmecken. Da ist Schokolade von Dir mit drin.  Ich habe Dir zwei Kartons geschickt, da ich nicht weiß, ob Du dort so einfache welche bekommst, ich meine Kartons zum Fett schicken. Ich weiß ja nicht, wie viel es ist. Auf jeden Fall wiegt Fett schwer und mit einem großen Karton ist Dir da wenig genützt, da die Päckchen ja nur ein Pfund wiegen dürfen. Ich habe Dir mal alle Honigbehälter geschickt. Du mußt mich nicht auslachen, wenn es zu viele sind, wegschmeißen kannst Du sie ja immer noch. Sei recht herzlich gegrüßt und nimm viele Küsse von Deiner Annie.

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