Mittwoch, 21. Oktober 2015

Brief 74 vom 19./20.10.1940


Mein lieber Ernst!                                                      19. Oktober

 Nun ist schon wieder Samstag und Du bist bald ½ Woche fort. Es ist gut, daß die Tage schnell herum gehen, dadurch kommt doch schon Dein nächster Urlaub näher, wenn der auch noch auf sich warten lassen wird. Aber dieser Urlaub war so schön, daß man bald den nächsten herbei wünscht.
Ich stürze mich jetzt wieder in die Arbeit, damit ich Dein Fernsein nicht so empfinde.  Wie hast Du Dich dort wieder eingelebt? Ich werde ja auch bald Nachricht von Dir erhalten. Darauf freue ich mich schon. 
Nächste Woche fange ich an im Garten zu schaffen. Diese Tage bin ich noch nicht dazu gekommen. Der Herr Gassner, wo ich den Kalk geholt habe, ist auch seit ½ Jahr eingezogen. Er ist auch in Frankreich.  Ich schicke Dir einen Zeitungsausschnitt mit, an dem mich vor allen Dingen interessiert hat, daß Päckchen mit Übergewicht der N.S.V. überwiesen werden. Wenn auch die N.S.V. eine gute Sache ist, so sehe ich doch nicht ein, warum man das, was Du dort kaufst, noch dieser Einrichtung schenken soll. Dafür geben wir ja hier schon. Also, paß auf auf‘s Gewicht.  Nun will ich für heute schließen. Diesen Brief schicke ich auch noch mal früh weg, da ich doch einkaufen fahren muß.  Mein lieber Mann, sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.


Mein lieber Ernst!                                  Konstanz, den 19.Okt.40. 

Es ist bereits ¼ 10 Uhr abends und ich bin soeben mit schaffen fertig geworden. Heute vor 14 Tagen warst Du den ersten Abend da. Da war es schöner als heute.
Gegen Abend habe ich die zwei vergrößerten Bilder von Dir geholt. Ich habe sie in Rahmen getan und aufgehängt. So kann ich sie mir immer ansehen und das tue ich sehr gern. 
Nun will ich Dir noch von meinem Tagewerk berichten. Ich habe heute mit Herrn Steinmehl wegen der Bestellung von Mist gesprochen. Er will einen ganzen Wagen voll nehmen. Ich nehme nun auch einen Wagen voll, (wenn ich ihn bekomme) und Frau Nußbaumer nimmt ¼ oder ½ davon. Der Sohn von Steinmehl will nächste Woche die Zettel besorgen. 
Der Sack Falläpfel, der in der Küche stand, ist gleich alle. Nun habe ich noch die Wanne voll zum schnellen Verbrauch. Es ist doch schön, wenn man etwas vorrätig hat. 
An Kurt habe ich das Notizbuch schon am Donnerstag weggeschickt. Ich habe nur einen kurzen Zettel beigefügt.  Mit diesem Brief schicke ich Dir 5,-Mk mit, die ich bekommen konnte.  Bezüglich meines Rades habe ich mich nochmals nach einem Rückstrahler erkundigt. Ich soll in 3 Wochen wieder nachfragen. Inzwischen habe ich einen Zettel bekommen zum Ausweis gegenüber der Polizei, daß ich mich um den Rückstrahler bemüht habe.  Bei uns herrscht gar kein schönes Wetter mehr, seit Du fort bist. Immer lagert eine Hochnebeldecke am Himmel, die sich bei Tag gar nicht mehr auflöst, höchstens gegen Abend mal ein wenig, damit der Mond herunter sehen kann. Aber was nützt uns das schon? Ich glaube, das Wetter ist mit mir traurig, daß Du fort bist, darum zeigt es auch kein lachendes Gesicht. 
Je öfter ich mir die Bilder von Dir ansehe, desto größere Sehnsucht bekomme ich nach Dir und es will mir noch immer nicht in den Kopf, daß ich Dich jetzt wieder lange Zeit nicht sehen soll. Aber es muß eben sein und wir wollen uns tapfer durchbeißen.  Nun will ich schlafen gehen. Gute Nacht, lieber Ernst!



  Guten Morgen, lieber Ernst!                                          20. Oktober

Heute ist nun Sonntag.  Ich wollte eigentlich es wäre keiner, denn gerade am Sonntag merkt man besonders, daß man allein ist. Arbeit ist doch die bestes Medizin.  Vorigen Sonntag waren wir nachmittags auf der Mainau und heute werde ich mir das Wunschkonzert anhören. Wenn Du dort nicht fort fährst, willst Du Dir‘s ja auch anhören. Da werden sich unsere Gedanken also treffen. Die meinen sind ja sowieso immer unterwegs zu Dir.  Ich warte immer auf den ersten lieben Gruß von Dir, aber ich werde mich wohl noch etwas gedulden müssen, denn 5 Tage ist ja meist die Post unterwegs.  Die schönen Sachen von Dir habe ich alle versorgt, bis Du wieder kommst. Nur die Interlok-Wäsche ziehe ich an und ich muß feststellen, nach dem ich heute davon auch einen Unterrock angezogen habe, daß sie schön warm hält ohne aufzutragen. Ich möchte Dir auch für diese Wäsche nochmals recht sehr danken.  Nachdem Du vor Kurzem beim Zahnarzt warst, muß ich ihm morgen auch einen Besuch abstatten. Mir ist eine Plombe rausgegangen. 
Ich habe Dir doch vor ein paar Tagen von Stacheldraht geschrieben. Der ist dort wegen Kriegsgefangenen. Die Leute, die erst dort waren, sind nicht mehr dort. 
4 Uhr nachmittags.  Ich höre mir jetzt das Wunschkonzert an. Gerade wird der alte Dessauer gespielt. Die Worte der Begrüßung vorhin erhalten doch eine ganz andere Bedeutung, wenn man getrennt ist. Du bist ja auch begrüßt worden, als von den Soldaten im besetzten Gebiet gesprochen wurde.  Soeben wurde bekann gegeben, daß Kapitänleutnant Priem das Eichenlaub zum eisernen Kreuz, bzw. Ritterkreuz verliehen bekommen hat. Die U-Boote haben ja in den vergangenen Tagen ziemlich viel geleistet. Das wird England spüren. 

Ich habe mir heute Nachmittag das Buch geholt, das Du da gelassen hast. „Romantische Erzählungen“. Sie gefallen mir sehr, Sie erinnern an Hoffmanns Erzählungen, die wir ja da haben. Nur schildern sie nicht so gräßliche Begebenheiten, bzw. sie werden nicht so gräßlich ausgemalt und haben meist einen versöhnlichen Schluß. Mich freut es, daß ich wieder einmal ein schönes neues Buch zu lesen habe. Das bringt mich auch etwas über den Sonntag hinweg. 
Nun schließe ich für heute, denn ich will den Brief gegen 5 Uhr wegschaffen. Vielleicht begleiten mich Deine Gedanken dabei.  Sei nun für heute recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

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