Donnerstag, 1. Juni 2017

Brief 335 vom 26.5.1942


Mein liebster Ernst!                                                   Konstanz, 26.5.42

Ich erhielt deinen lieben Brief vom 10.5. Nun habe ich alle fortlaufend bis 14.5., den ja ein Kamerad mitgenommen hatte und der deshalb schon zeitiger ankam.
In dem Schreiben der Stadt zu deiner Anstellung als Assistent Heißt es: „ Nach Ziffer 22 der Ausbildungs- und Prüfungsordnung für die Anwärter des Mittleren Dienstes sind die Anwärter, welche die Prüfung für den Mittleren Gemeindeverwaltungsdienst bestanden haben, von ihrer Anstellungsbehörde als außerplanmäßiger Beamte mit der Dienstbezeichnung „Außerplanmäßiger Stadtassistent“ anzustellen. Ich denke, dass du das meinst und bin deshalb auf´s Rathaus gegangen. Erst war ich bei Fräulein Bucher, die mich zu Herrn Mettenberger schickte. Ich fragte, ob er die Ordnung da habe und ob ich mir evtl. den Artikel abschreiben könnte. Er sagte, er müsste sie erst heraussuchen und würde mir dann eine Abschrift des Artikels zusenden. Ich weiß nun nicht, ob dir damit gedient ist. Jedenfalls schicke ich dir die Abschrift, sobald ich sie erhalte, zu.
Inspirol-Tabletten habe ich auch besorgt. Leider erhielt ich nur eine Schachtel und sonst nur andere Tabletten. Eine angebrochene Schachtel habe ich aber noch da, die ich dir auch mit zuschicke. Ich packe ein kleines Päckchen. Damit du aber gleich etwas hast, sende ich dir heute im Brief ein paar andere Tabletten mit. Die Schachtel ist flacher, als die von Inspirol.
Mit dem Garten komme ich ganz gut zurecht. Ich kenne mich dieses Jahr noch besser aus, als im vergangenen Jahr. Na ja, es heißt ja auch, Übung macht den Meister, wenn ich es auch trotz aller Übung noch nicht zum Meister gebracht habe. Aber das macht ja nichts. Heute früh ist Jörg schon um 7 Uhr mit mir in den Garten gegangen. Ich habe Kohlrabi, Salat und etwas vom Rosenkohl gepflanzt. Jörg hat inzwischen den älteren, abgeernteten Spinat heraus gerissen, denn er fing an mit blühen. Jörg ist im Garten überhaupt ein ganz fleißiger Helfer und er geht auch öfter mal mit mir rüber, um den Fortschritt anzusehen. Da hat er große Freude dran. Helga schlief heute Morgen noch, als wir in den Garten gingen. Ihr geht es wie mir, wenn sie etwas später in´s Bett kommt, ist sie früh nicht richtig auf der Höhe. Da muß sie sich erst ausschlafen. Jörg ist da nicht so empfindlich. Als wir nun heute vom Garten kamen, es war inzwischen ½ 9 geworden, hatte Helga schon den Tisch gedeckt, Kaffee frisch gekocht und den kleinen Kuchen, den uns Vater gestern Abend mitgebracht hatte, auf den Tisch gestellt. Wir haben uns sehr gefreut, dass wir gleich essen konnten.
Von Papa erhielt ich heute eine Karte, dass er sich über meinen Brief gefreut habe, und dass ich ihm damit eine Pfingstfreude bereitet habe. Ich bin froh, dass der Streit behoben ist, hoffe aber, dass mir nun Siegfried nicht böse ist. Ich warte nur noch Erna´s Brief an, dann werde ich ihnen schreiben. Warum sich nun Papa über diesen Brief gefreut hat, und der andere beleidigend war, verstehe ich ja nicht ganz, denn ich habe ja in beiden geschrieben, dass er wegen mir heiraten soll und dass ich das Fräulein noch nicht kennenlernen will. Die einzige Sorge ist mir, ob du mit allem einverstanden bist. Ich hoffe es mit ganzem Herzen, denn das ist mir das Wichtigste.
Nun sende ich dir wieder recht herzliche Grüße und küsse dich recht viele Male, Deine Annie.

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