Freitag, 13. Januar 2017

Brief 271 vom 10./11.1.1942


Mein liebster Ernst!                                                                 Konstanz, 10.1.42                                   

Heute erhielt ich Deinen lieben Brief vom 6.1.
Bei der Wollsammlung ist im Allgemeinen reichlich gegeben worden. Es wird natürlich auch da welche gegeben haben, die sich von nichts trennen konnten. In der Zeitung hat dieser Tage gestanden, daß sich die Wohlhabenden hier ruhig etwas mehr anstrengen könnten, nachdem die anderen viel gegeben haben. Aber das ist ja oft so.
Neue Fausthandschuhe habe  ich für Dich schon angefangen, damit Du im Urlaub, wenn wir doch sicher auch mal in den Wald gehen, welche hast. Bei uns ist es ja nicht warm, heute sind immerhin 8 ½ Grad Kälte.
O Du Kerl, daß nur die Buben brav sind, davon habe ich aber bestimmt nichts geschrieben. Ich glaube, Du verdrehst alles und willst mich verkohlen. Aber das werde ich Dir richtig in Deinem Urlaub auseinandersetzen.
Leider habe ich lesen müssen, daß der Verdruß dort bei Dir nicht aufhört. Hoffentlich sind es nicht Deine Kameraden, mit denen Du immer soweit ausgekommen bist, die Dich so enttäuscht haben, daß Du schreibst, man muß sich vor ihnen in acht nehmen. Es tut mir so leid, daß Du immer Ärger haben mußt. Hoffentlich können wir bald einmal darüber sprechen.
Wegen Urlaub hat es Siegfried ganz gut getroffen. Aber es hat eben jedes Ding seine Licht- und Schattenseiten.
Die Bilder von Leipzig werden uns immer eine Erinnerung sein. So gut wie früher hat Mama natürlich nicht ausgesehen, aber daß sie so bald stirbt, dachte man doch nicht. Aber wir wollen froh sein, daß sie sich nicht lange hat quälen müssen. Meiner Mutter wäre es doch nicht recht gewesen, wenn sie lange hätte liegen müssen.
Unser Weihnachtsbaum fängt schon fest an mit nadeln. Komm nur recht bald auf Urlaub, damit wir ihn noch einmal anzünden können. Wir möchten Dir doch noch ein klein wenig bescheren.
Du mußt nicht böse sein, daß ich das so schreibe, ich weiß ja, daß Du nicht kommen kannst, wenn Du gerade willst. Aber wir hoffen doch auf ein baldiges Wiedersehen, nicht wahr.
Sei nun für heute wieder recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Anni.

Mein lieber Ernst!                                                                Konstanz, den 11.1.42

Heute bekam ich Deinen lieben Brief vom 7.1., für den ich Dir wieder herzlich danke. Du fragst mich darin, ob ich zu klagen hätte, daß ich mit Briefen von Dir zu kurz gekommen sei. Nein, das könnte ich nicht behaupten, denn Du schreibst ja meist auch täglich. Da wir aber gerade bei dem Thema sind, so möchte ich auch noch etwas dazu schreiben. Nicht wahr, lieber Ernst, das tägliche Briefeschreiben soll keine lästige Pflicht für Dich werden und wenn Du einmal keine Lust zum Schreiben hast, oder auch keine Zeit, so macht es dann nichts. Solltest Du überhaupt gern nicht so oft schreiben, so müßtest Du es mir mitteilen, damit ich nicht umsonst warte. Denn ich meine sonst, Du bist krank. Aber, wie gesagt, Du sollst nur mit Freude schreiben und nicht, weil Du mußt. Das  wäre mir dann gar nicht recht.
Die Stelle in Deinem Brief, wo Du von den Puppen schreibst, habe ich Helga vorgelesen. Sie hat lachen müssen.
Wenn Du nochmals Seife bekommen hast, so bin ich Dir gar nicht böse. Die kann man schon brauchen. Man weiß ja gar nicht, wie lange es dauert, bis man wieder gute bekommt. Nachdem ich jetzt immer von Dir welche verwendet hatte, nahm ich jetzt wieder mal zum Händewaschen von der Kriegsseife. Aber das ist schon ein Unterschied. Das merkt man erst beim Vergleichen.
Morgen wird ja nun sicher die Schule für die Kindern wieder anfangen, wenn nicht wieder etwas dazwischen kommt. Über das Lesen von Jörg wirst Du staunen wenn Du wieder einmal heimkommst. Trotzdem er es doch noch nicht gelernt hat, liest er schon aus der Zeitung,  die Firmenschilde auf der Straße und auch schon in Bücher schaut er hinein. Er fängt überall schon an mit buchstabieren. Ich muß manchmal staunen. Beim Lesen war ja Helga auch so gut.
Es war wirklich gut, daß Du voriges Jahr manches gekauft hast. Bei diesen Preisen, wie Du sie jetzt schreibst, wäre es wirklich fast Verschwendung. Ich brauche ja jetzt nichts mehr, denn ich habe jetzt Blusen, Röcke, Jacken. Ich bin Dir sehr dankbar, daß Du immer so lieb für mich gesorgt hast.
Von dem Anzug für Jörg und dem Mantel für mich hast Du gar nichts wieder geschrieben. Hast Du es anfertigen lassen? Ich freue mich schon auf den Radioapparat, den Du mitbringen willst. Hoffentlich übersteht er die Reise gut. Hat er einen schönen Klang? Nicht wahr, ich frage viel? Aber Du kannst ja alles nach und nach beantworten.
Gestern Abend war Vater wieder da. Ihm war es so gemütlich warm hier, daß er vor ½ 1 gar nicht fortgekommen ist. Vater wird immer großzügiger. Er gibt doch jedem der Kinder immer 15 Pfg., jeweils am Freitag. Gestern gab er mir auch 1 Mk. Ich wollte es erst gar nicht annehmen. Aber er sagte: „Das ist für die Wäsche und so.“ Aber eigentlich ist das gar nicht der Fall, denn dafür hat er mir ja schon Margarine und Reis gegeben. Ich sagte es ihm auch, aber da meinte er „Es ist schon recht, ich weiß auch wie das ist.“ Er strahlt immer ganz, wenn er wieder etwas verschenken kann. Er sagte gestern auch „Ich war früher gar nicht so, daß ich das Geld so festgehalten habe. Aber als ich gesehen habe, daß sie zuhause immer nur die Hand aufgehalten haben und alles als selbstverständlich angesehen haben, da bin ich auch anders geworden, denn da war doch nie was.“ Ich weiß ja nicht, wie es nun immer gewesen ist, aber ich kann es ja schon verstehen, denn da macht eben alles mehr Freude, wenn man sieht, der andere freut sich auch darüber.
Gestern hat Vater zur Sammlung auch 1,- Mk gespendet. Das ist doch sehr schön, nicht wahr?
Nachher will ich sicher noch an Papa und Kurt schreiben. Aber erst soll der Brief an Dich fertig sein, damit er noch rechtzeitig zum Briefkasten kommt, der ja nachher um ½ 5 gleich geleert wird.
Ehe ich aber die anderen Briefe schreibe, wollen wir erst einmal den Pudding essen, den ich heute gekocht habe. Die Kinder waren schon da und haben nachgefragt, ob es nicht bald soweit sei. Es ist wieder Pudding von Dir.
Morgen oder übermorgen muß ich wieder einmal Schuster spielen. An einem Paar Schuhe von Helga und einem Paar von Jörg müssen neune Absätze drauf. Die schönste Arbeit ist es ja gerade nicht, aber notwendig. Der Schuhmacher hat ja nur noch Mittwoch und Samstag auf und dann kann man auch noch lange warten, bis man die Schuhe wieder bekommt. Da mache ich es doch lieber selber. Erstens habe ich ja Leder und zweitens spare ich dadurch Geld.
Bei uns ist es heute auch wieder kalt, fast 7 Grad Kälte. Da ist man ganz gern im Zimmer. Die letzten Tage haben wir auch etwas schönes eingeführt. Da sind wir doch immer erst aufgestanden, wenn es so hell geworden ist, daß man kein Licht mehr brauchte. Da bin ich früh immer noch eine Stunde zu Helga mit ins Bett gekrochen und dann haben mir die Kinder die ganze Zeit erzählt. Ich mußte natürlich auch erzählen. Da ist die Zeit schnell vorbei gegangen. Morgen hört es ja sowieso wieder auf, da müssen wir wieder früh heraus. Aber solange die Kinder keine Schule hatten, haben es viele so gemacht, wie ich gehört habe, daß sie erst spät aufgestanden sind. Wir z.B. haben dadurch auch das 2. Frühstück gespart, da wir ja meist erst ½ 10 Uhr Frühstück gegessen haben. Auch Licht und Feuerung brauchte man nicht so viel.
Da Vater gestern da war und meist erzählt hat, habe ich gut dabei stricken können und bin fast mit dem 2. Handschuh für Dich fertig geworden. Die werden wieder schön warm.
Ich danke Dir auch nocht für die Briefumschläge, die Du mir mitgeschickt hast. Ich kann sie natürlich bald brauchen. Für die Zeitungen möchte ich natürlich auch danken. Ich habe schon vorhin ein wenig gelesen.
Nun, mein liebster Ernst, laß mich wieder schließen. Sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Anni.

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