Samstag, 17. Dezember 2016

Brief 254 vom 15./16.12.1941


Mein lieber, lieber Ernst!                                                          Konstanz, 15.12.41                     

Aber heute habe ich viel von Dir bekommen. 3 Briefe, Zeitungen und die Päckchen 36 und 37. Das hat mich aber gefreut. Ich komme ja sonst auch nicht zu kurz, aber ich lasse mich auch gern mal so recht verwöhnen wie heute. Fein war das. Nun will ich Dir aber auch die Briefe beantworten. Vor allem erst mal, weißt Du, warum ich erst am Abend zum Schreiben komme? Ich war im Kino in „Das andere Ich“. Das war ganz lustig. Vielleicht siehst Du`s dort auch noch. Auf dem Heimweg, die Kinder hatten mich abgeholt, haben wir noch Karten für das Märchen „Aschenputtel“ im Theater besorgt, für Sonntag 14,30 Uhr. Da kannst Du an uns denken. Du wirst sicher auch denken, die gehen ja jetzt öfter fort, erst schon mal in einem Märchenfilm, jetzt in einen Film und nächsten Sonntag ins Theater. Aber das ist nur jetzt bei Weihnachten so, nachher hört es schon wieder auf.
Nun zu Deinen Briefen.
Du mußt nicht denken, daß ich Dir die Briefmarken nicht gern besorge. Wegen des Geldes ist es nicht. Aber früher konnte man sie auf dem Postamt besorgen, während man jetzt fortschreiben muß und da kenne ich mich nicht so aus.
Mit den Briefumschlägen war es gerade, als ob Du schon vorher, ehe ich geschrieben habe, die Schwierigkeiten geahnt hättest. Ich war ganz erstaunt, als so schnell welche ankamen.
Ob Dr. Thomas wohl zu Weihnachten Urlaub bekommt, oder ob Du evtl. zu ihm hinfahren kannst? Wie wirst Du die Weihnachtsfeiertage verleben, und Neujahr?
Meine Feststellung, daß wir dort schon viel Geld ausgegeben haben , ist nicht etwa eine Klage, sondern nur die Zustimmung zu Deinem Brief, in dem DU schreibst, daß wir schon viel Geld ausgegeben hätten und daß Du manchmal gar nicht weißt, wo es hingekommen sei. Erst wenn Du nachrechnest, stimmt es dann doch.
Warum sollen wir dem Geld auch nachweinen. Wir haben doch Gegenwerte dafür, die wir gut gebrauchen können und die teilweise auch sehr notwendig waren. Außerdem war es ja nicht so, daß wir wegen dieser Ausgaben anderweitig hätten Not leiden müssen.
Die Aufstellung, die ich gemacht hatte, war also auch für Dich ganz interessant. Man weiß eigentlich erst mal richtig, was man besitzt.
Warum haben Euch die Leute, bei denen Ihr immer so reichlich zu essen bekommt, so ins Herz geschlossen? Konntet Ihr ihnen schon eine Gefälligkeit erweisen oder kennen sie einen von Euch von früher? Jedenfalls, das Essen war immer ganz gut und eine willkommene Abwechslung.
Das ist schade, daß Euer Hund weggelaufen ist. Euch wird er sehr fehlen, wenn er auch manchmal ein frecher Kerl war und wir hätten ganz gern seine Abenteuer wieder gehört.
Ich glaube auch, daß wir noch mit einem längeren Krieg rechnen müssen. Daß wir siegen werden und müssen, darüber besteht ja kein Zweifel. Mit manchen Einschränkungen werden wir wohl noch rechnen müssen, da hast du recht. Wir werden ja sehen, wie alles kommt. Am besten ist es, man lebt nur von einem Tag zum andern. Da hat man dann keine unerfüllbaren Wünsche und Hoffnungen. Manchmal tauchen diese ja doch noch auf, denn so alt sind wir ja noch nicht. Man möchte sich dann strecken und den Druck, der auf einem liegt, abschütteln und einmal wieder richtig lustig, vielleicht auch ein bißl übermütig sein. Aber das geschieht immer seltener und ich glaube, wenn der Krieg noch lange dauert, werde ich vielleicht so sein, daß ich alles ruhig hinnehme, wie es kommt, ohne aufzumucken. Aber ohne dabei verbittert zu sein. Im Gegenteil, ich hoffe allem noch ein bißchen Humor abgewinnen zu können. Wie es mir jetzt manchmal bei den Kindern geht. Sachen, bei denen ich mich früher furchtbar aufgeregt habe, kommen mir gar nicht mehr so tragisch vor. Vielleicht ist ein bißchen von dem guten Geist meiner Mutter auf mich übergegangen.
Für Puppen willst Du also auch noch sorgen. Das ist lieb von Dir. Ich bin gespannt, ob Du sie noch rechtzeitig bekommst. Große Puppen hat ja Helga genug, da wollen wir ja keine mehr kaufen. Die brauchen bald mehr Platz wie die Kinder. Die kleinen sind für die Puppenküche bestimmt.
Es ist recht, daß Du die Päckchen noch nicht aufgemacht hast. Sonst hast Du ja gar keine Freude am Weihnachtsabend.
Deine Briefe, die ich heute erhielt, waren vom 7. und 2 Mal vom 11.12. Das hatte ich am Anfang zu schreiben vergessen.
Nun zu den Päckchen. Ich danke Dir für die Mandeln, den Käse und die Hausschuhe, sowie für den Tabak. Letzteren gebe ich Vater mit zu Weihnachten. Mit Hausschuhen bin ich jetzt gut versorgt. Da brauche ich die nächsten Jahre keine, was wahrscheinlich ganz gut ist. Da habe ich damit keine Rennerei. Der Käse schmeckt wieder gut. Die Mandeln hebe ich noch auf. Alle brauche ich ja nicht zu Weihnachten.
Da ist übrigens ein interessanter Fall hier passiert. Da hat ein Mann aus Frankreich seiner Frau öfter Lebensmittel geschickt. Nun hatte er, es war in Paris, auch eine Küche unter sich. Schon hat eine Frau hier verbreitet, der Mann würde diese Sachen aus der Küche entwenden und die Soldaten bekämen dafür weniger zu essen. Da wurde bei der Frau des Soldaten eine Haussuchung gemacht und außerdem in Paris Meldung erstattet. Glücklicherweise hatte der Mann alle Rechnungen aufbewahrt und konnte nachweisen, daß er alles für sich gekauft und bezahlt hatte. Die Frau, die den Klatsch aufgebracht hat, wurde, soviel ich noch weiß (es stand in der Zeitung) zu 1 Monat Gefängnis verurteilt.
Du kannst doch auch den Bäcker Thoma aus der Laube, so ein Rothaariger. Der ist jetzt zu Zuchthaus verurteilt worden, da er viele tausende Kilo Mehl zu Unrecht bezogen hat, indem er Bezugscheine fälschte. Ich schicke Dir den Artikel mal mit, wenn Vater die Zeitung wieder rauf bringt.
Ich hatte jetzt immer viel Kummer mit Jörg wegen seinem Dickkopf. Es war schlimm. Bei jedem bißchen dickschte er, warf alles hin und bekam Wut. Ich habe es erst im Guten, dann mit schimpfen versucht. Dann habe ich mal zugehauen. Das half noch am besten. Aber immer schlagen hat auch keinen Zweck. Als er mal wieder brav war, sagt er „Ich wär selber froh, wenn der Dickkopf weg wär. Der soll nach England fliegen“. Da habe ich dann mit ihm gesprochen, daß es doch nicht ginge, daß er immer so bös sein. Wir wollen den bösen Dickkopf ruhig nach England schicken. Er soll zu mir kommen, ich helfe mit. Wenn es aber gar nicht geht, müssen wir ihn doch herausschlagen. Damit war er auch einverstanden und so haben wir in letzter Zeit den Dickkopf mit Zuspruch schon öfter nach England geschickt, weil doch da alles Böse hin soll. Der Stock hat nur ein Mal drohen müssen. Es ging bis jetzt ganz gut und ich hoffe, daß es so bleibt, denn ich war manchmal ganz verzweifelt. Jede schöne Stunde wurde dadurch verdorben. Jörg kann ja vielleicht auch nichts dafür, das liegt so in ihm, aber zusehen kann man auch nicht. Man muß doch sehen, es soweit als möglich wegzubringen.
Unsere Maus im Keller haben wir in der vergangenen Nacht gefangen. Es war eine Feldmaus. Morgen stelle ich nochmals die Falle in den Keller, wenn ja noch eine da ist.
Jörg hat Dir heute auch wieder einen Brief geschrieben. Mit dem Christbaum, von dem die Rede ist, meint er den auf der Markstätte.
Ich hatte den Kindern doch im vergangenen Jahr einen Trainingsanzug mit 2 Hosen gekauft, eine Hose etwas größer. Da bin ich jetzt noch froh. Ich wollte, vor allem für Jörg, noch eine dazu kaufen, weil er sie ja oft anzieht, aber es gab dieses Jahr keine, oder doch so wenig, daß ich keine erhielt. Nun ist bei den Sachen, die Papa geschickt hatte, ein graues Kleid dabei aus Trikot wie die Anzüge. Als Kleid geht es absolut nicht mehr zu tragen, da mache in nun Jörg noch ein paar Hosen draus. Da kann er die Guten für die Schule aufsparen. Die halten dann schon noch länger.
Nun laß mich aber für heute  wieder schließen. Sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Anni.
Schreibe aber an Jörg bitte keine direkte Mahnung wegen seines Dickkopfs, er soll nicht erst wissen, daß ich`s Dir geschrieben habe. Du kannst ja später mal direkt mit ihm sprechen, wenn Du willst, nicht wahr?

Mein liebster Ernst!                                                           Konstanz, 16.12.41

Heute ist es sogar schon 1/4 10, bis ich zum schreiben komme. Aber heute war ich nicht im Kino, sondern habe Stollen gebacken von 4 Pfund Mehl. Es hat 3 1/2 Pfund und 3 Stück 1 Pfund Stollen ergeben. Ich habe mit Absicht kleinere gebacken, damit wir sie uns besser einteilen können und sie auch länger reichen. Ich hoffe, daß sie gut geworden sind. Der ganze Tag ist heute beim backen vergangen.
Aus Anlaß des Backens möchte ich Dir heute nochmals für alles danken, was Du uns dazu geschickt hast, Zucker, Mandeln und Rosinen. Ich war ja so froh, daß ich das alles hatte. Wenn ich den Zucker von Dir nicht gehabt hätte, wär es mit dem backen nicht so gut bestellt gewesen. Erstens hätte ich weniger backen können und dann hätte ich auch nirgends Zuckerguß drauf tun können, was ich jetzt auch bei den Stollen getan habe, damit sie sich schön frisch halten. Ohne den Zucker von Dir hätte ich auch weniger Kleingebäck backen können und gerade über dieses freue ich mich, da kann ich den Kindern zu Weihnachten einen richtigen Teller füllen.
Als ich heute Abend noch beim backen war, kam Frau Bolu und fragte, ob ich ein großes Backblech habe. Ich sagte, daß ich gerade selber beim backen sei und es ihr nicht borgen könnte. Da kam es dann heraus, daß sie ihre Springerle hier bei mir backen wollte. Nein, weißt Du, das fange ich nicht an. Soviel ich die Frau jetzt kenne, bekommt man sie fast nicht mehr los, wenn man sie einmal in die Wohnung gelassen hat. Als sie jetzt den Krach mit Schwehrs hatte, bei der ihr Frau Schwehr eine mächtige Ohrfeige runtergehauen hat (was ich ja gemein finde) ist sie auch immer ins Haus gelaufen gekommen. Sie hat allen erzählen wollen, aber wir alle haben sie vor der Wohnungstür abgefertigt. Alle haben wohl gesagt, daß das schlagen gemein ist, aber weiter geht uns ja die Sache nichts an. Wir haben ja nichts gesehen.
Heute hat sie ihre Kuchen noch bei Büsings backen lassen. Da ist ihr ja geholfen worden. Ich will so was gar nicht erst anfangen.
Wir hatten den ganzen Tag schönes Wetter, aber seit ca. 2 Stunden stürmt es draußen. Ich bin gespannt, ob es hinterher wieder regnet oder schneit. Mit schlechterem Wetter muß man ja jetzt immer rechnen. Die letzten Tage war es für diese Jahreszeit direkt ungewöhnlich schön, aber vertragen hat man es gut können.
Morgen will ich mich wieder ans Nähen setzen, damit ich auch da mit dem Wichtigsten bis Weihnachten fertig werde. Nun dauert es ja nur noch eine Woche.
Viel Wichtiges habe ich ja heute nicht geschrieben. Aber ich bin heute ein bißchen abgespannt und kaputt, da mußt Du es schon entschuldigen.
Ich will nur noch den Brief wegschaffen, dann gehe ich schlafen. Wie ich gerade festgestellt habe, hat es bereits mit regnen angefangen. Sei nun wieder recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Anni.

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