Mein
lieber, lieber Ernst! Konstanz,
15.12.41
Aber
heute habe ich viel von Dir bekommen. 3 Briefe, Zeitungen und die Päckchen 36
und 37. Das hat mich aber gefreut. Ich komme ja sonst auch nicht zu kurz, aber
ich lasse mich auch gern mal so recht verwöhnen wie heute. Fein war das. Nun
will ich Dir aber auch die Briefe beantworten. Vor allem erst mal, weißt Du,
warum ich erst am Abend zum Schreiben komme? Ich war im Kino in „Das andere
Ich“. Das war ganz lustig. Vielleicht siehst Du`s dort auch noch. Auf dem
Heimweg, die Kinder hatten mich abgeholt, haben wir noch Karten für das Märchen
„Aschenputtel“ im Theater besorgt, für Sonntag 14,30 Uhr. Da kannst Du an uns
denken. Du wirst sicher auch denken, die gehen ja jetzt öfter fort, erst schon
mal in einem Märchenfilm, jetzt in einen Film und nächsten Sonntag ins Theater.
Aber das ist nur jetzt bei Weihnachten so, nachher hört es schon wieder auf.
Nun
zu Deinen Briefen.
Du
mußt nicht denken, daß ich Dir die Briefmarken nicht gern besorge. Wegen des
Geldes ist es nicht. Aber früher konnte man sie auf dem Postamt besorgen,
während man jetzt fortschreiben muß und da kenne ich mich nicht so aus.
Mit
den Briefumschlägen war es gerade, als ob Du schon vorher, ehe ich geschrieben
habe, die Schwierigkeiten geahnt hättest. Ich war ganz erstaunt, als so schnell
welche ankamen.
Ob
Dr. Thomas wohl zu Weihnachten Urlaub bekommt, oder ob Du evtl. zu ihm
hinfahren kannst? Wie wirst Du die Weihnachtsfeiertage verleben, und Neujahr?
Meine
Feststellung, daß wir dort schon viel Geld ausgegeben haben , ist nicht etwa
eine Klage, sondern nur die Zustimmung zu Deinem Brief, in dem DU schreibst,
daß wir schon viel Geld ausgegeben hätten und daß Du manchmal gar nicht weißt,
wo es hingekommen sei. Erst wenn Du nachrechnest, stimmt es dann doch.
Warum
sollen wir dem Geld auch nachweinen. Wir haben doch Gegenwerte dafür, die wir
gut gebrauchen können und die teilweise auch sehr notwendig waren. Außerdem war
es ja nicht so, daß wir wegen dieser Ausgaben anderweitig hätten Not leiden
müssen.
Die
Aufstellung, die ich gemacht hatte, war also auch für Dich ganz interessant.
Man weiß eigentlich erst mal richtig, was man besitzt.
Warum
haben Euch die Leute, bei denen Ihr immer so reichlich zu essen bekommt, so ins
Herz geschlossen? Konntet Ihr ihnen schon eine Gefälligkeit erweisen oder
kennen sie einen von Euch von früher? Jedenfalls, das Essen war immer ganz gut
und eine willkommene Abwechslung.
Das
ist schade, daß Euer Hund weggelaufen ist. Euch wird er sehr fehlen, wenn er auch
manchmal ein frecher Kerl war und wir hätten ganz gern seine Abenteuer wieder
gehört.
Ich
glaube auch, daß wir noch mit einem längeren Krieg rechnen müssen. Daß wir
siegen werden und müssen, darüber besteht ja kein Zweifel. Mit manchen
Einschränkungen werden wir wohl noch rechnen müssen, da hast du recht. Wir
werden ja sehen, wie alles kommt. Am besten ist es, man lebt nur von einem Tag
zum andern. Da hat man dann keine unerfüllbaren Wünsche und Hoffnungen.
Manchmal tauchen diese ja doch noch auf, denn so alt sind wir ja noch nicht.
Man möchte sich dann strecken und den Druck, der auf einem liegt, abschütteln
und einmal wieder richtig lustig, vielleicht auch ein bißl übermütig sein. Aber
das geschieht immer seltener und ich glaube, wenn der Krieg noch lange dauert,
werde ich vielleicht so sein, daß ich alles ruhig hinnehme, wie es kommt, ohne
aufzumucken. Aber ohne dabei verbittert zu sein. Im Gegenteil, ich hoffe allem
noch ein bißchen Humor abgewinnen zu können. Wie es mir jetzt manchmal bei den
Kindern geht. Sachen, bei denen ich mich früher furchtbar aufgeregt habe,
kommen mir gar nicht mehr so tragisch vor. Vielleicht ist ein bißchen von dem
guten Geist meiner Mutter auf mich übergegangen.
Für
Puppen willst Du also auch noch sorgen. Das ist lieb von Dir. Ich bin gespannt,
ob Du sie noch rechtzeitig bekommst. Große Puppen hat ja Helga genug, da wollen
wir ja keine mehr kaufen. Die brauchen bald mehr Platz wie die Kinder. Die
kleinen sind für die Puppenküche bestimmt.
Es
ist recht, daß Du die Päckchen noch nicht aufgemacht hast. Sonst hast Du ja gar
keine Freude am Weihnachtsabend.
Deine
Briefe, die ich heute erhielt, waren vom 7. und 2 Mal vom 11.12. Das hatte ich
am Anfang zu schreiben vergessen.
Nun
zu den Päckchen. Ich danke Dir für die Mandeln, den Käse und die Hausschuhe,
sowie für den Tabak. Letzteren gebe ich Vater mit zu Weihnachten. Mit
Hausschuhen bin ich jetzt gut versorgt. Da brauche ich die nächsten Jahre
keine, was wahrscheinlich ganz gut ist. Da habe ich damit keine Rennerei. Der
Käse schmeckt wieder gut. Die Mandeln hebe ich noch auf. Alle brauche ich ja
nicht zu Weihnachten.
Da
ist übrigens ein interessanter Fall hier passiert. Da hat ein Mann aus
Frankreich seiner Frau öfter Lebensmittel geschickt. Nun hatte er, es war in
Paris, auch eine Küche unter sich. Schon hat eine Frau hier verbreitet, der
Mann würde diese Sachen aus der Küche entwenden und die Soldaten bekämen dafür
weniger zu essen. Da wurde bei der Frau des Soldaten eine Haussuchung gemacht
und außerdem in Paris Meldung erstattet. Glücklicherweise hatte der Mann alle
Rechnungen aufbewahrt und konnte nachweisen, daß er alles für sich gekauft und
bezahlt hatte. Die Frau, die den Klatsch aufgebracht hat, wurde, soviel ich
noch weiß (es stand in der Zeitung) zu 1 Monat Gefängnis verurteilt.
Du
kannst doch auch den Bäcker Thoma aus der Laube, so ein Rothaariger. Der ist
jetzt zu Zuchthaus verurteilt worden, da er viele tausende Kilo Mehl zu Unrecht
bezogen hat, indem er Bezugscheine fälschte. Ich schicke Dir den Artikel mal
mit, wenn Vater die Zeitung wieder rauf bringt.
Ich
hatte jetzt immer viel Kummer mit Jörg wegen seinem Dickkopf. Es war schlimm.
Bei jedem bißchen dickschte er, warf alles hin und bekam Wut. Ich habe es erst
im Guten, dann mit schimpfen versucht. Dann habe ich mal zugehauen. Das half
noch am besten. Aber immer schlagen hat auch keinen Zweck. Als er mal wieder
brav war, sagt er „Ich wär selber froh, wenn der Dickkopf weg wär. Der soll
nach England fliegen“. Da habe ich dann mit ihm gesprochen, daß es doch nicht
ginge, daß er immer so bös sein. Wir wollen den bösen Dickkopf ruhig nach
England schicken. Er soll zu mir kommen, ich helfe mit. Wenn es aber gar nicht
geht, müssen wir ihn doch herausschlagen. Damit war er auch einverstanden und
so haben wir in letzter Zeit den Dickkopf mit Zuspruch schon öfter nach England
geschickt, weil doch da alles Böse hin soll. Der Stock hat nur ein Mal drohen
müssen. Es ging bis jetzt ganz gut und ich hoffe, daß es so bleibt, denn ich
war manchmal ganz verzweifelt. Jede schöne Stunde wurde dadurch verdorben. Jörg
kann ja vielleicht auch nichts dafür, das liegt so in ihm, aber zusehen kann
man auch nicht. Man muß doch sehen, es soweit als möglich wegzubringen.
Unsere
Maus im Keller haben wir in der vergangenen Nacht gefangen. Es war eine
Feldmaus. Morgen stelle ich nochmals die Falle in den Keller, wenn ja noch eine
da ist.
Jörg
hat Dir heute auch wieder einen Brief geschrieben. Mit dem Christbaum, von dem
die Rede ist, meint er den auf der Markstätte.
Ich
hatte den Kindern doch im vergangenen Jahr einen Trainingsanzug mit 2 Hosen
gekauft, eine Hose etwas größer. Da bin ich jetzt noch froh. Ich wollte, vor
allem für Jörg, noch eine dazu kaufen, weil er sie ja oft anzieht, aber es gab
dieses Jahr keine, oder doch so wenig, daß ich keine erhielt. Nun ist bei den
Sachen, die Papa geschickt hatte, ein graues Kleid dabei aus Trikot wie die
Anzüge. Als Kleid geht es absolut nicht mehr zu tragen, da mache in nun Jörg
noch ein paar Hosen draus. Da kann er die Guten für die Schule aufsparen. Die
halten dann schon noch länger.
Nun
laß mich aber für heute wieder
schließen. Sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Anni.
Schreibe
aber an Jörg bitte keine direkte Mahnung wegen seines Dickkopfs, er soll nicht
erst wissen, daß ich`s Dir geschrieben habe. Du kannst ja später mal direkt mit
ihm sprechen, wenn Du willst, nicht wahr?
Mein
liebster Ernst! Konstanz, 16.12.41
Heute
ist es sogar schon 1/4 10, bis ich zum schreiben komme. Aber heute war ich
nicht im Kino, sondern habe Stollen gebacken von 4 Pfund Mehl. Es hat 3 1/2
Pfund und 3 Stück 1 Pfund Stollen ergeben. Ich habe mit Absicht kleinere
gebacken, damit wir sie uns besser einteilen können und sie auch länger
reichen. Ich hoffe, daß sie gut geworden sind. Der ganze Tag ist heute beim
backen vergangen.
Aus
Anlaß des Backens möchte ich Dir heute nochmals für alles danken, was Du uns
dazu geschickt hast, Zucker, Mandeln und Rosinen. Ich war ja so froh, daß ich
das alles hatte. Wenn ich den Zucker von Dir nicht gehabt hätte, wär es mit dem
backen nicht so gut bestellt gewesen. Erstens hätte ich weniger backen können
und dann hätte ich auch nirgends Zuckerguß drauf tun können, was ich jetzt auch
bei den Stollen getan habe, damit sie sich schön frisch halten. Ohne den Zucker
von Dir hätte ich auch weniger Kleingebäck backen können und gerade über dieses
freue ich mich, da kann ich den Kindern zu Weihnachten einen richtigen Teller
füllen.
Als
ich heute Abend noch beim backen war, kam Frau Bolu und fragte, ob ich ein
großes Backblech habe. Ich sagte, daß ich gerade selber beim backen sei und es
ihr nicht borgen könnte. Da kam es dann heraus, daß sie ihre Springerle hier
bei mir backen wollte. Nein, weißt Du, das fange ich nicht an. Soviel ich die
Frau jetzt kenne, bekommt man sie fast nicht mehr los, wenn man sie einmal in
die Wohnung gelassen hat. Als sie jetzt den Krach mit Schwehrs hatte, bei der
ihr Frau Schwehr eine mächtige Ohrfeige runtergehauen hat (was ich ja gemein
finde) ist sie auch immer ins Haus gelaufen gekommen. Sie hat allen erzählen
wollen, aber wir alle haben sie vor der Wohnungstür abgefertigt. Alle haben
wohl gesagt, daß das schlagen gemein ist, aber weiter geht uns ja die Sache
nichts an. Wir haben ja nichts gesehen.
Heute
hat sie ihre Kuchen noch bei Büsings backen lassen. Da ist ihr ja geholfen
worden. Ich will so was gar nicht erst anfangen.
Wir
hatten den ganzen Tag schönes Wetter, aber seit ca. 2 Stunden stürmt es
draußen. Ich bin gespannt, ob es hinterher wieder regnet oder schneit. Mit
schlechterem Wetter muß man ja jetzt immer rechnen. Die letzten Tage war es für
diese Jahreszeit direkt ungewöhnlich schön, aber vertragen hat man es gut
können.
Morgen
will ich mich wieder ans Nähen setzen, damit ich auch da mit dem Wichtigsten
bis Weihnachten fertig werde. Nun dauert es ja nur noch eine Woche.
Viel
Wichtiges habe ich ja heute nicht geschrieben. Aber ich bin heute ein bißchen
abgespannt und kaputt, da mußt Du es schon entschuldigen.
Ich
will nur noch den Brief wegschaffen, dann gehe ich schlafen. Wie ich gerade
festgestellt habe, hat es bereits mit regnen angefangen. Sei nun wieder recht
herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Anni.
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