Mein lieber Mann! Konstanz, 9.12.40
Nun hat schon wieder eine Woche begonnen
und Weihnachten kommt immer näher. Die Kinder können es früh gar nicht
erwarten, bis sie wieder ein Fenster am Adventskalender aufmachen können. Den
ganzen Tag malt Jörg Weihnachtsbäume, schaut sich Weihnachtsbilder an oder spielt gar selbst den Weihnachtsmann.
Wie heute, da hat er eine schwarze Regenkapuze (die Du immer als Nikolaus
benutzt hast) aufgesetzt, ein weißes Tuch war der Bart, Helga`s Nachtmantel war
der Mantel. Dann wurden alle Stühle zusammengesetzt. Auf die kamen seine ganzen
Spielsachen. Vorn war das Schaukelpferd. Darauf hat er sich dann gesetzt und
ist zu den einzelnen Kindern gefahren um ihnen zu bescheren. Vorher wurde
natürlich immer die Frage gestellt, ob die Kinder auch ganz brav waren. Er
räumt auch schon immer das Regal um, damit die kommenden Spielsachen auch Platz
haben. Gestern sind die Kinder ganz brav wieder aus der Stadt heimgekommen. Sie
haben sich alle Spielsachen angesehen und es gab dann viel zu erzählen. Ich
habe die Zeit gut zum nähen benutzen können. Aus allem gibt es allerhand neues
zu machen, besonders für Helga. Zum Schluß kommen dann die Mäntel dran.
Heute schicke ich nun die Päckchen an
Siegfried und die Eltern weg. Dann ist das auch erledigt. Wie ich Dir schon
schrieb, muß ich mit dem Päckchen an Kurt noch warten.
Nachdem es die vergangenen Tage ziemlich
stürmisch war, scheint wieder einmal die Sonne. Vielleicht kann ich da Jörg mit
dem Rad mitnehmen. Für ihn ist das ja immer ein Vergnügen.
Ich muß auch noch die neuen
Lebensmittelkarten anmelden. Diesen Monat gibt es für Weihnachten eine
Sonderzuteilung von einem Pfund Zucker. Das kann man brauchen. Um 12,5g werden
wir diesmal mit der Butter kürzer gehalten. Klingt das nicht putzig? 25g
Schwarztee gibt es auch, aber den nehme ich ja nicht, ich trinke lieber unsere
anderen Tees. Ich hatte doch in letzter Zeit mal so Geschwüre. Ich habe mir
allerhand überlegt, von was das sein
könnte. Dann habe ich gedacht, vielleicht kommt es daher, daß wir immer nur
Kaffee trinken und keinen Tee mehr (um Zucker zu sparen). Jetzt haben wir seit
einer ganzen Weile wieder Tee und bin ich nun auch mit so blödem Zeug bisher
verschont geblieben. Vielleicht macht das doch was aus.
Weißt Du übrigens wer Leutnant geworden
ist? Der junge Schäfer, der auf der Ordensburg war. Was sagst Du nun? Post habe
ich heute wieder keine erhalten. Warten tue ich ja schon wieder fest drauf,
denn Briefe kann ich von Dir gar nicht genug erhalten. Nun will ich aber schließen
und mich zum fortfahren fertig machen. Sei für heute recht herzlich gegrüßt und
geküßt von Deiner Annie.
Ernst, mein lieber Ernst! Konstanz, 9.12.40
Ist es wirklich wahr, daß Du zu
Weihnachten bei uns bist. Ist es wirklich wahr? Ach ich freue mich ja
unendlich. Wenn es wirklich Tatsache wird, daß Du zu Weihnachten bei uns bist,
bin ich der glücklichste Mensch. Ich wollte mich vorher immer nicht zu sehr
freuen, denn wenn etwas dazwischen käme, wäre die Enttäuschung ungeheuer. Aber
was will ich machen. Mein Herz schlägt nun noch: „Er kommt, er kommt, er
kommt.“ Jetzt geht mir die Arbeit noch mal so gut von der Hand. Als wir
heimkamen heute Nachmittag war Dein
Brief vom 2.12. da. Ich habe erst ziemlich über Euren Streich vom Samstag
lachen müssen. Als ich dann las: Ich muß Dir eine unangenehme Mitteilung machen,
es handelt sich um den Urlaub, da war ich direkt zu feig zum Weiterlesen und
dachte, also wird sicher aus dem Urlaub nichts. Dann kam die große Überraschung.
Vor Freude habe ich Jörg in der Küche herumgeschwenkt. Als ich ihm dann sagte,
daß Du kommst, ist er auch ganz toll geworden. Als Helga dann aus der Schule
kam, war sein erster Ruf: Vater kommt, Vater kommt. Hoffentlich ist es nun auch
wahr. Da bist Du dann ja nicht nur 3 Tage da und kannst Dich schon ein wenig
erholen. Ach Ernst, ich weiß gar nichts mehr zu schreiben. Die Gedanken sind
mir ganz durcheinander geraten. Nur daß ich mich freue, möchte ich Dir
hundertmal schreiben. Ich glaube, ich kann heute vor Glück gar nicht schlafen.
Alle Gedanken, die ich beiseite geschoben hatte, damit mir die Trennung nicht
gar so schwer fällt, kommen nun wieder hervor. Es ist, als sei ich erst wieder
richtig zum Leben erwacht. Jetzt hat die Welt erst wieder Glanz und der Gedanke
an Weihnachten ist nicht mehr mit Traurigkeit verknüpft. Wenn es nur Wahrheit
wird und daß Du gesund ankommst, mein lieber, lieber Ernst.
Mein liebster Schatz! 10.12.40
Ich nehme den Brief gleich heute früh mit,
da ich in die Stadt muß und Nähmaschinennadeln holen.
Viel weiß ich heute früh nicht zu
schreiben, nur das eine, daß ich so glücklich bin, daß Du zu Weihnachten
kommst. Hoffentlich bleibt es dabei. Das ist so viel Glück, daß ich immer
fürchte, es könnte widerrufen werden. Ich grüße und küsse Dich herzlich und
freue mich auf unser Wiedersehen Deine Annie.
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