Freitag, 11. Dezember 2015

Brief 106 vom 9./10.12.1940


Mein lieber Mann!                                                                             Konstanz, 9.12.40

Nun hat schon wieder eine Woche begonnen und Weihnachten kommt immer näher. Die Kinder können es früh gar nicht erwarten, bis sie wieder ein Fenster am Adventskalender aufmachen können. Den ganzen Tag malt Jörg Weihnachtsbäume, schaut sich Weihnachtsbilder an  oder spielt gar selbst den Weihnachtsmann. Wie heute, da hat er eine schwarze Regenkapuze (die Du immer als Nikolaus benutzt hast) aufgesetzt, ein weißes Tuch war der Bart, Helga`s Nachtmantel war der Mantel. Dann wurden alle Stühle zusammengesetzt. Auf die kamen seine ganzen Spielsachen. Vorn war das Schaukelpferd. Darauf hat er sich dann gesetzt und ist zu den einzelnen Kindern gefahren um ihnen zu bescheren. Vorher wurde natürlich immer die Frage gestellt, ob die Kinder auch ganz brav waren. Er räumt auch schon immer das Regal um, damit die kommenden Spielsachen auch Platz haben. Gestern sind die Kinder ganz brav wieder aus der Stadt heimgekommen. Sie haben sich alle Spielsachen angesehen und es gab dann viel zu erzählen. Ich habe die Zeit gut zum nähen benutzen können. Aus allem gibt es allerhand neues zu machen, besonders für Helga. Zum Schluß kommen dann die Mäntel dran.
Heute schicke ich nun die Päckchen an Siegfried und die Eltern weg. Dann ist das auch erledigt. Wie ich Dir schon schrieb, muß ich mit dem Päckchen an Kurt noch warten.
Nachdem es die vergangenen Tage ziemlich stürmisch war, scheint wieder einmal die Sonne. Vielleicht kann ich da Jörg mit dem Rad mitnehmen. Für ihn ist das ja immer ein Vergnügen.
Ich muß auch noch die neuen Lebensmittelkarten anmelden. Diesen Monat gibt es für Weihnachten eine Sonderzuteilung von einem Pfund Zucker. Das kann man brauchen. Um 12,5g werden wir diesmal mit der Butter kürzer gehalten. Klingt das nicht putzig? 25g Schwarztee gibt es auch, aber den nehme ich ja nicht, ich trinke lieber unsere anderen Tees. Ich hatte doch in letzter Zeit mal so Geschwüre. Ich habe mir allerhand  überlegt, von was das sein könnte. Dann habe ich gedacht, vielleicht kommt es daher, daß wir immer nur Kaffee trinken und keinen Tee mehr (um Zucker zu sparen). Jetzt haben wir seit einer ganzen Weile wieder Tee und bin ich nun auch mit so blödem Zeug bisher verschont geblieben. Vielleicht macht das doch was aus.
Weißt Du übrigens wer Leutnant geworden ist? Der junge Schäfer, der auf der Ordensburg war. Was sagst Du nun? Post habe ich heute wieder keine erhalten. Warten tue ich ja schon wieder fest drauf, denn Briefe kann ich von Dir gar nicht genug erhalten. Nun will ich aber schließen und mich zum fortfahren fertig machen. Sei für heute recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Ernst, mein lieber Ernst!                                                                Konstanz, 9.12.40

Ist es wirklich wahr, daß Du zu Weihnachten bei uns bist. Ist es wirklich wahr? Ach ich freue mich ja unendlich. Wenn es wirklich Tatsache wird, daß Du zu Weihnachten bei uns bist, bin ich der glücklichste Mensch. Ich wollte mich vorher immer nicht zu sehr freuen, denn wenn etwas dazwischen käme, wäre die Enttäuschung ungeheuer. Aber was will ich machen. Mein Herz schlägt nun noch: „Er kommt, er kommt, er kommt.“ Jetzt geht mir die Arbeit noch mal so gut von der Hand. Als wir heimkamen  heute Nachmittag war Dein Brief vom 2.12. da. Ich habe erst ziemlich über Euren Streich vom Samstag lachen müssen. Als ich dann las: Ich muß Dir eine unangenehme Mitteilung machen, es handelt sich um den Urlaub, da war ich direkt zu feig zum Weiterlesen und dachte, also wird sicher aus dem Urlaub nichts. Dann kam die große Überraschung. Vor Freude habe ich Jörg in der Küche herumgeschwenkt. Als ich ihm dann sagte, daß Du kommst, ist er auch ganz toll geworden. Als Helga dann aus der Schule kam, war sein erster Ruf: Vater kommt, Vater kommt. Hoffentlich ist es nun auch wahr. Da bist Du dann ja nicht nur 3 Tage da und kannst Dich schon ein wenig erholen. Ach Ernst, ich weiß gar nichts mehr zu schreiben. Die Gedanken sind mir ganz durcheinander geraten. Nur daß ich mich freue, möchte ich Dir hundertmal schreiben. Ich glaube, ich kann heute vor Glück gar nicht schlafen. Alle Gedanken, die ich beiseite geschoben hatte, damit mir die Trennung nicht gar so schwer fällt, kommen nun wieder hervor. Es ist, als sei ich erst wieder richtig zum Leben erwacht. Jetzt hat die Welt erst wieder Glanz und der Gedanke an Weihnachten ist nicht mehr mit Traurigkeit verknüpft. Wenn es nur Wahrheit wird und daß Du gesund ankommst, mein lieber, lieber Ernst.

Mein liebster Schatz!                                                                                     10.12.40

Ich nehme den Brief gleich heute früh mit, da ich in die Stadt muß und Nähmaschinennadeln holen.
Viel weiß ich heute früh nicht zu schreiben, nur das eine, daß ich so glücklich bin, daß Du zu Weihnachten kommst. Hoffentlich bleibt es dabei. Das ist so viel Glück, daß ich immer fürchte, es könnte widerrufen werden. Ich grüße und küsse Dich herzlich und freue mich auf unser Wiedersehen Deine Annie.


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