Mittwoch, 12. August 2015

Brief 56 vom 29./30./31.8.1940


Mein lieber Ernst!                                                                29. August 

Heute komme ich spät zum schreiben. Es ist schon ¾ 5 Uhr.
Ich habe aber heute wieder im Garten geschafft. Und zwar habe ich die Erdbeeren gesetzt, angegossen, die sieben weiteren Reihen gegraben, so daß sie vollständig in Ordnung sind. Dann habe ich Spinat, Salat und Frühjahrszwiebeln gesät., Die Frühjahrszwiebeln sind zum Überwintern. Für heute habe ich mit der Arbeit Schluß gemacht. 
Ein Brief ist heute auch nicht gekommen. Aber das kommt eben daher, weil ich gleich vier an einem Tag bekommen habe, da werde ich mich wohl gedulden müssen.
Zwei Pfund Tomaten habe ich heute geerntet und 1 ½ Pfund Falläpfel. 
Von den Eltern kam heute eine Karte in der sie mitteilen, daß sie mir in den nächsten Tagen wieder Lesestoff schicken werden. Da schicke ich Dir also auch bald wieder Zeitungen. 
Nun weiß ich eigentlich nichts mehr zu schreiben. Ich bin auch ein bißchen müd vom schaffen.  Sei also für heute recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie. 
Ich habe noch eine Skizze vom Garten gemacht, damit Du weißt, wo alles steht. 


Mein lieber Mann!                                                                  Konstanz, 30.Aug.40.

Heute schreibe ich schon am Mittag, denn ich will für Vater die Gartenpacht heute bezahlen, da muß ich bis 3 Uhr in der Stadt sein.  Ein Brief von Dir ist auch heute nicht gekommen, wenigstens heute Vormittag nicht. Mal sehen, wann ich wieder etwas bekomme. 
Gestern habe ich mir für die Bluse von Dir einen Knopf gekauft. Ich habe einen ziemlich passenden bekommen, den ich nun ganz oben am Kragen hin nähe, nachdem ich den Knopf von oben an die freie Stelle genäht habe.  So fällt es gar nicht auf, daß es ein bißchen ein anderer ist. Ich habe die Bluse gestern Vater gezeigt. Ihm gefällt sie auch sehr gut. Ich soll Dir übrigens von ihm bestellen, Du solltest ihm nicht böse sein, daß er sich noch nicht für die Zigarren bedankt hat. Er wird es bald nachholen. Inzwischen läßt er Dir durch mich danken. 
Ich schicke Dir heute einen Artikel über den Mindelsee mit. Vielleicht interessiert er Dich. Kurt hat ihn auch gelesen, als er hier war, dann wollte Vater die Zeitung mitnehmen und er wollte es auch lesen, so ist es gekommen, daß ich Dir den Ausschnitt vom 17.Aug. erst heute schicke. 
Heute bin ich nicht in den Garten gegangen, sondern habe mal wieder oben gründlich sauber gemacht, denn es bleibt doch manches liegen, wenn man ein paar Tage hintereinander im Garten schafft. Nun habe ich das auch wieder erledigt. Jetzt geht es dann ans stopfen und flicken. Nächste Woche habe ich erst Wäsche und dann kommt wieder der Garten dran. So vergeht eine Woche nach der anderen. Man glaubt manchmal garnicht, daß schon der Sommer vorbei sein soll. Aber man merkt es schon wieder abends. Da muß ich schon ½ 9 Uhr Licht machen, und dabei haben wir noch die Sommerzeit und es ist eigentlich erst ½ 8 Uhr. Trüb ist es heute auch wieder.
Geht Ihr eigentlich auch in den Keller wenn Flieger kommen? Wenn es möglich ist, so gehe doch auch. Es sind in Berlin jetzt auch 10 Menschen tot, weil sie nicht in den Keller gegangen sind. Wir möchten Dich doch gern gesund wiedersehen. Ich möchte Dir natürlich keine Vorschriften machen, sondern es ist nur die Sorge um Dich, die mich das schreiben läßt. 
Wir haben dieses Jahr bis jetzt 12 Pfund Brombeeren geerntet. Das ist natürlich nichts gegen die Jahre vorher, aber ich freue mich doch über jedes Pfund. Ich weiß nicht, ob ich Dir schon geschrieben habe, wie viele Tomaten wir haben. Bis heute sind es 28 Pfund. Das ist doch auch ganz schön. Ich freue mich jedes Mal, wenn ich wieder was ernte. Daß ich mich aber auch vorm arbeiten nicht drücke, das weißt Du ja. 
Du, Ernst, weißt Du, was ich mit Deinem Rad gemacht habe? Ich habe etwas untergelegt und habe das Rad auf die Lenkstange und den Sattel gestellt, da wird der Gummi auch geschont. Soll ich da jetzt eigentlich die Luft in den Reifen lassen oder nicht?  Nun mache ich wieder Schluß, denn jetzt wird es Zeit, ich muß mich fertig machen. Sei recht, recht fest geküßt und gegrüßt, wenn auch nur im Geist, von Deiner Annie.


 Mein lieber Ernst!                                                     Konstanz, 31.Aug.1940

 Heute, am Vorabend unseres neunten Hochzeittages, sitze ich wieder hier allein und da kommt mir eigentlich so richtig zum Bewußtsein, daß ich Dir doch auch schon vorige Woche zu unserem Hochzeitstag hätte schreiben sollen. Ich hatte Dir morgen schreiben wollen und mir gar nicht überlegt, daß Du das ja auch erst in einer Woche erhältst. Nun kommt mir der Gedanke, daß Du mir vielleicht deshalb böse sein könntest und ich möchte Dich bitten, es nicht zu sein. Du weißt ja, und wirst es auch bisher gemerkt haben, daß ich immer an dich denke und daß ich Dich unsagbar lieb habe. Ich ärgere mich selbst darüber, daß ich nicht schon eher geschrieben habe und mache mir deshalb schwere Vorwürfe. Das war von mir wieder mal unvernünftig, daß ich Dir morgen erst wegen unseres Hochzeitstages schreiben wollte.
Siehst Du, da mußt Du Dein großes Lob, das Du mir in Deinem lieben Brief gemacht hast, schon ein bißchen zurückziehen, denn Du wirst Dich sicher geärgert haben, als Du keinen Brief erhieltst, in dem ich von unserem Hochzeitstag sprach.
Lieber Ernst! Ich möchte diese Unterlassungssünde gern bei Dir abbitten und kann es leider auch nur brieflich.  Lieber, lieber Ernst, sei mir bitte nicht böse, es ist nicht böse gemeint gewesen, daß ich nicht früher geschrieben habe, sondern es war nur unvernünftig von mir. Wenn ich nur jetzt sehen könnte, ob Du ein ganz böses Gesicht machst oder ob Du schon ein klein wenig lachst. Nichts ist mir so schrecklich, als wenn Du Dich über mich ärgerst. 
Lieber Ernst! Ich hatte heute 2 Päckchen mit Gebäck für Dich fertig gemacht. Jetzt waren aber beide zu schwer und ich habe sie wieder mit heim nehmen müssen. Nun kann man ab Montag Päckchen von 1 kg wegschicken und ich mache nun aus den 2 Päckchen eins und schicke es am Montag weg.  So habe ich wenigstens noch ein paar Stückchen dazu legen können, denn in die kleinen Päckchen ging sehr wenig rein. Laß Dir also bitte alles gut schmecken.  Nun gute Nacht, mein lieber Mann !

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