Donnerstag, 6. August 2015

Brief 45 vom 7./8.8.1940


Mein lieber, lieber Ernst!                                                     Konstanz, 7.Aug.40              

Heute ist nun Siegfried wieder fortgefahren. Wir haben ihn an die Bahn gebracht. Ich habe mich gefreut, daß Siegfried uns mal besucht hat. Aber, man sollte nicht glauben, daß wir Geschwister sind. Unsere Lebensanschauungen sind so verschieden. Siegfried ist in vielen Beziehungen wie Papa, auch in Bezug auf Mädchen.  Jetzt ist er ja, wie er sagte, Erna treu. Er ist schon oft mit ihr zusammen gekommen.  Ich könnte das niemals erzählen. Wir haben uns auch von zu hause erzählt, ich muß sagen, lieber Ernst, ich würde mich zu hause tief unglücklich fühlen. Ich kann Dir nicht alles so schreiben, sondern ich würde mich so gern einmal mit Dir aussprechen.
Lieber Ernst, ich bin ja so glücklich, daß ich Deine Frau sein kann und daß ich die ganzen Jahre bei Dir sein durfte. Dadurch habe ich so glückliche Jahre erlebt. Wenn Siegfried Dich ja einmal besuchen kann, wird er Dir sicher auch manches erzählen. Er hat uns und ich habe ihn ein paar Mal photografiert. Wenn die Bilder etwas geworden sind, schickt er Dir auch welche zu. Er will auch für Helga und Jörg von dort Schuhe besorgen, da er sie in dem Zug ohne Mühe mitbringen kann. Ist es Dir recht?
Lieber Ernst, nachdem ich gestern Deine lieben Briefe vom 30. und 31.7. erhielt, kam heute Dein Brief vom 29.7. Ich will sie Dir nun der Reihe nach beantworten.  Ich freue mich immer so auf Deine Schilderungen von dort. So kann ich doch ein wenig an Deinem Leben teilnehmen. 
Als ich nach dem Wehrmachtsbericht den Ort Roubaix anstrich, ist mir der Gedanke auch nicht gekommen, Du könntest dorthin einmal mit der Straßenbahn fahren.  Ich glaube, Du bist dort in der kurzen Zeit schon öfter ins Theater gekommen, als die ganzen Jahre vorher. Da Du ja gerne ins Theater gehst, freue ich mich mit Dir, daß Du dort Gelegenheit dazu hast.  Aus Deinem Brief vom 30.7. habe ich nun ersehen, daß Du wieder Post von mir erhalten hast. Wie ich Dir schon gestern schrieb, kannst Du Dich darauf verlassen, daß ich immer schreibe. Wie ich Dir schon bei Deinem Hiersein sagte, ist es für mich immer eine Freude, wenn ich mich, wenn auch nur brieflich, mit Dir unterhalten kann. 
Du schreibst auch, daß Du Dir verschiedenes hast machen lassen. Siegfried sagte schon, wenn Du so etwas hast, würde er Dir, wenn er einmal hinkäme, gern verschiedenes mit heim nehmen und mir zuschicken. Ihm ist das gut möglich.  Die Sachen, die Du mir geschickt hast, habe ich alle schon anprobiert und sie passen alle. Ich ziehe gern noch solch nette Sachen an, denn dazu bin ich noch nicht zu alt. Nun habe ich noch einen Wunsch. Hoffentlich findest Du ihn nicht unverschämt, nachdem Du mir schon so viel geschenkt hast. Könntest Du mir zum Geburtstag vielleicht eine Bluse kaufen. Ich habe jetzt 2 Röcke, aber nur eine richtige Bluse. Ich habe Oberweite 96 cm und Konfektionsgröße 44. Ich weiß ja nicht, ob dieselben Nummern dort auch gelten. Aber gell, lieber Ernst, nur wenn es Dir keine Mühe macht und wenn Du‘s selber gern willst. 
Mit den Erdbeeren werde ich es so mache wie Du geschrieben hast. Im Kalender steht nichts, wann man sie versetzen muß. Morgen werde ich wahrscheinlich wieder Bohnen zum sterilisieren abnehmen. Ich muß auch wieder im Garten schaffen, denn die letzten Tage ist alles liegen geblieben. 
Die Abschrift von dem Brief an Siegfried kam gestern mit an. Da hat er sie gleich lesen können. 
Heute früh kamen Zeitungen von den Eltern und 3,-Mk für Jörg. Ich lese die Illustrierten Beobachter und die wichtigsten Zeitungen bald und schicke sie Dir dann gleich zu.  Siegfried hatte es diesmal mit seinem Urlaub gut getroffen, da konnte er Tomaten essen, die er doch so gern mag.
Mein lieber, lieber Mann! Ich muß Dir wieder einmal schreiben, wie lieb ich Dich habe. Immer wieder schaue ich nach Deinem lieben Bild. Da sehen mich Deine Augen an, Dein liebes Gesicht kann ich gar nicht oft genug sehen. Was soll ich Dir schreiben? Ich weiß nur, daß ich, nachdem ich Deine Frau bin, glücklich bin und mich auf unser Wiedersehen unendlich freue. 
Es ist jetzt 8 Uhr abends. Ich bin nicht eher zum schreiben gekommen. Jetzt fahre ich aber noch in die Stadt. Vielleicht kommt der Brief noch mit fort. Am liebsten käme ich gleich selber hin zu dir. 
Sei nun für heute herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.


Mein lieber Ernst!                                                                      Konstanz, 8.8.40

Ich glaube, die Post ist ganz verdreht. Nachdem ich Dir gestern auf Deine Briefe vom 29., 30. und 31. geantwortet habe, kommt heute Dein Brief vom 27.7.  Inzwischen hast Du ja schon geschrieben, daß Du Briefe bekommen hast. Ich schicke Dir morgen wieder Zeitungen zu. Heute geht gleichzeitig ein Brief von Helga und ein Päckchen von Jörg an Dich ab. Helga hat sich große Mühe gegeben. Sie hat alles allein geschrieben und sich auch alles allein ausgedacht. Jörg hat sich die Sachen, die er Dir schickt, von seinen Geschenken aufgehoben, weil Du auch was davon haben sollst. Was er geschrieben hat, habe ich ihm vorschreiben müssen und er hat‘s allein nachgeschrieben.
Als Siegfried da war, hat er in Helgas Bett geschlafen und Helga mit in meinem Bett. In Deinem Bett darf nämlich gar niemand schlafen, nur Du, wenn Du wieder kommst.
Ich wollte heute eigentlich im Garten schaffen, aber ich habe erst mal wieder in der Wohnung Ordnung schaffen müssen, denn es ist in den letzten Tagen doch manches liegen geblieben.  In der Stadt ist wieder viel Betrieb von Soldaten. Da ist schon wieder manche Freundschaft geschlossen worden. Es sind aber keine Konstanzer Soldaten, denn sie haben sich, als sie einzogen, nicht ausgekannt und haben gefragt, ob sie nun in die Stadt kommen, bzw. ob das nun Konstanz ist. 
Gestern habe ich das erste Pfund Brombeeren abgenommen. Das gibt Marmelade. 
Mit dem Bezug von Kohlen wird das jetzt so geregelt, daß man das Quantum bekommt, das man im Winter 38/39 bezogen hat. Das waren bei uns 15 Ztr. Also habe ich schon das ganze Quantum und bekomme keine mehr.  Siegfried sagte bei seinem Hiersein schon, daß sie mit dem Lazarettzug wahrscheinlich das nächste Mal bis zur Küste kommen. Vielleicht kommt er doch einmal bei Dir vorbei.  Nun, lieber Ernst, schließe ich für heute. Sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

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