Sonntag, 30. Juni 2019

Brief 752 vom 19.06.1944 (2)


Lieber Schatz !                                                               Konstanz, 19.6.44       

Die Woche hat wieder begonnen. Zuerst einmal mit Regen. Die Welt sah grau in grau aus. Gegen Mittag heiterte es sich doch etwas auf. Am Vormittag habe ich mit der Maschine genäht, am Nachmittag bin ich in die Stadt gegangen. Ich hatte den kleinen Horst von Leimenstolls im Sportwagen mit. Frau L. hatte Wäsche, da konnte sie schlecht auf ihn aufpassen und mir macht es viel Freude, mit solch einem kleinen Kerlchen herum zu fahren. Noch dazu, wenn es so ein nettes und bis jetzt auch braves Kind ist. Als wir aus der Stadt kamen, bin ich noch mit ihm zur Resi gefahren. Helga war dort. Die haben wir abgeholt und außerdem habe ich mir einige Bücher zum lesen geholt. Eigentlich wollte ich nur eins, da ich jetzt wenig zum lesen komme. Aber Resi fand immer wieder ein schöneres, so daß es jetzt 5 geworden sind. Na, ich kann mir ja Zeit nehmen.  Helga war schon gleich nach dem Essen zu Ingrid gegangen.
Sie wollten zusammen Aufgaben machen, dann ihre Räder putzen und hinterher auf die Bücherei gehen. Weißt Du, was sie nun getan haben? Sie haben zuerst die Aufgaben gemacht und ihre Räder geputzt. Dann hat Ingrid Ofenlack aufgestöbert, den sich Resi für den Ofen aufgespart hatte, da es doch keinen mehr gibt. Den haben die Beiden doch genommen, als Resi nicht da war und haben ihre Räder lackiert. Die Freude von Resi kannst Du Dir vorstellen. Dabei hat sich Ingrid noch ihre Bluse verschmiert. Sie wollte nun den Lack auswaschen und hat gerieben, bis oben auf dem Ärmel ein Loch war. Ja, wenn man die Kinder mal alleine läßt. Es ist bestimmt so, daß sie jetzt oft auf dümmere Gedanken kommen als früher, wo sie klein waren. Mit Helga erlebe ich jetzt manchmal auch solche Überraschungen. Ich sage manchmal „Ja Mädel, früher warst Du doch nicht so dumm, was stellst Du jetzt bloß immer an.
Heute wollte ich das Päckchen mit dem Handtuch und einem Päckchen Rasierklingen wegschicken, da es aber nur 60g wog, habe ich es wieder mitgenommen und weitere Rasierklingen hinein getan. Die 100g wollen wir wenigstens ausnützen.  Vater war vorhin hier. Erbrachte mit ½ Pfund Reis mit. Als ich ihn jetzt zur Haustür brachte, da regnete es wenigstens wieder einmal. Es will und will nicht besser werden. Petrus ist gar kein guter Mann.
Wenn Du Dich vielleicht fragst, wo Jörg am Nachmittag war, so kann ich Dir sagen, daß er bis 5 Uhr in der Schule war. Er kam uns schon entgegengesprungen, als wir heim kamen. Morgen hat er wieder mal keine Schule, weil die Schulanfänger angemeldet werden und am Mittwoch hat er ja immer keinen Unterricht. Er hat es doch gut, nicht wahr? Helga hat heute eine Rechenarbeit zurückbekommen. Sie hat eine 2. Das ist doch ganz gut. Sie freut sich auch sehr. Es war die letzte in diesem Schuljahr.
Nun laß mich aufhören. Es ist ¼ 12 Uhr geworden. Bleib immer gesund und sei oft und herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

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