Lieber Schatz !
Konstanz, 19.6.44
Die Woche hat wieder begonnen. Zuerst einmal mit Regen. Die
Welt sah grau in grau aus. Gegen Mittag heiterte es sich doch etwas auf. Am
Vormittag habe ich mit der Maschine genäht, am Nachmittag bin ich in die Stadt
gegangen. Ich hatte den kleinen Horst von Leimenstolls im Sportwagen mit. Frau
L. hatte Wäsche, da konnte sie schlecht auf ihn aufpassen und mir macht es viel
Freude, mit solch einem kleinen Kerlchen herum zu fahren. Noch dazu, wenn es so
ein nettes und bis jetzt auch braves Kind ist. Als wir aus der Stadt kamen, bin
ich noch mit ihm zur Resi gefahren. Helga war dort. Die haben wir abgeholt und
außerdem habe ich mir einige Bücher zum lesen geholt. Eigentlich wollte ich nur
eins, da ich jetzt wenig zum lesen komme. Aber Resi fand immer wieder ein
schöneres, so daß es jetzt 5 geworden sind. Na, ich kann mir ja Zeit
nehmen. Helga war schon gleich nach dem
Essen zu Ingrid gegangen.
Sie wollten zusammen Aufgaben machen, dann ihre Räder
putzen und hinterher auf die Bücherei gehen. Weißt Du, was sie nun getan haben?
Sie haben zuerst die Aufgaben gemacht und ihre Räder geputzt. Dann hat Ingrid
Ofenlack aufgestöbert, den sich Resi für den Ofen aufgespart hatte, da es doch
keinen mehr gibt. Den haben die Beiden doch genommen, als Resi nicht da war und
haben ihre Räder lackiert. Die Freude von Resi kannst Du Dir vorstellen. Dabei
hat sich Ingrid noch ihre Bluse verschmiert. Sie wollte nun den Lack auswaschen
und hat gerieben, bis oben auf dem Ärmel ein Loch war. Ja, wenn man die Kinder
mal alleine läßt. Es ist bestimmt so, daß sie jetzt oft auf dümmere Gedanken
kommen als früher, wo sie klein waren. Mit Helga erlebe ich jetzt manchmal auch
solche Überraschungen. Ich sage manchmal „Ja Mädel, früher warst Du doch nicht
so dumm, was stellst Du jetzt bloß immer an.
Heute wollte ich das Päckchen mit dem Handtuch und einem
Päckchen Rasierklingen wegschicken, da es aber nur 60g wog, habe ich es wieder
mitgenommen und weitere Rasierklingen hinein getan. Die 100g wollen wir
wenigstens ausnützen. Vater war vorhin
hier. Erbrachte mit ½ Pfund Reis mit. Als ich ihn jetzt zur Haustür brachte, da
regnete es wenigstens wieder einmal. Es will und will nicht besser werden.
Petrus ist gar kein guter Mann.
Wenn Du Dich vielleicht fragst, wo Jörg am Nachmittag war, so
kann ich Dir sagen, daß er bis 5 Uhr in der Schule war. Er kam uns schon
entgegengesprungen, als wir heim kamen. Morgen hat er wieder mal keine Schule,
weil die Schulanfänger angemeldet werden und am Mittwoch hat er ja immer keinen
Unterricht. Er hat es doch gut, nicht wahr? Helga hat heute eine Rechenarbeit
zurückbekommen. Sie hat eine 2. Das ist doch ganz gut. Sie freut sich auch
sehr. Es war die letzte in diesem Schuljahr.
Nun laß mich aufhören. Es ist ¼ 12 Uhr geworden. Bleib immer
gesund und sei oft und herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.
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