Sonntag, 2. Juli 2017

Brief 361 vom 23.6.1942


Mein lieber Ernst!                                                               Konstanz 23.06.42  

Gestern bist Du mit dem Schreiben schlecht weggekommen, denn ich hatte nur unter den Sonntagsbrief einige Zeilen geschrieben. Eigentlich wollte ich am Abend noch schrieben, aber ich hatte bis gegen 10 Uhr zu tun und dann hatte ich keine Lust mehr. Ich habe mich gestern und heute wieder einmal ans nähen gesetzt, denn sonst wäre mir zu viel herumgelegen. Ich hatte es schon immer tun wollen, aber stets war etwas dazwischen gekommen. Meist hatte ich im Garten zu tun und war dann zu müd. Aber nun muß es einmal werden. Gestern Abend kam Vater mit einem vollen Rucksack herauf. Ich dachte erst, er brächte Wäsche, aber dazu war es doch noch gar nicht Zeit. Dann packte er aber aus und dann waren es verschiedene Sachen von deiner Mutter, die er noch da liegen gehabt hatte. Stoffreste, Mantelfutter usw. es ist alles noch gut erhalten und das meiste werde ich noch verwenden können.
Heute Morgen erhielt ich dein Päckchen mit Käse und Fisch, sowie Zwiebelsamen. Ich danke dir für alles. Es ist gut angekommen. Heute Nachmittag kam  dein Brief vom 15./16.06 an, den du einem Kameraden mitgegeben hast. Er ist gestern in Hanau abgestempelt.
Die Mitgesandten Urkunden gebe ich auf und trage sie vorher noch in den Ahnenpass ein. Wegen des Sterbedatums der Henriette Brose schaue ich morgen nach, ebenso wegen des Schreibens der Stadt. Heute ist es schon zu spät dazu.
Jetzt wird es also bald soweit sein, daß ihr wider weiter müsst. Hoffentlich triffst du es nicht gar so schlecht. Eine Umstellung wird es ja jedes Mal werden, aber es geht ja vielen so. Da muss man es auch mitnehmen.
Die Kinder haben mir versprochen, dass sie bald an dich schreiben wollen. Sie haben es auch nicht aus böser Absicht gemacht, dass sie dich so lange haben warten lassen.
Von Papa erhielt ich heute ein Paket mit Zeitungen und Romanen. Dazu einen Brief , sowie Abschrift zweier Briefe von Siegfried und Papas Antwort. Von seinem Brief schicke ich dir die Abschrift, bzw. den Durchschlag mit zu. Die anderen Briefe würde ich dir gern auch mitsenden, aber die brauche ich noch zur Beantwortung. Der Inhalt ist jedenfalls der, dass Siegfried geschrieben hat, dass Papa sich an verschiedenen Stellen über Erna beschwert hat und dass Siegfried das nicht dulden kann. Dann schreibt er, dass das Fräulein von den Sachen, die er schickt, mit isst und dass sie sich schon heimisch fühlt usw. Papa schreibt dagegen, dass das alles Lüge wäre, wobei man manchmal aber sieht, dass es nicht so ist. Wenn Siegfried von Hausbewohnern z.B. gesagt wurde, Papa hätte geäußert, als Erna verreist sei, habe er nur Maggiwürfel zu essen gehabt, Papa dagegen behauptet, er habe nur gesagt, dass er nun wieder mit Maggiwürfeln ohne Butter und Fett kochen muss, so kommt das meines Erachtens doch auf dasselbe heraus.
Papa schreibt aber, das sei wieder Lüge und Verleumdung von Erna. Papa bestreitet ganz energisch, dass das Fräulein mit von Siegfrieds Sachen gegessen habe. Das Fräulein habe alles mitgebracht. Wörtlich fährt er dann fort: „Übrigens wäre ja auch niemals Gelegenheit gewesen, ihr etwas zu geben, was von dir stammt, denn Frau erna hat ja alles in deinem Schrank eingeschlossen und hat den Schlüssel bei sich (auch eine neue Mode, die ich mir wohl gemerkt habe.)
Auf den Satz von Siegfried, dass er alles erst nach Rückfrage von Erna erfahren müsse, was zuhause los sei, schreibt Papa „stelle Dich nur bitte nicht so, als hättest Du diese Sachen alle erst auf Anfrage von Erna erfahren“. Papa schiebt alle Schuld einfach auf Erna. Am Schluß schreibt er noch „ dass ich nach wie vor bereit bin, dir und deiner Frau zwei Betten, Tisch usw. zur Verfügung zu stellen, das heißt, dass diese in Euren Besitz gelangen, habe ich Euch bzw. Dir bereits früher gesagt. Auch in anderer Beziehung soll es Euch an nichts fehlen, trotzdem es ja meist Usus ist, dass die Frau mindestens die zwei Betten mitbringt.“
Siehst Du, das finde ich nun gemein. Papa hat früher genau gewußt, dass Erna nichts hat und nichts mitbringen kann. Damals hat er gesagt, das macht gar nichts, wenn nur das Mädel recht ist und hat Siegfried immer zugeredet und jetzt will er da Vorwürfe machen. Ich hab ja schließlich auch so nichts mitgebracht, nur dass wir uns von dem ersparten Geld von Mama manches kaufen konnten. Aber Papa hat doch auch für nichts gesorgt. Aber es ist doch jetzt bei vielen Ehepaaren so, dass sie sich zusammen alles aufbauen müssen und sich nicht ins fertige Nest setzen können. Aber sowas vorzuhalten, das regt mich mächtig auf. Und was macht er für einen Sums um den schlecht gewaschenen Mantel. Es ist klar, Erna wird auch manchen Fehler machen. Aber so schlimm ist es doch wirklich nicht. Sie ist eben auch noch jung, und wenn ich manchmal an die erste Zeit unserer Ehe denke, dann muß ich auch sagen, wie war ich doch in manchem noch ungeschickt. Aber wir sind deshalb auch nicht umgekommen. Dass Erna nicht von früher her liederlich ist, ist doch daraus ersichtlich, dass er die ersten Monate sehr zufrieden mit ihr war, bis auf einmal die Klagen anfingen, als er den Gedanken einer neuen Heirat gefasst hatte. Ich kann Erna jedenfalls nicht verdammen und ihr alle Schuld zuschieben. Ich kenne meinen Papa doch. Ich antworte auf den Brief von Papa wahrscheinlich erst, wenn ich das Schreiben von Siegfried erhalten habe und sehe, was er schreibt. Du siehst aber, mit der ganzen Sache werden wir nicht so schnell fertig, wie wir es gerne gewollt hätten.
An Alice habe ich heute eine Karte geschrieben, sonst meinen sie, ich hätte sie vergessen. An Erna habe ich auch geschrieben. Den Durchschlag lege ich bei.
Nun lass mich für heute schließen. Ich bin ein bißchen kaputt und will mich noch eine Weile ausruhen. Ich grüße und küsse dich recht herzlich    Deinen Annie

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