Mein lieber Ernst! Konstanz
23.06.42
Gestern bist Du mit dem Schreiben schlecht weggekommen, denn
ich hatte nur unter den Sonntagsbrief einige Zeilen geschrieben. Eigentlich
wollte ich am Abend noch schrieben, aber ich hatte bis gegen 10 Uhr zu tun und
dann hatte ich keine Lust mehr. Ich habe mich gestern und heute wieder einmal
ans nähen gesetzt, denn sonst wäre mir zu viel herumgelegen. Ich hatte es schon
immer tun wollen, aber stets war etwas dazwischen gekommen. Meist hatte ich im
Garten zu tun und war dann zu müd. Aber nun muß es einmal werden. Gestern Abend
kam Vater mit einem vollen Rucksack herauf. Ich dachte erst, er brächte Wäsche,
aber dazu war es doch noch gar nicht Zeit. Dann packte er aber aus und dann
waren es verschiedene Sachen von deiner Mutter, die er noch da liegen gehabt
hatte. Stoffreste, Mantelfutter usw. es ist alles noch gut erhalten und das
meiste werde ich noch verwenden können.
Heute Morgen erhielt ich dein Päckchen mit Käse und Fisch,
sowie Zwiebelsamen. Ich danke dir für alles. Es ist gut angekommen. Heute
Nachmittag kam dein Brief vom 15./16.06
an, den du einem Kameraden mitgegeben hast. Er ist gestern in Hanau
abgestempelt.
Die Mitgesandten Urkunden gebe ich auf und trage sie vorher
noch in den Ahnenpass ein. Wegen des Sterbedatums der Henriette Brose schaue
ich morgen nach, ebenso wegen des Schreibens der Stadt. Heute ist es schon zu
spät dazu.
Jetzt wird es also bald soweit sein, daß ihr wider weiter
müsst. Hoffentlich triffst du es nicht gar so schlecht. Eine Umstellung wird es
ja jedes Mal werden, aber es geht ja vielen so. Da muss man es auch mitnehmen.
Die Kinder haben mir versprochen, dass sie bald an dich
schreiben wollen. Sie haben es auch nicht aus böser Absicht gemacht, dass sie
dich so lange haben warten lassen.
Von Papa erhielt ich heute ein Paket mit Zeitungen und
Romanen. Dazu einen Brief , sowie Abschrift zweier Briefe von Siegfried und
Papas Antwort. Von seinem Brief schicke ich dir die Abschrift, bzw. den
Durchschlag mit zu. Die anderen Briefe würde ich dir gern auch mitsenden, aber
die brauche ich noch zur Beantwortung. Der Inhalt ist jedenfalls der, dass
Siegfried geschrieben hat, dass Papa sich an verschiedenen Stellen über Erna
beschwert hat und dass Siegfried das nicht dulden kann. Dann schreibt er, dass
das Fräulein von den Sachen, die er schickt, mit isst und dass sie sich schon
heimisch fühlt usw. Papa schreibt dagegen, dass das alles Lüge wäre, wobei man
manchmal aber sieht, dass es nicht so ist. Wenn Siegfried von Hausbewohnern
z.B. gesagt wurde, Papa hätte geäußert, als Erna verreist sei, habe er nur
Maggiwürfel zu essen gehabt, Papa dagegen behauptet, er habe nur gesagt, dass
er nun wieder mit Maggiwürfeln ohne Butter und Fett kochen muss, so kommt das
meines Erachtens doch auf dasselbe heraus.
Papa schreibt aber, das sei wieder Lüge und Verleumdung von
Erna. Papa bestreitet ganz energisch, dass das Fräulein mit von Siegfrieds
Sachen gegessen habe. Das Fräulein habe alles mitgebracht. Wörtlich fährt er
dann fort: „Übrigens wäre ja auch niemals Gelegenheit gewesen, ihr etwas zu
geben, was von dir stammt, denn Frau erna hat ja alles in deinem Schrank
eingeschlossen und hat den Schlüssel bei sich (auch eine neue Mode, die ich mir
wohl gemerkt habe.)
Auf den Satz von Siegfried, dass er alles erst nach
Rückfrage von Erna erfahren müsse, was zuhause los sei, schreibt Papa „stelle
Dich nur bitte nicht so, als hättest Du diese Sachen alle erst auf Anfrage von
Erna erfahren“. Papa schiebt alle Schuld einfach auf Erna. Am Schluß schreibt
er noch „ dass ich nach wie vor bereit bin, dir und deiner Frau zwei Betten,
Tisch usw. zur Verfügung zu stellen, das heißt, dass diese in Euren Besitz
gelangen, habe ich Euch bzw. Dir bereits früher gesagt. Auch in anderer
Beziehung soll es Euch an nichts fehlen, trotzdem es ja meist Usus ist, dass
die Frau mindestens die zwei Betten mitbringt.“
Siehst Du, das finde ich nun gemein. Papa hat früher genau
gewußt, dass Erna nichts hat und nichts mitbringen kann. Damals hat er gesagt,
das macht gar nichts, wenn nur das Mädel recht ist und hat Siegfried immer
zugeredet und jetzt will er da Vorwürfe machen. Ich hab ja schließlich auch so
nichts mitgebracht, nur dass wir uns von dem ersparten Geld von Mama manches
kaufen konnten. Aber Papa hat doch auch für nichts gesorgt. Aber es ist doch
jetzt bei vielen Ehepaaren so, dass sie sich zusammen alles aufbauen müssen und
sich nicht ins fertige Nest setzen können. Aber sowas vorzuhalten, das regt
mich mächtig auf. Und was macht er für einen Sums um den schlecht gewaschenen
Mantel. Es ist klar, Erna wird auch manchen Fehler machen. Aber so schlimm ist
es doch wirklich nicht. Sie ist eben auch noch jung, und wenn ich manchmal an
die erste Zeit unserer Ehe denke, dann muß ich auch sagen, wie war ich doch in
manchem noch ungeschickt. Aber wir sind deshalb auch nicht umgekommen. Dass
Erna nicht von früher her liederlich ist, ist doch daraus ersichtlich, dass er
die ersten Monate sehr zufrieden mit ihr war, bis auf einmal die Klagen
anfingen, als er den Gedanken einer neuen Heirat gefasst hatte. Ich kann Erna
jedenfalls nicht verdammen und ihr alle Schuld zuschieben. Ich kenne meinen
Papa doch. Ich antworte auf den Brief von Papa wahrscheinlich erst, wenn ich
das Schreiben von Siegfried erhalten habe und sehe, was er schreibt. Du siehst
aber, mit der ganzen Sache werden wir nicht so schnell fertig, wie wir es gerne
gewollt hätten.
An Alice habe ich heute eine Karte geschrieben, sonst meinen
sie, ich hätte sie vergessen. An Erna habe ich auch geschrieben. Den
Durchschlag lege ich bei.
Nun lass mich für heute schließen. Ich bin ein bißchen
kaputt und will mich noch eine Weile ausruhen. Ich grüße und küsse dich recht
herzlich Deinen Annie
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