Montag, 3. April 2017

Brief 301 vom 27.3.1942


Mein liebster Ernst !                                                                                   Konstanz, 27.3.42                

Gerade erhielt ich deine beiden lieben Briefe vom 23.3. Ich danke dir vielmals dafür. Es hat mich gefreut, dass du beim Thomas einige schöne Tage verlebt hast. Wenn du nun bald dort fort kommst, werden schöne Tage wohl recht selten werden. Ich kann mir jedenfalls nicht denken, dass du in Russland viel Freude erleben wirst.
Wenn du schreibst, dass du am anderen Tage wahrscheinlich für deine ganze militärische Dienstzeit zum letzten Mal OvD hast, so heißt das doch wohl, dass du zur Truppe zurück musst. Ist das jetzt endgültig entschieden?
Das glaube ich, dass dort viel gehamstert wird. Wenn eben nicht richtig verteilt wird, sucht jeder anderweitig etwas zu erwischen. Wenn die Franzosen selber kein Interesse an gerechter Verteilung haben, können ja die deutschen Behörden auch nicht alles allein tun.
Die Kürzungen in den Lebensmittelzuteilungen sind ja jetzt eingetreten, bzw. treten am Ostermontag ein. Gedanken musst du dir aber deshalb nicht machen. Wir werden schon durch kommen. Wir müssen eben noch mehr einteilen, es wird schon gehen.
Den Film „Wetterleuchten um Barbara“ hast du ja nun gesehen. Ich bin auch der Meinung, dass es ganz schön ist, dass er aber über dieses Thema noch schönere gegeben hat. Den Film „Jakko“ wirst du dir ja nicht angesehen haben, da du OvD hattest. Aber der hat mir wirklich gut gefallen.
Es ist nun also fast genau bestimmt, wann du von dort weg musst. Das ist ja nur noch ganz kurze Zeit. Ich würde diesen Termin gerne noch hinausschieben, wenn ich könnte, denn wenn es dort auch nicht schön ist, besser als in diesem Russland, diesem Ungezieferland in menschlicher und tierischer Form, wird es doch sein. Aber wir müssen eben alles gehen lassen und warten, was kommt.
Ja, der vorige Brief von Papa war ziemlich sanft und nachgiebig. Es hält nur immer nicht lange an. Der Brief von gestern, den ich dir schickte, hat eine ganz andere Tonart. Ich muß schon sagen, ich habe mich gestern geärgert. Erst große Töne von „nie mehr heiraten“. Das habe ich ja nie ganz ernst genommen. Aber kaum ist ½ Jahr vorbei, heißt es „… müsste evtl. eine Änderung eintreten, die ich um euretwillen noch nicht in´s Auge gefasst hatte.“ So ähnlich heißt es doch, nicht wahr?
Ich gebe ja zu, dass es nicht gerade ein Vergnügen ist, abends in eine kalte Stube zu kommen, aber es ist ja schließlich nicht immer so. Das hätte er sich doch vorher sagen können, dass Siegfried nicht heiratet und sagt: So, das ist nun dein Dienstmädchen.“ Ich finde es nicht schön, dass er schreibt, ich sollte mal mit Siegfried reden, damit Papa nicht eines Tages zu Erna sagen müsste, sie müsste sich ein anderes Unterkommen suchen. Aber ich bin fast der Meinung, Papa hat den Entschluss zum heiraten schon gefasst und will es mit irgendwas entschuldigen. Es kann ja auch sein, ich sehe das falsch, aber mit dem Bild, das mir Siegfried gemacht hat, stimmte es zusammen. Schreib mir doch bitte mal deine Meinung, es wäre mir sehr lieb.
Ich bin gespannt, ob du noch Samen bekommen konntest. Von Rot- und Weißkraut, sowie von Salat, konnte ich je ein Päckchen bekommen, auch von Kohlrabi. Mehr aber nicht. Von Möhren bekommt man scheinbar überhaupt nichts. Der Gauggel hat gleich bis 7.April wieder zu gemacht, weil er nichts mehr hat. Da soll man mehr Gemüse pflanzen und bekommt keine Samen.
Von Kurt erhielt ich heute einen Brief vom 23.3. er schreibt, dass er sich über den Kalender und das Briefpapier gefreut hat, weil man beides dort nicht bekäme. 2 Briefe von mir hat er am Tage nach seiner Verwundung erhalten. Seine beiden wunden, die sich in der rechten Schulter befinden, sind geröntgt worden. Sie sind splitterfrei. Am 21. sind seine wunden noch ausgeätzt worden. Beim bewegen des Armes hat er noch etwas Schmerzen. Kurt schreibt noch: „Hoffentlich kommt Ernst gesund und heil wieder zurück. Ich empfinde es erst jetzt so richtig, wie es ist, wenn man jemand dort weiß.“
Aber wir denken ja alle mit so viel Liebe und Sorge an dich, du musst doch gesund wiederkommen, nicht wahr, du mein lieber Ernst!
Kurt bittet noch um einige Zeitungspäckchen mit Romanen, dort sei es so langweilig. Seit einigen Tagen geht er schon etwas spazieren.
So, nun habe ich dir fast den ganzen Brief abgeschrieben.
Ich weiß nicht genau, ob ich dir schon geschrieben habe, dass die Kinder morgen Zeugnisse bekommen. Aber mir ist es so, als hätte ich es dir schon gestern mitgeteilt.
Nun laß mich schließen. Ich muß noch das Essen kochen, bis die Kinder heim kommen. Beim einkaufen nehme ich gerade noch den Brief mit.
Sei nun recht herzlich gegrüßt und geküsst von Deiner Annie.

 Mein liebster, bester Ernst !                                                                       Konstanz, 27.3.42                               

Trotzdem erst vor wenigen Stunden mein heutiger Brief fortgegangen ist, muß ich in meiner Freude doch noch einen schrieben. Vorhin wollte ich Romane und eine Karte an Kurt fortschaffen, da sehe ich im Riesenbergweg den Briefträger stehen, der seit dieser Woche auch am Nachmittag wieder austrägt. Ich fahre schnell hin und frage, ob er was für mich hat. Und wirklich, 4 Päckchen waren da. Du kannst dir meine Freude denken. Schnell bin ich noch mal heimgefahren und zuerst haben wir den Widerstand ausgepackt und das Radio angeschlossen. Das war noch mal eine Freude. Wie schön das klingt und wie lautstark der Apparat ist! Noch viel schöner klingt´s, als damals im Radiogeschäft. Ein paar deutsche Sender habe ich sofort bekommen. Die Kinder sind wie toll vor Freude im Zimmer herumgetanzt. Aber etwas muß ich dich noch fragen, nimmst du es nicht übel, dass wir uns den Apparat nun doch in die Küche gestellt haben? Immer kann man die Tür noch nicht auf haben und wir möchten so gern hören.
Ich möchte dir nochmals recht, recht fest danken, dass du so sehr lieb warst und den Apparat gekauft hast. Du hast uns eine ganz große Freude gemacht. Es ist schade, dass du jetzt nicht auch hören kannst, du würdest auch deine Freude daran haben. Das hören ist jetzt direkt ein Genuß.
Nun möchte ich dir aber auch für die anderen Päckchen, Nr.19, 20, 22 danken. Auch darüber freuen wir uns sehr. Es hilft mir doch alles so sehr. Ich habe immer eine gewisse Reserve da. Jörg freut sich besonders auf die Marmelade, Helga auf den Zwieback und ich mich über alles, besonders auch über den Zucker.
An Kurt habe ich heute folgende Karte geschrieben:
Lieber Kurt!
Heute erhielt ich deinen Brief vom 23. Es freut mich, dass dich das Päckchen erreicht hat und dass du Freude daran gehabt hast. Deinen Wunsch nach Romanen habe ich gleich erfüllt und sende dir heute zwei Zeitungspäckchen. Hoffentlich erhältst du sie bald. In der nächsten Woche bekomme ich wieder Zeitungen und Romane. Sobald ich welche ausgelesen habe, sende ich sie dir zu. Das Ausätzen der Wunden wird auch wenig schön gewesen sein. Es ist nur gut, dass die wunden splitterfrei sind. Da hast Du später vielleicht keine Beschwerden damit. Ernst ist nun auch schon wieder zwei Wochen in Frankreich. Wie er heute schrieb, kommt er wahrscheinlich Mitte oder Ende nächster Woche fort. Wir hoffen auch von ganzem Herzen, dass er gesund wieder heim kommt.
Es folgen dann noch die Grüße.
Die Romane habe ich seinem Wunsch zufolge als Zeitungspäckchen, bzw. Drucksache in Kreuzband geschickt, da sie dann als Brief befördert werden und das Gewicht 1 Pfund sein darf. Er möchte sie recht schnell haben.
Übrigens ernst, dass der Widerstand heiß wird, das macht doch nichts? Wenn ich mich recht erinnere, hatte der Radiohändler davon gesprochen. Das Radio läuft jetzt gerade wieder und ich muß immer wieder staunen, dass es unser Apparat ist, der so schön spielt. Die tiefen Töne hört man auch so gut. Also einfach fein, ganz fein. Und das gehört nun uns, weil du so lieb warst und ihn gekauft hast. Ich kann dir gar nicht genug danken.
Nun will ich schließen. Ich will noch die Schulaufgaben der Kinder nachsehen und dann wollen wir Abendbrot essen.
Ernst, ich denke jetzt immer daran, dass du fast den gleichen Apparat hast und am Abend vielleicht auch so hörst, wie ich. Wenigstens noch die nächsten Tage. Wenn ich das Radio sehe, so freue ich mich, und doch bin ich auch wieder etwas traurig, denn er erinnert immer an deinen Urlaub, der nun schon wieder vorbei ist. Aber viele schöne Erinnerungen haben wir doch, nicht wahr, mein lieber Mann. Nun grüße und küsse ich dich recht herzlich, Deine Annie.

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