Samstag, 14. Mai 2016

Brief 157 vom 15.5.1941


Mein lieber Ernst!                                                                         Konstanz, 15.5.41                         

Einen Brief habe ich heute wieder nicht bekommen. Damit läßt mich die Post scheinbar im Stich. Aber Dein liebes Päckchen ist angekommen. Ich danke Dir dafür recht sehr. Aufgemacht habe ich es noch nicht, damit warte ich bis Sonntag, denn für den Muttertag ist es ja bestimmt, aber ich freue mich, daß es rechtzeitig angekommen ist.
Wir waren gestern in der Stadt. Wir haben Verschiedenes besorgt und sind dann auch zum Tengelmann. Erst habe ich eingekauft und dann habe ich aus dem Geschäft gehen müssen, damit die Kinder einkaufen konnten. Ich darf natürlich nicht wissen, was sie gekauft haben. Dann habe ich mir noch etwas wünschen können und sie haben mir einen Briefhalter gekauft. Da kommen dann Deine Briefe hinein, damit sie nicht so auf dem Radio herumliegen. Du wirst schon wissen, was ich meine, wie der Briefhalter aussieht. Es ist einer mit 2 Fächern. Zu hause sind sie noch einmal zu Webers gegangen und haben noch etwas gekauft. Alles zusammen haben sie in ihrem Schrank versteckt und ich darf ja nicht gucken. Helga und Jörg sind schon ganz aufgeregt und können es kaum abwarten, bis Sonntag ist.
Am Abend kam Vater herauf. Er hat gelesen und ist bis 1/2 11 Uhr dagewesen. Seinen Kopf habe ich noch einmal nachgesehen. Es ist ein Furunkel, aber da es noch klein ist, habe ich gestern schon allen Eiter herausbekommen. Nun kann es wieder verheilen. Vater hat mir gestern für die Wäsche 1,20 gegeben. Die habe ich gleich in den neuen Geldbeutel von Dir getan. Das ist meine Nebensparkasse. Was ich darin spare, ist für Deinen nächsten Urlaub bestimmt.
Heute Morgen habe ich mir Jörg im Garten geschafft. Dieses Mal haben wir die Wege von Unkraut befreit. Da ist es uns schon früh ziemlich heißt geworden. Um 9 Uhr bin ich mit Jörg in die Stadt gefahren. Ich habe den alten Schulranzen mitgenommen zum Herrichten. Aufzulackieren geht es nicht mehr, aber die Riemen werden in Ordnung gebracht. Ich werde den Ranzen, wie mir auch geraten worden ist, öfter mit Schuhcreme einreiben. In 14 Tagen kann ich ihn wieder holen. Wie ich Dir schon schrieb, hat der Feldhüter bei Deinem Vater gefragt, warum der Garten nicht in Ordnung gebracht wird. Dein Vater selbst war ja nicht zuhause. Er hat nun vom Vermessungsamt einen Zettel bekommen, daß er am Dienstagvormittag hinkommen soll. Er hat den Zettel aber erst gestern aus dem Kasten genommen und ich besorge nun die Sache. Heute früh bin ich mit vorbei gegangen, aber er hat erst morgen Vormittag wieder Sprechstunde.  Da muß ich eben morgen früh noch einmal hinfahren. Wenn sie viel Theater machen, will Vater den Garten aufgeben, sonst behält er ihn aber.
Inspirol-Tabletten habe ich Dir heute früh auch besorgt. 3 Päckchen habe ich bekommen, natürlich nicht in einem Geschäft. Ich schicke sie Dir mit. Wenn Du wieder welche brauchst, mußt Du eben schreiben.
Als wir heimkamen, war Helga schon da. Sie wollte dann gleich Schularbeiten machen und mußte feststellen, daß sie ihr Lesebuch in der Schule vergessen hat. Ich bin dann gleich noch einmal mit ihr hingefahren. Während ich auf Helga wartete, hätte ich gleich eine Soldatenbekanntschaft machen können. Als ich mit Helga heimfuhr, habe ich sie gefragt. was sie gesagt hätte, wenn ich mit dem Soldaten einmal fortgegangen wäre. Da hättest Du sie aber sehen müssen. Ich habe direkt lachen müssen. „Da hätte ich es Dir aber gesagt“ meinte sie „daß Du Vaterle nicht sitzenlassen darfst. Und dem Vaterle hätte ich es auch geschrieben.“ Nach einer Weile meinte sie „der Soldat hätte sich sicher gefreut, wenn Du mit ihm fortgegangen wärst. Aber so was machst Du ja nicht.“ Sie traut es mir also auch nicht zu und hat ja damit recht.
Übrigens habe ich mich heute auch für die Kennkarte fotografieren lassen. Es stand wieder in der Zeitung, daß jetzt jeder unbedingt eine Kennkarte haben muß. Es werden in Zukunft Prüfungen auf der Straße vorgenommen. In der Zeitung stand, daß die Kennkarte 1,- kostet. Ich lasse mir nun einen machen. Ich habe ja sonst keinen Lichtbildausweis. Gestern habe ich den Brief mit den Fotografien an Mama weggeschickt. Auch Dir schicke ich heute noch ein Bild mit. Dieses Mal sind die Haare besser auf dem Bild drauf wie vorher. Das Gesicht wirkt gleich nicht mehr so verzerrt. Von allen Bildern habe ich noch je 2 Abzüge für das Album der Kinder machen lassen. Soll ich noch ein paar Abzüge für Nannie und Kurt machen lassen? Meinst du, die würden sich freuen?- Herr Kuster sagte mir gestern, daß es wieder einen neuen Satz Briefmarken gibt. 1 Satz Briefmarken zu 2,50. Ich habe den Satz  2 x bestellt. In der Zeitung hat nichts davon gestanden. Es gibt scheinbar davon nicht so viel. Ich hole sie morgen bei Herrn Kuster ab. 
Es scheint, als ob das schöne Wetter zu Ende gehen will. Es hat sich bezogen und ist ganz schwül. Ein Regen wäre ja nicht von Schaden, nur lange anhalten soll es nicht. Meine zweiten Erbsen  kommen auch schon heraus. Auch die Sämlinge von Wirsing und Kohlrabi kommen ganz gut, bei Weiß- und Rotkohl ist noch nicht viel zu sehen. Vielleicht kommt es auch noch. Wir müssen jetzt unbedingt noch einmal nach Erbsenreisig gehen. Sonst kommen die Erbsen und wir haben keins.
Gestern war Herr Ganal da und hat jedem einen Zettel für 2 Eimer Sand gegeben, den wir uns noch beim Schlachthaus holen müssen. Ich hole ihn, wenn wir beim Lumpenhändler waren und unser Papier fortgeschafft haben. Das ist ein Weg.  Jetzt muß der Sand in Tüten gefüllt werden damit man damit auf den Brand schmeißen kann. Das gibt ja ein schönes Theater. Wo man das bloß alles hinstellen soll. Na, damit lasse ich mich nicht gleich aus der Ruhe bringen. Auch eine Spritze bekommen wir jetzt. Frau Nußbaumer als Luftschutzwart muß sie holen.
Mein lieber Ernst! Ich hoffe ganz fest, daß ich morgen wieder einen Brief von Dir erkomme. Darauf freue ich mich doch immer so. Ich möchte doch sehen bzw. hören, wie es Dir geht. Für heute danke ich Dir auch noch einmal ganz fest für Dein liebes Päckchen. Ich freue mich, wenn ich es am Sonntag aufmachen kann.
Sei für heute recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen