Mein lieber Ernst! Konstanz,
1.November 40 abends
Wie ich Dir heute schon kurz schrieb, sind Deine lieben Briefe von
25. + 26.10. bei mir eingetroffen. Es fehlt noch Dein Brief vom 23. und Deine zwei ersten Päckchen. Ich danke
Dir recht herzlich für Deine lieben Briefe. Ich muß darin aber feststellen, daß
Du doch ein arger Spötter bist, wenn auch ein lieber. Mein Studium der
Schulungsbriefe so zu verspotten. Schade, daß ich Dich zur Strafe nicht an den
Haaren raufen kann. Also, ich glaube, daß es nicht nötig sein wird, daß Du Dich
mit Deinem Wissen vor mir verstecken mußt. Es wird wohl manches Wissenswerte
mir im Gedächtnis bleiben, aber an Dich reiche ich deshalb doch nicht heran. Es
ist doch so, daß gerade Dein Wissen in mir den Wunsch geweckt hat, etwas
dazuzulernen. Meine Meinung ist, daß aber Wissen nicht nur Macht ist, sondern
daß es vor allen Dingen Freude macht.
So gern ich meine alltäglichen
Arbeiten tue, so ist es mir doch auch Bedürfnis, mich in meiner freien Zeit mit
etwas zu befassen, was über die kleinen Haushaltnöte hinausgeht. Denn diese
sind doch dazu da, daß man mit ihnen fertig wird, aber sie sollen einen doch
nicht verschlingen. Aus Deinem Brief ersehe ich ja, daß Du mit dem Lesen der
Schulungsbriefe einverstanden bist.
Für die gesandte Postkarte danke
ich Dir auch sehr. Nach dieser zu urteilen, ist diese Wachsbüste wirklich eine
feine Arbeit. Die mit gesandten
Schriftstücke hebe ich mir auf. Wenn Du kein Gummiband bekommen kannst, so ist
das nicht zu ändern. Verlaufe Dir nur nicht Deine Freizeit deshalb. Es wird
auch so gehen.
Nun möchte ich Dir noch von
unserem Tageslauf berichten. Gestern hatten wir doch Frost und heute früh
regnete es und war so warm, daß alle Außenwände feucht beschlagen sind. Der
Steinboden im Hausgang war den ganzen Tag naß. Lauter kleine Wasserperlen. Als
ich beim Bäcker war, klagte die Frau auch, daß ihre ganzen Möbel feucht
beschlagen sind und auch dort waren die Wände immer naß. So nasse Wände haben
wir überhaupt noch nicht gehabt, seit wir hier wohnen. Aber von gestern auf
heute ist es auch ein riesiger Temperaturunterschied.
Heute früh hatte ich Wäsche und
während der Arbeit fällt mir auf einmal aus einem der zwei zuletzt gemachten
Zähne die Plombe raus. Nun wußte ich,
daß unter der Plobe noch eine Einlage gemacht worden ist. Da die noch drin war,
habe ich alles stehen und liegen lassen und bin zum Zahnarzt gefahren. Herr B.
sagte mir, daß es gut war, daß ich gleich gekommen bin, denn wenn ich gewartet
hätte, wäre die Einlage auch noch rausgegangen. So war der Schaden in einer
viertel Stunde behoben. Da ich nun doch nicht essen konnte und es außerdem
schon ½ 12 Uhr war, haben die Kinder ausnahmsweise einmal Brot am Mittag
gegessen und am Abend habe ich Mittagessen gekocht. Mir war damit auch geholfen,
denn ich konnte gleich weiter waschen. Aufhängen konnte ich nicht, da es am
Nachmittag wie mit Kannen goß.
Gestern haben sich beide Kinder
je 5 Pfennig verdient, da sie am Friedhof einem Gärtner Blumentöpfe auf das
Auto laden geholfen haben. Nun sind am Friedhof alle Kinder gestanden und haben
Leuten Kränze auf die Gräber getragen, wenn sie von ihnen dazu aufgefordert
wurden. Da ist natürlich Jörg auch hingegangen und heute Vormittag kam er mit
20 Pfennig wieder. Als Helga von der Schule kam, ist sie nachher auch nochmals
mit hingegangen und sie und Jörg kamen dann mit 5 Pfennig heim, die sie dafür
bekommen haben, daß sie wieder einen Kranz trugen. Auf das selbstverdiente Geld
sind sie ja nun ganz besonders stolz.
Helga hat Dir ja in meinem
heutigen Brief die Zeugnisabschrift mitgeschickt. Sie strahlt ganz, daß ich
mich über das Zeugnis gefreut habe. Nun ist sie gespannt, was Du dazu sagen
wirst.
Ich habe heute die 26.-Mk, die
noch hier waren, an Dich eingezahlt. In 6
bis 7 Tagen dürftest Du sie ungefähr erhalten, wie der Mann am Schalter
sagte. Für meine zerkratzten Hände kann
ich jetzt gut das Kaloderma-Gelee brauchen, das Du mir ja auch geschenkt hast.
Überhaupt kommt alles Gute und Schöne für mich von Dir. Wenn es wahr ist, daß
ich jetzt gut aussehe, so kommt das bestimmt nur daher, daß ich die glückliche
Gewißheit habe, daß Du mich lieb hast.
Nun gute Nacht, lieber Ernst,
schlaf auch Du gut und wach gesund wieder auf
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