Dienstag, 3. November 2015

Brief 83 vom 01.11.1940


Mein lieber Ernst!                                    Konstanz, 1.November 40 abends

 Wie ich Dir heute schon kurz schrieb, sind Deine lieben Briefe von 25. + 26.10. bei mir eingetroffen. Es fehlt  noch Dein Brief vom 23. und Deine zwei ersten Päckchen. Ich danke Dir recht herzlich für Deine lieben Briefe. Ich muß darin aber feststellen, daß Du doch ein arger Spötter bist, wenn auch ein lieber. Mein Studium der Schulungsbriefe so zu verspotten. Schade, daß ich Dich zur Strafe nicht an den Haaren raufen kann. Also, ich glaube, daß es nicht nötig sein wird, daß Du Dich mit Deinem Wissen vor mir verstecken mußt. Es wird wohl manches Wissenswerte mir im Gedächtnis bleiben, aber an Dich reiche ich deshalb doch nicht heran. Es ist doch so, daß gerade Dein Wissen in mir den Wunsch geweckt hat, etwas dazuzulernen. Meine Meinung ist, daß aber Wissen nicht nur Macht ist, sondern daß es vor allen Dingen Freude macht.
So gern ich meine alltäglichen Arbeiten tue, so ist es mir doch auch Bedürfnis, mich in meiner freien Zeit mit etwas zu befassen, was über die kleinen Haushaltnöte hinausgeht. Denn diese sind doch dazu da, daß man mit ihnen fertig wird, aber sie sollen einen doch nicht verschlingen. Aus Deinem Brief ersehe ich ja, daß Du mit dem Lesen der Schulungsbriefe einverstanden bist. 
Für die gesandte Postkarte danke ich Dir auch sehr. Nach dieser zu urteilen, ist diese Wachsbüste wirklich eine feine Arbeit.  Die mit gesandten Schriftstücke hebe ich mir auf. Wenn Du kein Gummiband bekommen kannst, so ist das nicht zu ändern. Verlaufe Dir nur nicht Deine Freizeit deshalb. Es wird auch so gehen. 
Nun möchte ich Dir noch von unserem Tageslauf berichten. Gestern hatten wir doch Frost und heute früh regnete es und war so warm, daß alle Außenwände feucht beschlagen sind. Der Steinboden im Hausgang war den ganzen Tag naß. Lauter kleine Wasserperlen. Als ich beim Bäcker war, klagte die Frau auch, daß ihre ganzen Möbel feucht beschlagen sind und auch dort waren die Wände immer naß. So nasse Wände haben wir überhaupt noch nicht gehabt, seit wir hier wohnen. Aber von gestern auf heute ist es auch ein riesiger Temperaturunterschied. 
Heute früh hatte ich Wäsche und während der Arbeit fällt mir auf einmal aus einem der zwei zuletzt gemachten Zähne die Plombe  raus. Nun wußte ich, daß unter der Plobe noch eine Einlage gemacht worden ist. Da die noch drin war, habe ich alles stehen und liegen lassen und bin zum Zahnarzt gefahren. Herr B. sagte mir, daß es gut war, daß ich gleich gekommen bin, denn wenn ich gewartet hätte, wäre die Einlage auch noch rausgegangen. So war der Schaden in einer viertel Stunde behoben. Da ich nun doch nicht essen konnte und es außerdem schon ½ 12 Uhr war, haben die Kinder ausnahmsweise einmal Brot am Mittag gegessen und am Abend habe ich Mittagessen gekocht. Mir war damit auch geholfen, denn ich konnte gleich weiter waschen. Aufhängen konnte ich nicht, da es am Nachmittag wie mit Kannen goß. 
Gestern haben sich beide Kinder je 5 Pfennig verdient, da sie am Friedhof einem Gärtner Blumentöpfe auf das Auto laden geholfen haben. Nun sind am Friedhof alle Kinder gestanden und haben Leuten Kränze auf die Gräber getragen, wenn sie von ihnen dazu aufgefordert wurden. Da ist natürlich Jörg auch hingegangen und heute Vormittag kam er mit 20 Pfennig wieder. Als Helga von der Schule kam, ist sie nachher auch nochmals mit hingegangen und sie und Jörg kamen dann mit 5 Pfennig heim, die sie dafür bekommen haben, daß sie wieder einen Kranz trugen. Auf das selbstverdiente Geld sind sie ja nun ganz besonders stolz. 
Helga hat Dir ja in meinem heutigen Brief die Zeugnisabschrift mitgeschickt. Sie strahlt ganz, daß ich mich über das Zeugnis gefreut habe. Nun ist sie gespannt, was Du dazu sagen wirst. 
Ich habe heute die 26.-Mk, die noch hier waren, an Dich eingezahlt. In 6  bis 7 Tagen dürftest Du sie ungefähr erhalten, wie der Mann am Schalter sagte.  Für meine zerkratzten Hände kann ich jetzt gut das Kaloderma-Gelee brauchen, das Du mir ja auch geschenkt hast. Überhaupt kommt alles Gute und Schöne für mich von Dir. Wenn es wahr ist, daß ich jetzt gut aussehe, so kommt das bestimmt nur daher, daß ich die glückliche Gewißheit habe, daß Du mich lieb hast. 
Nun gute Nacht, lieber Ernst, schlaf auch Du gut und wach gesund wieder auf

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