Mein lieber Ernst! 23.Juli1940
Heute erhielt ich Deinen lieben
Brief vom 16.
Glaube mir, es tut mir selber
weh, wenn ich immer wieder lese, daß Du noch keine Post von uns erhalten hast.
Ich habe ja gemerkt, wie es ist, wenn man schon mal nur 8 Tage keine Post
bekomm, geschweige denn drei Wochen lang. Ein Trost ist mir nur, daß Du jetzt,
wo ich den Brief schreibe, doch Briefe erhalten haben wirst. Die Zeitung von Dir habe ich auch erhalten.
Das hätte ich auch nicht vermutet, daß ausgerechnet in einer Zeitung von
Brüssel das Konzil zu sehen ist. Konstanz ist also doch nicht so
unbekannt.
Deine vier Päckchen habe ich also
erhalten, wie ich Dir schon geschrieben habe. Es ist also alles gut
angekommen.
Über Deine Karte habe ich mich
gefreut. Die Umgebung des Rathauses sieht ja nicht gerade vorteilhaft aus, oder
täuscht das auf der Karte? Der Turm ist zwar groß, aber viel Sinn hat er ja
nicht. Für Euch wird es ja erst einmal die Hauptsache sein, daß Ihr in
anständigen Räumen schaffen könnt. Ich hoffe immer, daß Dir bei
Fliegerangriffen nichts passiert und daß Du gesund wieder zu uns heim kommst.
Wir sind bisher von Fliegerbesuch verschont geblieben.
Deine Hosenträger sende ich Dir
mit. Ich habe sie noch ein bißchen gewaschen. Sollten sie bis heute Nachmittag
noch nicht trocken sein, schicke ich sie Dir morgen. Du hast auch noch ein paar
gute da. Wenn Du die noch brauchst, so schreibe mir. Auch Briefpapier werde ich Dir wieder schicken, denn Deine
Briefbogen werden wohl bald alle sei, wo Du so oft an mich schreibst.
Unseren Kindern gebe ich wieder
Küsse von Dir. Sie folgen soweit schon, aber Du weißt ja, Kinder, die immer
brav sind, gibt es ja nicht.
Vor allem Jörg stellt öfter was
an. Am Sonntag hat er einen Gummiring an einen Strick gebunden und damit
herumgeschleudert. Dabei hat er innen auf dem Fensterbrett bei Frau Nußbaumer
einen Blumentopf runter gerissen und die Blumen darin sind fast restlos kaputt.
Frau Nußbaumer hat ihn extra innen hingestellt, damit nichts drankommt, da sie
gerade diese Blume erst großgezogen hatte. Jörg habe ich gesagt, daß er sich
entschuldigen muß, denn es war mir sehr peinlich. Ehe er sich aber dazu bequemt
hat, habe ich ihn erst versohlen müssen. Ich habe ihm dann gesagt: „Was würdest
Du denn machen, wenn Dir jemand in Deinem Gärtchen Blumen kaputt macht, meinst
Du, Frau Nußbaumer ärgert sich nicht?“. Da hat er eine Antwort gegeben, die
unserem Zornickel ähnlich sieht. Er sagte: „Da würde ich vor Zorn den ganzen
Garten zertrampeln.“ Darauf habe ich ihm gesagt: „Siehst Du, wenn Du so einen
Zorn haben würdest, kann ich wenigstens verlangen, daß Du Dich entschuldigst“,
was er dann auch getan hat. Hinterher
kam aber sein Dickkopf gleich wieder zum Vorschein. Er sagte: „Nun gehe ich
überhaupt nicht mit.“ (Wir wollten gerade in die Stadt gehen). Ich entgegnete
ihm darauf, daß mir das gleich sei, er solle sich nur gleich ausziehen, daß er
ins Bett geht. Als er nun sah, daß er nichts erreicht, hat er dann doch klein
beigegeben.
Im Allgemeinen folgt er aber auch
soweit und ich werde auch sonst mit ihm fertig. Im Notfalle gibt´s halt was
hinten drauf, und davor hat er großen Respekt, denn ich schlage scheinbar nicht
schlecht zu. Da ich ja nun selten zuschlage, tut diese Abreibung immer ihre
Wirkung, denn hinterher folgt er wieder mal eine ganze Weile.
Von den Eltern habe ich heute
einen Brief bekommen. Sie werden Dir sicher davon einen Durchschlag
mitgeschickt haben, wie sie das bei mir auch mit dem Brief an Dich getan haben.
Wenn ich wieder Zeitungen bekomme, sende ich Dir wieder welche zu.
Soll ich eigentlich das Buch von
Hans Fritsche bestellen? Du könntest es schließlich nach Deinem Urlaub mit
hinnehmen. Schreib mir bitte Deine Ansicht. Die Buchhandlung muß das Buch
nämlich erst bestellen.
Heute schaffe ich mal nichts im
Garten, aber morgen muß ich noch die roten Rüben versetzen, damit sie sich
entwickeln können. Eigentlich hätte ich es schon etwas früher machen sollen,
aber, Du darfst mir nicht böse sein, ich hatte es tatsächlich vergessen. Siehst
du, es ist doch richtig, Hochmut kommt vor den Fall. Da habe ich mir
eingebildet, im Garten ist alles tadellos und jetzt habe ich doch die Hälfte
vergessen. Na, es läßt sich ja noch ändern.
Es ist heute wieder trübes
Wetter. Früh scheint immer die Sonne und gegen acht Uhr wird es dann trüb. Die
Tomaten könnten jetzt schon mal die Sonne vertragen.
Ich sehe jetzt, daß die
Hosenträger doch nicht trocken werden, da sende ich heute das Schreibpapier
mit. Ich schließe nun für heute. Bleib
recht gesund und sein vielmals gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.
Viele Grüße und Küsse von Deiner Helga. Sei 100 Mal gegrüßt und 100 mal
geküßt aber ganz fest. Jörg 21.7.40.
Helga hatte die letzten Tage ein
Gerstenkorn am linken Auge. Wir wollten‘s Dir nicht eher schreiben, damit Du
Dir keine Sorgen machst. Heute ist es nun aufgegangen und der ganze Eiter ist
raus. Jetzt ist Helga auch wieder froh, denn es hat die letzten Tage sehr weh
getan.
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