Donnerstag, 23. Juli 2015

Brief 37 vom 23.7.1940


Mein lieber Ernst!                                                  23.Juli1940

Heute erhielt ich Deinen lieben Brief vom 16.
Glaube mir, es tut mir selber weh, wenn ich immer wieder lese, daß Du noch keine Post von uns erhalten hast. Ich habe ja gemerkt, wie es ist, wenn man schon mal nur 8 Tage keine Post bekomm, geschweige denn drei Wochen lang. Ein Trost ist mir nur, daß Du jetzt, wo ich den Brief schreibe, doch Briefe erhalten haben wirst.  Die Zeitung von Dir habe ich auch erhalten. Das hätte ich auch nicht vermutet, daß ausgerechnet in einer Zeitung von Brüssel das Konzil zu sehen ist. Konstanz ist also doch nicht so unbekannt. 
Deine vier Päckchen habe ich also erhalten, wie ich Dir schon geschrieben habe. Es ist also alles gut angekommen. 
Über Deine Karte habe ich mich gefreut. Die Umgebung des Rathauses sieht ja nicht gerade vorteilhaft aus, oder täuscht das auf der Karte? Der Turm ist zwar groß, aber viel Sinn hat er ja nicht. Für Euch wird es ja erst einmal die Hauptsache sein, daß Ihr in anständigen Räumen schaffen könnt. Ich hoffe immer, daß Dir bei Fliegerangriffen nichts passiert und daß Du gesund wieder zu uns heim kommst. Wir sind bisher von Fliegerbesuch verschont geblieben.
Deine Hosenträger sende ich Dir mit. Ich habe sie noch ein bißchen gewaschen. Sollten sie bis heute Nachmittag noch nicht trocken sein, schicke ich sie Dir morgen. Du hast auch noch ein paar gute da. Wenn Du die noch brauchst, so schreibe mir.  Auch Briefpapier werde ich Dir wieder schicken, denn Deine Briefbogen werden wohl bald alle sei, wo Du so oft an mich schreibst. 
Unseren Kindern gebe ich wieder Küsse von Dir. Sie folgen soweit schon, aber Du weißt ja, Kinder, die immer brav sind, gibt es ja nicht.
Vor allem Jörg stellt öfter was an. Am Sonntag hat er einen Gummiring an einen Strick gebunden und damit herumgeschleudert. Dabei hat er innen auf dem Fensterbrett bei Frau Nußbaumer einen Blumentopf runter gerissen und die Blumen darin sind fast restlos kaputt. Frau Nußbaumer hat ihn extra innen hingestellt, damit nichts drankommt, da sie gerade diese Blume erst großgezogen hatte. Jörg habe ich gesagt, daß er sich entschuldigen muß, denn es war mir sehr peinlich. Ehe er sich aber dazu bequemt hat, habe ich ihn erst versohlen müssen. Ich habe ihm dann gesagt: „Was würdest Du denn machen, wenn Dir jemand in Deinem Gärtchen Blumen kaputt macht, meinst Du, Frau Nußbaumer ärgert sich nicht?“. Da hat er eine Antwort gegeben, die unserem Zornickel ähnlich sieht. Er sagte: „Da würde ich vor Zorn den ganzen Garten zertrampeln.“ Darauf habe ich ihm gesagt: „Siehst Du, wenn Du so einen Zorn haben würdest, kann ich wenigstens verlangen, daß Du Dich entschuldigst“, was er dann auch getan hat.  Hinterher kam aber sein Dickkopf gleich wieder zum Vorschein. Er sagte: „Nun gehe ich überhaupt nicht mit.“ (Wir wollten gerade in die Stadt gehen). Ich entgegnete ihm darauf, daß mir das gleich sei, er solle sich nur gleich ausziehen, daß er ins Bett geht. Als er nun sah, daß er nichts erreicht, hat er dann doch klein beigegeben.
Im Allgemeinen folgt er aber auch soweit und ich werde auch sonst mit ihm fertig. Im Notfalle gibt´s halt was hinten drauf, und davor hat er großen Respekt, denn ich schlage scheinbar nicht schlecht zu. Da ich ja nun selten zuschlage, tut diese Abreibung immer ihre Wirkung, denn hinterher folgt er wieder mal eine ganze Weile. 
Von den Eltern habe ich heute einen Brief bekommen. Sie werden Dir sicher davon einen Durchschlag mitgeschickt haben, wie sie das bei mir auch mit dem Brief an Dich getan haben. Wenn ich wieder Zeitungen bekomme, sende ich Dir wieder welche zu.
Soll ich eigentlich das Buch von Hans Fritsche bestellen? Du könntest es schließlich nach Deinem Urlaub mit hinnehmen. Schreib mir bitte Deine Ansicht. Die Buchhandlung muß das Buch nämlich erst bestellen.
Heute schaffe ich mal nichts im Garten, aber morgen muß ich noch die roten Rüben versetzen, damit sie sich entwickeln können. Eigentlich hätte ich es schon etwas früher machen sollen, aber, Du darfst mir nicht böse sein, ich hatte es tatsächlich vergessen. Siehst du, es ist doch richtig, Hochmut kommt vor den Fall. Da habe ich mir eingebildet, im Garten ist alles tadellos und jetzt habe ich doch die Hälfte vergessen. Na, es läßt sich ja noch ändern. 
Es ist heute wieder trübes Wetter. Früh scheint immer die Sonne und gegen acht Uhr wird es dann trüb. Die Tomaten könnten jetzt schon mal die Sonne vertragen. 
Ich sehe jetzt, daß die Hosenträger doch nicht trocken werden, da sende ich heute das Schreibpapier mit.  Ich schließe nun für heute. Bleib recht gesund und sein vielmals gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.
Viele Grüße und Küsse von Deiner Helga. Sei 100 Mal gegrüßt und 100 mal geküßt aber ganz fest. Jörg 21.7.40.

Helga hatte die letzten Tage ein Gerstenkorn am linken Auge. Wir wollten‘s Dir nicht eher schreiben, damit Du Dir keine Sorgen machst. Heute ist es nun aufgegangen und der ganze Eiter ist raus. Jetzt ist Helga auch wieder froh, denn es hat die letzten Tage sehr weh getan.

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